Nöthige Belehrung und Warnung für Jünglinge und solche Knaben, die schon zu einigem Nachdenken gewöhnt sind
A.
Nöthige
Belehrung und Warnung
für Jünglinge
und solche Knaben, die schon zu einigem
Nachdenken gewöhnt sind.
Meine jungen Leser,
Ihr werdet es ohne Zweifel von euren Eltern und Lehrern oft gehört, auch wol selbst gelesen haben, daß man in der Jugend, und zwar sehr frühe, schon anfangen müße, gut zu seyn, wenn man einmal ein nützlicher und glücklicher Mensch werden will. Ihr werdet es auch zum Theil erfahren haben, daß eure Eltern und Lehrer sich alle mögliche Mühe geben, euch gut zu machen. Bei dieser angewandten Mühe eurer Eltern und bei eurem eigenen Bestreben, ihnen in allem, was sie zu eurer Bildung unternehmen, willig zu folgen, wird man mit Recht sagen können, daß ihr in einer glücklichen Lage seyd, und man wird euch viele frohe Tage auf euer zukünftiges Leben versprechen. Ich habe aber an vielen Beispielen schon gesehen, daß Kinder, die in einer so gleichen Lage waren, die eine gute Erziehung [296] genossen, ihren Eltern auch Liebe und Folgsamkeit bewiesen und sonst recht brav waren, doch frühe sehr unglücklich wurden und es nachher immer blieben. Nicht vorsetzlich, aber doch durch eigenes Verschulden. Ich will euch davon, weil ich hoffe, daß es euch zu einer wichtigen Belehrung gereichen werde, ein trauriges Beispiel erzählen.
Wilhelm (sein wahrer Name soll verschwiegen bleiben, weil ich seine Geschichte, wie gesagt, nur zu eurer Belehrung, nicht zu seiner Beschämung erzählen will) Wilhelm hatte sehr rechtschaffene Eltern, die an seine Erziehung viel wendeten, weil er ihr einziger Sohn war, und also auf ihn allein alle Freude, die sie als Eltern erwarten konnten, sich einschränken mußte. Wilhelm war auch aller der Sorgfalt werth, mit der er erzogen und unterrichtet ward. Er begriff alles leicht und bald; sein Herz war dabei auch folgsam und keiner Hartnäckigkeit oder [297] Bosheit fähig. Sein gesunder und wohlgebauter Körper machte ihn überdies auch liebenswürdig.
Seine Eltern verwahrten ihn vor bösen Gesellschaften und behielten ihn gewöhnlich bei sich. Er war auch gern um und bei ihnen; aber er konnte dies doch nicht immer seyn. Die Eltern mußten zuweilen in Gesellschaften gehn, wohin sie ihn nicht mitnehmen konnten, und dann wiesen sie ihm einiges Geschäft im Hause an, um ihn von dem Umgange mit Hausbedienten, die oft nicht vorsichtig genug sich gegen die Jugend betragen, abzuhalten. Sie glaubten es auch wagen zu dürfen, ihn allein zu lassen, weil er nie etwas unbedachtsames und verwegenes zu unternehmen pflegte und sich gern möglichst nach dem Willen seiner Eltern richtete. Er that überhaupt nie etwas, wovon er wuste, daß es böse sey. In dieser guten Richtung war Wilhelm, als er zehn Jahr alt wurde.
Sein Vater hatte ihn bis dahin selbst unterwiesen und gedachte es auch noch eine Zeitlang zu thun, weil keine gute Schule in der Nähe war und er auch nicht gut so viel erübrigen konnte, als nöthig war, ihm einen eigenen Lehrer zu halten. Seine anderweitigen Geschäfte riefen [298] ihn indeß oft von dieser angenehmen Arbeit ab, und dann war Wilhelm entweder unbeschäftigt, oder er hatte aufgegebene Arbeit, mit der es nicht immer so recht fort wollte, so daß er oft ermüdete und manchmal Langeweile hatte. Dafür konnte nun der gute Vater nichts. Kaum hatte er aber gemerkt, daß sein Wilhelm manche Arbeit mittelmäßig machte, manche unvollendet liegen ließ, als er gleich darauf bedacht war, ihm, es koste auch, was es wolle, einen Lehrer zu verschaffen.
Dieser kam. Nur Wilhelm freute sich nicht so sehr über seine Ankunft, als der Vater erwartet hatte. Seine Lernbegierde schien viel verloren zu haben. Er fieng an, nach und nach immer träger zu werden. Man wechselte die Materien zu seiner Unterhaltung; man wählte andere Beschäftigungsarten: aber er war auch hier gleichgültig, und wenn er ja etwas anfieng, so kam er selten damit zu Stande, und dann war es immer noch schlecht gerathen. Er überlegte nichts, sondern handelte so aufs Gerathewohl hin. Selbst unternahm er nie etwas, weder Spiel, noch einen Spatziergang, noch häusliche Arbeit. Er mogte am liebsten gar nichts thun.
[299] Die Eltern betrübten sich über diese traurige Veränderung ihres Sohnes, und sein Lehrer war unzufrieden, daß er nicht weiter mit ihm kommen konnte. Wenn er zuweilen mit ihm aufs Feld gieng, so sah er nirgends um sich herum, bemerkte nichts, fragte nach nichts, sondern schlenderte seinen Weg ganz still fort. Redete sein Lehrer ihn an, so verstand er ihn selten das erstemal. Er mußte immer erst wie aus dem Schlaf geweckt werden, so abwesend war er mit seinen Gedanken. Wurde er endlich mit vieler Mühe auf eine Blume, eine schöne Gegend, eine ländliche Arbeit aufmerksam gemacht: so dauerte dies doch nicht lange. Er sank bald in seine vorige Stille zurück, und es war nicht daran zu denken, mit ihm über eins und das andre ein lehrreiches Gespräch anzufangen.
Oft schlich er sich auch von seinem Lehrer weg und ging ganz für sich allein. Ueberhaupt fieng er nun an, ordentlich menschenscheu zu werden. Kamen etwa Freunde in seines Vaters Haus und Wilhelm sollte erscheinen, so mußte man ihn erst lange suchen. Bald steckte er in diesem, bald in jenem Winkel. Er that so schüchtern und verlegen, wenn er hereintreten sollte, daß er kaum die Augen aufzuschlagen [300] wagte. Alle Welt war erstaunt über die unbegreifliche Verwandelung des jungen Menschen.
Er war nun schon über eilf Jahr alt und hatte bis dahin seinen Eltern vorsetzlich nichts zuwider gethan, ihnen auch nie eine Unwahrheit gesagt. Aber nun fieng er an, sie zu hintergehen. Es konnte nicht fehlen, daß sie nicht von ihm zu wissen verlangen sollten, was er denn so oft allein mache. Und da pflegte er denn zu sagen, er mache nichts. Wie er aber mit dieser Antwort endlich nicht ausreichen konnte, so fiel er darauf, sich zu stellen, als wenn er läse. Er trug deswegen ein Buch in der Tasche, und wenn man ihn auf seiner Stube überraschte, so fand man ihn am Tische sitzen und ein Buch lag vor ihm. Aber Wilhelm lernte aus diesem Buche nie etwas; er vergaß vielmehr alles, was sein Vater ihn vorher gelehret hatte. Sein Gedächtniß war so schwach, daß, da er vorher ganze Begebenheiten aus der Geschichte umständlich und gut hatte erzählen können, er sich jetzt kaum der bloßen Namen zu erinnern wuste. Diese Gedächtnißschwäche, die ihn zu allem Studiren untüchtig machte, und die Stumpfheit aller seiner Seelenkräfte, wozu eine große Abneigung gegen alle anstrengende Kopfarbeiten kam, war Schuld [301] daran, daß sein Lehrer ihn verlassen und der Vater den ganzen Unterricht aufgeben mußte.
Dieser dachte nun darauf, wie er seinen Sohn doch zu etwas bestimmen mögte, wodurch er einmal andern Menschen nützlich werden könnte, und beschloß, ihn ein Handwerk lernen zu laßen. Aber Wilhelm konnte keins wählen. Jedes war ihm gleich gut und gleich schlecht. Und bald zeigte es sich auch, daß er zu keinem tauge. Nicht nur, daß auch dazu Verstand und Lust erfodert wird, sondern es gehört auch ein gesunder, starker und nervigter Körper dazu. Mit jedem Tage bemerkte man aber immer mehr, daß Wilhelms Gesundheit abnahm. Seine rothen Wangen fiengen an zu verbleichen und schlaff zu werden. Sein volles blaues Auge trat zurück und lag in einer tiefen Höle. Seine Lippen waren blaß und mit einer trockenen Haut überzogen. Seine Hände wurden zitterhaft. Seine Beine wegerten sich, ihn zu tragen. Er erlag unter der kleinsten Anstrengung seiner Kräfte. Keine Speise bekam ihm, denn sein Magen war zu schwach, sie zu verdauen. Daher nahm er immer mehr ab.
Seine bekümmerten Eltern merkten nun, daß er krank sey, und glaubten, diese Krankheit [302] müße lange in seinem Körper gesteckt haben; und daraus erklärten sie sich seine bisherige Trägheit und Unfähigkeit, von der sie sich sonst keine Ursache hatten angeben können. Sie wurden nun recht besorgt um ihn; gaben ihm Arzenei; nahmen ihn vor Luft und Kälte in Acht, weil er sich beklagte, daß er sie nicht ertragen könne; ließen ihn lange im Bette liegen und gaben ihm in vielen Dingen seinen Willen, weil es ihnen schwer wurde, ihrem geliebten kranken Sohne, den sie zu verlieren fürchteten, etwas abzuschlagen. Aber Wilhelm sollte noch lange nicht sterben. Er sollte selbst noch viele Schmerzen ausstehen und seinen Eltern noch viel Herzeleid machen.
Es verging beinahe wieder ein Jahr, daß er nicht viel kränker, aber auch um nichts besser wurde. Er war ein elender schwacher Mensch. Sein Kopf, der ihn oft schmerzte, war so dumm und wüst, daß er nicht einmal von gewöhnlichen Alltagsdingen sprechen und seine Gedanken ordentlich vortragen konnte. Er wurde also nach und nach den Eltern eine große Last im Hause, da er vorher ihre Lust und Freude gewesen war. Kam ein Fremder zu ihnen, so mußten sie sich schämen, daß dieses einfältige Geschöpf ihr [303] einziger Sohn sey. Daher beschlossen sie endlich, ihn, da er nun in seinem 13ten Jahre war, von Hause zu schicken.
Sie hatten von einem Prediger gehört, der auf dem Lande wohnte und sich mit der Erziehung fremder Kinder beschäftigte. Zu diesem schickten sie ihn, theils weil sie glaubten, er würde da mehrere Pflege haben, theils, wenn die Landluft seine Gesundheit befördert hätte, einen für ihn zweckmäßigen Unterricht genießen können. Er reiste also, und zwar mit vieler Gleichgültigkeit, dahin. Beim Abschiede war er ungerührt. Er konnte nichts denken, nichts empfinden. Liebe gegen seine Eltern fühlte er nicht mehr, denn kein Ding in der Welt hatte Reize für ihn. Bisher werdet ihr ihn, meine jungen Freunde, bedauert haben; aber hier müßt ihr unwillig über ihn werden, daß ihm seine Eltern gleichgültig waren. Doch ihr werdet nachher noch mehr Ursache dazu finden.
Der gute Prediger gab sich alle Mühe, ihn nur erst aufzumuntern. Er zeigte ihm seinen Garten, seine Viehzucht und Wirthschaft. Seine Kinder thaten auch alles, ihm Freude über seine Ankunft bei ihnen einzuflößen Sie zeigten ihm ihre Pflanzensammlungen, ihre Naturseltenheiten, [304] ihre Bücher. Aber Wilhelm sahe alles ohne Theilnehmung und stillschweigend an, und that nur selten eine alberne Frage, die keiner Antwort werth war.
Man kann leicht denken, daß dem Prediger nicht wohl zu Muthe war, als er Wilhelms Stumpfsinn und sein ganzes untheilnehmendes Wesen bemerkte. Dies beunruhigte ihn noch mehr, als der Anblick seines kleinen zusammengeschrumpften Körpers, seines blassen Gesichts und seiner triefenden Augen, welches er für Folgen der Stadtlebensart und einer vernachläßigten körperlichen Erziehung hielt. Er überlegte nun ernstlich, was er mit ihm vornehmen wollte, indeß Wilhelm selbst sich hier so, wie zu Hause betrug, nur, daß er noch scheuer und einfältiger that, weil er sich hier unter lauter fremden Leuten befand. Auch war er eben so hier oft für sich allein und sahe sehr verstört aus, wenn ihn unvermuthet jemand überfiel. Davon wollte nun der Prediger schlechterdings die Ursache wissen, und ihr, meine jungen Freunde, werdet auch begierig seyn, zu erfahren, was Wilhelm dazu bewog und was ihn eigentlich so dumm, krank und elend gemacht hatte.
[305] Ich sagte euch vorher, er wäre nicht vorsetzlich, aber doch durch eigene Schuld unglücklich geworden. Hört denn nun weiter, wie es damit zugegangen war.
Der Prediger mußte, um die Wahrheit zu erfahren, Wilhelm oft nachgehen und ihn heimlich beobachten, welches sonst seine Gewohnheit nicht war; aber Wilhelm, der nun einmal an Leib und Seele krank war, war versteckt und lügenhaft geworden und wollte nicht aufrichtig behandelt seyn.
Einsmals, als der gute Mann unvermuthet ins Zimmer trat, wo Wilhelm sich allein befand, traf er ihn in einer Stellung an, von der ihr alle, meine Lieben, und jeder sittsame Mensch die Augen mit Eckel und Abscheu wegwenden würde. Wilhelm hatte sich vor sich selbst auf eine unschaamhafte und schändliche Art entblößt und diejenigen Theile seines Körpers aufgedeckt, die Menschen sorgfältig vor einander verbergen, und um derentwillen man Knaben frühe angewöhnt, bei nothwendigen täglichen Naturerleichterungen bei Seite zu gehen, oder sich gegen eine Wand zu kehren. Ihr würdet, ohne höchst unschaamhaft zu seyn, euch so vor keinem Menschen entblößen; ihr würdet aber auch schon wider die Schaamhaftigkeit [306] handeln, wenn ihr euch ohne Noth auch nur vor euch selbst entblößtet. So unschaamhaft war Wilhelm. Er fand einen Gefallen an dem, woran sonst wohlerzogene Menschen einen Eckel finden. Er entblößte diese Schaamtheile, beschauete und berührte sie; und dies hatte er so oft gethan, bis endlich eine Gewohnheit daraus geworden war, der er nicht widerstehen konnte, weil die Natur diese Theile sehr reizbar gemacht hat und weil er ein Vergnügen darin fand, sie zu berühren. Aber eben darum, weil diese Theile so reizbar sind, sind sie auch so leicht zu verletzen, und diese Verletzung geht so unmerklich zu, daß Kinder, die sich dieser Gewohnheit überlassen, so lange keine schmerzhafte Empfindung verspüren, bis sie sich in alle das Unglück gestürzt haben, das nun Wilhelm leiden mußte. Seine Gewohnheit schmeichelte seiner Empfindung, daher überließ er sich ihr, ohne zu wissen, daß sie ihn auf seine ganze Lebenszeit unglücklich machen würde. In so fern muß er von uns innig bedauert werden; euch aber, meine jungen Freunde, eine schreckliche Warnung seyn. Darum erzähle ich euch seine Geschichte, damit ihr nicht aus Unwissenheit in eine gleiche Gewohnheit gerathet.
[307] Doch ihr sollt nun weiter hören. Wie dem Prediger ums Herz wurde, da er diese Entdeckung machte, könnt ihr euch kaum vorstellen. Lange stand er bestürzt da; endlich kamen ihm die Thränen in die Augen. Aber sagen konnte er nichts, als: armer Knabe, unglücklicher Wilhelm! Er sah ihn hiebei mit herzlichem Mitleid an. Wilhelm schien anfangs auch bestürzt, aber es währte nicht lange, so nahm er seine alberne Miene wieder an.
Mit nassem Blick nahte sich endlich der Prediger ihm und sagte: ach, Wilhelm, du bist ein Verbrecher! Diese Entblößungen und Berührungen sind die größte Sünde, die von dir begangen werden kann. Du bist ein Selbstschwächer; bist ein Schänder deines eigenen Körpers, ein Mörder deiner Gesundheit und Kräfte! Sage mir, unglücklicher Jüngling! wie bist du in dies schreckliche Laster gerathen? Der Prediger mußte viel hin und her fragen, ehe er aus Wilhelms verworrenen Antworten klug werden konnte. Endlich aber begriff er leider! doch so viel, daß er sich von selbst dieses Laster angewöhnt habe, ohne zu wissen, daß es ein Laster sey. Auch ihr, meine Lieben, werdet es bisher nicht alle gewußt haben, daß es ein Laster sey, [308] wenn man einen Gefallen daran finde, jene geheimen Theile des Körpers zu berühren und zu reizen, und daß dies Laster die Selbstschwächung genennet werde. Erfahret es denn nun, damit ihr euch davor hütet. Daß es ein Laster sey, könnt ihr nun schon daraus einsehen, weil es so unglücklich macht; weil es einen Knaben seines Verstandes und seiner Gesundheit beraubt, ihn folglich ungeschickt macht, das geringste Gute in der Welt selbst zu genießen, oder anderen zu erweisen. Hieraus könnt ihr auch schon einsehen, daß dies Laster, so wie jedes Laster, Sünde sey, weil alles, wodurch Menschen sich selbst unglückllch machen, von Gott verboten ist. Aber die Größe dieser Sünde sollt ihr erst nachher recht einsehen lernen.
Wilhelm erzählte nun, wie er zuerst mit dieser schändlichen Gewohnheit bekannt geworden wäre. Damit war es so zugegangen. Er pflegte, wann er allein war und nichts zu thun hatte, die unschickliche Geberde anzunehmen, daß er die Hände in die Beinkleider steckte. Dieses wurde ihm nachher so geläufig, daß er es that, ohne daran zu denken; denn so geht es mit allen Gewohnheiten. Sucht man sie nicht gleich abzulegen, so übt man sie nachher, ohne sichs bewust [309] zu seyn, was man thut, und warum man es thut. Bei dieser Stellung konnte es nicht fehlen, daß er nicht oft, selbst unvorsetzlich, diejenigen Theile seines Körpers berührte, von denen ich euch schon gesagt habe, daß sie so leicht zu verletzen sind. Weil er indessen keinen Schmerz, vielmehr ein Vergnügen dabei empfand, so glaubte er auch, dies könne ihm nicht schaden; denn Kinder beurtheilen oft Dinge bloß nach dem ersten Eindruck, den sie auf ihre Empfindung machen. Endlich gerieth er darauf, sich zu entblößen und sich noch öfter zu berühren. Und in kurzer Zeit war er mit der unseligen Gewohnheit so vertraut, daß er sie fast täglich ausübte. Durch sie ward er so entnervt, so ganz seiner Menschheit beraubt, daß ihm kaum die menschliche Gestalt noch übrig blieb.
