Die Geschwindigkeit des Gedankens

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Autor: W. Wundt
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Titel: Die Geschwindigkeit des Gedankens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 263–265
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[263]
Die Geschwindigkeit des Gedankens.
Von W. Wundt.

Es ist eine ganz verbreitete Meinung, daß das Denken sehr schnell geschieht. Wir reden vom Flug der Gedanken, und gedankenschnell ist die sprüchwörtliche Bezeichnung für Alles, was schneller ist, als wir messen können. Aber es wird erlaubt sein, die Frage auszuwerfen: Was berechtigt uns zu der Behauptung, daß das Denken so schnell sei? Daß die gewöhnliche Meinung das Denken für schneller hält als alles Andere, ist natürlich nicht der geringste Beweis, denn der wissenschaftliche Beobachter hat schon hundertfältig erfahren, wie gewaltig die gewöhnliche Meinung über die Dinge von einer richtigen Kenntniß derselben verschieden zu sein pflegt. Nichts kann in der That falscher sein, als unsere Vorstellung von zeitlichen und räumlichen Verhältnissen, sobald diese einmal über oder unter jener Grenze liegen, welche unserer unmittelbaren Anschauung gesetzt ist. So wenig wir uns eine Anschauung bilden können von den Millionen Meilen, welche die Himmelskörper von einander entfernt sind, ebenso wenig können wir uns etwas darunter denken, wenn von Hunderttheilen, ja selbst von Zehntheilen einer Secunde die Rede ist.

Wir sind gern geneigt, Zeiträume für unendlich klein oder doch für unmeßbar klein zu halten, die in Wirklichkeit noch recht gut gemessen werden können, ja, deren Größe im Vergleich mit manchen andern auch noch meßbaren zeitlichen Vorgängen sich als eine sehr bedeutende herausstellt. Ein lehrreiches Beispiel sind in dieser Hinsicht gerade jene Vorgänge, die mit der Gedankenbildung im nächsten Zusammenhang stehen, die in der Entwicklung des Seelenlebens ihr vorausgehen – die Vorgänge der Empfindung und der Bewegungsleitung in den Nerven.

Vom Empfindungseindruck, der auf das äußere Ende der Sinnesnerven geschieht, meinten noch vor kurzer Zeit selbst die Physiologen, er pflanze sich mit unmeßbarer Geschwindigkeit bis zum Gehirn fort; ebenso glaubte man, der Bewegungsimpuls, der auf das Ende des bewegenden Nerven im Gehirn ausgeübt wird, setze im selben Moment auch schon die Muskeln in Zusammenziehung. Und doch ist nichts unrichtiger; genaue Messungen haben ergeben, daß die Geschwindigkeit des Nervenprincips im Vergleich zu vielen anderen Vorgängen nur eine sehr mäßige genannt werden kann. Während das Licht in einer Secunde 42,100 Meilen, die Elektricität im Kupferdraht 62,000 Meilen zurücklegt, hat der Empfindungs- und Bewegungsvorgang im Nerven des lebenden Menschen nur die Geschwindigkeit von 61½ Meter in der Secunde, d. h. er ist 5 Millionen Mal langsamer als das Licht und 7 Millionen Mal langsamer als die Elektricität, die sich im Kupfer bewegt.

