Die Arbeiter der ersten deutschen Nordpolexpedition

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Otto Ule
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Arbeiter der ersten deutschen Nordpolexpedition
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 539–542
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[539]
Die Arbeiter der ersten deutschen Nordpolexpedition.
Von Otto Ule.

Vor einigen Wochen ging dem deutschen Volke ein Gruß vom hohen Norden mitten aus dem Eise des Grönländischen Meeres zu. Er kam von den heldenmüthigen Führern der ersten deutschen Nordpolexpedition, die im Kampfe mit den mächtigen Eismassen, durch welche sie sich Bahn zur Ostküste Grönlands zu brechen suchen, unter der hohen Breite von dreiundsiebenzig Grad durch einen englischen Walfischfänger Gelegenheit erhielten, eine Kunde an ihre Landsleute gelangen zu lassen. Es ist ein kleines, gebrechliches Fahrzeug, das diese Männer trägt, weit eher geeignet, an die Fahrzeuge zu erinnern, welche die Entdecker des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts trugen, als an die stahlgegürteten Riesenschiffe der heutigen Marinen. Und es ist eine große, eine gewaltige Aufgabe, welche dieses Fahrzeug lösen soll, wenn auch nicht geradezu den Weg zum Pole zu finden, so doch in jenes innerste Heiligthum des arktischen Nordens einzudringen, das bisher nur der ahnungsvollen Phantasie freies Spiel gewährte, in jenes geheimnißvolle Meeresbecken, welches noch immer krystallenen Mauern die wichtigsten naturwissenschaftlichen Räthsel umschließt, den astronomischen und den magnetischen Pol, die Pole der Winde und der Kälte, die Grenzen des menschlichen, thierischen und pflanzlichen Lebens.

Als dieses kleine Schiff am 24. Mai bei Bergen die Anker lichtete, da folgte wohl mancher sorgenvolle Blick seinem Kiele, und noch Mancher sieht heute in banger Spannung dem Ausgange dieses kühnen Unternehmens entgegen, dessen kleine Mittel so gar nicht im Verhältniß zur Größe seiner Aufgabe zu stehen scheinen. Die Wenigsten konnten [540] der hochherzigen That ihre Theilnahme versagen, aber vereinzelt regte sich auch der Spott. Man zuckte die Achseln über eine Abenteuerlichkeit, die wohl den Zeiten eines Columbus anstand, die man auch heute allenfalls den Amerikanern verzeihen könnte, aber nicht vernünftigen, besonnenen Deutschen. Man spottete über das Ziel, das man hinreichend lächerlich zu machen dachte, wenn man es als den Pol, einen mathematischen Punkt bezeichnete. Man lachte über die Kärglichkeit der Mittel und vergaß, daß es nur die Schuld der deutschen Nation ist, wenn Größeres nicht zu Stande kam. Wir wollen diesen Spöttern verzeihen, die gewiß nichts gegen ein solches Unternehmen hätten, wenn noch eine Aussicht vorhanden wäre, über den Pol hin einen Seeweg nach Ostindien zu finden oder Gold und Handelswaaren zu erbeuten, die aber den Werth wissenschaftlicher Eroberungen nicht zu schätzen wissen. Deutschland wird einst stolz sein auf diese erste nationale That zur See, mit der es seinen lange vergessenen Beruf als seefahrende Nation wieder aufnimmt und in seiner neugewonnenen Größe in eine Jahrhunderte lange ruhmvolle Geschichte eintritt, welche England vor Allem groß gemacht hat.

Ein Unternehmen wie dieses sieht sich recht hübsch und wohl gar romantisch an, wenn es einmal in’s Werk gesetzt ist, wenn man das Schiff in See, den reisenden Forscher in seiner Wildniß weiß. Man sieht ihm dann die Mühe nicht an, die es kostete, die Schwierigkeiten, welche zu überwinden waren, um es möglich zu machen. Aber die Vorgeschichte ist oft nicht minder interessant, als das Unternehmen selbst, und es gehört häufig ein größerer Muth und eine heldenmüthigere Ausdauer dazu, die geistigen Kämpfe zu bestehen, welche sich den Anfängen des Unternehmens entgegenstellen, als nachher in der Ausführung die physischen Kämpfe mit den wilden Schrecknissen der Natur erfordern. Auch die deutsche Nordpolexpedition hat eine solche Vorgeschichte, und der Ruhm des Mannes, der sie in’s Werk setzte, ist nicht minder groß, als der den muthigen Führern dieser Expedition winkt.

