Gottfried Kinkel (Die Gartenlaube 1883/5)

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Autor: Ernst Ziel
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Titel: Gottfried Kinkel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 80–83
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Gottfried Kinkel.

Von Ernst Ziel.

Eine Zeit, die alle Hände voll Arbeit hat, die ein Volk beruft, morsch gewordene Throne hinwegzufegen wie eitel Spreu von der Tenne, zugleich aber ein Kaiserreich aufzurichten mit Blut und Eisen und den neuen Staatsbau zu festigen in mühsamer Friedensarbeit – eine Zeit, wie die unsere, läßt uns Deutschen wenig Muße übrig, uns in die Geschichte voriger Tage zu vertiefen, seien sie auch die eigentlichste Wiege der Dinge von heute.

Fragen wir uns ehrlich: wer hat gegenwärtig in Deutschland noch ein Herz, wer noch den richtigen Maßstab für die Bewegungen der Vierziger Jahre, die in den Ereignissen des Sturmjahres 1848 ihren gewaltsamen Abschluß fanden? Außer den Alten, welche sie miterlebt, wohl nur noch Wenige. Und doch – ohne jene nationalen Frühlingsstürme müßten wir heute ein gut Theil jener politischen und socialen Errungenschaften entbehren, die den Stolz unserer Tage bilden; ein Strich durch jene Jahre – und wir wären in Deutschland bis zur Stunde höchst wahrscheinlich ohne eine gemeinsame Volksvertretung, ohne Freizügigkeit, ohne Preßfreiheit, ohne Schwurgerichte.

Das einmal wieder so recht zu beherzigen und unserer politischen Vergangenheit damit einen Zoll der Dankbarkeit zu zahlen, dazu giebt uns das noch frische Grab eines echtesten und edelsten Achtundvierzigers heute eine mahnende Gelegenheit, das Grab eines Mannes, den man in seiner Doppeleigenschaft als Dichter und Kämpfer nicht bester charakterisiren kann als mit Meister Uhland’s Wort: „Ein Sänger und zugleich ein Held“: Gottfried Kinkel ist am 14. November vorigen Jahres zu Zürich gestorben.

Der nun dahingegangen, war schon seit Jahren ein nahezu Vergessener; seine Rolle war längst ausgespielt; er war still geworden, der laute Rufer im Streit, still geworden, lange bevor der Tod ihn im eigentlichsten Sinne des Wortes zu einem stillen Manne gemacht. Aus seiner schweizerischen Professur-Verborgenheit tönte nur selten noch ein Wort von ihm zu uns herüber und in die Welt hinaus; ja selbst die großen Ereignisse von 1870 und 1871 lösten ihm nicht die stumm gewordene Dichterlippe. Wenn es nicht paradox wäre, würden wir sagen: sein Tod war das erste Lebenszeichen, das er der Welt nach Jahren des Schweigens gegeben.

Gottfried Kinkel zählt zu den im Revolutionsjahre so zahlreich auftauchenden Kämpfern, die, ursprünglich weichere Naturen, nur in der Zeiten Noth umgeschmiedet und gehärtet wurden zu wuchtig dreinschlagenden Männern der That, die, entzündet durch des Vaterlandes Schmach, den stillen Lehrkatheder mit der lauten Volkstribüne, die Leier mit dem Schwerte vertauschten. Er war zum Revolutionär geworden durch die Macht der Verhältnisse, nicht durch eine innere Nöthigung seiner Natur. Er hatte von Hause aus keinen Tropfen politischen Blutes in den Adern; nur sein warmer Idealismus, der die bedrohte Sache des Volkes als seine eigene Sache fühlte, riß ihn in den Wirbel der Revolution hinein und bis hart an die Pforten des Blutgerichts.