Es variirt darnach aber, wenn man die Länge der Nerven im menschlichen Körper in Rücksicht zieht, die Zeit, welche ein Empfindungseindruck braucht, um bis zum Gehirn oder Rückenmark zu gelangen, ungefähr von 1/600 Secunde und weniger bis zu 1/68 Secunde. Der Eindruck auf die Haut des Fußes braucht, bis er in’s Rückenmark gelangt, mehr als das Zehnfache der Zeit, welche der Lichteindruck auf’s Auge nöthig hat, um zum Gehirn zu kommen. Wenn aber auch der Eindruck auf die Haut des Fußes im Rückenmark angelangt ist, so ist er damit noch nicht in’s Bewußtsein erhoben; hierzu muß er sich erst das ganze Rückenmark entlang bis zu jenen im Gehirn gelegenen Centralorganen fortgepflanzt haben, an welche die Aeußerungen des Bewußtseins und der Willkür gebunden sind. Würde im Rückenmark die Leitungsgeschwindigkeit der Empfindung nur ebenso groß sein, als man sie im Nerven fand, so müßte schon ein Zeitraum von 1/40 bis 1/30 Secunde verfließen, bis der Eindruck auf die Haut des Fußes wirklich zum Bewußtsein käme. Es läßt sich aber mit Sicherheit sagen, daß noch eine viel längere Zeit verfließt. Das Rückenmark ist nämlich keineswegs eine bloße Ansammlung oder ein gemeinsamer Stamm jener Nerven, die aus ihm hervorgehen, sondern es ist ein selbstständiges Centralorgan ähnlich dem Gehirn, das in gewissen ihm eigenthümlichen Leistungen vom Gehirn unabhängig ist. Wenn man niedere Wirbelthiere, bei denen ein tieferer Eingriff nicht so schnell durch die Störung der Athmung und des Blutumlaufs tödtlich ist, enthauptet, so dauern gewisse Verrichtungen fort, die als die niedersten Stufen physischer Verrichtung angesehen werden müssen. Wenn man nämlich die Thiere reizt, indem man ihre Haut kratzt oder ätzt, so führen sie einfachere oder verwickeltere Bewegungen aus, welche die Entfernung des Reizes zum Zweck zu haben scheinen. Man nennt diese Bewegungen Reflexbewegungen. Ueber die Geschwindigkeit, mit welcher die Eindrücke sich im Rückenmark fortpflanzen, kann man nur Aufschluß erhalten, wenn man die Zeit bestimmt, welche verfließt vom Stattfinden eines Empfindungsreizes bis zum Stattfinden einer Reflexbewegung. Diese Messung ist ausgeführt worden und hat ergeben, daß das Nervenprincip im Rückenmark sich nicht mit der Geschwindigkeit wie in den Stämmen und Zweigen der Nerven bewegt, sondern eine sehr beträchtliche Verlangsamung erfährt. Es braucht die Leitung der Empfindung und Bewegung im Rückenmark ungefähr das Zwölffache der Zeit, welche die Fortpflanzung der gleichen Vorgänge in den Nerven nöthig hat, so daß das Nervenprincip im Rückenmark nicht mehr als etwa 5 Meter in einer Secunde zurücklegt.

Der äußere Eindruck, der erst durch das ganze Rückenmark zum Gehirn geleitet werden muß, würde demnach beim erwachsenen Menschen bis zu einem Dritttheil einer Secunde und mehr bedürfen, bevor er wahrgenommen wird; und eine verhältnißmäßig ebenso lange Zeit nimmt ohne Zweifel die Leitung der Eindrücke im Gehirn in Anspruch. Man kann sich von dieser langsamen Bewegung des Nervenprincips in den Centralorganen auf die einfachste Weise überzeugen, wenn man beobachtet, wie die Menschen erschrecken. Wenn im Concert plötzlich die Pauken einfallen, oder wenn im Theater unerwartet geschossen wird, so geschieht das Zusammenfahren der Damen regelmäßig eine merkliche Zeit, nachdem man den Schall gehört hat. Solche Zeitunterschiede aber, die wir auf diese Weise noch unmittelbar sinnlich wahrnehmen, können nicht wohl kleiner sein als höchstens 1/5 Secunde.