Der theilnehmende bekümmerte Prediger wandte nun alles an, dem unglücklichen Verbrecher die Gefahr seines Zustandes recht vor Augen zu stellen. Hoffnung, ihm seine Gesundheit wieder zu verschaffen, konnte er freilich nur wenig haben; aber er wünschte ihn doch dahin zu bringen, daß er seine That bereuen, Gott diese unerkannte Sünde abbitten und sich fest entschließen mögte, sie nie wieder zu begehen.
[310] Er erzählte ihm zu dem Ende die Geschichte eines anderen Selbstschwächers, der in seinem frühesten Alter an der fallenden Sucht starb; einer Krankheit, durch die der Leib mit schmerzhaften Krämpfen gefoltert wird; und eines Jünglings, der durch ähnliche Vergehungen sich einen um sich fressenden Krebsschaden an den gemißbrauchten Theilen seines Körpers zugezogen hatte. Diese Beispiele, hoffte er, würden Wilhelms Seele erschüttern und gegen sein verübtes Laster mit Abscheu erfüllen. Dabei bat er ihn auch recht inständig, daß er doch bedenken mögte, wie sehr er Gott beleidigen und seine Eltern betrüben würde, wenn er von nun an auch nur ein einziges mal die Sünde wieder begehen würde.
Aber Wilhelm war nicht so glücklich, daß diese Vorstellungen recht würksam bei ihm werden konnten, so sehr war sein Verstand zerrüttet; und dies, meine Lieben, ist gerade das traurigste, was aus der Selbstschwächung erfolgt, daß die Seele nicht so viel Stärke übrig behält, als nöthig ist, die Gefahr und Abscheulichkeit dieser Sünde recht einzusehen und sich von ihr loszumachen. Wilhelm konnte sich nichts im Zusammenhang denken. Zuweilen war er gerührt und fing an zu weinen; dann sah er wieder [311] so starr aus, als wenn er nachdächte, aber es war nichts als Gedankenlosigkeit. Er fühlte wol einen Augenblick, daß er unglücklich wäre und sich selbst unglücklich gemacht habe; aber mit Ueberlegung an sein künftiges Schicksal denken und nun einen ernsthaften Entschluß fassen, das konnte er nicht.
So ein elendes Geschöpf wird der Mensch, wenn sein Verstand geschwächt ist! Der Prediger wollte ihm auch hier zu Hülfe kommen, und bat ihn, nur so folgsam zu seyn, immer in seiner Gesellschaft, oder bei den Seinigen im Hause zu bleiben und niemals allein zu seyn. Das that er auch einige Tage; aber entweder hatte er sobald sein Versprechen vergessen, oder seine schändliche Gewohnheit überfiel ihn mit so unwiderstehlicher Gewalt, daß er doch Gelegenheit finden mußte, sein Laster von neuem auszuüben. Es gibt in allen Lastern einen gewissen Grad, wo die Besserung äußerst schwer ist, und eben dies lehrt uns die Nothwendigkeit einer frühen Besserung. Diesen Grad des Lasters hatte Wilhelm leider! erreicht und was ohnehin seine Besserung in diesem Stück so schwer machte, war der Verlust aller seiner Seelenkräfte. Seine Seele beherrschte nicht mehr den Körper, sondern [312] der Körper die Seele. In diesem Zustande konnte er auch von seinem gänzlichen Untergange nicht mehr weit seyn.
Als man auf alle seine Schritte und Tritte Acht gab, konnte er seine Sünde nirgends, als im Bette ausüben. Hier lag der Elende und schändete sich von Menschen ungesehen; aber das allsehende Auge des Richters aller Menschen sah ihn. Seine Sünde konnte auch nun durch nichts mehr entschuldigt werden. Er hatte sie erkannt und bereuet. Er wuste, was er that und er that es doch. Daher fühlte er auch oft Unruhe in seinem Gewissen. Manchmal sah er sehr ängstlich aus; ja er fuhr sogar oft, wenn er schlief, in schreckhaften Träumen auf und schrie um Hülfe. Es dünkte ihn dann, als wollte ihn jemand umbringen. Nun verlor er endlich nach und nach ganz den kleinen Ueberrest seines Verstandes. Er beging allerlei Handlungen, die einen völlig wahnsinnigen Menschen verriethen. So nahm er zum Beispiel einmal seine Kleider, trug sie in den Obstgarten, wo ein abgesägter Ast lag und zerhackte sie auf diesem mit einem Beil. Sobald es anfieng dunkel zu werden, so verkroch er sich. Konnte er das nicht, so ward ihm so bange, daß er sich nicht [313] zu lassen wußte. Er sahe dann in seiner verwirrten Einbildungskraft allerhand Erscheinungen und Schreckgestalten und rief mit kläglicher Stimme um Hülfe. Es half nichts, daß man ihm dies auszureden suchte. Ja er ängstigte sich sogar noch mehr, wenn ihn jemand anredete, oder sich ihm nur in der Dunkelheit näherte.
Unter diesen Umständen fand der Prediger es für rathsam, ihn nicht länger in seinem Hause zu behalten; denn er mußte fürchten, daß Wilhelm entweder sich selbst, oder einem andern einmal ein Unglück anthäte. Er schrieb also an die Eltern desselben und meldete ihnen die traurige Nachricht; zugleich auch die Ursache von Wilhelms Krankheit.
Tiefer hätten die armen Eltern nicht gebeugt werden können, als durch diese Nachricht. Sie konnten sich auch nach der traurigen Beschreibung von ihrem Sohne nicht entschließen, ihn zu sehen, oder wieder zu sich zu nehmen. Es wurden daher Anstalten gemacht, daß er nach einer entlegenen Stadt gebracht wurde, wo seine Familie unbekannt war, und wo er niemanden, als sich selbst, zur Last und Schande seyn konnte. Da wurde er in den Pesthof gesetzt, welches ein Ort ist, wo unheilbare, mit allerlei schauderhaften Zufällen [314] behaftete Kranke und Wahnsinnige sich aufhalten, damit sie der menschlichen Gesellschaft nicht beschwerlich fallen.
Hier bekümmerte sich nun niemand um ihn. Er lag als ein unflätiger eckelhafter Mensch auf einem Strohlager und genoß keiner Hülfe, ausser daß etwa junge Aerzte, die sich in ihrer Kunst üben wollten, dann und wann einen Versuch mit ihm machten. Seine Krankheit nahm unter diesen Umständen immer zu, und wurde immer schmerzhafter. Er bekam Reißen in allen Gliedern. In den Augenblicken, da der Schmerz nachließ, hatte er unbeschreibliche Gewissensangst und stieß oft fürchterliche Flüche über sich selbst aus. So wechselten Leiden des Körpers und der Seele mit einander ab.
Stellt euch einen solchen Zustand vor, meine Lieben. Das Gefühl eigener großer Schuld, ach! das ist drückend. Und dann nun bei aller der Reue, die man empfindet, keine Hoffnung zu haben, seinen Fehler je wieder gut machen zu können; keine Hoffnung nur eine einzige gute That noch auszuüben; so voller Schuld, wie man da liegt, vor dem Richter aller Handlungen, auch der verborgensten, zu erscheinen.
[315] In dem Zustande hatte Wilhelm beinahe ein halb Jahr zugebracht, als der Prediger mit seinen Kindern, die er schon mit Wilhelms Vergehen bekannt gemacht hatte und sie nun durch sein sichtbares Beispiel warnen wollte, nach G* reiste, den unglücklichen Jüngling zu sehen. Entsetzen überfiel ihn und seine Kinder, wie sie ihn da so liegen sahen. Er schien sie nicht zu kennen. Seine erstorbenen Augen verkannten alle Gegenstände, die um ihn waren. Ausser einigen Seufzern hörte man nichts von ihm, denn er konnte nicht vernehmlich reden. Seine Ausdünstungen waren so unleidlich, daß niemand gern bei ihm bleiben wollte. Ein Geruch der Verwesung scheuchte jeden Menschen von ihm zurück.
Wie gern hätte dennoch der gute Prediger etwas zu seiner Erleichterung beigetragen, wäre es auch nur durch ein tröstendes Wort gewesen, welches man auch dem größten Schuldigen nicht versagen muß; aber Wilhelm war für alles todt und lebte nur für seinen Schmerz. Mit beklemmten Herzen mußte er also von ihm gehen, nachdem er seine Kinder ermahnt und gebeten hatte, dies Bild des unglücklichsten Jünglings Lebenslang nicht aus ihrer Seele kommen zu [316] lassen. Er gab ihnen auch noch manche weise Regel, wie sie sich vor der Sünde der Selbstschwächung hüten könnten, die ich euch, meine jungen Freunde, nachher mittheilen will. Wilhelms Schicksal ward nun bald entschieden. Wenige Tage nach der Zuhausekunft des Predigers machte der Tod, den sich jener Elende als eine unverdiente Wohlthat oft gewünscht hatte, seinem Jammerleben ein Ende.
So starb ein funfzehnjähriger Jüngling des kläglichsten und schimpflichsten Todes; ein Jüngling, der seiner guten Anlage nach ein froher, und glücklicher nützlicher Mann hätte werden können!
So wie diese Geschichte mir einen ernstlichen Wink gab, über das vorgenannte Laster und den Hang, den leider! so manche Knaben dazu haben, reiflich nachzudenken: so hat sie mir nun, indem ich sie euch erzählt habe, zugleich den Weg gebahnt, euch diejenigen Belehrungen zu geben, die euch nöthig sind, um die Abscheulichkeit und große Schädlichkeit der Selbstschwächung recht einzusehen, und euch nach allen euren Kräften davor zu hüten.
[317] Die Sache ist, wie ihr aus obigem Beispiel gesehn habt, von der äußersten Wichtigkeit. Würdet ihr euch also auch nur Einen leichtsinnigen Gedanken erlauben, wenn ich jetzt von gewissen Dingen etwas offenherzig mit euch rede, von denen man sonst aus Schaamhaftigkeit nicht redet: so würde das, was ich euch sagen will, nicht zu eurer Belehrung, sondern zu eurem Verderben gereichen. Es würde mir unbeschreiblich leid seyn, wenn mein Unterricht bei euch nicht den Zweck erreichen sollte, um dessentwillen ich ihn allein unternommen habe, nemlich euch weiser, tugendhafter und frömmer und dadurch also auch glücklicher zu machen. Diesen Zweck wird er aber erreichen, wenn ihr nur auf das, was ich euch sage, recht aufmerksam seyn und euch aller fremden Gedanken enthalten wollt. Manche Knaben sind durch schlechte Beispiele und üble Erziehung so ungesittet geworden, daß sie von den geheimen Theilen des Körpers unbedachtsam und leichtsinnig reden, daher auch nie anders, als leichtsinnig daran denken können. Hört und seht ihr dergleichen, so hört und seht es mit Misfallen. Von solchen leichtsinnigen Gedanken ist der Schritt zu leichtsinnigen Berührungen nicht weit entfernt; und dadurch wurde, wie ihr [318] gehört habt, Wilhelm ein unglücklicher Selbstschwächer. Unterdrückt daher gleich jeden Gedanken, der nicht ernsthaft ist, denn auch der erste kleinste Schritt zur Sünde ist strafbar.
Es ist jetzt meine Absicht, zur Berichtigung und Erweiterung eurer Kenntniß, euch über die Bestimmung und den Zweck derjenigen Theile des Körpers, die Wilhelm gemißbraucht hatte, das Nöthige zu sagen. Daß er einen Mißbrauch davon machte, werdet ihr jetzt schon leicht einsehen; denn unmöglich kann es die Absicht Gottes seyn, von dem wir einen so weise und herrlich eingerichteten Körper erhielten, daß irgend ein Glied daran uns zum Verderben gereichen sollte. Das kleinste Aederchen, der kleinste Nerve, der kaum durch ein Vergrößerungsglas entdeckt wird, ist so zweckmäßig angebracht und zur Erhaltung und zum Wohl unsers Körpers so wesentlich nothwendig, daß uns ohne sie eine Vollkommenheit fehlen würde. Zu unserm Verderben ist nichts, was um und an uns ist, wenn wir nur [319] alles zu dem Zweck gebrauchen, wozu es uns gegeben ist. In diesem Zweck liegt immer etwas für uns, das uns Nutzen und Freude bringt. Auch die Theile des Körpers, die Wilhelm gemißbraucht hatte, haben einen Endzweck, der ein Beweis großer göttlicher Güte und Weisheit ist, und über diesen Zweck will ich euch jetzt, meine Lieben, so viel sagen, als nöthig ist, um einzusehen, daß jede Verletzung und jeder Misbrauch derselben eine große Sünde sey.
Man nennt diese Theile mit einem sehr schicklichen Namen Geschlechts- oder Zeugungstheile. Geschlechtstheile darum, weil auf sie ein Hauptunterschied, der zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht ist, sich gründet. Diesen Unterschied deuten alle gesittete Völker auch durch eine äußere Verschiedenheit an, in der Art und Weise sich zu kleiden. Das männliche Geschlecht kleidet sich anders als das weibliche, wodurch es zu erkennen giebt, daß es auch zu andern Geschäften und Verrichtungen bestimmt sey, als das weibliche. Zum männlichen Geschlechte gehören Knaben, die einst zu Männern und Vätern bestimmt sind; zum weiblichen, Mädchen, deren Beruf es ist, wenn sie erwachsen sind, Mütter zu seyn. Ein Theil des menschlichen Geschlechts [320] sollte also zu Vätern, und der andere Theil zu Müttern bestimmt seyn. Das war die Absicht Gottes, warum er ihre Körper so verschieden bildete.
Was Vater und Mutter für große Verdienste um euch haben, daß wißt ihr zum Theil schon aus den täglichen Beweisen ihrer Sorgfalt, da sie euch speisen, kleiden und erziehen. Allein sie haben noch ein Verdienst um euch, ohne welches ihr gar nicht in der Welt seyn würdet. Sie sind die Ursache von eurem Leben und ihr seyd durch sie entstanden.
Die beiden Personen verschiedenen Geschlechts, die jetzt für euch Vater und Mutter sind, vereinigten sich in ihrem erwachsenen Alter mit einander, euch hervorzubringen; und dazu hatte Gott sie geschickt gemacht, indem er ihre Körper, so wie den eurigen, mit denjenigen Theilen begabte, die, wie ihr gehört habt, die Geschlechtstheile heißen. Bei beiden Geschlechtern findet sich in dem Bau dieser Theile eine solche Verschiedenheit, daß eine genaue Vereinigung derselben mit einander möglich ist. Diese genaue Vereinigung der Geschlechtstheile beider Geschlechter macht diejenige Handlung aus, die wir die Zeugung oder eheliche Beiwohnung nennen, [321] und ihr seht hieraus, warum jene Theile auch Zeugungstheile genennt werden. Diese vertrauliche Handlung, die Zeugung, sollte nun nach der Absicht Gottes die Folge haben, daß der erste Grund zur Bildung eines Kindes in dem Leibe einer Person weiblichen Geschlechts gelegt würde. Und die Folge hat sie auch würklich, ohne daß wir es genau erklären können, wie es eigentlich zugeht.
An einer jeden Blume, meine Lieben, bemerken wir eine solche Zeugung, die wir eben so wenig zu erklären wissen, und wobei wir sehr überzeugt werden, daß der göttliche Verstand unendlich weit über den unsrigen erhaben ist. Wenn die Blume ihre schönste Ausbildung erhalten hat, welchen Zeitpunkt wir als ihr reifes Alter ansehen können, so bemerkt man in der Blume zweierlei Theile von verschiedener Bauart, die man männliche und weibliche nennt. Die männlichen tragen einen sehr feinen Staub, den das Vergrößerungsglas als kleine Kügelchen entdecken läßt, die in sich eine zarte Feuchtigkeit verschließen. Wenn diese Kügelchen auf die weiblichen Theile fallen, so platzen sie, und die vorher eingeschlossene Feuchtigkeit dringt heraus und senkt sich in ein Behältniß, das der Fruchtknoten [322] heißt. Hier belebt sie den Stoff oder Keim zu den künftigen Saamenkörnern, die sich nachher immer mehr entwickeln, bis sie ihre völlige Reife erlangen, und dann, wann sie in die Erde gestreut werden, aufgehen und ähnliche Blumen tragen. Ihr werdet dies durch eigene Beobachtung am besten an der Tulpe gewahr werden.
Betrachtet nur einmal eine völlig aufgeblühte Tulpe, so werdet ihr inwendig in derselben sechs aufrechtstehende Spitzen bemerken, die in einen Kreis geordnet sind und in deren Mitte sich ein dreiseitiges Gewächs befindet. Auf jenen Spitzen, die man Träger nennt, ruht ein anderer Theil, der in sich einen braunrothen Staub verschließt. Man nennt ihn daher auch den Staubbeutel. Dieser Staubbeutel öfnet sich nun, wenn nemlich der darin verschlossene Staub ganz vollkommen zubereitet ist, und schüttet den Staub auf den Theil, der in der Mitte steht, und den man den Stempel nennt. Ihr werdet Tulpen finden, bei denen dieser Staub würklich zum Theil auf dem obern Ende des Stempels liegt, zum Theil noch an den Staubbeuteln hängt; auch werdet ihr andere finden, bei denen er noch in seinem Behältniß verschlossen ist. Bei jenen Blumen ist die Zeugung schon geschehen, bei diesen [323] soll sie noch geschehen. Jene haben schon einige Zeit geblüht, diese hingegen sind noch nicht ganz in ihrer vollkommenen Blüte. Die Staubträger nennt man nun die männlichen Theile, und unter Stempel versteht man den weiblichen Theil.
Diese verschiedenen Theile tragen das ihrige zur Hervorbringung einer gleichen Art von Blumen gemeinschaftlich bei. So weit man der Natur hat nachspüren können, hat man gefunden, daß jene feinen Staubtheile noch in sich eine Feuchtigkeit verschließen, die sie durch Zerplatzen von sich geben und durch welche ganz kleine im Stempel verborgene Keime belebt werden, so daß sich aus ihnen ein vollständiges Saamenkorn bilden kann.
Aber hier, meine Lieben, entzieht sich die Natur unserer Beobachtung. Alles wird so klein und unbemerkbar, daß wir nicht wissen oder erfahren können, wie das eigentlich zugeht. Und so geht es uns mit allen Werken des Schöpfers. Wir lernen ihre innere Einrichtung nie ganz kennen, ob wir gleich durch fleißiges Nachforschen immer mehr davon lernen und zur Bewunderung seiner Weisheit und Güte immer mehr Gelegenheit bekommen. Menschliche [324] Kunstwerke kann man leicht erschöpfen, ja man findet sogar immer Fehler daran, je genauer man sie untersucht; aber Gottes Werke sind unerschöpflich, und je mehr wir sie studiren, desto mehr Vollkommenheit finden wir an ihnen.