Das innere Werden Kinkel’s erhellt am besten, wenn wir einen Blick auf sein äußeres Leben werfen: Als Sohn eines strenggläubigen Pfarrers zu Oberkassel bei Bonn geboren (11. August 1815) und in pietistischen Grundsätzen erzogen, gehörte er während seiner Universitätsstudien und später als Licentiat in Bonn, als Hülfsprediger in Köln der orthodoxen Schule an und schöpfte aus den Quellen Hengstenberg’scher Weltanschauung volle Lebensbefriedigung. Aber seiner gesunden und nur irregeleiteten Natur mußte dieses Quellwasser der sogenannten Rechtgläubigkeit sehr bald fade und abgestanden erscheinen. Das mühsam aufgebaute Kartenhaus seiner nach der königlich preußischen Kirchenschablone zugeschnittenen Ueberzeugung warf ein kräftiger Sturm schnell genug über den Haufen. Bezeichnend für Kinkel’s Art und Charakter ist es, aus welcher Richtung dieser Sturm blies und an welcher Seite sie ihn packte: es war ein Sturm der Liebe. Es ist eine oft gemachte Erfahrung, daß geistig kräftige Frauen vor Andern dazu berufen erscheinen, gerade im Leben von Männern, die besonders nach der Seite des Gefühls hin beanlagt sind, die entscheidende Rolle eines Bekehrers zu spielen. So war es auch in Kinkel’s Leben eine Frau, die – umgekehrt wie bei dem Apostel – aus dem Paulus einen Saulus machte. Um den weich gestimmten und in Anbetracht des Gemüthslebens so zart organisirten Mann vom Dogma zur Freiheit zu bekehren, dazu bedurfte es eben der Berührung mit einer stark an’s Männliche streifenden, bedeutenden Frauennatur. Im Frühling 1839 lernte Kinkel die musikalisch hochbegabte Johanna geb. Mockel, die seit mehreren Jahren ihrem Gatten abtrünnige (seit 1840 geschiedene) Frau des Buchhändlers Mathieux in Köln kennen, eine Frau von hochfliegender Phantasie und großer Leidenschaft des Herzens. Sie war nicht eigentlich schön; Kinkel selbst charakterisirt sie in den „Elegien an Johanna“ folgendermaßen:

„Nicht wie ein liebliches Kind mit zärtlich schmachtendem Auge,
     Das mit des Schweigens Gewalt zaub’risch verwundet das Herz –
Nicht wie die träumende Blume, noch halb umhüllt von der Knospe,
     Nein, im vollesten Duft stehst Du, ein herrliches Weib!
Mag Dich die Masse verschmäh’n, weil Dir die schaffende Mutter
     Gab für die Farbe die Form, gab für die Fülle die Kraft:
Aber wem je sich entzündet der Sinn für Macht des Charakters,
     Der auf die leibliche Form prägt den gewaltigen Druck …
Diesem wendest das Herz Du im Busen …“

Es war eine wunderbare Ironie des Schicksals, die in dem sich schnell entspinnendem Verhältnisse des jungen orthodoxen Protestanten zu der um acht Jahre älteren katholischen Johanna die Würfel warf: der Theologe Kinkel hatte sich die Aufgabe gestellt, die mit sich selbst zerfallene geistreiche Frau zum Frieden des Christenthums zurückzuführen und dadurch mit sich selbst zu versöhnen, aber der Weg theologisch-philosophischer Untersuchungen, den sie in gemeinsamen Studien beschritten, löste sie Beide vom Glauben einer geoffenbarten Religion los und führte sie zuerst dem Zweifel, dann aber einer pantheistischen Weltanschauung in die Arme.

