Liebhaberinnen der deutschen Bühne

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Titel: Liebhaberinnen der deutschen Bühne
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 63–67
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Liebhaberinnen der deutschen Bühne
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Liebhaberinnen der deutschen Bühne.

Wir haben vor Jahresfrist ein Gruppenbild unserer Heroinen gebracht; heute lassen wir ihm eine Reihe hervorragender Vertreterinnen des Liebhaberinnenfachs folgen. Die meisten der ersteren sind hervorstechende Berühmtheiten, sie haben zum Teil schon eine abgeschlossene Künstlerlaufbahn hinter sich. Anders verhält es sich bei der Mehrzahl der ersten Liebhaberinnen; da finden sich auch jugendliche Kräfte, welche wohl schöne Erfolge errungen haben, aber noch keinen nationalen Ruhm, der in allen Kreisen des Volkes, in Nord und Süd als vollgültig anerkannt würde. Damit hängt es zusammen, daß das kritische Thürsteheramt, welches den Zutritt in den Kreis der Auserwählten bestimmt, schwierig ist. Es giebt junge Talente, denen die Aufnahme mit gleichem Recht gewährt werden könnte. Doch der Raum gebot Beschränkung für Bild und Text – keineswegs soll man glauben, daß die Blumen, die wir hier nicht zum Kranze gewunden, achtlos von uns beiseite geworfen wären. Sie hätten mit Farbe und Duft, Anmut und Talent diesen Kranz noch reicher gestaltet. Jedenfalls suchten wir die verschiedensten Richtungen darstellender Kunst im Fache der Liebhaberinnen zu berücksichtigen.

Auch nach den Heroinen hin ist die Grenze fließend: es giebt Darstellerinnen, welche beide Fächer beherrschen. Das galt schon von Pauline Ulrich, welche wir den Heldinnen zugerechnet, dies gilt ebenso von Franziska Ellmenreich, welche ihre glänzende Vielseitigkeit neuerdings auch dadurch bekundet hat, daß sie im höchsten Sinn tragische Rollen in ihr Repertoire aufgenommen und mit schönem Gelingen durchgeführt hat. Als wir im Jahrgang 1878 unseres Blattes ihr Bild und ihre Lebensbeschreibung brachten, da mochte sie für eine der hervorragendsten deutschen Lustspieldarstellerinnen gelten, die auch auf dem Gebiete der Tragödie die mittleren Aufgaben, die nicht allzu hoch auf dem Kothurn stehen, mit Glück zu lösen verstand. Jetzt ist sie auf dem ganzen Feld der Tragödie heimisch. Ihr Fleiß, ihre geistige Begabung, welche stets das Richtige erfaßt, befähigten sie zu dieser weitreichenden Herrschaft über verschiedene Kunstgebiete. Zwar die elementare Naturgewalt, durch welche sich einzelne Heldenspielerinnen auszeichnen, war ihr nicht gegeben, doch sie ersetzte dieselbe durch den leidenschaftlichen Zug ihres Wesens. Das Spröde, Schroffe, Grelle ist ihr fremd geblieben; sie kam vom Lustspiel her und verleugnete nie die Lustspielgrazie. Ihr Talent ist auf Harmonie gestimmt; immerhin läßt sie auch die Dissonanz, wo sie durch Charakter und Handlung geboten ist, zu ihrem Rechte kommen. Frau Ellmenreich besitzt viel Geist, aber er wirkt nicht aufdringlich störend auf ihre Kunstleistungen; er befruchtet nur ihr Talent mit neuen Eingebungen. Zum Lebenslaufe der Künstlerin haben wir nachzutragen, daß sie von Leipzig zuerst nach Hamburg und dann an das Dresdener Hoftheater kam, wo sie ein Liebling des Hofes und des Publikums wurde. Am 4. Dezember 1879 heiratete sie den Freiherrn Richard von Fuchs-Nordhoff, einen sächsischen Offizier. Damit hing es zusammen, daß sie das Dresdener Hoftheater verließ. Sie trat nun vier Jahre lang als Gast an größern deutschen Bühnen, später in Nordamerika auf, wo sie die „Maria Stuart“ sogar in englischer Sprache spielte. Sie fand auch jenseits des Oceans bei Kritik und Publikum großen Beifall. Dann gehörte sie noch einmal vier Jahre lang der Hamburger Bühne an; ihre außerordentliche Vielseitigkeit, ihre anmutige nie verkünstelte Spielweise machten sie zur beliebten Hauptvertreterin jener ersten Glanzzeit der Pollinischen Direktion, welche neben der Ellmenreich in Barnay und Friedmann künstlerische Kräfte ersten Ranges besaß. Seitdem ist sie nur einmal kurze Zeit, vier Monate lang, am Berliner Theater fest angestellt gewesen. Das Repertoire desselben bot ihr nicht den ausreichenden Spielraum. Dann unternahm sie von Berlin aus einzelne Gastreisen an hervorragende Bühnen. Gegenwärtig tritt sie im Wiener Volkstheater auf. Wie entwicklungsfähig das Talent dieser Darstellerin ist, das beweist die allmähliche Vervollständigung ihres Repertoires nach den verschiedensten Seiten hin. Sie war anfangs eine Stütze des deutschen feineren Lustspiels; ihre Adelheid in den „Journalisten“, ihre Katharina von Rosen in „Bürgerlich und Romantisch“ waren vorzügliche Leistungen; daran schlossen sich Aufgaben von mittlerer Tragik und Rollen der französischen Rührstücke, Maria Stuart, die Rutland in „Graf Essex“, Katharina Howard, die Kameliendame. Während ihres Hamburger Aufenthalts begann sie sich den großen tragischen Aufgaben zuzuwenden, und so spielt sie jetzt eine Brunhild und Theodora. Und daneben versagt ihr keineswegs der heitere feine Salonton. Jedenfalls ist Franziska Ellmenreich eine Zierde der deutschen Bühne.

