BLKÖ:Spitzer, Karl Heinrich

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 36 (1878), ab Seite: 192. (Quelle)
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Spitzer, Karl Heinrich (Studiosus der Technik, geb. zu Bisenz in Mähren 25. August 1830, wird gewöhnlich als erstes Opfer der am 13. März 1848 in Wien Gefallenen bezeichnet). Sein Vater Leopold – nach Anderen irrig Isaak – bekleidete eine Buchhaltersstelle in Brünn und war überdieß Hauseigenthümer zu Bisenz, einem Städtchen im Hradischer Kreise Mährens. Die Gattin hatte er schon im ersten Jahre seiner Ehe bei der Geburt seines Sohnes durch den Tod verloren und so concentrirte sich sein ganzes Denken in dem ihm von ihr geschenkten Sohne, für dessen sorgfältige Erziehung er Sorge trug. Nach beendeten Normalschulen kam der Junge nach Wien, wo er das akademische Gymnasium bezog und bald zu dessen besten Schülern zahlte. Sein Vetter, Dr. Hermann Schlesinger, praktischer Arzt in Wien, vertrat Vaterstelle an ihm. Die deutsche schön- und wissenschaftliche Literatur nahm bald des Jünglings ganze Aufmerksamkeit in Anspruch und im Alter von 15 Jahren kannte er bereits alle classischen deutschen Schriftsteller, Dann verlegte er sich auf französische Sprache und Literatur, die er bald so weit durchgearbeitet hatte, daß er die Werks Rousseau’s und Voltaire’s in der Originalsprache las. Ueberhaupt suchte er alles zu erhalten, was die Censur unterdrückte, und sein Biograph bemerkt, daß er alles las, was damals verboten war. Seine Absicht war, die Rechte zu studiren, vorher aber wollte er in Berlin Philosophie hören. Damit aber waren die Seinigen nicht einverstanden und somit entsprach er ihrem Wunsche und [193] trat in das Polytechnikum. Im Februar 1848 wurde er krank an einem bedenklich gewordenen Fußleiden, das ihn mehrere Wochen an Bett und Zimmer fesselte. Als die Gährung in Wien begann und S. Kunde davon erhielt, entzog er sich heimlich der Obhut seines väterlichen Freundes, verließ seine bisherige Wohnung und miethete sich auf der Wieden beim „braunen Hirschen“ in der Paniglgasse ein. Dann als die Bewegung ihren Anfang nahm, hielt es ihn nimmer zu Hause, er eilte den Studirenden der Wiener Universität entgegen und schloß sich dem zahlreichen Zuge, der dem Landhause in der Herrengasse zuströmte, an. So hatte er, den Vorstellungen seines Schützers und Rathgebers – seine noch nicht völlig hergestellte Gesundheit zu schonen – entgegen, sich mitten in die Bewegung geworfen, die von Minute zu Minute stieg. Mit dem Haufen war er vor das Gebäude der Landstände gekommen, gegen das bereits ein Bataillon Pionniere unter Commando des Obersten Frank von Seewies [Bd. IV, S. 328] von der Freiung herauf anmarschirte. Redner stachelten das Volk zum Angriffe und Widerstand gegen das Militär auf. Die Soldaten rückten indessen unaufgehalten mitten durch die tobende Volksmenge weiter vor. Da stürmte der Pöbel ins Landhaus hinein, ergoß sich über alle Stockwerke desselben, drang in die Gemächer und griff zu den Möbeln, um dieselben aus den Fenstern auf die anrückenden Soldaten zu werfen. Schon war die Avantgarde der Pionniere, geführt von dem Hauptmann Karl Czermak, bis in die nächste Nähe des Landhauses gekommen. Da flogen Steine und Holzstücke auf sie nieder. Hauptmann Czermak und mehrere Soldaten, davon getroffen, waren niedergestürzt; auch ein Schuß aus einem Fenster war gefallen. So war denn das Maaß des Höchsten erreicht. Militär, welches den Excessen des Pöbels Einhalt thun sollte, ward thätlich angegriffen; nun knatterte, wie man wissen will, auf Czermak’s Commando, der sich wieder aufgerafft, eine Salve mitten in die ausschreitenden Massen und vor den mit gefällten Bajonnetten vorrückenden Pionnieren zerstob die Masse in wilder Unordnung nach allen Seiten. Das erste Blut der Revolution war geflossen. Das war am 13. März 1848 um 2 Uhr Nachmittags geschehen. Fünf Menschenleben waren das Opfer dieser Salve. Später folgte eine zweite Salve. Die Zahl sämmtlicher Gefallenen betrug 36, davon waren 29 auf dem Platze geblieben und sieben im Spitale gestorben. Es waren außer Spitzer und einem Humanitätsschüler Karl Konicsek fast durchwegs Gesellen und Handwerker, darunter im Ganzen drei Frauen, von denen eine, Elisabeth Bauer, Professorsgattin. Am 17. fand die feierliche Bestattung von 