Es war ein vielseitig angeregtes geistiges Leben, das damals in Bonn herrschte. Um diese Zeit wurde auch durch Kinkel und seine Freundin „Der Maikäfer, Zeitschrift für Nicht-Philister“, begründet, ein belletristisches Blatt von stark humoristischem Gepräge, dem Kinkel damals seine ganze poetische Thätigkeit widmete und dem wir außer einer Reihe lyrischer Poesien unseres Dichters namentlich auch dessen formschönes und gefühlsfrisches Epos „Otto der Schütz“ verdanken. Um das eifrig gepflegte Blatt gruppirte sich der von frischem dichterischem Geiste getragene „Maikäferbund“, eine Gesellschaft, die alle poetischen Gemüther Bonns unter dem Präsidium von Johanna und Gottfried vereinigte und der unter Anderen Karl Simrock, Alexander Kaufmann, Arnold Schloenbach und Nicolaus Becker angehörten.

Nach mancherlei Kämpfen und nachdem Johanna öffentlich zum Protestantismus übergetreten, wurden die durch Geist und Herz längst Verbundenen nun am 22. Mai 1843 auch durch Priesterhand ehelich zusammengethan. Für Kinkel hebt hiermit eine neue Lebensperiode an; denn mit der Begründung seines eigenen Herdes vertiefte und festigte sich sein Wesen; er war im ganzen Umfange des Wortes Mann geworden. Der Befehdungen müde, welchen der Gemahl der geschiedenen Katholikin von Seiten der theologischen Professoren Bonns ausgesetzt war, entschloß sich Kinkel, aus der theologischen Facultät auszutreten; er ging in die philosophische über, hielt Vorlesungen über Kunstgeschichte und Literatur und ließ den ersten Band seines verdienstvollen Werkes „Geschichte der bildenden Künste bei den christlichen Völkern“ (1845) erscheinen, was seine Ernennung zum Professor der Kunst- und Literaturgeschichte an der Universität Bonn zur Folge hatte.

In die kaum befestigte Lehrtätigkeit des jungen akademischen Bürgers brach das Jahr 1848 herein. Er hatte schon seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s des Vierten an der nationalen Bewegung lebhaft Theil genommen – aber in durchweg maßvoller Weise, und auch seine politischen Forderungen beim ersten Auflodern der Revolutionsflamme waren noch durchaus gemäßigte: er wollte eine Bundesverfassung unter Aufrechterhaltung der Throne; erst die allgemeine Empörung über den Waffenstillstand von Malmö drängte seine gemäßigte Natur in das Lager der Demokratie. Nun erst bäumte sich der Zorn in ihm empor; nun erst wurde er der eigentliche Organisator der demokratischen Partei in den Kreisen Bonn und Sieg; entschlossenen Sinnes übernam er im Dienste der Sache die Leitung der „Bonner Zeitung“ und stiftete [81] einen Handwerkerbildungsverein; 1849 wurde er zum Abgeordneten der zweiten Kammer gewählt, und schon gleich hier, an der Schwelle seiner eigentlichen parlamentarischen Wirksamkeit, tritt Eines charakteristisch hervor: Der Gedanke, der ihn in seinem politischen Wirken leitete und begeisterte, war nach wie vor ein sittlicher, humaner: die Hebung des vierten Standes und dessen Befreiung vom materiellen und geistigen Drucke der Besitzenden.

Gottfried Kinkel.
Nach einer Photographie im Verlage von Louis Zipfel in Zürich auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

„Um der Armuth willen führen wir den Kampf,“ sagte er in seiner Abschiedsrede in Bonn, bevor er sich nach Berlin in die Kammer begab. „Jedes bleiche Antlitz, jedes in Unglück und Schande verkommene Geschöpf, jedes Verbrechen, aus Noth begangen, wird einen Sporn in unsere Flanke drücken, wenn wir einmal ermatten oder rasten könnten im heiligen Kampfe für die Menschheit. Die Grundsätze der Demokratie sind einfach, wie alles Göttliche und weltgeschichtlich Große: das Kind begreift sie, und der Mann denkt sie nicht aus. Die Demokratie ruht auf dem tiefen Gefühle der Liebe, das den Menschen an den Menschen bindet, als an seinen gleichberechtigten Nächsten.“