Und das gilt auch von Frau Hedwig Niemann-Raabe, welche zwar den Ruhm der Vielseitigkeit nicht in Anspruch nehmen darf, aber dafür in ihrem Gebiete einzig und unerreichbar ist. Hedwig Raabe, in Magdeburg geboren, ging schon in ihrem vierzehnten Jahre zur Bühne. Sie trat zuerst am Hamburger Thaliatheater auf und wurde dann für das Berliner Wallnertheater gewonnen. Hier in Berlin wurde Frau Frieb-Blumauer, die eine lebhafte Teilnahme für das junge Talent empfand, ihre Lehrerin. Nach kurzen Engagements in Prag und Mainz war sie vier Jahre lang Mitglied des St. Petersburger Hoftheaters, und als sie nach Deutschland zurückkehrte, trat sie 1863 mit glänzendem Erfolg als Gast in Leipzig auf. Dies Gastspiel begründete ihren Ruf. Es war ein böses Jahr, ein Kriegs- und Cholerajahr; doch das Haus, das jetzige „Alte Theater“, damals das einzige in der Pleißestadt, war immer gefüllt. Das Publikum zeigte sich geradezu entzückt von der Quellfrische dieses Talentes, das zwar in die Fußstapfen der Friederike Großmann trat, aber doch dabei eine sehr anziehende Eigenart behauptete. Es waren Gestalten von holdseliger Mädchenhaftigkeit, welche Hedwig Raabe damals schuf. Charaktere, die wie ein unbeschriebenes Blatt waren, zeichnete sie meisterhaft; aber auch wo es eine kecke Natürlichkeit galt, wie im ersten Akt der „Grille“, wirkte sie mit den ihr eigenen Darstellungsmitteln. Der Ruhm, die erste Naive des deutschen Theaters zu sein, war ihr damals unbestritten. Im Jahre 1871 verheiratete sie sich mit dem gefeierten Sänger Albert Niemann und nahm in Berlin ihren festen Wohnsitz. Eine Zeitlang gehörte sie dem neugegründeten Deutschen Theater an, später tauchte sie auf als einer der Sterne, mit denen Barnay sein Berliner Theater ins Leben einführte. Gegenwärtig giebt sie in der Reichshauptstadt und außerhalb derselben Gastspiele. Natürlich sind die kindlichen Mädchenrollen von ihrem Repertoire verschwunden, dafür spielt sie jetzt Rollen des deutschen und französischen Salondramas vorzüglich; wir brauchen nur ihre Eva, ihre Cyprienne, ihre Hertha in „Ein Tropfen Gift“ zu erwähnen. Ihr Organ hat einen überaus sympathischen weichen Schmelz; ihr Spiel ist stets lebhaft, von bezaubernder Natürlichkeit, und wenn die Wolter ihren unnachahmlichen „Wolterschrei“ hat, so hat auch die Raabe etwas Unnachahmliches: ihr Lachen und ihr Weinen, das ihr noch keine andere Darstellerin abgelauscht hat.

