John Gilpin

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Autor: Theodor Fontane
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Titel: John Gilpin
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aus: Gedichte, S. 175–189
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Carl Reimarus’ Verlag. W. Ernst.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: UB Bielefeld und Commons
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[176]
John Gilpin.


(Nach William Cowper.)

John Gilpin hat ein Tuchgeschäft
Nicht weit von Leicester-Square,
Auch war er Hauptmann der Miliz
In Londons Bürgerwehr.

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Und Gilpin hat ein edles Weib;

Sie sprach: „Mein theurer John,
Wir sahen keinen Feiertag
Die zwanzig Jahre schon.

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„Drum, heut an unsrem Hochzeitstag,
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Dächt’ ich, Mann meiner Wahl,

Kutschirten wir nach Ingelton,
In’s frische Grün einmal.

„Fünf unsrer Kleinen nehm’ ich mit,
Sie wiegen ja nicht schwer

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Und haben Platz; – Du steigst zu Roß,

Und reitest hinterher.“

John Gilpin sprach: „Ich ehrte stets
Das weibliche Geschlecht,
Doch dreimal ehr’ ich Dich, o Weib,

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Drum ist mir Alles recht.


„Auch schafft mein blühend Tuchgeschäft
Leicht meinem Wunsch Gehör,
Und seinen Braunen leiht mir gern
Mein Freund, der Appreteur.“

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[178]
Sprach Mistreß Gilpin: „John, noch eins,

Wie ist es mit dem Wein?
Ich denk’, wir nehmen welchen mit,
Es dürfte bill’ger sein.“

John Gilpin küßt sein treues Weib,

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Er weinte auf ein Haar,

Daß Mistreß, trotz Vergnügungssucht,
Doch noch so sparsam war.

Der Wagen kam, doch hielt er nicht
Vor Gilpins eignem Haus,

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Die edle Seele war in Furcht

Hochmüthig säh’ das aus.

Drei Häuser abwärts stieg man ein,
Die Küchlein und das Huhn,
Und durch die City-Straßen hin,

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Ging es im Trabe nun.


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Die Peitsche pfiff, aufschlug der Huf,

Daß alles klang und scholl,
Und Rad und Steine lärmten schier,
Als wären beide toll.

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John Gilpin hatte sich indeß

Als Reiter schon gezeigt
Und lang geschwankt, ob rechts ob links
Man in den Bügel steigt.

Jetzt aber sitzt er sattelfest; -

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Er will davon im Nu,

Da steuern seiner Kunden drei
Grad auf den Laden zu.

John Gilpin denkt: „Verlust an Zeit
Ich schätz’ ihn nicht gering,

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Doch traun, Verlust an Gut und Geld

Ist noch ein übler Ding.“

[180]
Schnell springt er ab. – Noch steht und schwankt

Der Handel mit den Drein,
Da stürzt ihm Betty in den Weg:

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„Hier Herr, ist noch der Wein!“


„Gut – spricht er – doch nun bring mir auch
Das Lederfutteral,
Darinnen bei Paraden steckt
Mein jungfräulicher Stahl.“

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John Gilpin nahm die Flaschen beid’,

Sie waren voll Likör,
Und hatten oben an dem Hals
Ein weites Henkelöhr.

Durch beide zog er jetzt hindurch

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Die Scheide seines Schwerdt’s, –

Sie hingen, wie Pistolen schier,
Am Sattel seines Pferd’s.

[181]
Dann schlug er um die Schultern sich

Den Mantel schwarz und roth,

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Als zög’ er in die Ritterschlacht

Zum Siege oder Tod. –

Die Stadt hindurch, auf hartem Stein,
Da schien der Renner faul;
John Gilpin sprach: „Du scheinst mir auch

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Ein alter Karrengaul.“


Doch plötzlich, draußen vor dem Thor,
Verging ihm aller Spott,
Der Braune schnob und wieherte
Und setzte sich in Trott.

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„Still, still, mein Thierchen“, ächzte John,

„So wirf mich doch nicht ab!“
Doch, wie er auch am Zügel riß,
Gallop ward aus dem Trab.

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Und auf und nieder, her und hin,
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Flog unser armer Tropf,

Bald hielt er an den Mähnen sich,
Und bald am Sattelknopf.

Das arme Pferd, das immer sonst
Gelenkt von sichrer Hand,

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Es kam bei Gilpins Reiterei

Zuletzt um den Verstand.

Und wie vom Teufel angeschürt,
Durchging es voller Wuth:
Abriß ein Baum, von Gilpins Kopf,

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Perrücke, Zopf und Hut.