Ihr könnt nun leicht denken, daß Gott, der zur Erhaltung des Blumengeschlechts so wundervolle Einrichtungen gemacht hat, in seinen Veranstaltungen zur Erhaltung der edelsten Geschöpfe auf Erden nicht minder weise, groß und gütig erscheinet. Gewiß wird er hier vorzüglich alle die Eigenschaften geoffenbart haben, die ihn in unsern Augen so verehrungswürdig machen. Ihr könnt aus dem angeführten auch lernen, wie leicht man über die Weisheit und Güte Gottes hinweg sehen kann, wenn man nemlich alles leichtsinnig behandelt, was beim ersten Anblick eine Kleinigkeit zu seyn scheint: Ihr habt wol oft muthwilliger Weise eine Blume zernichtet, ohne es euch einfallen zu lassen, daß diese ein weit künstlicheres Werk sey, als die schönste Uhr. Und wie weit übertrift nun nicht der Mensch die schönste Blume? Kann irgend etwas an dem Menschen uns wol eine Kleinigkeit scheinen? Theile, meine Lieben, die wir zu entblößen uns schämen; die zur Absonderung mancher Unreinigkeiten [325] des Körpers dienen und daher Eckel verursachen, haben für die Erhaltung der Menschen einen so wichtigen Zweck, und ihre Einrichtung ist dazu so höchst vollkommen, als die Einrichtung eines jeden Gliedes an unserm Körper zu seinem besondern Zweck ist. Laßt uns also über nichts, was Gottes Werk ist, leichtsinnig denken, sondern ihn vielmehr durch Bewunderung seiner Werke ehren, und alles, was um und an uns ist, nach seiner gütigen Absicht gebrauchen.
So wenig wir nun Gottes Einrichtung bei dem Bau der Blume begreifen können, so wenig begreifen wir auch das Wundervolle bei der Erzeugung des Menschen. So viel wissen wir aber, daß in dem männlichen Körper, durch die Nahrung, die der Mensch genießt, gewisse sehr feine und edle Säfte zubereitet werden, die bei der Zeugung des Menschen das sind, was bei den Blumen die in den Staubkügelchen enthaltene Feuchtigkeit; also das Mittel, wodurch der in dem weiblichen Körper enthaltene Keim belebt wird.
Durch diese Säfte, die man daher auch Zeugungssäfte, oder mit einem Ausdruck, der von [326] den Gewächsen entlehnt ist, Saamen nennt,[1] wird in dem Mutterleibe die erste Anlage zur Bildung eines Menschen gemacht. Dies pflegt man die Empfängniß zu nennen.
Nach dieser Empfängniß bildet sich nun der Keim in dem Leibe der Mutter nach und nach zu einem Kinde aus, welches man, so lange [327] es im Mutterleibe ist, eine Frucht nennt; und diese Ausbildung geschieht durch die Nahrung, die sie aus dem Geblüt der Mutter erhält. Der Zustand, in welchem sich dabei die Mutter befindet, heißt die Schwangerschaft. Von einer solchen Person, die schwanger ist, pflegt man auch den Ausdruck zu gebrauchen: sie ist in gesegneten Umständen, oder in guter Hoffnung. Ihr werdet es leicht begreifen können, wenn ich euch sage, daß dieser Zustand für die Mutter mit mancher Beschwerlichkeit verknüpft ist. Sie muß sich in Acht nehmen, daß sie durch keine Unvorsichtigkeit ihrer Leibesfrucht schade. Sie muß daher manches unterlassen, was sie sonst wol thun könnte. Und wenn endlich der Zeitpunct kömmt, da ihre Leibesfrucht die völlige Ausbildung erhalten hat, und sie sich derselben durch den Weg, der zur Zeugung bestimmt war, entledigen soll; so muß sie oft viele Schmerzen leiden, die ihr nur der Gedanke allein versüßen kann, daß sie eine würdige Pflicht erfüllt und der Welt einen neuen Bürger schenkt. Und dies heißt die Geburt oder die Entbindung oder Niederkunft. Man sagt in der gewöhnlichen Sprache des Umgangs auch von einer Person, die [328] ein Kind geboren hat, daß sie ins Wochenbett oder Kindbett gekommen ist.
Hier seht ihr also, meine Lieben, wie Menschen von Menschen gezeugt und geboren werden. In der That, das verdient unsre ehrfurchtsvollste Bewundrung, und wenn wir leichtsinnig davon reden, oder auch nur leichtsinnig daran denken könnten, so wäre dies ein Beweis, daß wir die erste Wohlthat Gottes, nemlich daß wir Leben und Daseyn haben, nicht zu schätzen wüßten. Dennoch giebt es Leute, meine jungen Freunde, die über diese ehrwürdigen Dinge Gelächter und Scherz treiben. Ahmet ihnen nicht nach, sondern wo ihr irgend eine Spur von Weisheit und Güte an euch selbst und in der ganzen Natur findet, da müße dies euch eine Gelegenheit werden, an den göttlichen Urheber zu denken und in eurem Herzen viele Ehrfurcht gegen ihn zu empfinden. Thut ihr das oft, so wird euch der Gedanke an Gott immer geläufiger werden, und der wird euch alles Gute liebenswürdig und alles Böse verhaßt machen.
Daß nun auf der Welt immer Menschen von Menschen gezeugt und geboren werden, heißt die Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts. Die Zeugung hat also die Fortpflanzung des [329] Menschengeschlechts zum Zweck. Ohne sie würde diese Erde in hundert Jahren ohne menschliche Bewohner seyn. Und hier finden wir wieder eine Ursache, die Weisheit Gottes zu bewundern. Wäre die Zeugung blos eine Pflicht der Menschen, so würden diese, so wie sie oft andere Pflichten versäumen und vernachläßigen, auch diese versäumen. Oder manche Mutter würde die Schmerzen der Geburt bedenken; mancher Vater würde überlegen, wie viele Mühe ihm die Erziehung seiner Kinder machen würde, und dadurch würden sie oft abgehalten werden, sich in diejenige enge Vertraulichkeit einzulassen, die bei der Fortpflanzung ihres Geschlechts statt findet. Es würde also wieder das menschliche Geschlecht in Gefahr seyn, in kurzer Zeit ganz auszusterben. Daher machte Gott, daß die Zeugung nicht blos eine Pflicht, sondern ein Trieb der Natur wurde.
Jeder gesunde Mensch fühlt in seinem erwachsenen Alter diesen Naturtrieb, sein Geschlecht fortzupflanzen, den man daher auch den Geschlechtstrieb nennt. Bei den Thieren, bei welchen man eine ähnliche Art der Fortpflanzung ihres Geschlechts findet, heißt er der Begattungstrieb.
[330] Daß der Geschlechtstrieb sich erst im erwachsenen Alter einfinden muß, hat auch eine sehr weise Ursache. Ich habe vorher von Zeugungssäften bei dem männlichen Alter geredet, in welchen gleichsam die zeugende oder hervorbringende Kraft enthalten ist. Diese Zeugungssäfte erfordern die sorgfältigste Zubereitung der Natur, in der sie durch nichts gestört werden muß. So lange aber der Mensch noch nicht seinen Wachsthum und seine völlige Stärke erreicht hat, kann die Natur jene Zubereitung nicht übernehmen, weil sie noch mit der Ausbildung des Körpers zu thun hat und dazu alle ihre Kräfte gebrauchen muß. Sie beobachtet, weil sie eine göttliche Einrichtung ist, die größte Ordnung, und würde immer lauter gesunde, schöne und vollkommene Menschen bilden, wenn sie niemals in ihrem Geschäft gestört würde.
Die Zubereitung der Zeugungssäfte verschiebt sie also bis ins erwachsene Alter, wo sie diese Arbeit allein und mit dem größten Fleiß betreiben kann. Dann hat auch der Mensch erst die Fähigkeit zur Fortpflanzung, oder das Zeugungsvermögen, weil alsdann die Natur die inneren und äußeren Theile, die dazu erfordert werden, ganz vollendet hat.
[331] Dieses erwachsene Alter ist auch bei dem weiblichen Geschlecht dasjenige Alter, in welchem es geschickt ist, die Beschwerlichkeiten der Schwangerschaft zu ertragen. Und hier ist es denn auch, wo sich bei beiden Geschlechtern der Fortpflanzungstrieb äußert.
Die Absicht Gottes ist aber nun nicht allein, daß eine Menge Menschen auf der Welt leben sollen, sondern daß viele weise, tugendhafte, frohe und glückliche Menschen diese Erde bewohnen sollen. Gottes Absicht ist immer, daß es seinen Geschöpfen wohl gehen soll. Diese Absicht würde aber wiederum nicht erreicht werden, wenn alle Menschen in ihrem erwachsenen Alter bloß dem Geschlechtstriebe folgen und Kinder zeugen wollten, ohne Vermögen, Lust und Geschicklichkeit zu haben, ihre Kinder zu ernähren und gut zu erziehen. Diese Kinder würden nur zu ihrem eigenen und anderer Menschen Unglück in die Welt kommen. Sie würden entweder, wenn die Eltern kein Vermögen hätten, sie zu ernähren, frühe sterben; oder, wenn sie keine Geschicklichkeit hätten, sie zu erziehen, frühe lasterhaft werden und also keine Freude in der Welt haben, auch andern keinen Nutzen schaffen. Mancher Mann würde, wenn er einer Person vom weiblichen [332] Geschlecht ehelich beigewohnet, und den Geschlechtstrieb befriedigt hätte, sie verlassen, und das Kind, welches dann geboren würde, würde ohne Führer und Rathgeber in der Welt herumirren und ins gewisse Elend gerathen. Daher ist es Gottes Absicht, und das haben auch vernünftige Menschen als gut und nothwendig eingesehen, daß diejenige Person, die im Stande ist, ihr Geschlecht fortzupflanzen, sich mit einer andern Person vom anderen Geschlecht in eine ordentliche Verbindung einlassen müße. Hier versprechen nun diese beiden Personen einander, daß sie sich vorzüglich lieben, zeitlebens bei einander bleiben, Kinder zeugen und diese gemeinschaftlich zu nützlichen Menschen erziehen, auch sich selbst alles Unangenehme, was ihnen begegnen könnte, versüßen und erleichtern wollen. Und diese rühmliche Verbindung nennt man die Ehe, oder den Ehestand. Von zwei Personen verschiedenen Geschlechts, die mit einander in den Ehestand treten, sagt man auch, sie heirathen einander. Und wenn sie sich um einander bewerben, oder sich bemühen, einander zur Ehe zu bekommen, so sagt man auch mit einem alten deutschen Ausdruck, sie freien. Das gegenseitige Versprechen, das solche Personen einander [333] geben, die in den Ehestand treten wollen, geschieht öffentlich in der Kirche auf eine feierliche Art, wo sie selbst nebst dem Prediger und einer ganzen Versammlung Gott um seinen Seegen bitten. Dieses heißt die Trauung. Personen, die sich mit einander trauen lassen wollen, werden Braut und Bräutigam genennet. Benennungen, die ihr schon oft gehört haben werdet, und die manche unter euch vielleicht auch zum Scherz gebraucht haben, wenn sie eine besondere Zuneigung gegen diese oder jene Person des andern Geschlechts haben ausdrücken wollen. Ihr werdet bisher zum Theil nichts, oder etwas verkehrtes dabei gedacht haben; ihr sehet aber jetzt, daß man darunter solche Personen versteht, die Eheleute, oder Mann und Frau werden wollen; die also in einen Stand treten, in dem sie sehr viele und wichtige Pflichten zu erfüllen haben, und von dem man sich niemals, auch als Kind nicht, eine leichtsinnige Vorstellung machen muß. Wenn ihr erwachsen und sehr geschickt und verständig seyd, dann ist es auch eurer Beruf, in diesen Stand zu treten. Ihr werdet aber um so verständiger dazu, je mehr ihr euch gewöhnt, frühe nie anders als ernsthaft daran zu denken.
[334] So wißt ihr nun, meine Lieben, warum Gott den Menschen den Geschlechtstrieb gab. Er sollte sie nemlich leiten, für die künftige Bevölkerung der Welt zu sorgen, und zwar in einer solchen Ordnung, daß die von ihnen gezeugte Nachkommenschaft auch gut erzogen würde.
Indeß, da dieser Geschlechtstrieb sehr stark ist, und, wie ihr gehört habt, auch stark seyn mußte: so ist es nöthig, daß der Mensch ihn durch weise Mittel so lange beherrsche, bis er ihn in der Vereinigung mit einer Person auf eine erlaubte Art befriedigen, das heißt, bis er in den Ehestand treten kann. Hätten wir keine Vernunft und könnten wir nicht unterscheiden, was uns Nutzen oder Schaden brächte, so würden wir diesen Trieb nicht in unserer Gewalt haben. Da Gott uns aber die Vernunft zur Beherrschung unserer sinnlichen Triebe gegeben hat, so sind wir durch sie vermögend, diesen Trieb, so wie viele andere, in den erlaubten Schranken zu halten, wenn wir es nur ernstlich wollen und uns darum bemühen. Und eben in dieser Bemühung, den Geschlechtstrieb so lange zu beherrschen, bis er in dem Besitz einer Person befriedigt werden darf, liegt eine Tugend, meine jungen Freunde, die für unser Leben, unsere [335] Gesundheit, unsere ganze Zufriedenheit auf Erden überaus wohlthätig ist. Diese Tugend heißt die Keuschheit. Vermöge dieser Tugend müßen wir nicht nur uns aller unerlaubten Befriedigung des Geschlechtstriebes enthalten, sondern auch alle unschickliche Gedanken von diesem Geschlechtstriebe, von Zeugung und Zeugungstheilen; alle leichtsinnige Vorstellungen von schaamhaften Dingen; alle unschaamhafte Ausdrücke, Berührungen und Beschauungen meiden. Denn dieses sind immer die ersten Schritte zu unerlaubten würklichen Handlungen.
Wer ernstlich nie etwas Böses thun will, der wird auch nie etwas Böses denken, und wenn ein böser Gedanke sich regen sollte, so wird er ihn gleich unterdrücken. Würdet ihr daher jetzt in eurem frühen Alter etwas unschickliches über diejenigen Dinge sagen, oder denken, von denen ich jetzt mit euch geredet habe; würdet ihr einen Gefallen daran finden, wenn andere unanständig sich darüber ausdrückten; würdet ihr dann darüber lachen können; ja würdet ihr gar die Schaamtheile eures Körpers vor euch oder andern unbedachtsam entblößen: so wäre dieses eine Verletzung der Keuschheit, die euch nachher zu großen Vergehungen verleiten könnte.
[336]
Das Laster, welches der Keuschheit gerade entgegengesetzt ist, heißt die Unkeuschheit, die so viele Menschen in der Welt um alle ihre Glückseeligkeit bringt. Ein unkeuscher Mensch ist nicht schaamhaft in seinen Gedanken, Reden und Gebehrden. Er findet ein Vergnügen daran, in seiner Einbildungskraft sich allerlei unschaamhafte Vorstellungen zu machen. Er spricht leichtsinnig von Zeugungstheilen und dem, was bei der Zeugung vorgeht. Er findet und sieht nirgends darin eine Spur der göttlichen Weisheit, sondern überall Lächerlichkeiten, und je leichtsinniger er andere darüber sprechen hört, desto mehr freut er sich. Dadurch macht er, daß der Geschlechtstrieb bei ihm so unmäßig wird, daß er ihn nicht beherrschen kann. Und nun ist dieser Trieb nicht mehr Geschlechtstrieb, sondern es ist der unglückliche Wollusttrieb, der nicht vom weisen gütigen Schöpfer, sondern von ihm selbst herrührt. Daher leitet ihn auch dieser Trieb nicht zu dem Endzweck, der, wie wir gesehen haben, für das menschliche Geschlecht so wichtig [337] ist, sondern er leitet ihn zu allerlei Schandthaten und Verbrechen.
Menschen, die vom Wollusttriebe sich lenken lassen, suchen Personen des andern Geschlechts zu bereden, daß sie sich mit ihnen in diejenige Vertraulichkeit einlassen, die nur unter Eheleuten erlaubt ist, und dabei haben sie nicht die Absicht, daß sie als Eheleute zusammen leben und ihre Kinder erziehen wollen, sondern sie wollen nur das Vergnügen haben, ihre sinnlichen Begierden zu stillen. Und dieses nennt man Unzucht oder Hurerei treiben, welches eine große Sünde ist. Auch nennt man dies unehelichen Beischlaf, oder unerlaubte fleischliche Vermischung, und die Kinder, die aus einem solchen unerlaubten Umgange gezeugt wenden, nennt man uneheliche Kinder, weil sie nicht von rechtmäßigen Eheleuten abstammen; wofür aber die armen unschuldigen Kinder nichts können. Sie sind aber recht sehr zu bedauern, da sie oft von Vater und Mutter verlassen werden, die sie nicht ernähren können und wollen. Deswegen müssen sie entweder betteln, oder stehlen, wenn nicht andere mitleidige Menschen sich ihrer annehmen.
Ihr könnt es einsehen, daß Unzucht mit Recht eine große Sünde genannt werden müsse; [338] denn ein solcher Mensch, der Unzucht begangen hat, ist Schuld an alle dem Unglück, was den Kindern begegnet, die durch ihn gezeugt sind. Andere unglücklich machen ist immer eine schwere Sünde. Hat eine solche unzüchtige Mannsperson ein unschuldiges Mädchen durch allerlei lügenhafte Versprechungen so weit gebracht, daß sie seine bösen Wünsche erfüllt: so sagt man, er habe sie geschändet, oder verführt. Und hier ist er wieder Schuld an dem Unglück einer Person; denn ein solches entehrtes oder geschändetes Mädchen muß sich nachher immer schämen und kommt gemeiniglich in große Verachtung und Armuth. Ein unkeuscher Mensch legt auch seine unkeuschen Gewohnheiten, die ihm zur Natur geworden sind, selbst dann nicht ab, wann er in den Ehestand tritt. Seine Leidenschaften haben zu viel Herrschaft über ihn. Hat er also gleich nur einer Person das Versprechen gegeben, sie allein zu lieben und den Genuß des ehelichen Vergnügens auf sie allein einzuschränken, so hält er doch dies Versprechen nicht. Er wird ihr untreu und sucht andere Personen auf, mit denen er eben so vertraulich lebt, nur um seinen Wollusttrieb zu befriedigen. Und hieraus entsteht ein neues Verbrechen, welches der Ehebruch [339] heißt. Ein Ehebrecher ist also nicht bloß ein unkeuscher, sondern auch ein treuloser Mensch, der sich kein Gewissen daraus macht, dasjenige nicht zu halten, was er doch so feierlich und gleichsam vor dem Angesichte Gottes versprach.
Ueberhaupt macht die Unkeuschheit den Menschen so schlecht, daß fast kein Laster ist, welches ein unkeuscher Mensch nicht begehen sollte.