Noch ist wohl Jedem die fieberhafte Aufregung in Erinnerung, in welcher ein ganzes Jahrzehnt hindurch die Gebildeten aller Nationen durch das furchtbare Schicksal der Franklin’schen Expedition und die Anstrengungen zu ihrer Rettung erhalten wurden. Eine der hoffnungsreichsten Expeditionen, von den bewährtesten Seehelden geführt, mit seltener Umsicht und Freigebigkeit ausgestattet, war durch eine entsetzliche Katastrophe vernichtet, hundertachtunddreißig tapfere Briten waren den arktischen Naturmächten zum Opfer gefallen. Es konnte nicht fehlen, daß eine solche Erfahrung vor weiteren Unternehmungen dieser Art zurückschreckte, daß man fast allgemein das große Buch arktischer Forschungen auf immer für geschlossen hielt. Aber schon damals, als M’Clintock von dem Schauplatz jener entsetzlichen Katastrophe zurückkehrte und in ihren Reliquien die unzweideutigsten Beweise des Untergangs der Franklin’schen Expedition vorlegte, schon damals sprach bei Gelegenheit eines Bankets, welches die zahlreichen Theilnehmer der Franklin-Expeditionen zu Ehren dieser letzten am 5. October 1859 veranstalteten, ein Deutscher, Berthold Seemann, der einzige Deutsche, der an jenen kühnen Rettungsfahrten Theil genommen, in prophetischen Worten die feste Zuversicht aus, daß das arktische Forschungswerk nicht aufgegeben, sondern zu glorreichem Ende geführt werden würde. Freilich ahnte er nicht, daß es gerade die deutsche Nation sein sollte, die das große Forschungswerk wieder aufnahm.

Wie groß die Entmuthigung und Einschüchterung in Folge jenes traurigen Ereignisses war, das zeigte sich am besten in Amerika, dessen, abenteuerlichen Charakter man so gern hervorhebt, das in der That in jener Zeit der Franklin Expeditionen die abenteuerlichsten Fahrten geliefert hatte und dem überdies Dr. Kane durch seine erfolgreiche Fahrt bis zum einundachtzigsten Breitengrade und seinen vielverheißenden Bericht von einem offenen Meere im Norden des Smithsundes die weitere Verfolgung dieses Weges gleichsam als Erbschaft hinterlassen hatte. Als Dr. Hayes, der Begleiter Kane’s, diese Erbschaft antreten wollte, fand er nur taube Ohren. Er selbst erzählt, welche jahrelangen Anstrengungen es ihn kostete, die öffentliche Meinung für sein Werk zu gewinnen, wie er von Ort zu Ort reiste und durch das ganze Land Curse populärer Vorlesungen einrichtete, wie er die Presse und die wissenschaftlichen Vereine zu gewinnen suchte, wie er selbst das Ausland in Anspruch nahm, um das Inland von der Bedeutung seines Unternehmens zu überzeugen. Schließlich sah er sich doch genöthigt, sein Unternehmen auf das Aeußerste zu beschränken, um es nur überhaupt ausführen zu können, und mit einem kleinen Segelfahrzeug von einhundert dreiunddreißig Tonnen, mit nur vierzehn Gefährten und kaum genügender Ausrüstung sein kühnes Wagniß in’s Werk zu setzen.