23 Opfern in Einem Grabe Statt. [Die Zahl der März-Opfer ist mit Bestimmtheit nie festgestellt worden. Im städtischen Archive ist die vorhanden gewesene vollständige Liste derselben – in Verstoß gerathen. Nach einer von Dr. Adolph Pichler in der Todtenkammer des Spitals vorgenommenen Zählung hätte die Summe der Getödteten 60 betragen, jene der Verwundeten über 100. Die bei weitem größere Hälfte, wie es in der Geschichte der Wiener Revolution heißt, dem Raubgesindel angehörend.] Noch sei eines nicht uninteressanten Umstandes bei dem Tode Spitzer’s gedacht. Der Schuß, welcher ihn getroffen hatte, hätte bald den Dichter Friedrich Hebbel, welcher eben aus dem ständischen Gebäude [194] getreten war, als Spitzer von der Kugel durchbohrt zusammenstürzte, getödtet. Die Kugel, welche S. getroffen, war durch den Kopf gegangen, ins linke Auge gedrungen und bei dem Gehörorgane herausgefahren. Sie hatte den Jüngling augenblicklich getödtet. Eine Beschreibung von Spitzers Persönlichkeit lautet: Er hatte üppiges, dunkelblondes Haar, blaue Augen, lange, gespitzte Nase, kleinen Mund, ovales Gesicht, die Röthe der Unschuld auf den Wangen, war fünf Schuh groß und äußerst schlank. Ueber die Herzensgüte Spitzer’s, der der armen Mutter eines seiner Collegen, dann einer armen Familie in Lerchenfeld mit seinen beschränkten Mitteln aushalf und für sie bei seinen Mitschülern eine Sammlung veranstaltete, berichtet ausführlich sein Biograph, dessen Schrift in den Quellen angegeben ist. Sein Vater, der mit ihm die einzige Hoffnung und die Freude seines Alters verloren hatte, sprach, als ihm die Nachricht von dem Tode seines Sohnes gebracht worden: „Da er das Vaterland befreien half, da sein Tod so vielen Millionen Menschen neues Leben gegeben hat, so sei Gott gelobt und ich klage nicht.“ Von den am gemeinschaftlichen Grabe der am 17. bestatteten 23 März-Opfer gehaltenen fünf Reden: des israelitischen Predigers Mannheimer, des evangelischen Superintendenten Dr. Joseph Pauer, des Professors Dr. Joseph Neumann, des Professors Dr. Anton Füster und des Bürger-Officiers J. G. Scherzer gedachte nur Mannheimer ausdrücklich Spitzer’s mit den Worten: „Der Eine war seines Vaters einzig Kind, sein Letztes, seines Herzens Trost und Freude. Sende ihm der ewige Vater den Trost aus dem Himmelreiche, daß an dem Tage, der mit allen seinen Schrecken und Grauen als ein Ehrentag und Freudentag in unseren Herzen angeschrieben steht, keine blutige Erinnerung hafte, und uns Allen den Trost, daß aus diesen Gräbern ein neues Leben sprießt. Amen!“

Streng (Karl), Ausführliche Biographie des am 13. März 1848 in Wien gefallenen Freiheitshelden C. H. Spitzer u. s. w., aus den Mittheilungen seines Erziehers und Arztes, des Dr. Hermann Schlesinger, dargestellt (Wien 1848, 8°.). – Von den Jugendgenossen Karl Heinrich Spitzers des Erstgefallenen“ [ein am Sonntag 19. März 1848 erschienenes, von der Bisenzer Jugend unterzeichnetes Flugblatt]. – In der bei Witting in Innsbruck erschienenen Unterhaltungs-Zeitschrift „Harfe und Zither“ 1851, Nummer 68 u. f. befindet sich eine Erzählung von Antonie Thaler, betitelt: „Die Müllerstochter“, deren Held Karl Heinrich Spitzer ist. [Die dort Seite 282 gegebene Darstellung des Vorfalles, wie Spitzer gefallen, ist ganz aus der Luft gegriffen.]
Porträte. 1) Unterschrift: „Karl Heinrich Spitzer | aus Bisenz in Mähren, | Techniker. | Erstes Opfer für Recht und Freiheit | in Oesterreich | im 18. Jahre seines Lebens | – | Zu einer wohlthätigen Anstalt | für Krüppelhafte und Kranke. | Ausgegeben von | Tändler und Comp. | Lith. Anstalt von J. Rauh.“ (kl. Fol., sehr selten). – 2) Im „Illustrirten Wiener Extrablatt“ vom 13. März 1873, Nr. 71, mit der Ueberschrift: „Der 13. März 1848 und sein erstes Opfer“ (Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen. – 3) Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen auf Seite 221 des ersten Bandes des im Verlage bei R. von Waldheim erschienenen Werkes: „Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener-Revolution“. [Diese drei Bildnisse sind einander ganz unähnlich. Das unter 1 angeführte möchte das beste sein; das unter 2 genannte zeigt einen widerlichen jüdischen Typus, während das in 3 angeführte das Bildniß eines 30jährigen jungen Mannes, aber nicht das eines 18jährigen Jünglings vorstellt.]