Sehr oft, meine Lieben, hat man es schon erfahren, daß unzüchtige Leute die von ihnen gezeugten Kinder, so bald sie auf die Welt kamen, ermordeten; nur damit es nicht bekannt würde, daß sie so unzüchtig gelebt und ausser dem Ehestande Kinder gezeugt hätten.
In einer bekannten großen Stadt fand man, daß in einem Jahr sechszehn Kinder von solchen unzüchtigen Eltern waren umgebracht worden. Und wie viele mögen noch wol heimlich so verscharrt worden seyn, daß es gar nicht bekannt geworden ist. Ist das nicht eine Sünde, die Gott, dem das Leben seiner Menschen so theuer ist, als ein ernster Richter bestrafen wird, auch wenn sie von menschlichen Richtern hier in der Welt zuweilen nicht bemerkt werden sollte?
Das ganze Laster der Unkeuschheit wird dadurch so verabscheuungswürdig, daß es fast immer [340] mit einer Mordthat begleitet ist. Ist ein Selbstmörder nicht ein verwegener, gottesvergessener Mensch? Deucht es euch nicht etwas Schreckliches zu seyn, sich das Leben, das Gott uns gab, zu dem er einen so weisen wundervollen Weg durch die Zeugung veranstaltete, und von dem wir nach seiner Absicht lange einen nützlichen Gebrauch machen sollten; deucht es euch nicht etwas Schreckliches zu seyn, sich dies Leben selbst zu nehmen? Und dies thut ein unkeuscher Mensch. Erst zerstört er seine Gesundheit, seinen Verstand, sein Gedächtniß, alle seine Seelen- und Leibeskräfte, und kann also in dem Zustande nichts Gutes in der Welt thun. Ist seine Gesundheit verloren, so kann er nicht das Ziel seines Lebens erreichen, das er sonst würde erreicht haben; denn ein kränklicher Körper ist wie ein baufälliges Haus, das eine kleine Erschütterung über den Haufen wirft. Eine schmerzliche Krankheit überfällt ihn nach der andern und jede bringt ihn dem Grabe um einen großen Theil näher. Endlich stirbt er in seinen besten blühendsten Jahren, wo er gerade zu allen nützlichen Verrichtungen am geschicktesten hätte seyn können.
Ich brauche euch wol nicht wieder daran zu erinnern, daß ein unkeuscher Mensch den Zeugungs- [341] oder Geschlechtstrieb misbraucht, und daß er also diejenigen Säfte seines Körpers verschwendet, die zur Zeugung und Hervorbringung eines Menschen nöthig sind. Eben hierin liegt der Grund, warum er Geist und Körper zerstört. Der Körper braucht zur Zubereitung des Zeugungs- oder Saamensafts viele Zeit und vielen sorgsamen Fleiß. Die geringste Störung, die er dabei leidet, bringt ihn in eine gefährliche Unordnung. Er muß darüber andere Verrichtungen, als die Verdauung, die Absonderung eines guten gesunden Bluts sehr nachläßig betreiben. Darüber geht Stärke und Gesundheit verloren. Auch haben die geschicktesten Zergliederer des menschlichen Körpers durch Beobachtungen und Erfahrungen gefunden, daß diese edlen Zeugungssäfte mit dem Gehirn des Menschen, worin seine ganze Denkkraft vereinigt ist, in genauer Verbindung stehen. Daher kann man sichs erklären, daß der Verstand abnimmt und zerrüttet wird, wenn die Zeugungssäfte verschwendet werden.
Wir können also leicht einsehen, daß das Laster der Unkeuschheit mit den traurigsten Folgen begleitet seyn muß, und es kann uns nicht befremden, wenn wir Unkeusche oft in so jämmerlichen [342] Umständen erblicken. Die Schaamtheile ihres Körpers, die sie gemißbraucht haben, sind oft ihre bittern Ankläger, wenn sie sich den Händen der Wundärzte zu ihrer großen Beschämung unterwerfen müssen. Ich habe einen schöngebildeten gesunden Menschen gekannt, der so unglücklich wurde, sich mit Lastern der Unkeuschheit zu beflecken. Ausser vielen andern Krankheiten zog er sich einen unheilbaren Schaden an den Schaamthellen zu, den er einem Arzte zu entdecken sich entsahe. Er mußte endlich doch diesen beschämenden Schritt thun, und sich durch das Messer des Wundarztes erbärmlich verstümmeln lassen, um sein elendes Leben sich noch eine kurze Zeit zu erhalten. Kurz, es läßt sich nichts so eckelhaftes und schmerzliches gedenken, was nicht mit den Krankheiten verbunden wäre, die aus der Unkeuschheit entstehen, und wir müßen glauben, daß Gott seine strafende Hand hier vorzüglich zeigen wolle, um Menschen mit Abscheu gegen ein Laster zu erfüllen, das seinen Endzwecken so sehr entgegen ist.
[343]
Und alle diese traurigen Folgen, die überhaupt mit dem Laster der Unkeuschheit verknüpft sind, treffen insbesondere, nur noch schneller und schrecklicher, dasjenige Laster, was die Selbstschwächung heißt. Etwas habe ich euch schon zu Anfange in der Geschichte Wilhelms über dieses Laster gesagt. Ich habe es aber hier unter den Lastern der Unkeuschheit zuletzt genannt, weil ich mich gern recht umständlich hierüber euch zu entdecken wünsche. Daß es eine Sünde der Unkeuschheit ist, könnt ihr einsehen, weil dabei die Zeugungstheile berührt und auf eine Art gereizt werden, die ihre unvermeidliche Verletzung und den Verfall des ganzen Menschen nach sich zieht. Der Reiz zu diesem Laster ist eine frühe Aeusserung des Geschlechtstriebes, der noch lange nicht erwachen sollte, auch lange nicht erwachen würde, wenn nicht böse Gewohnheiten an Knaben und Jünglingen dazu beitrügen. Die ganze noch unvollendete Einrichtung des jugendlichen Körpers macht es begreiflich, daß jeder [344] Trieb von der Art unnatürlich ist. Ihr werdet daher auch durch einiges Nachdenken und durch eine Erinnerung an das, was ich euch über die Zeugungssäfte gesagt habe, leicht einsehen, daß Knaben und Jünglinge, die sich dem Laster der Selbstschändung überlassen, um so viel geschwinder ihre Gesundheit zerstören müssen, weil ihr Körper noch nicht seinen Wachsthum und seine Stärke erreicht hat. Ihre Glieder und Nerven sind schwach und leicht zu zerstören; auch unternimmt die Natur von dem Augenblicke an, da ein Knabe in dies traurige Laster verfällt, nichts zur Vervollkommnung des Körpers. Sie läßt alle ihre Geschäfte liegen und sinkt in Trauer und Muthlosigkeit. Die Nahrungsmittel, die der Körper zu seiner nothwendigen Unterhaltung genießen muß, werden nicht gehörig verdauet, und daher werden auch keine gesunden Säfte aus ihnen zubereitet. Vielmehr verursachen sie lauter verdorbene Säfte, die zu unzähligen Krankheiten Gelegenheit geben, und wodurch selbst der Reiz zu schändlichen Lastern vermehrt wird.
So muß also die Gesundheit, dies herrliche Gut, ohne welches die Welt kein Glück und keine Freude für uns haben kann, sehr bald unterliegen. [345] Nie sah ich es ohne Bedauren, wenn auch nur ein junger Baum, der aus dem Schooß der mütterlichen Erde so gesund und glatt hervorgegangen war, von einem muthwilligen Knaben gemißhandelt ward; aber mein Herz zerfloß in Mitleid, wenn ich einen Jüngling sah, der sich selbst, den schönsten und edelsten Gegenstand der sichtbaren Schöpfung, mit eigner Hand gemißhandelt hatte.
Und diesen Anblick, meine Lieben, (es schmerzt mich, daß ichs euch sagen muß) habe ich schon oft gehabt. Noch sehr lebhaft erinnere ich mich seit meiner frühen Jugend her eines dreizehnjährigen jungen Menschen. Unschuld hatte seine Wangen geschmückt und der ganze reizende Bau seines Körpers zeugte von Jugend und Kraft. Seine freie offene Miene verkündigte sein gutes Gewissen, und alle liebten den frohen Jüngling. Ein böses Beispiel weckte einen unglücklichen Trieb in ihm auf. Er ließ sich zur Selbstschwächung verführen, und gieng nach Verlauf eines Jahres verwelkt und traurig einher. Er erkannte und bereuete seine That, oft, wie ich nachher überzeugt worden bin, mit vielen Thränen; aber keine Reue brachte ihm zurück, was verloren [346] war. Ich habe ihn seit der Zeit nie froh gesehen.
Ein andrer Knabe, nicht fern von meinem Geburtsorte, verfiel von selbst auf eine solche Mißhandlung seines Körpers. Was er für tägliches Elend ausgestanden haben mag, ist mir unbekannt. Er war kaum funfzehn Jahr alt, als er an der Auszehrung starb.
In einer gewissen Stadt starb ein neunjähriges Kind an den Folgen dieses Lasters, nachdem es schon eine geraume Zeit vorher völlig blind geworden war. Solche Beispiele sind schreckhaft und zeigen uns das Laster der Selbstschändung in seiner ganzen Abscheulichkeit.
Was es aber ausserdem noch für den Menschen so entehrend macht, ist der große und schleunige Verfall aller Verstandeskräfte. Davon habe ich euch vorher schon den Grund angeführt, und die Erfahrung hat es an so vielen Knaben und Jünglingen bestätigt! Selbst diejenigen, bei denen noch nicht alle Neigung für Beschäftigungen des Verstandes erstorben war, waren nicht vermögend, mit einiger Anstrengung über etwas nachzudenken. Es kostete sie unbeschreibliche Mühe, ihre Aufmerksamkeit auf etwas fest zu halten. Zu dieser Verstandesschwäche kam noch, [347] daß sie jeden Augenblick durch die Vorstellungen von ihrer abscheulichen Sünde, die sich ihnen wider ihren Willen aufdrangen, unterbrochen wurden, und daß sie daher nur immer halb sich dessen bewußt waren, womit ihre Seele sich beschäftigte. Ihr Gedächtniß, das sonst ja in der Jugend am stärksten ist, war so äusserst geschwächt, daß sie sich auf das eben Gelesene, oder Gehörte, nicht besinnen konnten. Ihre Einbildungskraft war so zerrüttet, daß sie wachend und schlafend nichts als unschaamhafte Bilder sehen konnten. In ihrem Herzen erlosch jede Empfindung für das Gute, jedes Gefühl für das Schöne in der Natur, das doch dem Menschen so viele frohe Stunden verschaffen kann. Keine schöne Gegend, kein sternenheller Himmel, nicht die aufgehende Sonne, nicht die Blumen im Thal machten einen Eindruck auf sie. Ein inneres Bewußtseyn ihrer eigenen Untauglichkeit zu allen nützlichen Beschäftigungen und ihres Unvermögens, sich irgend einem Menschen angenehm zu machen, zog sie immer mehr von Menschen und ihrer Gesellschaft ab. Wie mancher, der sich seiner Schande bewußt gewesen ist, mag auch wol gefürchtet haben, man mögte sein Verbrechen in seinem Angesichte lesen; denn wenn man etwas [348] Böses verübt hat, so scheut man sich immer, Menschen unter die Augen zu gehen. So sanken diese Unglücklichen denn immer tiefer, weil ihre eigene Gesellschaft die allergefährlichste für sie war.
Denkt euch, meine Lieben, dies alles recht lebhaft und sagt aufrichtig, ob gegen einen solchen an Leib und Seele geschändeten Menschen nicht das geringste und armseeligste Thier ein ehrwürdiges Geschöpf ist? Dies erfüllt doch den Zweck seines Daseyns, ist in mancher Hinsicht der Welt nützlich und freut sich seines Lebens.
Ich habe euch, ihr jungen Freunde, bis jetzt von den entsetzlichen Folgen dieses schändlichen Lasters nur das erzählt, was ich selbst davon an Leuten, die ich kannte, erlebt und mit eignen Augen beobachtet habe. Wollte ich euch noch alles dasjenige vorlegen, was andere, besonders Aerzte und Erzieher, darüber beobachtet und der Welt zum Theil durch Schriften bekannt gemacht haben: so würdet ihr euch vollends entsetzen vor den schrecklichen Verwüstungen, welche dieses verabscheuungswürdige Laster unter den Menschen angerichtet hat und noch täglich anrichtet. Aber diese schauderhaften Beobachtungen würden, wenn ich sie alle erzählen wollte, einen ganzen Folianten anfüllen.
[349] Laßt mich einige derselben auswählen, welche von Männern herrühren, welche ihrer Rechtschaffenheit und ihrer Einsicht wegen Glauben verdienen. So sagt z. B. ein euch bekannter Erzieher und Schriftsteller, der Rath Campe, in der allgemeinen Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens:
„Wer zu seiner Ueberzeugung von den fürchterlichen Folgen dieses Lasters noch mehrere und schauderhaftere Beispiele nöthig hat, der findet sie bei Tissot, Zimmermann, Börner, Vogel (vier berühmten Aerzten) bei Salzmann und andern, welche über diesen scheußlichen Gegenstand geschrieben haben. Da indeß nicht jeder die Schriften dieser Männer zur Hand hat, so sey es mir erlaubt aus den vielen beweinenswürdigen Beispielen dieser Art, die mir selbst, seitdem ich Menschenbeobachtung zu einem Haupttheile meines Berufs machte, vorgekommen sind, auszuheben und mit strenger Wahrheitsliebe zu beschreiben.“
Ich kannte z. B. einen jungen Menschen, der, nachdem er das Laster der Selbstschändung eine Zeitlang getrieben hatte, dadurch an Leib und Seele so zerrüttet wurde, daß er zu jeder auch noch so leichten körperlichen oder geistigen Anstrengung [350] unfähig war, und zuletzt in die traurige Krankheit verfiel, die man das schwere Gebrechen nennt. Er starb als ein ausgemergelter, halbblödsinniger, zu allem unfähiger Jüngling im neunzehnten Jahre seines Alters.“
„Ein anderer junger Mensch verlor durch die Ausübung dieses Lasters das Gesicht. Was nachher aus ihm geworden sey, habe ich nicht erfahren.“
„Im **schen lebt noch jetzt ein Unglücklicher dieser Art, der theils durch die Folgen dieses Lasters, theils durch die Gewissensbisse, die er darüber empfand, völlig verrückt wurde und es bis jetzt geblieben ist.“
„Verschiedene andere höchst traurige Beispiele dieser Art muß ich deswegen mit Stillschweigen übergehen, weil zu besorgen stünde, daß ich die, schon an sich in so hohem Grade unglücklichen Personen durch die Erzählung ihrer Leiden kenntlich machen und ihr Elend dadurch vergrössen würde.“
„Aber von den vielen Briefen solcher Unglücklichen, welche Rath und Hülfe bei mir suchten, kann ich, mit Unterdrückung desjenigen, was gemißbraucht werden dürfte, einen und den andern hier wol abdrucken lassen.“
[351]
„Ich bin einer von den Elenden, die sich durch das abscheuliche Laster der Selbstschwächung zu Grunde gerichtet haben. Theils Schaam, mich einem geschickten Arzte zu entdecken, theils Mangel des Zutrauens haben mich, Hülfe zu suchen, von Zeit zu Zeit aufschieben lassen. Als vor ungefähr einem Jahre die Preisfrage von Ihnen ausgestellt wurde: wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib- und Seeleverderbenden Laster der Unzucht verwahren könnte? u. s. w. so wurde meine fast gesunkene Hofnung wieder belebt, daß vielleicht durch eine baldige Erscheinung einer richtigen Beantwortung derselben ich Mittel und Vorschriften finden würde, durch Selbstanwendung derselben meine vorige Gesundheit wieder zu erlangen. Da ich aber bisjetzt vergeblich gewartet habe, und sie vielleicht sobald nicht erscheinen dürfte: so befielt mir die Pflicht der Selbsterhaltung Hülfe und Rettung zu suchen, ehe mein Uebel vielleicht ganz unheilbar wird. Voll Zutrauen zu Ihrem – – Herzen, wende ich mich an Sie. O der Mann, der – – – kann auch mich nicht ohne Hülfe, wenigstens nicht ohne Rath lassen! Ich mache Ihnen deswegen eine aufrichtige Erzählung [352] meiner mir schändlich zugezogenen Krankheit. Ersparen Sie mir die Vorwürfe über Schandthaten, wodurch ich Gott und mich selbst so sehr beleidiget habe! Ohngefähr in meinem sechszehnten Jahre wurde ich mit dieser Sünde bekannt; und trieb sie so lange, bis ich die zur Fortpflanzung bestimmten Theile meines Körpers gänzlich verwüstet hatte. Jetzt wurde ich auch auf die übrigen schrecklichen Folgen dieses Lasters, die ich nunmehr gleichfalls an mir selbst empfand, z. B. Mattigkeit, Unzufriedenheit, Traurigkeit, Schwäche des Gedächtnisses und der Urtheilskraft u. s. w. aufmerksam. Kurz, ich finde mich jetzt ganz in dem Bilde, worin Tissot und andere jene Unglücklichen gezeichnet haben. Ist es also möglich, theuerster Mann, mir durch Zuziehung geschickter Aerzte ein Mittel zu verschaffen, wodurch ich meinen zerrütteten und entnervten Körper seine Stärke und Spannkraft wiedergeben kann: o so schreiben Sie mir solches! Wenn Ihnen auch gleich der Dank eines unbekannten Geretteten nicht lohnen kann: so wird Ihnen doch Gott und Ihr eigenes Herz lohnen. Werde ich mit der Zeit gerettet, dann sollen Sie meinen Namen wissen u. s. w.“
[353]