Die geringen Erfolge dieser Expedition sind bekannt. Wenn auch ihre Forschungen für unsere Kenntniß der arktischen Natur von außerordentlicher Bedeutung geworden sind, so gelang es ihr doch nur, wenige Meilen über das schon von Kane erreichte Ziel vorzudringen. Man kann sich darum auch nicht wundern, daß Sherard Osborn, als er im Jahre 1865 England zu einer neuen Expedition durch den Smithsund als die am sichersten zum Pole führende Gasse aufforderte, keinen rechten Anklang bei seinen Landsleuten fand und daß die Ausführung seines Planes trotz der warmen Empfehlung von Seiten der ersten wissenschaftlichen Körperschaften Englands von der Admiralität entschieden abgelehnt wurde. Um so mehr muß man erstaunen, daß ein deutscher Geograph es wagte, nicht nur diesem Osborn’schen Plane einen anderen nicht minder kühnen entgegenzustellen, sondern auch, als sich für die Ausführung desselben in England wenig Aussicht zeigte, seine Verwirklichung von der deutschen Nation zu verlangen. Dieser deutsche Geograph war der bekannte Dr. August Petermann in Gotha, dem die Stellung, die er in der geographischen Wissenschaft einnimmt, und der gute Klang, zu welchem er dem deutschen Namen auch auf diesem Felde verhelfen hatte, ein Recht dazu gab.

Mit der arktischen Frage war Petermann schon durch die berühmten Franklin Expeditionen in nähere Berührung gekommen. Für diese hatte er in London in anregendster Weise gewirkt und zur Wahl der geeigneten Wege zur Rettung der Vermißten Manches beigetragen, mehr als ein Mal sogar den sinkenden Muth Englands durch seine eindringenden Mahnungen neu belebt. Seitdem hat er diese Frage nie ganz aus dem Auge verloren, vielmehr durch gründliches Studium älterer Reiseberichte und der Aussagen erfahrener Walfischfänger sich eine genaue Kenntniß der Natur, insbesondere der Strömungen und Eisverhältnisse des hohen Nordens zu verschaffen gesucht. So hatte er sich ein Recht erworben, ein entscheidendes Wort zu sprechen, als durch Osborn die arktische Forschung auf’s Neue in Anregung gebracht wurde. Es war keine Ueberhebung, wenn er die Behauptung aufstellte, daß der von Kane und Hayes gewählte Weg niemals zum Pole führen werde, daß man überhaupt keinen unglücklicheren Ausgangspunkt für ein solches Forschungsunternehmen wählen könne, als jenes Labyrinth eiserfüllter Canäle, wie sie die arktische Inselwelt im Norden des amerikanischen Continents darbietet. Nur auf zwei Wegen glaubte Petermann ein glückliches Vordringen gegen den Nordpol in Aussicht stellen zu können; der eine war das Meer im Norden der Behringsstraße, der andere der breite Eingang durch das grönländisch-spitzbergische Meer. Jener Weg ist denn auch seitdem in Frankreich durch Gustav Lambert in Vorschlag gebracht worden, und es ist Aussicht vorhanden, daß öffentliche Subscriptionen die Mittel gewähren werden, ihn zu beschreiten. Für Petermann konnte er schon deshalb nicht in Betracht kommen, da die Weite des Weges bis zum eigentlichen Ausgangspunkte des Unternehmens eine Kostenhöhe bedingt, welche zu der Opferfähigkeit des deutschen Volkes in keinem Verhältniß steht. So blieb nur der Weg durch den nördlichen atlantischen Ocean übrig, sei es längs der Ostküste Grönlands, wo schon Hudson im Jahre 1707, wie man annimmt, bis zum zweiundachtigsten Breitegrade vordrang, sei es im Norden Spitzbergens, wo Parry im Jahre 1827 in einer Breite von zweiundachtzig Grad fünfundvierzig Minuten, der höchsten bisher überhaupt erreichten Breite, sich durch den Anblick eines offenen Meeres auf seiner berühmten Schlittenreise gehemmt sah.