Wie die Ellmenreich und die Raabe an keine Bühne gefesselt, als eine freizügige Künstlerin hat Marie Barkany in Deutschland, in Rußland, in Holland, in der Schweiz und in Amerika viel von sich reden gemacht. Marie Barkany ist ein Kind des Ungarlandes, in Kaschau geboren. Als Zögling des dortigen Ursulinerinnenklosters sah sie „Don Carlos“ und „Maria Stuart“ aufführen, und schon damals fühlte sie sich zur Bühne hingezogen. Als sie dann zur Vollendung ihrer Erziehung nach Wien geschickt wurde, ward sie die eifrigste Besucherin des Burgtheaters und Charlotte Wolter übte auf sie einen mächtigen Zauber aus.

[066] Heimlich, ohne Wissen der Eltern, trat sie mit dem Schauspieler La Roche in Verbindung, der ihre Begeisterung für die Kunst nährte und ihren Eltern riet, sie die Theaterschule besuchen zu lassen. Ihre erste Anstellung war in Frankfurt a. M.; dann gehörte sie der Hamburger Bühne an, später dem Königlichen Schauspielhause in Berlin. Nach Hülsens Abgang trat sie von dieser Bühne zurück und begab sich auf Gastspielreisen, die nur noch einmal durch eine kurze Verpflichtung für das Lessingtheater in Berlin unterbrochen wurden. Marie Barkany hat den Typus einer feurigen Südländerin, große dunkle Augen und rabenschwarzes Haar, dabei eine elegante schlanke Erscheinung, die sie durch geschmackvolle und glänzende Toiletten zu heben weiß. Der berühmte Maler Adolf Menzel nannte sie die „redemächtige Muse“; sie beherrscht das Wort mit feinem Verständnis, aber auch die Gebärde ist stets im Einklang mit dem Worte, und ihr Spiel hat etwas Innerliches und Seelenvolles.