„Gott seegne Sie – – Mann! und noch lange genieße die Welt der Früchte Ihres unermüdeten Fleisses! Ich habe zwar nicht die Ehre, Ihnen bekannt zu seyn; aber ich kenne und verehre Sie schon lange, und mit Nutzen und Seegen habe ich allezeit Ihre – Schriften gelesen. Die Veranlassung zu dem gegenwärtigen Schreiben wird sie befremden; aber ich habe das Zutrauen, daß Ihre – Seele mir, einem Unbekannten, Verzeihung und Nachsicht wird widerfahren lassen. Sie haben im Nahmen eines edeln Menschenfreundes eine Preisfrage ausgestellt; Sie fügen noch ein Ansehnliches zu jener Prämie hinzu. – – – Ach, – Mann! thun Sie doch, um Gottes Willen bitte ich Sie, thun Sie doch auch selbst Ihr Möglichstes, um dieses Ungeheuer, das im Finstern schleicht, in seiner Wuth zu hemmen und den ferneren Ausbrüchen desselben Grenzen zu setzen! Gott, wo ist wol jetzt eine Schule zu finden, wo dieses schreckliche Uebel nicht seinen Wohnsitz aufgeschlagen hätte! Sonst keusche und tugendhafte Jünglinge, davon angesteckt, treiben dieses Laster so lange, bis sie nicht mehr zu retten sind, vielleicht, weil sie nicht wußten, was es für Folgen nach [354] sich ziehe. Denn die meisten Schullehrer handeln in dieser so wichtigen Sache so gewissenlos, daß sie entweder aus Trägheit oder Mangel an Beobachtungsgeist, sich gar nicht um dergleichen bekümmern und ganz keine Erwähnung davon thun, oder, wenn sie davon abmahnen, es so lau und ohne Nachdruck thun, daß ihre Vorstellungen darüber gar keinen Eindruck machen. Mit tiefer Schaam und Reue gestehe ichs, daß ich selbst zu den Unglücklichen gehöre, die dieses Laster ausgeübt. Die Folgen davon sind mir nur gar zu gegenwärtig, als daß ich sie vor mir selbst verbergen könnte. Einen durch dieses ewig verfluchte Laster geschwächten Körper und einen nicht unmerklichen Abgang meiner Seelenkräfte habe ich mir dadurch zugezogen. Tiefe Schwermuth und ein melancholisches Wesen hat seitdem sich meiner ganz bemeistert; und mein sonst munteres und aufgewecktes Wesen ist von schwarzer Melancholie bis jetzt so sehr verdrengt, daß nicht selten die fürchterlichsten Gedanken von Selbstzerstörung in mir aufsteigen. Das Bewußtseyn meiner schwarzen That, begleitet von dem Gedanken, was für ein Mensch ich seyn könnte, wenn ich meine Leibes- und Seelenkräfte [355] nicht so verschwendet hätte, würde mich über kurz oder lang ins Verderben stürzen, wenn Gott und Religion mich nicht unterstützten. Verwelkt und abgemattet seufze ich nun, ich, der ich sonst, gleich einer Rose blühte! – Dies, theurer Mann, ist das aufrichtige Bekenntniß meines Verbrechens, das mich nur gar zu oft vor mir selbst und in meinen eigenen Augen abscheulich macht. Aber hassen Sie mich nicht, lieber Mann! Ach, Gott! ich verdiene es ja nicht, denn ich habe es vorher noch nie so gewußt. Zu Göttingen habe ich dies Laster, seiner Fluchwürdigkeit nach, zuerst kennen gelernt. Als ich das Glück hatte, von ohngefähr Tissots Buch, das von diesem Laster handelt, in die Hände zu bekommen, da sahe ich erst ein, auf welchem schrecklichen Wege ich mich befand. Ich mußte schwere Kämpfe ausstehn, bevor ich es dahin brachte, daß ich diese fluchwürdige schändliche Lust gänzlich floh. Jetzt habe ich es, durch Gottes Kraft unterstützt, so weit gebracht, daß ich nie ohne Schaudern und Entsetzen daran denken kann. Edle und rechtschaffene Freunde, mit denen ich nachher wol im Vertrauen darüber sprach, haben mich gleichfalls mit weinenden Augen versichert, daß sie aus Unwissenheit dieses Laster so lange [356] getrieben, bis sie entweder die traurigen Folgen davon an sich selbst verspürt, oder durch redliche Freunde wären gewarnt worden. Unaussprechlich groß wird Ihr Lohn bei Gott und Menschen seyn. Bieten Sie Ihre – Seelenkräfte zu diesem Werke auf; Gott wird Ihnen beistehn, und ich, ich will sie unterstützen mit meinem Gebet. – – Nun, bester Mann! vergeben Sie mir, daß ich Sie auf einige Augenblicke von Ihren wichtigeren Geschäften abgehalten habe; vergeben Sie es meinem sehnlichen Wunsche, meine Mitbrüder gerettet zu sehen, wenn ich meine Bitten mit den Bitten der ganzen Menschheit vereinige, daß Sie ein Vorhaben ausführen mögen, dazu sie Gott ersehen und bestimmt hat. Gott stärke, Gott erhalte Sie!“
„Ich bin ein unbekannter, aber großer Verehrer Ihrer Schriften. Sie suchen, und das ist edel, vornemlich der Jugend den Weg zur Glückseeligkeit zu zeigen und sie vom Laster abzuschrecken. Mein Bewegungsgrund, an Sie zu schreiben, ist die demüthige Frage: Wie gelange ich wieder zu meiner verlornen Seelenruhe, nachden ich meinen Leib durch [357] das Laster der Selbstbefleckung so sehr geschwächt habe? Meine Gestalt, die Gott gut gebildet hatte, ist verfallen. Eingefallene bleiche Wangen, Schwachheiten des Nervensystems, die schwärzeste Melancholie und öftere hypochondrische Zufälle sind die betrübten Folgen dieses Luderlebens. Hierzu kömmt eine Gleichgültigkeit gegen die Schönheiten der Natur, von denen ich sonst ein so großer Freund war. Ich gehe oft gefühllos durch die seegenreiche Herbstnatur und weine oft, ohne daß ich es kaum weiß. Sehe ich einen gesunden blühenden Menschen, so beneide ich ihn und denke: so könntest du auch seyn, wenn du deinen Körper durch das schändlichste aller Laster nicht so verwüstet hättest! Und so bin ich der schwermüthigste und unglücklichste Mensch. – Und nun, was werde ich zu meiner Entschuldigung anführen, daß ich mit diesen ekelhaften Klagen Sie belästige? Ach, ich suchte einen Menschenfreund, einen Rathgeber, einen behülflichen Mann, der mir sagte, was ich thun müsse, um, wo möglich, noch gerrettet zu werden! Dies ist also der Bewegungsgrund meines Briefes. Würdigen Sie mich Ihres Raths; antworten Sie mir gefälligst auf dies Geschmiere [358] sonder Stil und Wendung nach der unten angegebenen Addresse, und seyn Sie versichert, daß Sie Ihre Güte an keinen Undankbaren verschwenden werden. Ich sehe Ihrem lieben Briefe mit einer heftigen Sehnsucht entgegen und erwarte ihn ehestens u. s. w.“
„ – Ich Unerfahrner wußte nicht, daß mich dieses Laster ins größte Verderben stürzen würde. Nun erst habe ich es erfahren; nun erst kenne ich das Laster, daß ich sonst nicht einmal dem Nahmen nach kannte. Denn – Gott du weißts, ob ich lasterhaft bin! Ich schreibe dieses noch dazu an meinem Beichttage, an dem doch wol kein Mensch, es müßte denn der ruchloseste seyn, lügen wird – ich fand davon die erste Nachricht in der Berliner Monatsschrift, wo Ihre Preisaufgabe angezeigt wird. Ich wollte erst gar nicht glauben, daß es das wäre, was ich begangen. Ich wollte mich genauer erkundigen, scheute mich aber vor dem Verdachte. – Nun sehe ich die Quelle, woher jetzt bei mir die Schwäche des Gedächtnisses, die Schwäche des Gesichts und die große Mattigkeit kommt, die ich besonders nach dem Essen empfinde, [359] da ich doch in allem beständig die größte Diät beobachte. – Ich bitte Sie also, so wie nur ein verführtes Kind seinen Vater bitten kann, retten Sie mich, wenn ich noch zu retten bin! Schlagen Sie mir ein Mittel vor, durch welches ich wieder hergestellt werden kann. Hier traue ich niemandem die gehörige Kenntniß zu; hier könnte es auch entdeckt werden. Noch einmal, ich bitte so zärtlich, wie ein Kind seine Eltern, retten Sie mich ja bald, ehe noch schrecklichere Folgen sich äussern. Ewig, ewig will ich Ihnen dafür danken, daß Sie mich gerettet haben! Wie will ich mich freuen, dem Unglücke entkommen zu seyn! Mit erneuten Kräften will ich mich befleißigen, meinen Nebenmenschen nützlich zu werden. Ich fühle mich schon in der Hoffnung etwas beruhiget, und habe die Ehre u. s. w.“
„ – Das Ohngefähr hat mich hier mit einem 23jährigen Jünglinge bekannt gemacht, dessen Eltern schon vor zehn Jahren gestorben sind, und dessen Vater Landprediger war. Die stille Schwermuth dieses jungen Menschen und seine beständige Absonderung von den rauschenden Vergnügungen seines Gleichen, nahmen mich gleich beim [360] ersten Anblicke so sehr für ihn ein, daß ich eine genauere Bekanntschaft mit ihm suchte und auch – jedoch nicht ohne Mühe – fand. Bei einem nähern Umgange entdeckte ich in ihm einen edlen offenen Character, vereiniget mit den herrlichsten Fähigkeiten und Talenten. Oft forschte ich nach den Ursachen seiner Schwermuth und seiner beständigen blassen Gesichtsfarbe; allein lange umsonst; bis er endlich neulich, da ich mich seines Vertrauens versichert hatte, und von neuem stark in ihm drang, in folgende unglückliche Worte gegen mich ausbrach: “Freund! forschen Sie nicht länger nach den Ursachen meiner gerechten Betrübniß; denn gewiß werden Sie, wenn ich sie Ihnen entdecke, von Stund an meinen Umgang meiden und mich, als einen Verworfenen, meinen eigenen Gewissensbissen überlassen. – Doch nein! Sie sind zu menschenfreundlich, als daß Sie so gegen mich verfahren könnten. Hören Sie demnach: das unglückliche Beispiel eines jungen Menschen, mit dem ich die Schule besuchte, hat mich zu dem verabscheuungswürdigen, die Menschheit entehrenden Laster der Selbstschwächung verleitet. Das Höchstschädliche dieser schändlichen Handlung sah ich damals noch nicht ein; seit einiger Zeit aber fühle ich [361] es mit der der bittersten Reue, wie sehr sie mein Herz und meinen Körper angegriffen hat. Sie hat meinen Nerven ihre Kraft benommen, den Magen geschwächt, die Gedärme, die Verdauung, meine Augen, mein Herz, mein Gehirn, meinen ganzen Körper und meinen Geist! Sie hat die Liebe zum Großen und Schönen in mir ausgelöscht und mich in der Blüthe meiner Jahre den Schrecknissen eines hohen Alters übergeben! – Nun wissen Sie die Ursache meiner Schwermuth und meiner bleichen Gesichtsfarbe. Es steht jetzt bei Ihnen, mir entweder Ihre Freundschaft zu entziehn, welches mich gewiß sehr schmerzen würde, oder wenn Sie so edel denken, dieses nicht zu thun, gemeinschaftlich mit mir an meiner Genesung zu arbeiten. In jener frohen Ewigkeit finden Sie gewiß dafür Ihre Belohnung, da ich selbst Sie zu belohnen nicht im Stande bin.“ – Ich glaube nicht nöthig zu haben Ew. zu sagen, daß ich den unglücklichen Jüngling, dem bei diesem Geständnisse die heissesten Thränen entstürzten, meines Mitleids und meiner fortwährenden Liebe versicherte, wenn er künftig von seiner verderblichen Gewohnheit abstehen würde; und dies sagte er mir mit einem [362] Eide zu. – Nun aber, würdiger Mann, bitte ich Sie, mir ein Mittel anzuzeigen, meinen niedergeschlagenen Freund zu retten und wieder aufzurichten. Wie sehr Sie mich dadurch verbindlich machen werden, darf ich einem Manne nicht erst sagen, der die Seeligkeit, Menschen vom Verderben zu retten, vor andern kennt, u. s. w.“
Unter hundert andern, der Welt bekannt gemachten Beispielen von den schrecklichen Folgen dieses Lasters, will ich nur noch zwei auswählen; wovon das eine der berühmte Arzt Tissot selbst erlebt und mit folgenden Worten bekannt gemacht hat:
„L. D**, ein junger Uhrmacher, hatte sich diesem verabscheuungswürdigen Laster gleichfalls ergeben. Noch vor Ablauf eines Jahres fing er an eine große Schwachheit zu verspüren. Diese Warnung war aber nicht hinlänglich, ihn vom Rande des Verderbens zurückzuführen. Seine Seele klebte schon zu stark an diesen Unflätereien, als daß sie zu andern Gedanken fähig gewesen wäre, und die Erneuerungen seines Lasters wurden immer häufiger, bis er sich in einem Zustande befand, der ihn den Tod befürchten ließ. Jetzt nahm er sich vor, klüger zu werden; aber [363] das Uebel war schon so weit eingerissen, daß es nicht mehr zu heilen stand. Ein heftiger Krampf, der ihn vorher nur zu der Zeit, da er die schändliche Handlung vollzog, befallen und gleich hernach wieder aufgehört hatte, war ihm nunmehr zur Gewohnheit geworden und überfiel ihn öfters, ohne eine scheinbare Ursache, und auf eine so gewaltsame Art, daß er während der ganzen Zeit des Anfalls, welcher bisweilen funfzehn Stunden anhielt, in der Gegend des Nackens so grausame Schmerzen empfand, daß er nicht schrie, sondern brüllte, und zu derselben Zeit war es ihm unmöglich, das Geringste von Speise und Trank hinunterzuschlucken. Er kam völlig von Kräften, und da er zu nichts fähig und mit Elend überhäuft war: so lag er einige Monate fast ohne alle Hülfe da. Er war um so mehr zu beklagen, weil ein Ueberbleibsel von Gedächtniß, welches aber bald hernach völlig verschwand, ihm zu weiter nichts diente, als daß es ihm ohne Unterlaß die Ursachen seines Unglücks vorhielt, welches durch schreckliche Gewissensbisse vermehrt wurde. Ich erfuhr seinen Zustand und begab mich zu ihm, und da fand ich nicht sowol ein lebendiges Wesen, als vielmehr einen häßlichen Leichnam. Ausgemergelt, blaß, unreinlich lag er auf dem Stroh, [364] hauchte einen abscheulichen Gestank aus und konnte fast kein Glied bewegen. Aus der Nase lief ihm oft ein blasses und wässerichtes Blut, und aus dem Munde trat ihm bestandig ein Geifer. Er hatte den Durchlauf und ließ, ohne daß ers merkte, allen seinen Unflath ins Bette gehn. Seine trüben, triefenden und erstorbenen Augen hatten nicht mehr das Vermögen, sich zu bewegen; der Puls ging äusserst schwach, der Athem sehr schwer; der ganze Körper war erstaunlich mager, ausgenommen die Füße, welche anfingen aufzudunsen. Der Zustand seiner Seele war nicht minder kläglich; ohne Begriffe, ohne Gedächtniß; nicht fähig, zwei Redensarten mit einander zu verbinden; ohne Bekümmerniß um sein Schicksal, ohne eine andere Empfindung, ausser der der Schmerzen, die sich, nebst allen übrigen Anfällen, jedesmal um den dritten Tag wieder einstellten. Seine Gestalt war scheußlich, keinem Menschen mehr ähnlich; man hätte zweifeln können, zu welcher Gattung von Geschöpfen er ehemals gehört habe. Mit Hülfe stärkender Mittel glückte es mir, die gewaltsamen krampfhaften Anfälle zu heben, die ihn, bloß durch den Schmerz, auf eine grausame Art wieder zum Gefühl brachten. Zufrieden, daß ich ihm nur [365] in diesem Stück geholfen hatte, gab ich ihm keine Arzeneien mehr, als welche seinen Zustand doch nicht verbessern konnten. Er starb nach einigen Wochen im Junius 1757. Sein Körper war allenthalben aufgedunsen.“
Das andere hat der Unglückliche, der es an sich selbst erlebte, eigenhändig beschrieben und es ist durch Hrn. Salzmann mit den eigenen Worten desselben folgendermaaßen bekannt gemacht worden.
„Endlich fiel mir, nur leider um zehn Jahr zu spät! Tissots Buch in die Hände. Ich las, und ward als vom Schlage gerührt. Nun gingen mir die Augen auf, und Schrecken und Entsetzen erfüllten meine ganze Seele. Ich war damals schon ganz entkräftet und abgezehrt, und jedermann sagte: der hat die Schwindsucht im höchsten Grade! Dennoch war ich niemals auf die Vermuthung der wahren Ursache meiner Auszehrung gekommen; nun erfuhr ich mit Entsetzen den Grund derselben. O dachte ich, was sind das für abscheuliche Eltern, Lehrer und Freunde, die dich nicht vor diesem Laster warnten und dir das unabsehbare Elend, in das es stürzt, vor Augen mahlten, oder dir dies Tissotsche Buch in die Hände gaben! Oder vielmehr, [366] was für eine unaussprechlich schädliche Unwissenheit herrscht noch in Absicht dieses Lasters und der Folgen desselben in der Welt! Ich gerieth in eine Art von Tiefsinn und Schwermuth, die mich unaussprechlich quälte. Ich entschloß mich, dem schrecklichsten aller Laster zu entsagen; es ward mir schwer, doch nicht unmöglich, weil es durch meine große Entkräftung schon vieles von seinem Reize verloren hatte.“
„Nun vernehmen Sie meinen gegenwärtigen Zustand, und klagen Sie mit mir über die Unwissenheit der Menschen, die sie in so fürchterliches Elend stürzt! Meine Geisteskräfte sind aufs äusserste geschwächt; mein Verstand stumpf worden und schlechterdings nicht mehr zum zusammenhängenden Denken fähig; mein Gedächtniß unglaublich schwach oder vielmehr fast ganz verloren. Und dies ist um so trauriger, da ich von Gott so große Anlagen und Fähigkeiten erhalten hatte, daß alle meine Lehrer und Bekannten in meiner Jugend in großer Erwartung meinentwegen standen, und in mir einen künftigen großen Mann sehen wollten. Ich bin also zu Geistesarbeiten ganz unfähig; aber eben so wol zu körperlichen. Mein Körper ist ganz entkräftet und unthätig; ich bin so von Fleische gefallen und abgezehrt, [367] daß man nur noch Haut und Knochen an mir sieht. Ich gleiche einem Todtengerippe, und mein Anblick erregt Schaudern und Entsetzen. O mögten mich doch alle die unwissenden und unbesonnenen Sünder sehn! Könnte ich doch jedem unter ihnen zurufen:
Wenn schnöde Wollust dich erfüllt,
So werde durch dies Schreckenbild
Verdorrter Todtenknochen
Der Kitzel unterbrochen!