Kinkels Bonner Abschiedsrede enthält gewissermaßen sein politisches Programm. Am 24. Februar 1849 begab er sich nach Berlin, und nun beginnt und entscheidet sich schnell seine Rolle als Volksvertreter und Revolutionär. In der preußischen Hauptstadt entwickelte er von Anfang an als Abgeordneter der Kammer eine energische Thätigkeit für seine Partei. In seiner berühmten, plastisch-schönen Rede vom 23. März, gelegentlich der Beantwortung der Thronrede durch die Nationalversammlung, war er schon der ausgesprochene Redner der Revolution, der unter Berufung auf den Schatten Robert Blum’s der erschrockenen Rechten des Hauses mit flammenden Worten das Mene Tekel an die Wand schrieb:

„Wir werden für die Entscheidungsschlacht, welche kommen muß, den Geist, den Hunger, die Noth, das Proletariat und den Zorn des Volkes in den Kampf führen.“

Und am 26. April – also einen Tag, bevor die zweite Kammer aufgelöst wurde – war es dann wieder Kinkel, welcher es wagte, die Parole der Zukunft: „sociale, demokratische Republik“, von der Tribüne herab der Regierung entgegen zu schleudern.

[82] Nach Bonn zurückgekehrt, fand er am Rhein die Gemüther in höchster Erregung. Das Volk nahm den Gewaltthätigkeiten der Regierung gegenüber eine entschlossene Haltung an, und im übrigen Deutschland loderten bereits hier und da die Flammen der Revolution hell auf: in Dresden tobte der blutige Straßenkampf, und in der Pfalz begann der Aufstand sich zu organisiren. „Jetzt muß gehandelt werden oder nie“ war der Gedanke, der auch in Bonn die Geister durchzuckte. Da beschloß die dortige Demokratie den Sturm des Zeughauses zu Siegburg. Noch einmal erwachte bei dieser Gelegenheit Kinkel’s vorsichtig gemäßigte Natur: er rieth von dem gewaltthätigen Zuge nach Siegburg ab – vergebens! Erst als er sah, daß hier zum ersten Male seiner Beredsamkeit der Sieg versagt blieb, schloß er sich dem kühnen Zuge seiner Parteigenossen an, bereit mit ihnen zu kämpfen und zu sterben. Das war am 10. Mai 1849. Noch in derselben Nacht wurde der Plan ausgeführt. Kinkel nahm gefaßten Abschied von seiner heroischen Johanna und seinen schlafenden Kindern, und vorwärts über den Rhein wälzte sich die abenteuerliche Schaar der Empörer, Kinkel unter ihnen, nach Siegburg. Aber der verwegene Handstreich mißlang. Siegburg wurde den Aufständigen keine Burg des Sieges. Der bewaffnete Zug wurde zersprengt, und die Theilnehmer an demselben stoben nach allen Seiten hin aus einander. Kinkel wandte sich nach der Pfalz, wo der Aufstand seine höchsten Wellen schlug: er stellte sich der provisorischen Regierung zur Verfügung und wurde Fenner von Fenneberg als Adjutant beigeordnet.

„Wenige Tage nur währte es,“ berichtet die „Westdeutsche Zeitung“, „da redeten die Leute von ihm wie von einem Heilande. Wo er in ein Dorf kam, da drängte man sich an ihn, drückte ihm die Hand und bat ihn, zu sprechen, und dann horchten sie mit Andacht und versprachen, sie wollten Alles, Alles befolgen. ‚Das ist ein Mann!‘ riefen sie mit staunender Bewunderung, und er war es auch einzig werth, vom Volke geliebt zu werden, mit dieser Reinheit des Bewußtseins und des Willens, mit der hohen, heiteren Opferwilligkeit seiner Seele.“

Diese Opferwilligkeit war es auch, die ihn, als die Pfalz verloren, mit unwiderstehlicher Gewalt von dort fort nach Baden trieb – unter die Muskete. Dort trat er am 19. Juni als gemeiner Feldjäger in die Compagnie Besançon unter Hauptmann Willich.