Auch Amanda Lindner ist in vielen deutschen und russischen Städten aufgetreten; aber sie hat diese Wanderschaft nicht allein unternommen, sondern als ein Mitglied des Meininger Hoftheaters, jener vielgerühmten Wandergesellschaft, deren Einfluß auf die deutschen Bühnen, besonders auf die Regiethätigkeit derselben, nicht hoch genug geschätzt werden kann. Jetzt freilich ist Fräulein Lindner wie alle die andern Künstlerinnen, die wir noch besprechen werden, fest angestellt und an eine hervorragende Bühne gebunden. Amanda Lindner ist ein Leipziger Kind und aus dem Ballett des Leipziger Theaters hervorgegangen. Die Ballettschulung hat sich für mehrere namhafte Künstlerinnen sehr vorteilhaft erwiesen, besonders was Grazie und Anmut des Gebärdenspiels betrifft. Wer Amanda Lindner als Preciosa, wer ihren Herodiastanz in der „Rose von Tyburn“ gesehen hat, der wird zugeben, daß es Rollen giebt, für welche jene Vorschule von großer Wichtigkeit ist. Von Leipzig kam die Künstlerin nach Koburg und von dort nach Meiningen, wo sie eine ausgezeichnete Lehre durchmachte; der Herzog und seine Gemahlin, welche, selbst früher Künstlerin, den Anfängerinnen die wichtigeren Rollen einzustudieren pflegte, ein Bühnenleiter wie Chronegk förderten die junge strebsame Kraft, die sich an den Triumphen der „Meininger“ bei ihren Gastreisen beteiligte und selbst wesentlich zu ihrem Glanze beitrug. Neben der Jungfrau von Orleans und dem Klärchen im „Egmont“, das besonders in der Marktscene eine hinreißende Wirkung ausübte, spielte sie auch jene zarteren Shakespeareschen Rollen wie Desdemona und Ophelia, Lustspielrollen wie die geistreiche Porzia und die trotzige Katharina in „Der Widerspenstigen Zähmung“, auch Luise in „Kabale und Liebe“, Thekla im „Wallenstein“, sowie die verführerische Magdalena in der „Rose von Tyburn“. Ihre so erfolgreiche Darstellung der Jungfrau von Orleans bei Gelegenheit des Berliner Gastspiels der „Meininger“ hatte die Aufmerksamkeit der Berliner Hoftheaterleitung auf die Künstlerin gelenkt; nachdem die „Meininger“ ihre Rundreisen eingestellt hatten, wurde sie auf eine lange Reihe von Jahren für das Königliche Schauspielhaus gewonnen. Amanda Lindner ist eine durchaus sympathische Künstlerin, ihr Gesicht hat eingeschnittene Züge, ihre Gestalt ist schlank und anmutig, ihr Organ, obschon ursprünglich mehr für das Kräftige als für das Zarte angelegt, ist biegungsfähig und sie weiß damit ebenso das Milde, Weiche, Mädchenhafte auszudrücken wie den begeisterten Aufschwung.

Ebenfalls aus dem Leipziger Ballett ist Anna von Hochenburger hervorgegangen, jetzt wie Amanda Lindner eine Zierde des Berliner Hoftheaters. Dr. Förster entdeckte als Direktor des Leipziger Stadttheaters die Anlagen des Fräulein Jürgens und übernahm die Leitung ihrer ersten schauspielerischen Ausbildung. Sie trat zuerst als Luise in „Kabale und Liebe“ mit vielem Beifall auf und dann in anderen kleineren Rollen. Im Jahre 1883 ging sie an das Deutsche Theater in Berlin und errang sich namentlich als Julia die volle Gunst des Publikums, die ihr auch treu blieb, als sie 1887 an das Königliche Schauspielhaus übersiedelte. Die Anmut ihrer Erscheinung, das sinnlich Frische und doch Seelenhafte ihres Wesens machten sie zu einer hervorragenden Darstellerin der lieblichen Mädchengestalten Shakespeares. Die Julia war und blieb ihr großer Treffer auch am Hoftheater; ihr schlossen sich die Miranda in „Sturm“, die Desdemona in „Othello“ würdig an. Die Hero in „Des Meeres und der Liebe Wellen“, die Sulamith in Heyses „Die Weisheit Salomos“, die Nausikaa in dem Schreyerschen Drama, die Katharina in Doczis „Letzte Liebe“ fanden ebenfalls viel Beifall. In der letzteren Rolle tritt sie anfangs als junger Ritter auf, und Karl Frenzel rühmt ihr nach, sie habe ausgesehen wie eine von Ariostos Heldinnen, voll Jugendfrische und Lebendigkeit und Schwung in Sprache und Bewegung. Als Vasantasena hat sie dem altindischen Drama gleichen Namens vorzugsweise durch ihr Spiel einen schönen und nachhaltigen Erfolg auf der ersten Bühne des Deutschen Reichs gesichert.