„Da liege oder sitze ich nun so unthätig und kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der menschlichen Gesellschaft und meiner Brüder thun und arbeiten – und dafür möglichst viel zu thun, war doch von jeher mein heissester Wunsch – und bin selbst den Meinigen noch zur Last; und erwarte mit Sehnsucht und Schmerzen den Tod, der mich von meinem unaussprechlichen Elende erlösen und meinen Geist von diesem zerrütteten Leibe befreien soll, damit er dort in der bessern Welt mit neuer ungehinderter Thätigkeit und Kraft für die Wohlfahrt des großen Geisterstaates Gottes arbeiten könne. Ich bin aber nicht allein ganz entkräftet, sondern fühle auch ununterbrochen die heftigsten Schmerzen, besonders [368] an den Zeugungstheilen, die das mehrste gelitten haben. Dazu kommt noch eine Gemüthsunruhe und Schwermuth, die alles übersteigt. Das Bewußtseyn, meiner Bestimmung und den göttlichen Absichten so zuwider gehandelt, mich zum Kinderzeugen und Erziehen unfähig, zum Dienst der Welt und zur Beförderung der menschlichen Glückseeligkeit unbrauchbar gemacht zu haben, dieses Bewußtseyn peiniget und foltert mich unaufhörlich und weit mehr, als aller körperlicher Schmerz. Und oft würde ich schon in Versuchung gerathen seyn, meinem unseeligen Leben ein Ende zu machen, wenn mich nicht noch die Gründe der Vernunft und die Lehren der wohlthätigsten Religion, welche jetzt noch meine einzige Freundin und mein Schatz ist, zurückgehalten hätten.“
Jüngling! verlangst du nach solchen Erfahrungen, welche die glaubwürdigsten Männer dir bezeugen, noch mehr Beweise, um von der Abscheulichkeit des abscheulichsten aller Laster überzeugt zu werden? –
Aus dieser schrecklichen Verwüstung, die die Selbstschwächung anrichtet, werdet ihr nun auch die Sündlichkeit und große Strafbarkeit derselben leicht einsehen. Wir sind doch von Gott zu [369] den wohlthätigsten Absichten für uns und andere bestimmt, und eine so muthwillige Zerstörung aller unserer Kräfte ist doch diesen Absichten geradezu entgegen. Ein solcher geschändeter Mensch nützt nicht nur andern gar nicht, sondern er schadet ihnen unendlich. Das Laster, durch das er sich schändet, macht ihn völlig unfähig, eine gesunde Nachkommenschaft zu hinterlassen. Er erreicht nicht die Jahre, in denen er in den Ehestand treten kann, und wenn er sie auch erreichte, so ist doch seine Natur zu geschwächt. Er wird entweder überall nicht Vater werden können, oder nur einige kümmerliche Kinder zeugen, die allerlei Gebrechen mit sich auf die Welt bringen, und die ihm, so oft er sie ansieht, nicht Freude, sondern eine traurige Erinnerung an die Sünden seiner Jugend verschaffen werden. Diese kränkelnde Nachkommenschaft kann wiederum nichts, als Schaden, Noth und Betrübniß in der Welt verursachen. Das kann doch Gott nicht gleichgültig seyn und wir können uns schon daraus überzeugen, daß in seinen Augen das genannte Laster die abscheulichste Sünde seyn müße, und daß er sie wie in dieser, so auch einst in jener Welt mit der Strenge eines Richters bestrafen werde. Ausdrücklich hat er auch in der Bibel vor allen Sünden der [370] Unkeuschheit die Menschen warnen lassen und die ernste Drohung hinzugefügt, daß kein Unkeuscher einst in seine Gemeinschaft kommen solle.
Ich habe das Zutrauen zu euch allen, meine jungen Leser, daß ihr nicht ohne Gefühl an Gott werdet denken können, und daher darf ich auch erwarten, daß alle die ernsthaften Vorstellungen, die mit dem lebhaften Gedanken an Gott gleichsam von selbst entstehen, vieles dazu beitragen werden, euch diese Sünde recht verhaßt zu machen. Gott ist Vater und sorgt für die Glückseeligkeit seiner Menschen mit unbegreiflicher Weisheit und Güte; aber eben darum muß er auch Richter seyn und alles bestrafen, was von Menschen zu ihrem eigenen Verderben unternommen wird. Wohl uns, wenn wir ihn als Vater lieben und als Richter nicht fürchten dürfen!
Ich habe ferner das Zutrauen zu euch, daß ihr gegen euer jetziges und künftiges irdisches Glück, gegen euer Leben, eure Gesundheit, Heiterkeit des Geistes, Ruhe des Gewissens, gegen den Beifall und die Achtung anderer Menschen nicht gleichgültig seyn werdet; und daher darf ich auch erwarten, daß von dieser Seite das genannte Laster euch in seiner ganzen Abscheulichkeit erscheinen wird.
[371] Endlich habe ich das Zutrauen zu euch, daß ihr so gutgesinnt seyn werdet, da, wo eure eigene Erfahrungen und Kenntnisse nicht hinreichen werden, euch vor der Gefahr dieses Lasters zu schützen, freundschaftlichen Rath von andern anzunehmen, und daher hoffe ich, daß ihr meine folgenden Erinnerungen gern lesen und euch meinen Rath zu Nutze machen werdet.
Ein wichtiges Verwahrungsmittel vor allen Sünden der Unkeuschheit und der Selbstschwächung insonderheit, findet ihr in dem, was ich euch bereits gesagt habe. Leset dies oft durch und denkt ernstlich darüber nach. Eure eigene Ueberzeugung wird dann immer stärker, und nun ist euer Wille auch schon da, nie vorsetzlich in solche Sünden zu verfallen. Und wie viel ist dann nicht schon gewonnen, wenn man nur einmal recht überzeugt ist und einen festen Entschluß gefaßt hat!
[372] Aber dabei müßt ihr doch nicht sicher und eurentwegen unbesorgt seyn. Ihr seyd Menschen, und die nahe Möglichkeit, daß ihr auch wider euren Willen fehlen könnt, ist bei euch so viel größer, weil ihr jung und unerfahren seyd und euren guten Grundsätzen noch die lange Uebung fehlt, durch die sie erst recht befestigt werden. Verlaßt euch also nie darauf, daß ihr nicht fehlen wollt, sondern bemüht euch dabei ernstlich um solche Mittel und Gelegenheiten, daß ihr nicht leicht fehlen könnt; flieht hingegen solche Gelegenheiten, die euch unvermerkt zu einem bösen Gedanken oder zu einer unerlaubten Empfindung leiten würden. Dies wäre schon ein Schritt. Die Gelegenheit könnte wiederkommen, und nun wäret ihr schon in größerer Gefahr, mehrere Schritte zu thun. Daher muß man, so lange man noch nicht recht geübt darin ist, sich selbst zu beherrschen, oft etwas meiden, das an sich sehr unschuldig seyn kann.
Indessen ist das, meine Lieben, was ihr zu vermeiden habt, um nie in das schreckliche Laster der Selbstschwächung zu verfallen, nicht von der Art, daß es euch viel Mühe kosten, oder mit dem Verlust irgend einer Freude für euch verbunden seyn würde. Es ist vielmehr sehr leicht, [373] und wird euch mit so vielem Vergnügen belohnen, daß ihr es recht gern thun werdet.
Ihr werdet ohne Zweifel zum Theil erfahren haben, daß ihr nicht aufgeräumt und froh seyd, wenn ihr keine angenehme Beschäftigung habt. Ihr fühlt dann in euch eine Art von Unlust und wünscht, daß doch bald die und die Zeit kommen mögte, wo ihr dies und jenes thun und euch dies und jenes Vergnügen machen könntet. Darin seyd ihr allen andern Menschen ähnlich. In unserer Natur liegt der Trieb zur Geschäftigkeit, und der Zustand, da wir von diesem Triebe keinen Gebrauch machen können, ist uns beschwerlich. So beschwerlich er nun aber ist, so gefährlich ist er auch für uns. Nicht nur viele Kräfte in uns werden dadurch, daß sie ungebraucht liegen, geschwächt, wodurch der Trieb zur Beschäftigung sich nach und nach verliert; sondern unsre Seele sinnt und denkt auf allerlei, wodurch sie sich eine angenehme Vorstellung verschaffen kann, um die Unlust der langen Weile zu vertreiben. Bei diesem Sinnen und Denken geräth sie sehr leicht auf Vorstellungen von Dingen, die dem Körper eine angenehme Empfindung zuwege bringen könnten und wodurch sie sich bald aus ihrem mißvergnügten Zustande herausreißen [374] könnte. Sie wählt, was ihr am nächsten und leichtesten ist. Und wie viele sinnliche Triebe hat nicht unser Körper, die leicht erregt werden können, wovon aber keiner leichter zu erregen ist, als derjenige, den ich euch unter dem Namen des Zeugungstriebes bekannt gemacht habe. So wenig dieser Trieb im Knaben- oder frühen Jünglingsalter den Zweck der Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts erfüllen kann und soll: so leicht kann er doch durch Vorstellungen einer müßigen Seele gereizt werden, und dann reißt er die arme Jugend zu der unglücklichen Befriedigung durch die Selbstschändung hin. Und ist dies Laster ein einziges mal verübt, so ist es natürlich, daß in dem ersten müßigen Augenblick, der wieder eintritt, sich der Reiz dieses Lasters der Seele von neuem und verstärkt darstellt; und dies leitet denn auf eine abermalige Wiederholung. Und so geht es denn immer fort; denn wodurch soll sich die Seele zerstreuen? Wodurch soll sie andere gute Vorstellungen bekommen? Wer müßig oder unbeschäftigt ist, der kann nur wenig Gedanken haben, die in seiner Seele abwechseln und ihm Unterhaltung verschaffen.
Wer immer beschäftigt ist, der denkt auch immer viel. Er denkt an das, was er er gethan [375] hat, was er thut und noch thun will. Seine Seele hat keinen leeren Augenblick. Sie ist in ihrer steten Beschäftigung auch immer froh; und dieser frohe Zustand der Seele ist derjenige glückliche Zustand, in welchem sie von einer bösen Leidenschaft nicht leicht beherrscht wird, sondern böse Leidenschaften selbst leicht beherrschen kann. Wie gut und tugendhaft würden viele Menschen seyn, wenn sie immer nützliche Beschäftigungen hätten! Daß sie nützlich seyn müssen, versteht sich von selbst; denn sonst gewähren sie der Seele keine wahre Freude und keine fortdauernde Unterhaltung. Einer unnützen und zwecklosen Beschäftigung würde sie bald überdrüßig werden, und eine Beschäftigung, die gar in der Welt Schaden anrichtete, würde ihr bald Reue und Unruhe verursachen.
Recht innig wünschte ich es, meine jungen Freunde, euch allen eine Anleitung zu geben, wie ihr euch immer nützlich beschäftigen könntet. Allein dies würde, da ich euch sonst noch manches zu sagen habe, hier zu weitläuftig werden. Indeß könnt ihr aus nachfolgendem Beispiel ungefähr sehen, wie man sich auf vielfache Art auch frühe sehr nützlich beschäftigen könne.
[376] L**, ein Knabe von zehn Jahren, ist gewohnt, des Morgens im Sommer um fünf Uhr aufzustehen. Mit allem, was zum ordentlichen und reinlichen Anzuge gehört, ist er in einer Viertelstunde fertig, und nun eilt er in den Garten, um sich da der ersten dankbaren Empfindung von[WS 1] einem gütigen Schöpfer in der freien Natur zu überlassen. Hier sieht er nach seinen Blumen und Saamenbetten, und findet da manches, wobei seine Hand beschäftigt seyn kann; bald etwas anzubinden, bald ein Unkraut auszuraufen, bald einen Maulwurfshaufen auszuebnen und dergleichen mehr. Wäre da nichts zu thun, so geht er in den allgemeinen Küchengarten und mustert die Gewächse durch, und selten kehrt er zurück, ohne seiner Muter einige frohe Nachrichten mitzubringen. Um sechs Uhr gehen seine ordentlichen Taggeschäfte an, wo sein Lehrer ihn unterrichtet. Hier werden zwei Stunden vergnügt zugebracht. Nun wird bis Mittag ernstlich gearbeitet, gegraben, geschaufelt, Betten abgestochen, so lange etwas im Garten zu thun ist und es das Wetter erlaubt; sonst wird im Hause etwas beschaft, wozu die Mutter leicht Rath weiß, oder in der Holzkammer geschnizelt, Besen gebunden, Körbe geflochten, Erbsenreißer zu recht gemacht; [377] auch ist auf dem Felde manches zu thun, besonders in der Erndte, und L. pflegt des Abends vorher schon auf viele Fälle seine Einrichtung zu machen, damit er nie um eine Beschäftigung verlegen sey.
Nach Tische findet ein gemeinschaftlicher Spatziergang ins freie Feld oder Gehölz statt, und von da nimmt er jedesmal eine Hand voll Pflanzen oder Gewächse mit. Diese werden zu Hause untersucht, die Namen dazu aufgeschlagen und nun zum Trocknen zwischen Löschpapier gelegt. Nun folgt wieder eine Lehrstunde von drei bis vier Uhr. Dann geht es wieder an die Handarbeiten im Garten, Felde oder Hause.
Im Winter übt er sich im Drechseln und hat schon manches kleine Stück Hausgeräth mit eigener Hand verfertigt. Auch schnitzelt er aus Holz ganz artige Sachen. Manche Stunde bringt er damit zu, seine ausgetrockneten Kräuter auf Papier zu kleben und ihre Namen nebst ihren Gebrauch beizuschreiben und überhaupt alles nachzusehen und zu ordnen. Er macht sich von Pappendeckel kleine Schiebladen und in diesen kleine Kästchen aus Kartenblättern, worin er verschiedene Saamenarten aufbewahrt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie herrlich es aussieht, wenn man [378] hier einige hundert an Farbe, Größe und Gestalt verschiedene Saamenarten neben einander sieht. Man kann sie, ohne müde zu werden, Stundenlang betrachten. Auch hat er sich ein Holzkabinet angelegt, worin von jeder Holzart, die er auftreiben kann, ein glatt gehobeltes Stück neben dem andern liegt. Jedes ist mit einer Nummer bezeichnet, die in einem eigenen Verzeichniß den Namen und Nutzen des Holzes, auch andere Merkwürdigkeiten dabei anzeigt.
Dies ist nicht bloß ein Zeitvertreib, sondern ein nützliches Mittel, unsere Kenntnisse von den Dingen, die uns in der Welt umgeben, zu erweitern. Es kann uns in vielen Fällen des Lebens wichtig werden; es nimmt unsere Seele unvermerkt für das Schöne, Vollkommene und Zweckmäßige ein; es lehrt uns Gott immer mehr kennen, dessen Meisterhand so viel Schönes schuf; wir fühlen ihn dadurch täglich größer und liebenswürdiger, und welches Gefühl kann wol eines Menschen würdiger seyn, als dies?
Die Winterabende wendet L. dazu an, sich in der Musik zu üben; auch zeichnet er dann oft verschiedene seiner Seltenheiten ab, macht auch wol kleine Landcharten, die er mit Farben ausmahlt. Er besitzt einen kleinen von ihm selbst [379] verfertigten Atlas, worin über vierzig Charten sind, die ihm viel Vergnügen machen.
In der nächsten Stunde vor dem Schlafengehen arbeitet er an seinem Tagebuch, worin er seine Beschäftigungen alle aufzeichnet, auch was er den Tag über neues gelernt und erfahren hat; oder er besorgt seinen Briefwechsel an seine entfernten jungen Freunde. So verfliegt ihm jeder Tag unter frohen Geschäften, die seine Seele vor Lastern und seinen Leib vor Krankheiten bewahren.
Macht es auch so, meine jungen Freunde! Schränkt euch nicht bloß auf die Arbeiten ein, die euch aufgetragen werden, sondern wählt euch selbst eins und das andere, wozu ihr eine vorzügliche Neigung und Anlage bei euch verspürt, und wozu ihr am besten Gelegenheit habt. Wählt euch eine Art von Lieblingsbeschäftigung, der ihr eure freien Stunden widmen könnt. Ihr werdet euch dadurch sehr ermuntert fühlen, auch andere ernsthafte Beschäftigungen, wobei ihr viel denken und euren Kopf anstrengen müßt, mit Lust zu übernehmen, und ihr dürft nicht fürchten, daß sie euch so leicht ermüden werden. Abwechselung erhält die Seele immer munter und thätig. An Gelegenheit zu solchen selbstgewählten [380] Beschäftigungen wird es euch doch nicht ganz fehlen. Zeigt ihr nur Lust dazu, so werden eure Eltern und andere gute Menschen euch immer mehr Gelegenheit dazu verschaffen. Ein ander mal will ich euch auch noch eine ausführlichere Anweisung geben, wie ihr selbst es anzufangen habt, um immer nützlich beschäftigt zu seyn, und wie ihr euch manche gesunde Leibesübung machen könnt.
Jetzt muß ich euch nur bitten, euch nie durch die irrige Meinung abhalten zu lassen, als wenn irgend eine körperliche Arbeit erniedrigend und schimpflich sey. Jede Arbeit ist rühmlich, durch die wir uns und andern einen Dienst verschaffen; aber der Müßiggang ist schimpflich, selbst wenn wir auch ohne Arbeit unser Brod haben können.
Eine Hauptquelle aller Laster und insbesondere auch des unnatürlichsten schrecklichsten Lasters der Selbstschwächung und ein Hauptmittel dagegen wißt ihr also nun, meine Lieben. Jene Hauptquelle ist der Müßiggang und die Geschäftlosigkeit, und das Hauptverwahrungsmittel gegen alle Sünden überhaupt und gegen die Sünden der Unkeuschheit insbesondere ist die Arbeitsamkeit. Unzählige Knaben und Jünglinge haben ihr Unglück dem Müßiggange zuzuschreiben, [381] und die, die ihre Gesundheit und ihre Lebensfreuden sich erhielten, gewiß, die verdanken es ihrer frühen Liebe zu nützlichen Beschäftigungen.
Indem ich euch nun vor der Geschäftlosigkeit warne und euch hingegen zur Thätigkeit ermuntere: so werdet ihr von selbst einsehen, daß ich aus demselben Grunde ein Recht habe, euch vor aller Einsamkeit zu warnen und euch zum Umgange mit andern guten Menschen zu ermuntern. Ihr habt dazu alsdann vornemlich Ursache, wann ihr noch nicht mit solchen Beschäftigungen bekannt seyd, die euch eine angenehme Unterhaltung verschaffen können; denn in diesem Falle wäret ihr ja ganz ausser Stand, eure einsamen Stunden nützlich zuzubringen. Würdet ihr aus einer übelgesinnten Blödigkeit nicht gern in der Gesellschaft anderer verständiger Menschen seyn, so würdet ihr auch immer mit vielen guten Beschäftigungen unbekannt bleiben müßen. Ihr würdet manches, was gut und nützlich ist, gar nicht erfahren. Von selbst alles Nützliche zu lernen, dazu seyd ihr in eurem Alter nicht fähig. Ihr habt immer einige Anleitung dazu nöthig und die findet ihr in dem Umgange mit solchen Personen, die euch an Einsichten und Erfahrungen überlegen sind. Eure Eltern und Lehrer sind diejenigen [382] Personen, deren Umgang euch vorzüglich nützlich werden kann. Je lieber euch ihre Gesellschaft ist, je besser ist es für euch, und ihr habt durch sie Gelegenheit, auch mehrere gute Menschen kennen zu lernen. Ihr müßt euch nur nicht selbst von ihnen absondern, oder jeden Fremden, der ins Haus kommt, fliehen, und entweder für euch allein gehen, oder Gesellschaften suchen, die euch gefährlich seyn können.