Wenn wir schon den einfachen Vorgängen im Bereich des Nervensystems, welche blos in der Leitung oder Uebertragung von Empfindungen und von Bewegungsimpulsen bestehen, eine ganz merkliche Zeitdauer zukommen sehen, so ist dies sicher auch vorauszusetzen bei den eigentlichen Thätigkeiten des Geistes, bei der Bildung von Vorstellungen, von Gedanken. Im Vergleich zu der bloßen Empfindungsleitung sind dies ja schon sehr verwickelte Processe, die aus einer Menge einfacherer Vorgänge sich aufbauen. Nehmen wir z. B. eine Gesichtsvorstellung, so sehen wir dieselbe zunächst hervorgehen aus einer größern oder kleinern Zahl von Lichteindrücken auf’s Auge, die eine gewisse Fortpflanzungsgeschwindigkeit bis zum Gehirn bedürfen. Hier aber werden erst die Lichteindrücke gesammelt, indem die Farben und die Umrisse des gesehenen Gegenstandes aufgefaßt werden. Das so entstandene Bild des Gegenstandes wird endlich in das allgemeine Schema der uns geläufigen Vorstellungen an der gehörigen Stelle eingefügt und so in’s Bewußtsein erhoben. So sind selbst bei der Anregung uns schon geläufiger Vorstellungen immer mehrere auf einanderfolgende Processe erforderlich, ehe die Vorstellung wirklich ins Bewußtsein treten kann. Noch ganz anders verhält es sich, wenn unsere Seele durch neue Anregungen der Sinne mit noch nicht in ihr vorhanden gewesenen Vorstellungen oder Ideen bereichert wird. Wir wissen wohl, daß oft blitzähnlich ein neuer Gedanke in uns aufschießt, der vielleicht im Stande ist, mit einem Schlag ein uns zuvor dunkles Gebiet in’s hellste Licht zu setzen. Wir meinen dann, die Idee sei auch mit einem Schlag in uns entstanden, und wir denken dabei nicht an die stille Vorbereitung, die jenem plötzlichen Aufleuchten oft lange vorangegangen ist, und die manchmal, ohne [264] daß wir davon wußten, den ganzen Mechanismus unseres Denkens beschäftigt hat. Diese stille Vorbereitung läßt sich keinem zeitlichen Maß unterwerfen, denn wir wissen nicht, wo sie anfängt, wir wissen nur, wo sie aufhört.

Handelt es sich um vergleichbare Messungen der Geschwindigkeit des Denkens, so können demnach hierzu nur bereits geläufige Vorstellungen oder Gedanken gewählt werden, die in bestimmter Reihenfolge mit einander verknüpft sind. Aber es ist noch eine weitere Einschränkung zu machen. Man beobachtet leicht an sich selber, daß die Schnelligkeit des Denkens und Vorstellens je nach Stimmung und äußerem Antrieb sehr veränderlich ist. Wenn wir zählen, ohne daß uns eine bestimmte Geschwindigkeit im Zählen gerade vorgeschrieben ist, so zählen wir bald schnell, bald langsam, entweder aus bestimmter Ursache, manchmal aber auch ohne zu wissen, warum. Das Zählen ist die Aneinanderreihung einer Zahlvorstellung an die andere, die Geschwindigkeit des Zählens ist in diesem besondern Fall Geschwindigkeit des Denkens. Es würde aber hier keinen Werth haben, ohne Weiteres die Geschwindigkeit zu messen, da, was einmal gemessen ist, sich für ein anderes Mal doch nicht gültig zeigt. Dagegen giebt es Eins, was gemessen und zu einem vergleichbaren Maß benutzt werden kann. Alles, was sich mit verschiedener Geschwindigkeit zu bewegen vermag, hat nämlich eine gewisse Grenze der Schnelligkeit, über die hinaus die Bewegung nicht mehr zu beschleunigen ist. Ein Dampfwagen kann bekanntlich langsam und schnell gehen, aber eine Schnelligkeit giebt es, die er bei der vorhandenen Construction der Maschine nie übertreffen wird. Dasselbe muß auch für das Denken seine Gültigkeit haben. Für jeden einzelnen Menschen muß es eine gewisse Schnelligkeit des Denkens geben, über die er bei der gegebenen Beschaffenheit seines Geistes niemals hinauskommen kann. Wie aber die eine Dampfmaschine schneller geht als die andere, so wird wahrscheinlich auch jene größte Geschwindigkeit des Denkens nicht bei allen Menschen genau die gleiche sein; die geistigen Organisationen sind so verschieden, als der Bau einer Maschine nur sein kann, ja bei denselben Menschen mag die Geschwindigkeit des Denkens sich verändern, denn der menschliche Geist ist nie und nimmer derselbe, der er schon einmal gewesen ist.

Der Gedankenmesser.