„Die Männer riefen ihm ein dumpfes Willkommen zu,“ schreibt ein Augenzeuge, ein Freund Kinkel’s, „ich sah, wie er, angethan mit einer Ledertasche, die Muskete in der Hand, in’s Glied trat, nahe an den rechten Flügel, weil er unter den Männern einer der Größten und Stärksten war. Noch einmal, das letzte Mal, sah ich ihn am 21. Juni, zwei Tage vor dem Treffen bei Bruchsal. Ich ritt an die Front heran und reichte ihm die Hand; er drückte sie fest und lange; auf seiner Stirn lag finsterer Unmuth; Kampfbegierde in seinem dunklen Auge. Worte haben wir nicht gewechselt; er sprach aus Dienstbewußtsein im Gliede niemals.“

Dem Manne, der so selbstlos und tapfer für seines Herzens Meinung eingetreten, sollte der Kranz des Märtyrerthums nicht fehlen. Am 29. Juni nahm sein Schicksal plötzlich eine tragische Wendung; er wurde an jenem Tage an der Murg verwundet; in Begleitung einiger Schützen seiner Compagnie hatte er sich zu weit vorgewagt und stürzte, von einer preußischen Kugel an der rechten Schläfe getroffen, bewußtlos zu Boden. In einem Bauernhause, wo ihn die Genossen zurückgelassen, gerieth er alsdann in Gefangenschaft.

So endete seine Theilnahme am Badenschen Aufstande; sie hatte nur zehn Tage gedauert. In Karlsruhe, wohin man ihn zuerst brachte, traf er noch einmal mit seiner geliebten Johanna zusammen und wurde dann in Rastatt vor ein Kriegsgericht gestellt. Nachdem er am 4. August vor seinen Richtern gestanden, erwartete er für den nächsten Morgen mit Sicherheit seine standrechtliche Erschießung, und in dieser Stimmung dichtete er in seiner Zelle das tiefempfundene Lied:

 Mein Vermächtniß.
Das Beste, was das Leben giebt,
Das hab’ ich nun genossen;
Mich hat ein edles Weib geliebt
Und gab mir holde Sprossen.
Im Freundesreigen stand ich stark
Beim Becher und in Fehde.
Mein Leib war fest, gesund mein Mark,
Und golden floß die Rede.

Mir gab Natur ein fühlend Herz
Für Seligkeit und Wunden;
Des Gottes Lust, des Wurmes Schmerz –
Ich hab’ ihn mitempfunden.
Es lag der Zeiten großes Buch
Vor meinem Geiste offen,
Der Freiheit Glück, der Knechtschaft Fluch,
Der Völker Gram und Hoffen.

Den Feinden mild, den Freunden gut,
Die Hand noch rein vom Fluche,
Kein Blatt voll Haß, kein Blatt voll Blut
In meines Schicksals Buche:
So werf’ ich in den Opferbrand
Ein reichbekränztes Leben –
O Glück und Stolz, mein Vatertand,
Für dich es hinzugeben!

Der müden, schwielenharten Hand
Ein sanfter Loos zu werben,
Du vierter Stand, du treuer Stand,
Für dich geh’ ich zu sterben.
Euch Armen treu bis in den Tod,
Für Euch zur That entschlossen,
Fall’ ich um’s nächste Morgenroth,
Vom kalten Blei durchschossen.

So haftet mich in treuem Sinn,
O Meister und Geselle!
Gedenke mein, du Näherin
In deiner trüben Zelle;
Du Winzer, der am Fels der Ahr
Umsonst die Gluthen leidet,
Du arme Tagewerkerschaar,
Die fremde Garben schneidet!