Dieser letztere Weg war es, den Petermann zunächst für eine deutsche Nordpolexpedition in’s Auge faßte und so lange festhielt, als er die Hoffnung hegen konnte, daß deutsche Regierungen seinen Plan zur Ausführung bringen und eiserne Schraubendampfer dabei zur Verwendung kommen würden. In der That schien es eine Zeitlang, als ob diese Hoffnung sich erfüllen sollte. Petermann war es gelungen, die preußische Regierung lebhaft für seinen Plan zu interessiren, und schon glaubte man Schiffe und Führer der beabsichtigten Expedition mit einiger Sicherheit bezeichnen zu können. Da zerstörte der Ausbruch des deutschen Krieges im Jahre 1866 diese Hoffnung. Vielleicht hatten auch die leitenden Persönlichkeiten [541] inzwischen ihre Meinung geändert; kurzum, die preußische Regierung lehnte am Ende des Jahres 1866 die Ausführung des Unternehmens für die nächste Zeit entschieden ab.

Die Matrosen der deutschen Nordpol-Expedition in ihrer Winterkleidung.
Nach einer Photographie.
Johann Werdelmann (aus Neufahr bei Vegesack), Schiffszimmermann.
Camp Wagener (Norden, Ostfriesland), Matrose.
Friedrich Rössing (Emden), Matrose.
Paul Tilly, (Preuß. Minden), Matrose.
Daniel Heinrich Büttner (Bremen), Matrose.
Peter Iversen (Apenrade?), Matrose.
Gerhard de Wall (Delfyl, Holland), Matrose.

Aber noch einmal schien die Hoffnung zu leuchten. Der hochherzige Schiffseigenthümer Rosenthal zu Bremerhaven stellte im Sommer des Jahres 1867 seinen neuerbauten, für die Eisschifffahrt eingerichteten Schraubendampfer unentgeltlich für den Dienst einer Nordpolexpedition zur Verfügung. Petermann mußte nun allerdings die Grenzen seines Unternehmens etwas enger ziehen. Nur dieser eine Dampfer konnte zur Verwendung kommen. Dieser aber sollte einen Theil der Gesellschaft an der Ostküste Grönlands aussetzen, um auf Booten den noch völlig unbekannten Verlauf dieser Küste nach Norden verfolgen zu lassen, während der andere Theil mit Hülfe der Dampfkraft versuchen sollte, das Eis im Norden Spitzbergens zu durchbrechen. Nur etwa noch sechszigtausend Thaler waren für die Ausführung dieses Unternehmens erforderlich, und gerade über eine ähnliche Summe, die aus den einst vom deutschen Volke gesammelten Flottengeldern herrührte, hatte in Kurzem der in Auflösung begriffene Nationalverein zu verfügen. Aber die Generalversammlung des Nationalvereins beschloß am 12. November 1867, diese Gelder nicht dem ersten deutschen Unternehmen zur See, sondern einer Invalidenstiftung zu überweisen.

Für eine deutsche Nordpolfahrt in großartigerem Maßstabe war jetzt jede Hoffnung geschwunden. Petermann aber verlor den Muth nicht. Statt wieder geduldig zu warten und abermals sein Unternehmen den Wellen des Zufalls anzuvertrauen, beschränkte er seinen Plan auf das äußerste Maß und entschloß sich, ungesäumt auf eigene Gefahr hin zur Ausführung zu schreiten. Bald waren die geeigneten Führer gefunden, bald war auch ein Schiff angekauft, freilich ein kleines norwegisches Segelschiff von nur achtzig Tonnen Gehalt, aber stark und fest, wie es der Kühnheit des Unternehmens entsprach. Das Schiff wurde ausgezimmert und verstärkt, die Mannschaft wurde geworben, Ballast, Proviant und Wasser eingenommen. Erst dann, als die Expedition gesichert, das Schiff zum Auslaufen bereit war, wandte sich Petermann an die deutsche Nation mit der Aufforderung, ihm die erforderlichen Mittel zu gewähren. Sein Vertrauen hat ihn nicht getäuscht. Reiche Beiträge sind gespendet worden, in erster Linie die Ehrengabe König Wilhelm’s und nicht in letzter die Opfer der deutschen Studenten. Reichere Gaben werden folgen. Jetzt schwankt die „Germania“ – so hat man das Schiff getauft, das die erste deutsche Expedition trägt – auf den Wogen des rauhen Polarmeeres; schon ist eine flüchtige Kunde von seinen ersten wilden Kämpfen zu uns gelangt. Das Eis ist schwierig, so lautet jene Kunde vom 16. Juni.