Wie ist es nun möglich, die Zeit des schnellsten Gedankens zu messen? – Ich habe eine Methode ausfindig gemacht, mittelst welcher diese Messung sehr leicht und in kürzester Zeit ausgeführt werden kann. Die Hülfsmittel, die man zu derselben bedarf, sind so einfach, daß Jedermann sie leicht sich verschaffen und an sich und an Andern die Geschwindigkeit des Denkens beobachten kann. Jedes größere Uhrpendel ist nämlich zu diesen Messungen brauchbar. Das Ende B des Pendels lasse man vor einem getheilten Kreis vorbeigehen. Ungefähr in der Mitte des Pendels befestige man eine Wagerechte Metallstange s s (etwa eine dicke Stricknadel), welche, wenn das Pendel nach M hinschwingt, gegen eine seitlich angebrachte kleine Glocke g aus Glas oder Messing anschlägt. Diese Glocke ist oben an einem Haken so aufgehängt, daß das Ende der Stange sie nur eben berühren kann, sie weicht daher alsbald, nachdem sie angeschlagen ist, zurück, ohne der Bewegung einen erheblichen Widerstand entgegenzusetzen. Man kann die Glocke auf- und abwärts verschieben, damit der Beobachter nie weiß, in welchem Moment der Bewegung des Pendels der Schall wirklich stattfindet.

Hierbei ergiebt sich nun das merkwürdige Resultat, daß der Zeiger des Pendels, der vor dem getheilten Kreis schwingt, im Moment des Schalls der Glocke nie an dem Ort gesehen wird, an welchem er wirklich vorbeigeht, während er auf die Glocke schlägt, sondern immer um mehrere Scalentheile von demselben entfernt. Bei ungezwungener Beobachtung sehe ich meistens den Zeiger, bevor ich den Pendelschlag höre, der Pendel scheint mir also etwa bei einer Stellung a b an die Glocke zu schlagen, bei welcher in Wirklichkeit die Stange s s noch beträchtlich von derselben entfernt ist. Wenn ich aber die Aufmerksamkeit vorwiegend dem Schall des Pendelschlags zuwende und im Moment, wo derselbe eintritt, die Stellung des Zeigers abzulesen suche, so sehe ich diesen erst, nachdem ich den Schall gehört habe, und zwar um ungefähr ebensoviel später, als ich ihn vorhin früher gesehen hatte, der Pendel scheint bei einer Stellung c d an die Glocke anzuschlagen, bei welcher die Stange s s sich schon wieder beträchtlich von derselben entfernt hat. Es kommt lediglich auf die Beschaffenheit der Aufmerksamkeit an, ob man zuerst sieht und dann hört, oder ob man zuerst hört und dann sieht, und man ist so, wenn man gelernt hat seine Aufmerksamkeit willkürlich zu lenken, im Stande, eine beträchtliche constante Verschiedenheit zwischen seinen eigenen Beobachtungen zu erzeugen.

Diese Beobachtungen am schwingenden Pendel ergeben nun unmittelbar die absolute Größe der Zeit, welche der schnellste Gedanke zu seinem Entstehen und Verschwinden bedarf, denn die Geschwindigkeit des Pendels in jedem einzelnen Theil seines Weges läßt sich sehr leicht aus seiner Schwingungsdauer berechnen, und es läßt sich auf diese Weise aus dem Weg, der zwischen der Stellung des Pendels, wo der Schall wirklich stattfand, und der Stellung desselben, wo er gehört wurde, liegt, genau die Zeit bestimmen, welche vom Bewußtwerden des Schalleindrucks bis zum Bewußtwerden des Gesichtseindrucks verfließt. Dies ist aber unmittelbar die kürzeste Zeit, in welcher zwei Vorstellungen sich folgen können, oder die Zeit des schnellsten Gedankens.

Die in der beschriebenen Weise angestellten Versuche ergeben, daß 1/8 Secunde als der mittlere Zeitraum für den schnellsten Gedanken sich betrachten läßt. Dieser Zeitraum ist noch etwas kleiner als das schnellste Zählen, denn beim schnellsten Zählen kommt 1/5 Secunde auf die einzelne Zahl, er ist aber beträchtlich größer als die Zeit, die wir zur Scheidung der Eindrücke eines und desselben Sinnes bedürfen. Bei den tiefsten Tönen der musikalischen Scala sind wir im Stande, die einzelnen Schallschwingungen noch durch das Ohr zu unterscheiden, ebenso können wir Geräusche, die mit sehr großer Geschwindigkeit sich folgen, von einander trennen; es läßt sich auf diese Weise unter günstigen Verhältnissen der geschieden wahrgenommene Einzeleindruck bis zur Dauer von 1/60 Secunde begrenzen. Die Zeit hat aber keine Beziehung zur Thätigkeit unseres Geistes, denn die Schwingungen eines Tons oder die Stöße eines Geräusches sind immer nur Theile einer einzigen Vorstellung.

