Reine auf den Lofoten

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ludwig Passarge
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Reine auf den Lofoten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 135–136, 147
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[135–136]

Reine auf den Lofoten.
Nach dem Oelgemälde von A. Normann.

[147] Reine auf den Lofoten. (Mit Illustration S. 135 und 136.) Der Reisende, welcher auf einem der schnellfahrenden „Touristenschiffe“ oder dem gewöhnlichen Postdampfschiffe, von Drontheim kommend, den Polarkreis bei den eigenthümlichen Inselgruppen der „Threnenstäbe“ passirt hat, nähert sich am späten Abend, wenn die Sonne kaum unter den Horizont getaucht ist, dem gewaltigen Vorgebirge Kunnen.

Um Mitternacht herrscht hier eine feierliche Stille. Die stundenlange Dämmerung, welche nichts ist als eine lichte Nacht, spielt mit tausend Lichtern auf der vielfarbigen Fluth. Ueber dieser weiten Fläche schwebt aber fern im Norden eine Reihe lichter Wölkchen, bläulich durchsichtig wie ein Nebelschleier: die Inselkette der Lofoten. In der That, sie liegen vor uns, klar, greifbar, trotz der Enfernung von beinahe 25 deutschen Meilen. So seltsam klar und durchsichtig ist die Luft in diesen nördlichen Breitengraden.

Am folgenden Vormittag nähern wir uns mehr und mehr diesem Archipel, der von der Hindö im Norden ab bis zu der Insel Röst im Süden einen flachen Bogen von Gebirgsinseln bildet, einer Kette von lauter ungeheuren Rückenwirbeln vergleichbar; wir sehen zunächst nichts als eine einzige, 3000 Fuß hohe Gebirgswand, rothglühend in der Morgensonne, weißgestreift und gesprenkelt von unzähligen Schneefeldern. Kommen wir näher, so löst sich diese „Lofotenwand“ in Tausende von gothischen Thürmen, Strebepfeilern, Fialen, Ecken, Wimpergen und Dächern auf. Wir blicken in blaue Fjorde, in thaltiefe Gründe. Oft ist oben aus dem Massiv des Granits gleichsam ein Stück herausgerissen; die kraterartigen Vertiefungen sind mit Schnee gefüllt, glatte Flächen lassen jeden Aufstieg unmöglich erscheinen.

Aber in den kleinen Buchten, an den „Vaagen“, wie sie hier und in Island heißen, wohnen die Menschen in ihren kleinen, aber sauberen, rothgetünchten freundlichen Häusern, wie wir sie auch auf unserm Bilde in der kleinen Ortschaft Reine sehen. Durch die hellen Fenster scheinen immer die schneeweißen Gardinten und auf dem Fensterbrett stehen blühende Blumen. Um die Kirche – sie sind hier selten – gruppiren sich die Wohnungen der „konditionirten Leute“: des Pfarrers, des Lensmanns (Amtsvorstehers), des Distriktsarztes. Daran schließt sich der „Gaard“ (Hof) des „Landhändlers“, des willkommenen Vermittlers alles dessen, was man unter Zivilisation versteht. Er ist ein Millionär; seine Tochter hat ihre Ausbildung auf dem Leipziger Konservatorium erhalten; im Frühling war er in Italien oder in Spanien.

Die Quelle dieses Reichthums aber ist der „Fisch“, der norwegische Dorsch (gadus morrhua), welcher die Liebenswürdigkeit hat, jedes Jahr im Februar und März aus den kalten Tiefen des Oceans zu den warmen Golfstrom-Küsten der Lofoten zu wandern, um hier zu laichen. Schon im Februar bringen die großen Dampfer Tausende von Fischern hierher, welche dem Fisch mit Garnen, Leinen und Handschnüren nachstellen. Oft verschlägt sie der Sturm, Hunderte missen das Leben. Aber der Verdienst ist zu groß, und was wagte der Mensch nicht für das Geld! So leben hier zwei Monate lang gegen 25 000 Fischer mit etwa 6000 Böten, und die Zahl der gefangenen Fische beträgt bis dreißig Millionen.

L. Passarge.