Scharf blies der Ost; noch flaggte bunt
Des Mantels weiter Schooß, –
Jetzt aber ging er in die Welt,
Die Knöpfe ließen los.

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[183]
Die Hunde bellten Dorf um Dorf,

Die Kinder lärmten mit,
Und alles schrie: „das nenn’ ich brav,
Das nenn’ ich einen Ritt!“

Die Nachbarweiber klatschten sich

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Bereits die Mäuler wund;

Die eine wußt’ es ganz genau:
Es gölte tausend Pfund.

Die Zolleinnehmer hielten’s auch
Für Wetteritt und Lauf,

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Und rissen mit geschäftger Hand

Die Gitterthore auf.

John Gilpin schlüpfte heil hindurch,
Nicht so das Flaschenpaar,
Die eine ließ den Kork zurück,

120
Den Hals die andre gar.


[184]
Hin troff der röthliche Likör;

Man dacht’, es wäre Blut,
Und murrend klang es hie und da:
„Der spornt auch allzu gut!“

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Jetzt aber in Klein-Ingleton

Hinein sprengt unser John;
Es harrte schon, mit Gruß und Kuß,
Die Gattin am Balkon.

Sie ruft ihm zu: „Halt, Gilpin, halt!

130
Wo willst du hin? so sprich!

Die Kinder haben Hunger schon,
Und weinen bitterlich.

John Gilpin hört’s; in tiefem Schmerz
Fleht er den Braunen: steh!

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Doch ach, der Braune hat kein Herz

Für eines Vaters Weh.

[185]
Zwei Meilen hinter Ingleton

Da liegt ein zierlich Haus,
John Gilpin’s Freund, der Appreteur,

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Zog Sommers da hinaus.


Der Braune machte oft den Weg,
Und wiehernd jetzt am Zaun,
Ruft er den Herrn, der aber will
Kaum seinen Augen traun.

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„He, Gilpin, he! was ist geschehen?

Was kommt Ihr überhaupt?
Und wenn Ihr kommt, warum beschmutzt,
Barhäuptig und bestaubt?“

John Gilpin drauf: „was ich hier soll,

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Das frage dieses Thier;

Wir ritten scharf, Perrück und Hut
Sind darum noch nicht hier.“

[186]
Laut lachte da der alte Freund,

Es war ein lust’ges Blut, –

165
Er nahm sich die Perrück vom Kopf,

Und sprach in frohem Muth:

„Nimm hin! Du starrst von Staub und Schmutz,
Drum scheint sie noch zu klein,
Doch wasch’ nur erst die Kruste ab,

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So wird sie passend sein.


John Gilpin nahm, und dankte viel,
Und sprach zum Pferde dann:
„He, Freund, ich hab’ für Dich gethan,
Was man nur thuen kann.

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„Du wolltest her zu Deinem Herrn,

Ich ehrte diesen Trieb,
Nun aber trag’ auch mich zurück
Zu meinem treuen Lieb.“

[187]
Er sprach es kaum, – da kreischte laut
180
Ein Esel hinterm Heck,

Und Roß und Reiter zitterte,
So packte sie der Schreck.

Wie wenn ein Löwe wo gebrüllt,
So griff der Renner aus; –

185
Auftauchte bald Klein-Ingleton,

Samt seinem Kaffehaus.

Die Gattin harrte immer noch
Des Gatten am Balkon,
Jetzt sah sie ihn, und wandte sich

190
Zum Schwager Postillon:


„Sieh, diese halbe Kron ist Dein,
Mein wackerer Gesell,
Schaffst Du mir meinen Ehemann
Lebendig hier zur Stell.“

195
[188]
Der Postillon, der war nicht faul,

Auszog er auf den Fang,
Und hakte bald nach Mann und Roß,
Mit Zügel und mit Strang.

Dem Braunen aber däucht es schier,

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Als wie ein Peitschenhieb,

Er lief, daß selbst der Postillon
Im Hintertreffen blieb.

Sechs Reiter kamen just des Wegs,
D i e sahen Gilpin’s Flucht,

205
Und wie der Postillon umsonst

Ihn einzuholen sucht.

Sie jagten mit, und schrieen laut:
„Halt’t ihn! ein Dieb! ein Dieb!“
John Gilpin aber, unverkürzt,

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Des Tages Sieger blieb.


[189]
Und wie ein Jockey bester Art, –

Mit Weste, Stulp und Kapp, –
Erst wo er aufgestiegen war,
Da stieg er wieder ab.

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Und nun zum Schluß: dem König Heil,

Und Heil! John Gilpin Dir,
Und setzt Du wieder Dich zu Roß,
So bitt’ ich, sag’ es mir.