Ich werde nicht vergessen sein;
Du Jugend wirst mich kennen
Und wirst an meines Geistes Schein
Zum Freiheitsdurst entbrennen.
Manch Frauenauge weint um mich,
Den Sänger süßer Lieder:
Als Gruß der Erde neigen sich
Viel Blumen zu mir nieder.

Den letzten Gruß dir überm Rhein,
Du edles Volk der Franken!
Die Völker sollen einig sein
In Herzen und Gedanken.
Stehn soll, so weit aus diesem Rund
Sich Aug’ in Auge spiegelt,
Der ew’ge Bund, der Bruderbund,
Den Euch mein Blut besiegelt.

Unter dem Eindrucke seiner imponirenden, edlen Persönlichkeit und in Folge seiner fulminanten Vertheidigungsrede verurtheilte ihn das Kriegsgericht indessen nicht, wie zu vermuthen stand, zum Tode, sondern zu lebenslänglicher Festungsstrafe. Die „Gnade“ des Königs aber „milderte“ diese Strafe, indem sie ihn auf Lebensdauer in’s Zuchthaus sandte. Der hochsinnige Dichter, der überzeugungstreue Kämpfer für die Rechte des Volkes wurde zur Züchtlingsjacke und zum Spulen von Wolle verurtheilt! Deutschland, Europa, die Welt staunte über diese königliche „Begnadigung“, und Zeichen des höchsten Unwillens wurden im Volke überall laut. In das Zuchthaus zu Naugard gebracht, mußte er sich im April 1850 noch einmal den Assisen zu Köln stellen, um sich wegen seiner Theilnahme an der Erstürmung des Zeughauses zu Siegburg zu verantworten. Er wurde freigesprochen, seitdem aber, nachdem er auf der Rückkehr von Köln einen vergeblichen Fluchtversuch gewagt, in Spandau in noch härterer Haft gehalten.

Spandau war die letzte Leidensstation Kinkel’s. In Folge einer planmäßig ersonnenen und scharfsinnig durchgeführten Verschwörung, deren durch ganz Norddeutschlaud geführte Fäden zu einem großen Theil die beherzte und kluge Johanna in der Hand hielt, wurde der edle Kämpfer im November 1850 durch den damaligen Studenten und früheren Schüler Kinkel’s, Karl Schurz, den nachmaligen amerikanischen Diplomaten, auf ebenso kühne wie abenteuerliche Weise aus dem Kerker befreit (vergleiche den Artikel von Moritz Wiggers, „Gartenlaube“ 1863, Nr. 7 bis 10). In Rostock wurde er im Hause eines demokratisch gesinnten Großhändlers – Ernst Brockelmann – Tage lang verborgen gehalten, während die klug irregeführten Häscher ihn auf ganz falscher Fährte suchten; von dort aus floh er auf einem von seinem Gastgeber eigens für ihn ausgerüsteten Kauffahrteischiffe nach England; er lebte alsdann – von einem kurzen Aufenthalte in Amerika abgesehen – [83] in Londoner Flüchtlingskreisen als Lehrer an verschiedenen dortigen Hochschulen, bis er im April 1866 einem Rufe als Professor der Archäologie und Kunstgeschichte an das eidgenössische Polytechnikum in Zürich folgte. In London hatte er das Unglück, seine Johanna durch einen Sturz aus dem Fenster (17. November 1858) zu verlieren, ein Ereigniß, welches die verschiedensten Deutungen gefunden und dessen Veranlassung bisher wohl noch unaufgeklärt geblieben.