Die Vertreterin des Fachs der ersten Liebhaberin am Stuttgarter Hoftheater, Luise Dumont, stammt aus einer ursprünglich in Italien, später in Südfrankreich ansässigen Familie. Sie wurde 1865 in Köln geboren; schon stand sie im Begriff, den Schleier der Karmeliterinnen zu nehmen, als ein plötzlicher Glückswechsel in ihrer Familie sie zwang, diesen Vorsatz aufzugeben, und sie von der Schwelle des Klosters auf die Bretter des Deutschen Theaters in Berlin führte. Hier sowohl wie in Reichenberg und Graz machte sie ihre ersten Studien, ohne geeignete Beschäftigung zu finden. Das wurde besser, als sie durch Adolf Wilbrandt für das Burgtheater gewonnen worden war; dort konnte, von ihm und Sonnenthal gefördert, ihr Talent sich freier entfalten. Immerhin wurde sie hier von einer Charlotte Wolter und den anderen Größen noch zu sehr in Schatten gestellt. Erst als sie nach Wilbrandts Rücktritt von der Leitung des Burgtheaters, nach Stungart übersiedelte, fand sie einen Spielraum für den ungehinderten Aufschwung ihrer Begabung. Eine glänzende Bühnenerscheinung, ein südliches Temperament, ein das Feuer desselben regelndes gründliches Verständnis ihrer Aufgaben sind die Vorzüge der Künstlerin, die in den Rollen des klassischen Repertoires wie Julia, Maria Stuart, Hero u. a. ebenso hervortreten wie in denen der modernen Dramatik eines Ibsen, Voß, Sardou, Sudermann, denen sie sich mit Vorliebe zuwendet.

Ebenfalls in Süddeutschland, am Münchener Hoftheater, hat eine andere Darstellerin ihr künstlerisches Heim gefunden, Clara Heese. In Dresden am Elbstrom erblickte sie das Licht der Welt als Tochter des verstorbenen Hofschauspielers Rudolf Heese, und nachdem sie die Schule der vortrefflichen Bayer-Bürck besucht, hat sie in Dresden selbst den ersten theatralischen Versuch gemacht. Von dort kam sie nach Hamburg ans Thaliatheater, wo ihr Maurice ein sehr wohlgesinnter liebenswürdiger Direktor war, dem sie sich zu dauerndem Dank verbunden fühlt. Im Jahre 1877 gab sie mit schönem Erfolg ein Gastspiel am Wiener Hofburgtheater, wo sie 1879 angestellt wurde und alsbald sich die Gunst des Publikums erwarb. Doch wurde ihr Vertrag nicht erneuert; sie kehrte 1882 Wien den Rücken, um von da ab dem Münchener Hoftheater anzugehören, dessen Zierde sie noch heute ist. Sie spielt mit Vorliebe Shakespearesche Lustspielrollen, doch ebenso die Claire in Ohnets „Hüttenbesitzer“, eine Dora und Fedora, eine Eva und eine Alexandra in den gleichnamigen Dramen von Sardou und Voß. Ihr letzter großer Erfolg war die Magda in Sudermanns „Heimat“. Die Kritik rühmt ihre herrliche Bühnenerscheinung, ihre Meisterschaft im Mienen- und Gebärdenspiel, die tragische Wucht der Rede, den aus dem Herzensgrunde heraufgeholten Ton der Empfindung.