[542] Bis zum sechsundsiebenzigsten Breitengrad schon war das Schiff gegen die gewaltigen Eismassen vorgedrungen, aber der übermächtige Feind hatte es wieder um drei Grade südwärts zurückgedrängt. Allein ungebeugten Muthes haben die Helden den Kampf auf’s Neue begonnen. Doch wenn sie nun wirklich jene furchtbare Schranke durchbrechen, – wenn sie wirklich zur ersehnten Küste gelangen sollten – was dann? Werden sie dort das freie Fahrwasser finden, auf dessen Vorhandensein der ganze kühne Plan gestützt ist? Die Ostküste Grönlands zu erreichen – so lautet ja jener Plan – da, wo Sabina einst die nach ihm benannte Insel entdeckte und von wo ab uns jede genauere Kenntniß der grönländischen Küste fehlt, längs dieser Küste so weit wie möglich nach Norden vorzudringen und entweder das Nordende dieser großen Insel festzustellen oder der weiteren Landbildung gegen den Pol hin zu folgen. Nur in zweiter Linie ist die Expedition angewiesen, das spitzbergische Meer und das noch ziemlich unbekannte Gillis-Land im Osten Spitzbergens zum Gegenstand ihrer Forschung zu machen. Das hohe Meer also ist der Expedition untersagt; dort können nur vom Wind unabhängige Dampfschiffe den ernsten Kampf aufzunehmen wagen; kleine Segelschiffe, wie die „Germania“, sind auf das sicherere Fahrwasser im Schutze der Küsten angewiesen. Aber wird sich ein solches Fahrwasser an der grönländischen Ostküste finden, die eine sehr verbreitete Ansicht von ewigem Eise umlagert sein läßt? Die Erfahrungen früherer Expeditionen und zahlreicher Walfischfahrer lassen es erwarten.

Alle Kenner der Polarmeere unterscheiden streng zwischen dem festen „Landeis“ und dem „Packeis“. Letzteres besteht aus treibenden Eisflarden, die an Größe von Fußen bis zu Meilen und an Dicke von Zollen bis zu Klaftern wechseln, die bald dicht zusammengedrängt, bald weit von einander getrennt sind und von Winden und Strömungen abhängen. Dieses Packeis zu durchbrechen, erfordert oft Wochen und Monate und ist häufig erst im August möglich, wenn die Sonne oben und das Wasser unten daran gezehrt haben. In diesem Packeis gefangen zu werden, ist die größte Gefahr des Polarfahrers. Ganz anders verhält es sich mit dem festen Landeise, von dem ein schmaler Streifen gewöhnlich selbst bis zum Ende der Sommerzeit zurückbleibt. An ihn klammern sich die Walfischfänger, und die Schiffe der Forschungsreisenden sind gewöhnlich ihrem Beispiel gefolgt. Sie benutzen den letzten Riß, der sich gebildet hat, oder, wie sie es nennen, den Durchgang zum Ufer. Hier finden sie Sicherheit, wenn der Wind das Packeis gegen sie herabtreibt; denn sie können für ihre Schiffe eine Docke in das feste Eis sägen oder eine Bucht finden, um darin das Fahrzeug vor Anker zu legen. Sie können überdies, wenn das Eis locker und kein Wind ist, das Fahrzeug durch die Mannschaft mittels des Taues am Rande desselben hinschleppen lassen. In dieses Fahrwasser zwischen dem Landeis und dem gefürchteten Treibeisgürtel einzudringen, darauf beruht die Hoffnung unserer deutschen Nordpolexpedition.