Vor solchen gefährlichen Gesellschaften seyd ihr sicher, wenn ihr euch an eure Eltern und Lehrer und an diejenigen Personen haltet, die von ihnen geschätzt werden. Es könnte leicht seyn, daß erwachsene Menschen und auch Knaben und Jünglinge von eurem Alter etwas Gutes an sich hätten, das euch gefiele, die aber doch auch manches Böse an sich hätten, das ihr nicht immer bemerken könntet, oder dessen ihr doch endlich, wenn ihr es auch bemerktet und misbilligtet, gewohnt werden würdet. Ihr könntet durch den öftern Umgang mit solchen Personen nach und nach sehr leicht ihre bösen Gewohnheiten annehmen. Ich kann euch, damit ihr euch dieser Gefahr nicht aussezzet, nichts anders rathen, als nur solche Gesellschaften zu wählen, die euch von euren Eltern und Erziehern erlaubt werden. Müßt ihr etwan [383] in der Schule mit fremden Knaben allein seyn, worunter viele sind, die manche Unarten und selbst schaamlose Handlungen ausüben: so haltet euch an eure Arbeit und vermeidet alle Vertraulichkeit, alles Plaudern, alle Neckereien, die sich doch überhaupt für wohlgezogene Knaben nie schicken. Aus Erfahrungen weiß ich es, daß manche Kinder in der Schule oft durch ein böses Beispiel, oft durch wirkliche Ueberredungen zu dem Laster der Selbstschwächung verführt worden sind. Und sehr oft wuste weder der Verführer noch der Verführte, daß sie Sünde übten.
So lernte einsmals ein zwölfjähriger Knabe dieses Laster, indem er neben seinem Mitschüler auf der Bank saß, der so unschaamhaft war, ihm mit der Hand in die Beinkleider zu fahren, und sehr unanständige Ausdrücke damit zu verbinden. Dadurch weckte er in seiner unschuldigen Seele Gedanken und Vorstellungen auf, die ihm nachher oft wiederkamen und ihn endlich veranlaßten, Hand an sich selbst zu legen und sich auf eine erbärmliche Art zu Grunde zu richten. Sein Verführer wollte ihn nachher, da er bessere Einsichten erlangt hatte, wieder davon abrathen, aber seine Seele hatte die Eindrücke zu tief gefaßt. Die geschändeten Theile seines Körpers [384] waren so reizbar, daß er an nichts, als an seine Sünde denken konnte, und jeder Gedanke daran wurde That. Er welkte hin, wie eine Blume, deren Wurzel ein Wurm zernagte.
Die Gefahren der Verführung sind groß, meine jungen Freunde, und ich habe sie euch nicht verschweigen können. O mögtet ihr sie nie anders kennen lernen, als aus dieser meiner Beschreibung! Mögtet ihr überall, wo ihr euch unter Kindern eures Alters befindet, es sey in der Schule oder bei euren jugendlichen Spielen, auf euch und andere Knaben Acht haben, daß nicht ein so schreckliches Uebel sich unter euch ausbreite! Mögtet ihr es für eure Pflicht halten, wo ihr einen solchen Verführer und unglücklichen Knaben erblickt, euch nicht nur selbst zu hüten, sondern alles, alles anzuwenden, daß jener gerettet würde!
Den Verführer, von dem ich euch eben erzählte, quälte ein nagender Vorwurf, so lange er lebte; aber euch würde das froheste und seligste Bewußtseyn Zeitlebens begleiten, wenn ihr jetzt bei euren bessern Einsichten hie und da einen elenden Selbstschwächer von seinem Laster würdet frei gemacht haben. Daß euch nicht einer oder der andere von der Art bekannt werden sollte, [385] daran ist bei der großen Anzahl solcher Unglücklichen fast nicht zu zweifeln. Wahrscheinlich werdet ihr öfter Gelegenheit dazu haben, als Lehrer und Aufseher, weil Jugend gegen Jugend freier ist und sich leicht zeigt, wie sie ist. O einen unaussprechlichen Lohn würdet ihr haben, wenn ihr in euren frühen Jahren schon einem Menschen seine Tugend und Glückseeligkeit, der Welt einen Bürger und manchen lieben Eltern ihren künftigen Trost erhalten würdet! Wie froh müßtet ihr einst an eure Jugendjahre zurückdenken können; denn die reinste Freude, die ein Mensch empfinden kann, ist die, wenn er andre glücklich gemacht hat.
Aber, meine jungen Freunde, so sehr ihr euch vor der Verführung von andern zu hüten habt, so sehr und noch mehr müßt ihr euch hüten, nicht eure eigenen Verführer zu werden. Geschäftlosigkeit und Einsamkeit setzen euch, wie ihr gehört habt, schon in eine sehr gefährliche Lage. Befändet ihr euch doch nun zuweilen in der Lage und würdet ihr euch dann eine unschaamhafte Vorstellung erlauben: so würdet ihr bei euch einen Reiz erwecken, der, so einsam und allein ihr nun wäret, mit immer stärkerer Gewalt sich eurer bemächtigen würde. Hättet ihr nun dabei [386] vollends es euch zur Gewohnheit gemacht, oft ganz ohne Absicht und gleichsam zufällig die schaamhaften Theile eures Körpers zu berühren: o, meine Lieben, ein Haarbreit wäre dann nur zwischen euch und der abscheulichsten Sünde, in die ihr plötzlich und ehe ihr darum wüßtet, gerathen würdet!
Ermahnen und bitten muß ich euch daher, so sehr ich nur ermahnen und bitten kann, daß ihr euch zu aller Zeit und unter allen Umständen der größten Schaamhaftigkeit gegen euch selbst befleißiget. Erlaubet euch nie einen unschaamhaften Gedanken. Erlaubet es euch nie, wenn ihr sitzet oder stehet oder gehet, die Hände in den Beinkleidern zu halten. Bebt vor euch selbst zurück, wenn ihr diese unsittsame Gebehrde an euch bemerkt. Denkt an Wilhelm. Dieser unglückliche Handgriff machte ihn zum Selbstschänder, und ward, so schuldlos er anfangs schien, Ursache zu seinem gränzenlosen Elende. Viele Knaben überlassen sich dieser Gewohnheit, weil sie oft nicht ihre Hände zu lassen wissen, und weil sie es vielleicht an andern gesehen haben. Man kann so unvermerkt etwas annehmen, wobei man sonst keiner Bewegungsgründe sich bewußt ist. Aber auch eben so unvermerkt kann [387] aus manchem etwas Böses entstehen. Jeder Mensch, der Schaamhaftigkeit liebt, muß diese Gebehrde gleich anstößig und unschicklich finden, und sie also allein darum vermeiden; ihr habt aber zu dem noch einen sehr wichtigen Grund dazu. Diese Schaamhaftigkeit gegen euch selbst, die euch jede Berührung eurer Schaamtheile, jede Beschauung eurer Blöße aufs strengste untersagt, ist die Beschützerin eurer Unschuld. O, darum wachet über euch, daß euch diese Beschützerin nie verlasse!
Jede Unschaamhaftigkeit sey euch verhaßt, so verhaßt, wie das Laster selbst, zu dem sie führet. Hört ihr einen freien Scherz, leset ihr einen unanständigen Ausdruck, seht ihr ein unschaamhaftes Gemälde: gleich mit euren Gedanken davon weg! Es gibt leider! selbst erwachsene Menschen, die nicht so verständig sind, von Dingen zu schweigen, die bei andern unerlaubte Reizungen hervorbringen können; die oft von gewissen Dingen sehr unschaamhaft sprechen und darüber scherzen und lachen. Sie verrathen immer, wenn sie es auch sonst nicht böse meinen, eine schlechte Erziehung und Mangel an eigenem Nachdenken. Sie zeigen, daß sie wichtige Dinge, wie Kleinigkeiten, und ernsthafte Sachen, [388] als Possen, behandeln, und dies schickt sich für vernünftige Menschen nicht. Die wichtigen Umstände bei der Erzeugung eines Menschen; die von dem weisen Schöpfer gewählten Mittel und Wege dazu; die Theile unsers Körpers, auf welchen diese ganze weise Einrichtung beruht, enthalten gar nichts Lächerliches. Gott erscheint uns hier so groß, so weise und gut, als in dem Bau der Blume und in dem Gewölbe des ganzen Sternenhimmels. Die traurigen Folgen, die daraus entstehen, wenn Menschen diese seine Einrichtung verderben, die Folgen von dem Misbrauch des Zeugungstriebes enthalten ja wahrlich auch nichts Lächerliches. Sie müßen vielmehr jedes Herz, in dem nur noch ein Funken von Menschenliebe ist, mit der tiefsten Wehmuth erfüllen. Jedes leichtsinnige Betragen ist also hier ganz vernunftwidrig. Ja, höchst unrecht und strafbar ist alles, was durch verführerische Reden, durch leichtsinnige Vorstellungen, durch unschaamhafte Gebehrden in unschuldige Herzen den Keim zu verwüstenden Lastern streuet. Dies fühlt ihr, meine Lieben, daß dies unrecht und strafbar sey. Werdet ihr denn nun auch immer die Unschaamhaftigkeit als etwas Böses an euch [389] selbst meiden, und an andern mit Misfallen und Bedauern bemerken?
Sehen und hören werdet ihr manches, was unschaamhaft ist; aber seht und hört es mit Widerwillen. Wachet sorgfältig über eure Ohren, eure Augen, Hände und alle Glieder. Zu unserer großen Glückseeligkeit gab Gott uns diese Dinge, nicht zu unserm Verderben. Denket nicht, daß ihr etwa gegen eures Gleichen, oder gegen sehr Bekannte, oder gegen euch selbst, wenn ihr allein wäret, euch größerer Freiheiten bedienen könntet. Wem könntet ihr da schaden? O, euch selbst unendlich! Daher, wenn ihr beim Schlafengehen euch entkleidet, oder von andern Menschen unbemerkt in eurem Bette liegt, so erlaubt euch keine Berührung, keinen Blick, den ihr vermeiden könnt. Und damit ihr auf eurem Lager vor jedem langweiligen und müßigen Zustande sicher seyd, so macht es euch zum täglichen Gesetz, euch so viel Bewegung und körperliche Arbeit den Tag über zu verschaffen, daß der Schlaf sich bald einfinde und ihr nicht lange auf ihn warten dürft. Auch dies wird auf eure Gesundheit einen wohlthätigen Einfluß haben. Euer Schlaf wird ruhig und stärkend seyn.
[390] Eben so macht es euch zum unverbrüchlichen Gesetz, sobald ihr erwacht, gleich aufzustehen. Keine Zeit ist gefährlicher zur Erregung unerlaubter Reize, als diejenige, die des Morgens müßig im Bette zugebracht wird. Nichts schwächt auch so sehr die Gesundheit, als die anhaltende Bettwärme und die durch Ausdünstungen verunreinigte Luft, die sich um und bei der Schlafstäte befindet. Habt ihr euer Leben, eure Gesundheit, eure Tugend lieb, so seyd hierin nicht nachgiebig gegen euer sinnliches Gefühl. Mit eurem ersten Erwachen, erwache in euch zuerst der Gedanke an Gott, und dann der zweite an neue Thätigkeit, wozu ihr durch die Ruhe gestärkt seyd, und mit diesen Gedanken verlaßt eilig euer Lager. Sollte es euch auch anfangs einige Ueberwindung kosten, so wird es euch doch gewiß jedesmal freuen, wenn ihr eure Neigung besiegt habt und täglich wird es euch leichter werden. Zuletzt wird es eine wohlthätige Gewohnheit.
Auch in andern Dingen, meine Lieben, wird es zu eurem großen Besten seyn, wenn ihr euch ordentlich übt und eine Ehre darin sucht, alle weichlichen Empfindungen bei euch zu unterdrücken und euch gegen unangenehme körperliche [391] Gefühle abzuhärten. Wenn ihr zum Beispiel euch gewöhnt, in kalten Zimmern und harten Betten zu schlafen, bei kalter und rauher Witterung draußen etwas zu arbeiten, Hunger und Durst zu ertragen, Schmerz zu leiden. Ihr erlangt dadurch eine Herrschaft über euch selbst, durch die ihr endlich in den Stand gesetzt werdet, sehr heftige sinnliche Begierden zurückzuhalten. Würdet ihr im Gegentheil nur das suchen, was euch angenehme körperliche Empfindungen verschaffte, gesetzt auch, es wäre nichts Böses, so würdet ihr dessen so gewohnt werden, daß ihr alle Dinge nur nach eurem sinnlichen Gefühl beurtheiltet. Ihr würdet nicht erst fragen: ist es recht, gut und nützlich; sondern nur: ist es meinen Sinnen angenehm, und da würdet ihr oft in der Folge manches für euch sehr schädlich finden.
Habt ihr euch aber gewöhnt, euch oft etwas angenehmes abzuschlagen und eure Begierden aufzuhalten: so gewinnt ihr bei allem, was euch vorkommt, immer Zeit, erst ruhig darüber nachzudenken, und ihr findet es dann auch nicht so schwer, davon abzustehen, wenn eure Vernunft es euch widerräth.
[392] Auch hier wünschte ich, daß ihr euch das unverbrüchliche Gesetz machtet, keinen Tag hingehen zu lassen, an dem ihr euch nicht bewußt wäret, euch etwas sinnlich angenehmes abgeschlagen und etwas unangenehmes ertragen zu haben. Wäre es auch nur ein kleiner Wunsch, den ihr mit Vorsatz unbefriedigt gelassen hättet, um euch in der Ueberwindung eurer selbst zu üben. Eure Zufriedenheit, meine Lieben, wird dadurch nichts verlieren, sondern viel gewinnen; denn in tausend Fällen unsers Lebens müssen wir Wünsche, oft sehr erlaubte Wünsche, unbefriedigt lassen. Wohl uns, wenn wir dann können und gern wollen, was wir doch müssen! Wir werden manche Unzufriedenheit, manche böse Laune dadurch zurückhalten. Und haben wir die Gewalt über uns, daß wir uns erlaubte Dinge, die unsern Sinnen angenehm wären, abschlagen können, wie viel leichter muß es uns dann nicht seyn, Begierden zurückzuhalten, von denen wir vorauswissen, sie würden uns Gesundheit, Gewissensruhe, Wohlgefallen Gottes und alle Achtung und Liebe der Menschen rauben!
Zu diesen sinnlichen Empfindungen, gegen die ihr täglich recht strenge zu seyn euch üben müßt, gehört auch ganz vorzüglich die Gewohnheit, [393] leckerhafte Speisen und Getränke zu genießen. Der Mensch wird dadurch nicht allein immer sinnlicher und weichlicher, sondern auch würklich ungesund. Süße und gewürzte Speisen geben dem Geblüt viele Schärfe, woraus hitzige Krankheiten entstehen. Fette und sehr nahrhafte Fleischspeisen sind schwer zu verdauen, und was nicht gehörig verdaut wird, geht in Fäulniß über, woraus wiederum böse Fieber entstehen. Zuletzt wird der Körper mit unreinen Säften ganz angefüllt, und nun ist ein ganzes Heer von Krankheiten da. Starke Getränke, als Wein, Kaffee, Chokolade sind der Jugend ganz schädlich, weil sie ebenfalls das Geblüt erhitzen. Alle warmen Getränke hingegen machen schlaff, träge und hindern die Verdauung. Gewöhnt euch also immer an leichte und einfache Speisen. Brod, Gemüse, Grütze, Milch, wenig Fleisch; euer Trank sey Milch oder Wasser oder dünnes Bier. Habt ihr nur Hunger und Durst, und das wird euch Arbeit verschaffen, so sind diese Speisen und Getränke euch so angenehm, daß ihr nichts weiters wünschen werdet, und ihr kommt nicht leicht in Gefahr, im Genuß derselben zu viel zu thun. Durch diese Genügsamkeit und Mäßigkeit werdet ihr [394] euren Körper gesund, eure Seele munter und euer Herz von bösen Leidenschaften frei erhalten. Belohnung genug, meine jungen Freunde, für eine kleine Ueberwindung!
Mir ist nun nichts weiter übrig, als alles bisher Gesagte eurer fleißigen Erinnerung und eigenem ernsthaften Nachdenken zu empfehlen. Merkt euch daher nochmals
Sie ist ein Laster, eine Sünde, weil sie den Endzwecken Gottes zur Vermehrung und Beglückung des menschlichen Geschlechts gerade entgegen ist. Durch dies Laster werden Triebe gemißbraucht, die der nachkommenden Welt Leben und Daseyn geben sollen. Gottes weise Absichten hindern, ist Sünde. Als Sünde und Laster macht auch die Selbstschändung zeitlich und ewig unglücklich. Sie schwächt alle Kräfte des Geistes und Körpers, macht also zu dem Genuß aller Freuden, wozu Verstand, Gefühl und ein gesunder Körper gehört, unfähig. Auch zu dem Vergnügen, andern Gutes zu erweisen und ihnen durch seine Kräfte zu nützen, macht sie ungeschickt. [395] So wie sie Freude und Glückseeligkeit raubt, so setzt sie Mißvergnügen und Elend an die Stelle. Unzählige Gebrechen und Qualen verursacht sie dem Körper. Das Gewissen füllt sie mit Beängstigungen; Schrecken erregt sie bei dem Gedanken an Gott. Eltern, Lehrer, Freunde, werden tief bekümmert, wenn sie an Kindern diese Schande erleben. Frohe und glückliche Ehen werden gehindert, wenn der Jüngling durch Selbstschwächung sich entnervt. Der Vater, der ein lasterhafter Jüngling war, kann keine Kinder zeugen, oder doch höchstens nur gebrechliche elende Kinder, denen es an jeder Kraft zum Guten mangelt und die daher nur lasterhaft und unglücklich werden können. Gott wird diese Sünde einst in jener Welt als ein gerechter Richter strenge bestrafen. Lauter unabsehbares Elend!
Merkt euch
Jeder müßige Zustand. Jede unschaamhafte Vorstellung. Jede, auch die zufälligste Berührung oder Beschauung der Schaamtheile. Jedes verführende Beispiel von andern. Jede Weichlichkeit gegen den Körper. Jedes Uebermaaß in Essen, Trinken und Schlafen. Jede [396] Versäumniß der Sorge für die Gesundheit durch körperliche Arbeit.
Merkt euch
Oftmalige und zur Geläufigkeit gewordene Vorstellungen von Gott, seiner Weisheit und Güte, die uns in der ganzen Natur so sichtbar geoffenbart ist, daß jede Sache, worauf wir mit unseren Sinnen gerathen und bei der wir uns nur etwas verweilen wollen, uns den Gedanken einflößt: Gott ist weise und gütig. Würkt dieser Gedanke nicht innerliche Abneigung gegen alles, was böse, unweise und zweckwidrig ist, und befördert er nicht Wünschen, Wollen und Bemühen, selbst weise und gut zu werden? Nächstdem Anwendung aller Kräfte zu allen möglichen nützlichen Arbeiten, mit der die Lust und Fähigkeit zu steter Beschäftigung immer mehr zunimmt und der Hang zur müßigen Einsamkeit, dieser gefährlichen Klippe der Unschuld, immer mehr abnimmt. Vermeidung böser Gesellschaft, hingegen Umgang mit einsichtsvollen tugendhaften Personen, die Verstand und Herz bilden. Schaamhaftigkeit gegen andere und gegen sich selbst. [397] Abwendung der Augen, Ohren und des ganzen Gemüths von allem, was zu leichtsinnigen Begriffen über den Zeugungstrieb, über die Zeugungstheile und alles, was dahin gehört, Gelegenheit giebt, es sey durch Reden, oder Mienen, oder unsittliche Gebehrden oder Berührungen, oder unbedachtsame Entblößungen. Entwöhnung von aller Weichlichkeit in Kleidung, Kost, Ruhe und Bewegung; hingegen Angewöhnung an alles, was unangenehme Empfindungen verursacht, was mühsam ist, was Anstrengung erfodert.