Kehren wir von der Isar zurück an die Ufer der Spree! Hier finden wir in Teresina Geßner-Sommerstorff eine ebenso begabte wie liebenswürdige Darstellerin, welche seit 1885 dem Deutschen Theater angehört. Teresina Geßner wurde als die Tochter eines österreichischen Offiziers in Oberitalien zu Vicenza geboren; im Alter von zehn Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Wien. Bis dahin hatte sie sich mit der deutschen Sprache wenig vertraut gemacht, denn ihre Mutter war eine Italienerin. In Wien erhielt sie eine sorgfältige Erziehung, und da sie Neigung und Talent für die Bühne zeigte, so ließen ihre Eltern sie vom sechzehnten Jahre an die Schauspielschule des Wiener Konservatoriums besuchen. Darauf wurde sie zuerst in Brünn, später in Innsbruck und Graz angestellt, dann für das Deutsche Theater in Berlin gewonnen. Vorher trat sie mehrmals im Hofburgtheater auf, ohne ein Engagement im Auge zu haben, da sie schon in Berlin gebunden war. In Berlin vermählte sie sich 1888 mit dem tüchtigen Darsteller Otto Sommerstorff. Als Künstlerin vereinigt sie Innigkeit des Spiels mit südlicher Glut – Rollen wie Hero in „Des Meeres und der Liebe Wellen“, wie Julia in „Romeo und Julia“, wie Parthenia im „Sohn der Wildnis“ weiß sie mit einem Zauber [067] zu umkleiden, der etwas durchaus Gewinnendes, Eigenartiges hat. Dabei wird sie von einem klangreichen Organ, einer anmutenden Persönlichkeit unterstützt.

Ebenfalls dem Deutschen Theater gehört Lilli Petri-Anno an, welche längere Zeit Mitglied des Berliner Lessingtheaters war. Vorher hatte sie, nachdem sie die Theaterschule von Kürschner besucht hatte, an den Theatern von Weimar und Leipzig Anstellung gefunden. In Leipzig war sie ein Liebling des Publikums geworden, ihre reizenden Mädchenbilder sind dort noch unvergessen. Da war von Schablone nicht die Rede. Wenn der Darstellerin auch die deutsche Herzinnigkeit ferner lag, so wußte sie doch ihr „Aschenbrödel“ und ähnliche Charaktere stets anziehend zu gestalten durch den Liebreiz ihres Wesens. Ihre eigentlichen Triumphe aber feierte Lilli Petri auf dem Gebiete des modernen Salonstücks, und als Susanne in der „Welt, in der man sich langweilt“ hatte sie einen so nachhaltigen Erfolg, daß dadurch das Stück sich lange auf dem Repertoire erhielt. Ein eigentümlich feiner und würziger Duft lag über diesen und ähnlichen Rollen der Künstlerin, welche sich in Aufgaben der deutschen klassischen Dichtung fast nie versuchte. Nur ihr Götterknabe Euphorion ist den Leipzigern durch seine poesievolle Erscheinung in der Erinnerung geblieben. In Berlin hat sie sich dafür ein neues Gebiet erobert, auf dem sie es zur allgemein anerkannten Meisterschaft brachte: es sind dies die weiblichen Charakterrollen, und gerade die gewagtesten Aufgaben der neufranzösischen und skandinavischen Dramatik hat sie zu Kabinettsstücken ihrer Kunst gemacht. Außer in diesen großen Aufgaben zeigte Lilli Petri auch in kleineren Rollen ihre eigenartige Auffassung und die Gabe, zu charakterisieren, so als Suse in „Freund Fritz“, der sie einen sehr bezeichnenden bäuerischen Beigeschmack gab, so als die launenhafte verwöhnte Signe im „Fallissement“ von Björnson, als übermütige, abenteuerlustige und doch dabei innerlich nicht haltlose Cyprienne in dem Sardouschen Drama dieses Namens. Sie wurzelt ganz in dem Boden des neuen Gesellschaftsstückes; und je schwieriger eine Aufgabe, desto glänzender bewährt sie ihr ursprüngliches Talent in der Lösung derselben.