Ohne hier näher eingehen zu können aus eine Darlegung des Planes und die speciellen Aufgaben der Expedition,[1] wollen wir über die letzteren nur bemerken, daß eine große Anzahl nicht blos für den Geographen, sondern für die Naturwissenschaft im Allgemeinen hochinteressanter Fragen zu lösen sind. Die Grenze des Eises, die Verbreitung von Meeresströmungen, das Gebiet des Treibeises will man feststellen, magnetische meteorologische Beobachtungen ausführen, die Tiefe der See messen und die Temperatur der letzteren in verschiedenen Tiefen erforschen. Außerdem richtet man seine Aufmerksamkeit auf das pflanzliche und thierische Leben der arktischen Region, denn diese entbehrt desselben durchaus nicht in der Weise, wie man zu glauben geneigt ist. Vorzüglich will man sich auch über den merkwürdigen Volksstamm der Eskimos näher unterrichten, der in seiner Ursprünglichkeit für die Ethnographie, zumal für die Kenntniß der sogenannten Pfahlbauperiode von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Die Kosten der Expedition hat man auf etwa fünfzehn- bis sechszehntausend Thaler berechnet.

Es erübrigt uns jetzt nur noch ein kurzes Wort über die heldenmüthigen Führer der Expedition. Wie Petermann der geistiges Leiter, so sind die beiden Obersteuerleute Karl Koldewey und Rudolph Hildebrandt die praktische Seele des Unternehmens. Die Portraits dieser drei Männer behalten wir uns für eine spätere Nummer vor. Koldewey ist am 26. October 1837 zu Bücken bei Hoya im Hannöverschen geboren, auf dem Gymnasium zu Clausthal und später auf der Obersteuermannsschule in Bremen gebildet und in den letzten Jahren durch die polytechnische Schule in Hannover und die Universität Göttingen auch für die höheren wissenschaftlichen Arbeiten einer solchen Expedition vorbereitet. Er ist einer der ausgezeichnetsten Schüler Dr. Breusing’s und von dem Astronomen Klinkerfues wegen seiner ungewöhnlichen Begabung für astronomische Arbeiten gerühmt. Er ist begeistert für seine Aufgabe und entschlossen, wenn es sein muß, sein Leben für den Ruhm des deutschen Namens zu opfern. Rudolph Hildebrandt ist der Sohn des Predigers Hildebrandt in Magdeburg, gleichfalls unter Dr. Breusing’s Leitung auf der Obersteuermannsschule in Bremen ausgebildet und ein Mann von seltener Energie und Thatkraft. Mit ihnen bilden neun bewährte deutsche Seeleute und zwei mit der grönländischen Schifffahrt vertraute norwegische Matrosen die Bemannung des kleinen Schiffes. Unser Bild stellt die sieben bewährtesten Seeleute der Expedition in ihrem Eismeercostüm vor. Ganz besonders rühmt Koldewey in seinem Berichte die drei Bremenser Wagner, Iversen und de Wall als ausgezeichnete Matrosen und als „kräftige entschlossene Männer, die sich nicht fürchten würden, selbst dem Teufel in der Hölle einen Besuch abzustatten.“

Das sind die Arbeiter der ersten deutschen Nordpolexpedition, das sind die Männer, die im Kampf mit den Wogen des Eismeeres der deutschen Wissenschaft ein Gebiet erobern wollen, um das Jahrhunderte lang die ersten Seemächte der Erde gerungen haben! Das sind die Helden, und das ist die That, um die uns das Ausland beneidet! Der deutschen Expedition den Rang abzulaufen, sendet soeben Schweden eines seiner besten Dampfschiffe in das spitzbergische Meer hinaus, verdoppelt Frankreich seine Anstrengungen zur Aufbringung der Mittel für seine Expedition durch die Behringsstraße, rüstet Nordamerika bereits und sinnt selbst England auf Rüstungen. Was auch die „Germania“ uns bringen möge, wenn sie im Spätherbst dieses Jahres in den deutschen Hafen zurückkehrt, hoffen wir, daß diese erste That zur See für Deutschland eine ähnliche Bedeutung haben werde, wie einst Franz Drake’s kühne Weltumsegelung für England, daß sie das Wiedererwachen der deutschen Seemacht bezeichne!


  1. Ausführliche Auskunft über den Plan und die Aufgaben der Expedition. wie über die Geschichte der Nordpolfahrten von Cabot bis auf Kane und Hayes findet der Leser in der kleinen bei Quandt und Händel in Leipzig erschienenen illustrirten Schrift: Die erste deutsche Nordpolexpedition von Dr. Otto Ule. (Preis 5 Ngr.) D. Red.