Das ist in kurzen Zügen der Lebensweg Kinkel’s. Schicksale, welche den Dichter selbst zu einem dramatischen Heros der Freiheit stempeln, lassen natürlich vermuthen, auch aus seinen Werken ertöne auf jeder Seite die Alarmdrommete des Revolutionärs. Das trifft nicht ganz zu. Kinkel, der Redner und Kämpfer, ist ein Anderer als Kinkel, der Dichter. Wohl ist der Grundton seiner Dichtungen derselbe, wie der seines Ringens als Mensch: hier wie dort der gleich hohe Flug des Geistes, das gleich reine und edle Streben nach Freiheit in jedem Sinne. Aber gerade das eigentlich politische Pathos, das ihn als Menschen charakterisirt, klingt in seinen Dichtungen nicht so häufig durch, wie man erwarten sollte, und wo es ertönt (zumal in seiner ersten Sammlung – 1843 –), begegnet es uns meistens im Gewande einer verhältnißmäßig ruhigen Sprache. Nur selten ein stürmischer Drang der Freiheitsbegeisterung, an dem Kinkel’s Leben doch so reich – überall, wo es sich um politische Fragen handelt, die gebändigte Leidenschaft des classischen Princips in der Dichtung, und in der That, wenn man Kinkel den politischen Lyrikern des Revolutionsjahres einreihen will, so wird man sagen müssen: neben Georg Herwegh, dem feurigen Pathetiker, neben Ferdinand Freiligrath, dem farbenprächtigen Romantiker, neben Hoffmann von Fallersleben, dem burschikosen Volkssänger, ist Gottfried Kinkel der maßvolle Classiker der deutschen Demokratie. Seine Gedichte, in denen er sein ganzes Ringen und Streben, seine inneren Kämpfe niedergelegt hat, haben zu einem großen Theil den hohen und edlen Gang, den schönen und reinen Stil der Antike; seine meistens weich gestimmte Muse hat Seele, Adel und Anmuth und ist ebenso bestrickend, wenn sie in Oden, Hymnen oder Elegien sich auf idealen Gedankenpfaden bewegt, wie wenn sie im leichtgeschürzten Liede ein sanftes Gefühl zum Ausdruck bringt.

Aber das eigentliche und wahre Gebiet der Kinkel’schen Poesie ist doch das Epos. Das anmuthige, mittelalterliche Heldengedicht: „Otto der Schütz“ (1846), welches die Liebe Otto’s von Thüringen zu der schönen Elsbeth besingt, sowie die erzählende Dichtung: „Der Grobschmied von Antwerpen“, sind Perlen epischer Poesie von dauerndem Werthe. Namentlich das ersterwähnte Epos hat den Ruhm unseres Dichters begründet.

Endlich hat Kinkel das Gebiet des Dramas nicht ohne Glück betreten: sein von der deutschen Bühne viel zu wenig beachtetes, gedankenvolles Trauerspiel „Nimrod“ (1857) ist ein Culturgemälde großen Stils, das durch seine ausgesprochene demokratische Tendenz noch einen besonderen Reiz erhält.

So tritt uns aus den Werken Kinkel’s wie aus seinem Leben eine durch die Romantik ihrer persönlichen Schicksale ebenso interessante, wie durch die Größe ihres menschheitlichen Strebens imposante Mannesgestalt entgegen; er war kein Freiheitsapostel im eminenten Sinne des Wortes; er ist kein Dichter mit der Anwartschaft auf die Unsterblichkeit, aber was ihm nach beiden Seiten hin gebricht, das wird ausgeglichen durch den wechselseitigen Glanz, den der Kämpfer vom Sänger, der Sänger vom Kämpfer empfängt, und in diesem Sinne wird der Gefangene von Naugard und Spandau immer einer der leuchtendsten Vertreter der Freiheitsbewegung von 1848 und 1849 bleiben. Was man so treffend von Theodor Körner gesagt hat, das gilt vollauf auch von Gottfried Kinkel: er hat sich zum Helden gesungen und zum Sänger geschlagen.[1]


  1. Wir ergreifen die sich hier bietende Gelegenheit, um unseren Lesern mitzutheilen, daß Freunde und Verehrer Kinkels beabsichtigen, den Todten durch die Errichtung eines Denksteines auf dessen Grabe zu ehren. Beiträge nimmt die Appenzeller’sche Kunsthandlung in Zürich gern entgegen.
    D. Red.