Eine Berlinerin ist Agnes von Mito-Sorma, welche seit dem September 1891 dem Berliner Theater angehört, nachdem sie von September 1883 bis Anfang 1890 Mitglied des Deutschen Theaters gewesen war. Ihre künstlerische Entwicklung, die sich vor den Augen des hauptstädtischen Publikums vollzog, bewegte sich in aufsteigender Linie. Sie begann mit den Rollen der Hedwig Raabe, als muntere Liebhaberin, gefällig, aber nicht bedeutend, bestechend durch ihr zierlich geschmeidiges Wesen, ihr bewegliches Mienenspiel, ihre glänzenden Augen; sie entwickelte sich aber von Jahr zu Jahr kräftiger und selbständiger. Jetzt ist sie für die Heldinnen des modernen Dramas eine hervorragende Kraft geworden; Ibsens Nora, Sardous Dora spielt sie mit Feuer und fein ausgearbeiteter Charakteristik. Ihre Haltung, ihre Spielweise und Auffassung sind modern realistisch ohne jede Spur eines großen Stils. Mit vielem Geschick weiß sie sich hervorragenden Mustern anzuschmiegen und dem Bilde doch zugleich eigene Züge hinzuzufügen. Sie ist temperamentvoll und wandlungsfähig und weiß die Affektscenen der neueren Dramatik oft in zündender Weise zur Geltung zu bringen.

In Frau Stella Hohenfels vom Wiener Hofburgtheater tritt uns eine sehr gewinnende Darstellerin entgegen, die von Jahr zu Jahr an der Wiener Hofburg festeren Fuß gefaßt hat. Sie ist 1857 zu Florenz geboren, in Paris erzogen und trat zuerst 1873 am Berliner Nationaltheater auf als Käthchen von Heilbronn und Luise in „Kabale und Liebe“. Nachdem sie von August Förster, der sich auf einer Rundreise nach jungen Talenten befand, dem damaligen Direktor des Burgtheaters, Dingelstedt, empfohlen worden war, führte sie sich als Desdemona erfolgreich ein und wurde dort dauernd gefesselt. Anfangs war ihr Wirkungskreis beschränkt; erst Adolf Wilbrandt als Direktor verschaffte ihrem Talent volle Geltung; seit 1887 ist sie mit lebenslänglichem Vertrag an der Burg angestellt. Im Jahre 1889 verheiratete sie sich mit dem damaligen artistischen Sekretär des Burgtheaters Dr. Alfred Freiherrn von Berger. Bezeichnend für die Bedeutung ihres Talents ist es, daß sie mit Nebenrollen Aufsehen zu machen wußte, so mit dem Ariel in Shakespeares „Sturm“ und besonders mit der Katharina in „König Heinrich V.“, die sie mit köstlicher Naivetät spielte. Zarte Mädchencharaktere wie Ophelia und Desdemona weiß sie mit Innigkeit darzustellen; frische Ursprünglichkeit, Heiterkeit, warme Herzenstöne und zugleich leidenschaftliches Spiel in der Eifersuchtsscene zeigte sie als Susanne in der „Welt, in der man sich langweilt“. Aber auch schlichte, deutsche Mädchenrollen wie die Thusnelda in den „Zärtlichen Verwandten“ von Benedix führt sie mit Gemüt und Grazie durch. Die willkommensten Aufgaben fand sie in Wilbrandts Lustspielen, als Helene in „Jugendliebe“, als Marianne im „Unterstaatssekretär“, und einen Triumph feierte sie in der Darstellung der fünf Frauenrollen des „Meisters von Palmyra“, die sie alle höchst charakteristisch durchführte.

Ueber die erste Liebhaberin des Dresdener Hoftheaters, Clara Salbach, haben wir bereits im Jahrgang 1888 (Nr. 6) biographische Mitteilungen gebracht; doch darf diese anmutige Blume im Kranze der gleichstrebenden Künstlerinnen nicht fehlen. Damals gehörte sie dem Leipziger Stadttheater an, zuerst als sentimentale Liebhaberin, die durch das Zarte, Innige, Liebliche ihres Spiels und ihrer Erscheinung die Herzen des Publikums gewann. Man traute ihr anfangs keine Rollen zu, die einen größeren Kraftaufwand verlangen; doch allmählich gewann ihr darstellendes Talent an Energie, ihr Rollenkreis erweiterte sich, und ehe sie Leipzig verließ, spielte sie Rollen, die an das Heroische streifen, mit schönem Erfolg. Und so spielt sie auch an der Dresdener Hofbühne nicht bloß Maria Stuart, sondern auch die Jungfrau von Orleans. Stellt man daneben ihre ausgezeichnete Leistung als Claire im „Hüttenbesitzer“, so sieht man, welchen weiten Kreis von Rollen ihr Talent umschreibt. Und überall ist ihr Wesen, ihr Spiel gleich harmonisch, nicht überwältigend durch dämonische Kraft, aber bestechend durch innigen Ausdruck des Gefühls und durch die künstlerische Haltung der Gesamtleistung.