Die Zeit, die wir für die Schnelligkeit des Gedankens gefunden haben, ist keineswegs unveränderlich; die Zeit von 1/8 Secunde läßt sich nur als das Mittel aus einer größern Zahl von Beobachtungen betrachten. Aber man sieht diese Zeit bei einem und demselben Menschen kleinen Schwankungen unterworfen. Der Hauptgrund hiervon scheint zu sein, daß wir unsere Aufmerksamkeit keineswegs immer gleichmäßig anzuspannen im Stande sind. Außerdem aber ist die zunehmende Uebung bei derartigen Beobachtungen vom größten Einflusse, sie bedingt eine anfangs schneller, später nur noch sehr langsam erfolgende Schärfung der Beobachtungen, und es scheint, daß man sich dabei immer nur einer gewissen Grenze der Feinheit annähert, die man nie vollständig erreicht. Freilich findet man bei verschiedenen Menschen constante individuelle Verschiedenheiten.

Diese individuellen Verschiedenheiten in der Zeit, die zwischen Gehör- und Gesichtsvorstellung verfließt, sind vom höchsten Interesse. In ihnen ist uns erst ein directes Maß gegeben für die Denkgeschwindigkeit der einzelnen Menschen. Durch [265] unsere leicht herzustellende Untersuchungsmethode entscheidet sich hier auf die kürzeste Art, ob Jemand die Brücke der Gedankenverbindungen langsam überschreitet, oder ob er in kühnem Schwung sie überspringt. Hier ist das einfache Prüfungsmittel gefunden, mit dem Jedem bis auf ein Tausendtheil einer Secunde augenblicklich gesagt werden kann, wie schnell seine Zeit geht, – ob der schwerfällige Gang seiner Vorstellungen nur allmählich sich kleine Gebiete erobert, oder ob der leichte Flug seines Denkens in Momenten ihn eine Welt übersehen läßt …

Es ergiebt sich aus unsern Beobachtungen noch eine andere wichtige Thatsache. Schon Aristoteles hat sich die Frage ausgeworfen, ob wir zwei Dinge zugleich denken können. Aber er hat diese Frage nicht mit Sicherheit zu entscheiden vermocht, und so ist sie seit zweitausend Jahren schwebend geblieben. Hypothesen sind zwar in dieser Beziehung aufgestellt und auf die Hypothesen sogar Systeme gegründet worden, aber ein entscheidender Beweis für die eine oder für die andere Ansicht hat gefehlt. Dieser Beweis ist uns jetzt gelungen. Denn könnten wir uns zwei Dinge gleichzeitig vorstellen, so müßten wir auch im selben Moment den Pendel sehen, wo wir den Pendelschlag hören. Aber das Bewußtsein faßt immer nur einen einzigen Gedanken, eine einzige Vorstellung. Wo es den Anschein hat, als wenn wir gleichzeitig eine Mehrheit von Vorstellungen besäßen, da täuscht uns eine sehr rasche Aufeinanderfolge. Das Bewußtsein ist nicht ein unbegrenzter Raum, in welchem eine bunte Masse neben einander liegt, sondern wohlgeordnet an einem einzigen Faden aufgereiht, bewegt sich bald langsam, bald schneller durch dasselbe die Linie der Gedanken. Einer wird nach dem andern aus dem dunkeln Raum der unbewußten Seele heraufgezogen und verschwindet in dem Moment wieder, wo sein Nachfolger in’s Licht getreten ist. In jenem dunkeln Raum der Unbewußtheit, dort freilich liegt unendlich Vieles beisammen, wovon wir nicht die leiseste Ahnung haben, dort ist die wahre Gedankenfabrik,

Wo die Schifflein herüber-, hinüberschießen,
Die Fäden ungesehen fließen.

Aber wenn das Meisterstück, der Gedanke, fertig vor das Auge tritt, dann ist es ein Ganzes, an dem Keiner die Fäden mehr zählen wird, aus denen es zusammengewebt ist. –