Als Lustspielliebhaberin des Dresdener Hoftheaters hat die liebenswürdige Charlotte Basté durch ihre graziöse Erscheinung und Spielweise sich ein dankbares Publikum gesichert. Sie stammt aus einer Künstlerfamilie; 1867 wurde sie in St. Petersburg geboren und spielte schon als Kind in Schneiders „Kurmärker und Picarde“ die drollige Französin. Es regnete Bonbondüten und sonstige Geschenke auf die Bühne, und auch ein Lorbeerkranz fehlte nicht; Marie Seebach hatte ihn der jüngsten Debütantin gespendet. Diese bewies ihre künstlerische Pflichttreue dadurch, daß sie über eine platzende Bonbondüte hinweggelangte, ohne sich nach dem verstreuten Inhalt zu bücken; erst als das Stück beendet war und sie hervorgerufen wurde, sammelte sie die süßen, auf der Bühne umherliegenden Gaben ein. Im Alter von 15 Jahren trat sie zuerst am Berliner Hoftheater auf, war darauf zwei Monate in Leipzig, wo sie für die erkrankte Vertreterin ihres Faches einsprang, und wurde dann für St. Petersburg gewonnen, wo sie den Rollenkreis von Goethes Klärchen bis zu den Naiven neuesten Stils beherrschte. In St. Petersburg blieb sie zwei Jahre, dann wurde sie vom Dresdener Hoftheater unter sehr günstigen Bedingungen engagiert. Sie spielt vorzugsweise die Naiven, aber darin geht ihre Kunst nicht auf; sie gebietet auch über einen glücklichen Humor, über einen feinen geistreichen Salonton und hat Rollen wie die Marianne in Wilbrandts „Unterstaatssekretär“ mit glänzendem Erfolg gespielt.

Die jüngste dieser Darstellerinnen, die erste Liebhaberin der Leipziger Bühne, Marie Immisch, hat durch eine sich über das Durchschnittsmaß erhebende Künstlerschaft die einstimmige Anerkennung von Publikum und Kritik gefunden. Geboren 1868 in Weimar, hat sie ihre ersten Studien in Oldenburg unter Otto Devrients Leitung gemacht, war dann zwei Jahre in Danzig und gehört jetzt seit drei Jahren dem Leipziger Stadttheater an. Sie ist eine Darstellerin, die Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hat, ihre Rollen mit feinem Verständnis durcharbeitet und die zarteren mit echt poetischem Duft umgiebt; das gilt z. B. von ihrer Thekla, welche der idealen Gestalt des Dichters durchaus entspricht. Vorzüglich ist ihre Julia, ihre Bertha in Grillparzers „Ahnfrau“. Für das Zarte und Schwärmerische trifft sie einen sehr anmutenden Ton; aber sie ist auch hinreißend im Ausdruck einer starken Empfindung. Das schöne Talent dieser Künstlerin wird gewiß noch in weiteren Kreisen von sich reden machen. †      


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Liebhaberinnen der deutschen Bühne.
Der umrahmende Fächer nach einer Originalzeichnung von R. E Kepler.

WS: Liebhaberinnnen im Fächer von links nach rechts: Amanda Lindner; Stella Hohenfels; Agnes Sorma; Teresina Sommerstorff-Geßner; Louise Dumont; Lilli Petri; Franziska Ellmenreich; Hedwig Raabe; Marie Immisch; Maria Barkany; Charlotte Basté; Anna von Hochenburger; Clara Salbach; Clara Heese