Merkt euch
Der Gedanke, Gott und allen Menschen werth zu seyn, muß doch das Herz sehr froh machen. Eine blühende Gesundheit und Vermögen, die Kräfte, die in uns liegen, zu unserem und anderer Nutzen und Vergnügen gebrauchen zu können; empfänglich gegen die vielen Schönheiten der Natur zu seyn; Hoffnung zu haben, einst bei reifen Jahren alle Pflichten als Mensch, Ehegatte, Vater und Freund erfüllen zu können. [398] Kann man sich größere Ermunterungsgründe denken?
Erwäget, meine Lieben, dies oft und ernstlich, und gebt dabei zugleich Acht auf eure besondern Neigungen und Fähigkeiten und auf die Umstände, worin ihr euch befindet. Ihr werdet dann einsehen, was ihr vornemlich nach eurer Lage zu thun oder zu meiden habt. Es ist sehr nöthig, daß man sich frühe selbst kennen lerne, damit man wisse, zu welchen Fehlern man vorzüglich geneigt ist; welches Gute einem vorzüglich schwer wird. Man weiß sonst ja nicht, was man an sich bessern soll. Hat man sich aufrichtig selbst geprüft, und nun gefunden, wo ein Fehler, eine schädliche Lieblingsgewohnheit steckt, so weiß man, worauf man vorzüglich zu arbeiten hat, und dann lernt man auch, alle Mittel dabei für sich aufs beste einzurichten. Ich muß bei dieser meiner Belehrung, wo ich für euch alle nicht ausführlich genug seyn kann, darauf rechnen, daß ihr zu eurer Wohlfahrt selbst gern alles beitragen wollt, und bei diesem guten Willen werdet ihr leicht von dem Gesagten die beste Anwendung auf euch machen und euch zudem noch manchen guten Rath selbst ertheilen können.
[399]
Armer Knabe oder Jüngling, der du hier das Selbstgeständniß dir ablegen mußt, du gehörest in die Zahl der Unglücklichen, die sich mit der schrecklichen Selbstschwächung befleckt haben; Mitleid, Unruhe und Bekümmerniß erfüllt mein Herz, wenn ich an dich denke! Und was fühlst du selbst in dir, wenn du aus allem, was du bisher hier gelesen hast, dich überzeugen mußt, du seyst der Lasterhafte, der seinem eigenen Verderben entgegen eilt, der nun vielleicht bald mit Schande und Schmerz überhäuft, andern ein warnendes Beispiel seyn soll? Was fühlst du bei der Vorstellung, daß du eine Sünde verübt hast, die Gott einst richten wird und deren Folgen hier auf der Welt schon so schrecklich sind? Ich hoffe, auch Unruhe, Bekümmerniß und Mitleid gegen dich selbst. O, mögtest du das noch fühlen, so wäre dies ein Beweis, daß du nicht lange, nicht vorsätzlich gesündigt hättest, [400] daß du ferner nicht sündigen wollest, und dann wäre noch Rettung für dich!
Bei der innigsten Reue über ein Vergehen, das du vielleicht nicht kanntest, und bei einer gänzlichen Vermeidung dieses und ähnlicher Laster für dein ganzes künftiges Leben wird Gott dir verzeihen. Und bei diesem ernstlichen Vorsatz, die Sünde nie wieder zu begehen, wirst du auch gern alles anwenden, was zu deiner Besserung nöthig ist, und mit welcher Freudigkeit werde ich dir dann meinen Rath mittheilen! Könnte ich um und bei dir seyn, so würde ich dich nicht von meiner Seite lassen. Täglich wollte ich dich erinnern, warnen, leiten und trösten, damit du im Geschäft deiner Besserung nicht ermüdetest. Täglich würde ich dich in tausend Gegenständen der Natur den weisen gütigen Schöpfer sehen lassen, damit deine Seele von dem großen Gedanken an ihn erfüllt, dein Herz edlen Empfindungen geöfnet und deine Einbildungskraft von unreinen Bildern entwöhnt würde. Täglich würde ich zu nützlicher Arbeit dich ermuntern und sie dir durch meine Theilnehmung versüßen. Nie sollte deine Hand, dein Auge, dein Ohr müßig seyn, damit du nicht in dem müßigen Augenblick von deiner Sünde übereilt würdest. Leidende Menschen solltest [401] du sehen, die unter den Folgen verübter Laster seufzen. Frohe glückliche Menschen solltest du sehen, um den großen Lohn einer reinen unbefleckten Jugend fühlen zu können. An deinem Bette wäre ich dein Schuzengel, damit du nie als ein Verbrecher einschliefest. Frühe würde ich dich deinem verführerischen Lager entreißen, und die reine Luft sollte deine schwachen Nerven stärken. Mit jedem Tage, den du in Unschuld zubrächtest, würde ich mich mit dir freuen. Jetzt, armer Jüngling! bin ich von dir entfernt, und kann dir nicht so thätig nützen als ich es wünsche. Ich kann dir nur rathen. Merke dir doch also folgendes:
1) Hast du einen Vater, einen Lehrer oder Freund, gegen den du Zutrauen hast, und von dem du überzeugt bist, ein reuvolles Geständniß deines Vergehens werde sein Mitleiden erregen und du könnest von ihm Rath und Beistand erwarten: so entdecke dich ihm. Du wirst dich in deinen Entschließungen dadurch gestärkt fühlen. Du wirst in seiner täglichen Theilnehmung eine große Ermunterung finden, dein Aeusserstes zu thun. Sehr viel wird er auch möglich machen können, was zu deiner Besserung nöthig ist. Besonders, wenn diese unglückliche Gewohnheit schon eine Herrschaft über dich erlangt hat[WS 2], hast du Ursache gegen dich selbst mistrauisch zu seyn, und es auf [402] deine eigenen Kräfte, die immer in einem gewissen Grade geschwächt sind, nicht ankommen zu lassen. Auch wird er dir rathen oder durch erfahrne Aerzte rathen lassen, was du zu thun und zu gebrauchen habest, um die schrecklichen Folgen des verübten Lasters, wo nicht ganz zu hemmen, doch zu mildern. O wie glücklich wollte ich dich schätzen, wenn du einen solchen täglichen Führer und Rathgeber fändest! Mit aller Offenherzigkeit müßtest du dich aber ihm ganz entdecken und ihm nichts verschweigen! Du müßtest ihm sagen, wann und wie du zu dieser Gewohnheit gekommen und wie lange du ihr ergeben gewesen wärest. Mit seiner vereinigten Hülfe würdest du sie gewiß überwinden. Solltest du einen solchen Freund nicht finden, so verdopple dein eigenes Bestreben. Sey selbst dir Freund und Rathgeber und untersuche
2) Welche Handgriffe und Gebehrden dir bei Begehung dieses Lasters vorzüglich geläufig geworden sind, und wende nur so viele Aufmerksamkeit auf dich selbst, daß du diese Handgriffe, Gebehrden, Lage und Stellung nicht wider Wissen annehmest. Präge dir dies nur recht fest ein: diese und jene Gebehrde will ich durchaus nicht annehmen. Uebertritst du ohne Wissen [403] dein Gesetz, so lege dir selbst allerlei Strafen auf. Verursache dir freiwillig einen Schmerz, damit du nur von der Fertigkeit los kommest, wider dein Bewußtseyn eine gefährliche Stellung anzunehmen. Gewiß war es nicht immer dein Vorsatz: “nun will ich meine schändliche Gewohnheit ausüben,„ sondern durch angewöhnte Gebehrden kamst du unvermerkt darauf. Bringst du es erst so weit, daß du keine Gebehrde annimmst, ohne es dir bewust zu seyn, daß du sie annimmst: so darfst du nicht fürchten, daß deine Sünde dich übereile. Aber oft würde, wenn du darauf nicht Acht hättest, auch die ernsthafteste Vorstellung bei dir zu spät kommen und ohne Würkung seyn. Wenn die Leidenschaft schon erregt und bis auf einen gewissen Grad gestiegen ist, so sind alle Vernunftgründe zu schwach. Gehe daher auf die erste Veranlassung, die meistens sehr zufällig ist, immer zurück, und da fange mit allem Ernst an, sonst wirst du immer nicht fehlen wollen und doch tausendmal fehlen.
3) Höre und ahme nach, was ein Jüngling, der mit dir in ein und eben dasselbe Unglück gerathen war, von der Art und Weise meldet, wie er sich aus demselben empor gearbeitet habe.
[404] „Nach tausend ernsten, aber immer mißlungenen Versuchen zur Entwöhnung von jenem scheußlichen Laster, fand ich endlich fast ganz zufällig, ein Mittel, das allein Kraft hatte, mich zu retten. Nie hatte ich bis dahin – ohnstreitig aus allzugroßer Unbekanntschaft[WS 3] mit der Seelenlehre – daran gedacht, daß ich mich ewig nicht von dem unseeligen Laster entwöhnen würde, bevor ich nicht meine ausschweifende Phantasie überhaupt und besonders so fern Wollust ihr Gegenstand ist, gebändiget und dieselbe zu beherrschen angefangen haben würde. Jetzt strebte ich mit aller Kraft dahin, mir diese Herrschaft zu erwerben. Wahrlich, Jüngling! ein großes Unternehmen! Nicht das Werk eines Augenblicks! Aber lohnendes Selbstgefühl, Beifall des Himmels und der Erde, und ein überreicher[WS 4] Schatz kostbarer Heilmittel menschlicher Schwachheiten erwarten eurer, wenn keine Schwierigkeit euch abschrecken, kein anfängliches Mislingen euch muthlos machen und kein Anblick der nach halben Jahren oft noch großen Ferne des Ziels euch im Laufe aufhalten können!“
„Die Verfahrungsart, durch welche es mir endlich gelang, meine Phantasie – die mächtigste Widersacherin bei der Entwöhnung von jenem Laster – [405] zu bestreiten, beruhet auf folgenden ganz einfachen Grundsätzen, denen ich aber mit ängstlicher Sorgfalt treu war und, wie ich bald sahe, treu seyn mußte, wenn ich nicht ganz für die lange Weile arbeiten wollte. Es sind folgende:
A. „Gieb der Leidenschaft, oder, welches in gewisser Hinsicht einerlei ist, der Phantasie keine neue Nahrung, keine Gelegenheit angeregt zu werden. Dazu gehören folgende Unterregeln:
a) „Vermeide, bis du Herr deiner Triebe geworden bist, jede Vertraulichkeit mit Frauenzimmern, besonders jede körperliche Berührung derselben, die auf einen schon zur Wollust verwöhnten Jüngling mit electrischer Kraft zu wirken pflegt.“
b) „Laß dir immer gegenwärtig seyn, daß es Schändung deiner Hände, wenigstens unfehlbare Veranlassung zur Wiederholung der Schandthat sey, mit ihnen ein Glied deines Leibes zu berühren, welches Schaamhaftigkeit und Gesittetheit zu verbergen gebieten; kaum den einzigen Fall ausgenommen, wenn die Natur durchs Drengen des Wassers dich dazu auffordert.“
[406] c) „Vermeide alles, was die Nerven reizen und schlummernde Begierden wecken kann, also besonders den Genuß geistreicher Getränke, den Anblick nackter Figuren und deines eigenen nackten Körpers, die Lesung nicht blos unzüchtiger, sondern auch solcher Bücher, welche von Liebeleien handeln und die Einbildungskraft mit wollüstigen Bildern, das Herz mit weichlichen Empfindungen erfüllen.“
B. „Hemme die Phantasie augenblicklich, sobald sie, auch ungereizt, sich deiner bemeistern will. Dazu gehören folgende Unterregeln:
a) „Denke auch den an sich unschuldigen Gedanken nicht aus, sobald du nur von fern witterst, daß sein Urenkel ein wollüstiger seyn werde, der schon einmal zu deinem Falle das Seinige mit beitrug.
b) „Noch viel weniger erlaube dir einen Gedanken, der an sich selbst schon Sandbank, oder Klippe, oder Strudel für dich ist. Zu diesen verderblichen und auf alle Weise zu vermeidenden Spielen der Phantasie gehört überhaupt jede Erinnerung an körperliche Schönheiten bei Personen des andern Geschlechts, besonders aber an irgend ein je [407] empfundenes wollüstiges Behagen in dem schlimmern Sinne des Worts.“
„Um aber Gedanken, die gefährlich für mich zu werden droheten, sogleich in ihrer Geburt zu ersticken, wandte ich folgende Mittel an:
a) ich veränderte alsobald den Ort, und suchte, wenn ich einsam war, Gesellschaft; oder
b) ich wählte eine ernste Beschäftigung, die alle meine Denkkräfte schnell in Thätigkeit setzte. War ich dazu eben nicht aufgelegt, so setzte ich
c) Hände und Füße so in Bewegung, sprang und tobte, in der Nacht so gut wie bei Tage, so rasend umher, daß der Phantasie darüber alle Lust vergehen mußte, ihr Spiel fortzusetzen. Versuche dieser letztern Art, mich meiner Absicht gemäß zu zerstreuen, sind mir auch nicht ein einziges mal mislungen..,
Um jede Gelegenheit, deine schon verwöhnte Phantasie von neuem anzuregen, auf das sorgfältigste zu vermeiden, untersuche
4) Den Ort und die Zeit, da du vorzüglich in diese Sünde zu verfallen pflegtest. Sind die Nerven des Körpers und die Einbildungskraft noch nicht ganz zerrüttet, so schränkt sich dies Laster meistens auf einen bestimmten Ort und eine gewisse Zeit ein. Meide diesen Ort, wenn [408] du kannst, wenigstens betritt ihn nie, ohne den festen Vorsatz zu haben, du wollest einzig und allein das abwarten, weswegen du da bist. Bist du etwa gewohnt, in der Schule an einem unbemerkbaren Ort zu sitzen: so wähle dir einen andern Platz, wo du leicht bemerkt werden kannst. Wirst du sitzend leicht zur Sünde versucht, so stehe mehr und umgekehrt. Halte immer ein wachsames Auge auf dich selbst. Bist du es dir bewust, auf deinem einsamen Lager dich geschändet zu haben: so steige nie ins Bett, ohne es dem allsehenden Gott und dir selbst feierlich angelobt zu haben, du wollest mit einem unbefleckten Körper und Gewissen einschlafen und aufstehen. Dann kannst du auch erwarten, daß Gott dein Beschützer seyn werde; denn der Gedanke an ihn verscheucht alles Böse. Wie froh wirst du erwachen, wenn du dein Versprechen gehalten hast; wie froh wirst du dein Gelübde erneuern, wiederum einen ganzen Tag ohne Vergehungen zuzubringen! Versäume dies nie. Alle gute und rechtschaffene Menschen fanden es nöthig und nützlich, mit jedem angefangenen und geendigten Tage ihren guten Vorsatz zu erneuren. Im Bette halte dich schaamhaft gegen dich selbst und gieb Acht auf deine Gebehrden. Du kennest [409] dich selbst am besten. Mache es dir vorerst unmöglich durch allerlei Hindernisse, die du dir erwählst, diese oder jene gefährliche Lage anzunehmen. Gewöhne dich besonders die Hände nie unter, sondern über der Decke zu haben. Man kann die Arme hieran eben so gut, als das Gesicht, gewöhnen. Geh auch nie zu Bett, ehe du müde und schläfrig bist; und das wirst du zu einer bestimmten Zeit leicht werden, wenn du dich angewöhnest, frühe aufzustehen. Ehe du in diese Gewohnheit kommen kannst, mußt du dich durch andere wecken lassen. Auch wird es dir zum geschwinderen Einschlafen überaus dienlich und auch sonst für dich sehr wohlthätig seyn, wenn du dir vornimmst
5) Eine bestimmte körperliche Arbeit täglich zu verrichten. Sieh, wozu du Gelegenheit hast; etwan im Garten oder Felde anfangs eine viertel, nachher eine halbe, dann eine ganze Stunde, endlich auch mehrere Stunden dich täglich müde zu arbeiten. Auf dem Lande ist tausendfache Gelegenheit dazu; in der Stadt weniger. Doch wirst du auch da im Hause manches finden, und andere werden dir dazu behülflich seyn. Bitte deine Eltern, daß sie dir einiges Geräthe und Anweisung zum Drechseln oder Tischlern verschaffen. [410] Ich habe einen Knaben von 9 Jahren gesehen, der ganz brauchbare Sachen drechselte. Das Ganze ist nicht schwer und zudem sehr angenehm. Gehe viel; übe dich nach und nach im schnell Laufen, Berge zu besteigen. Schaue allenthalben um dich, und vermeide möglichst alles lange stille Sitzen. Eben so wähle dir
6) eine unterhaltende Geistesbeschäftigung. Strebe mit der Musik bekannt zu werden. Nur sehr wenige Menschen sind von Natur ungeschickt dazu. Sie gewährt auch selbst dann, wann man noch Anfänger ist, der Seele immer ein reines Vergnügen und dient nachher so oft, sich und andere froh zu machen, und manchen Gefahren, in die Langeweile und Mismüthigkeit stürzen können, auszuweichen. Ein berühmter Mann beklagte es öffentlich, daß er, bei seinen übrigens großen Beschäftigungen, mit der Tonkunst unbekannt wäre. Sollte dir hiezu alle Gelegenheit versagt seyn, so zeichne für dich selbst allerlei. Bilde mit der Bleifeder oder mit Rothstein Gegenstände aus der Natur nach. Sie werden dir immer besser gerathen. Oder nimm Kupferstiche, die du für ein weniges haben kannst, und versuche, wie gut du sie nachmachen kannst; oder Landcharten. In dem angeführten Beispiele von L* wirst du auch vielleicht [411] etwas finden, was du nachahmen kannst. Der Nutzen davon für dich ist der, daß deine Seele eine Menge angenehmer Vorstellungen bekömmt, und also weniger nach dem Genuß sinnlicher Empfindungen strebt; auch die bösen Eindrücke, die sie schon hat, nach und nach verliert. So weit du es in der Kunst bringst, dich zu beschäftigen, so weit bringst du es in deiner Besserung. Merke dir dies ja, und fliehe, so viel du kannst, auch in der Absicht
7) Alle Einsamkeit. Sey überhaupt jetzt anfangs niemals allein; auch wenn du den Vorsatz hast, dich allein zu beschäftigen. Traue dir selbst wenig zu, so lange du deine Kräfte nicht würklich fühlst. Bedenke das doppelt schwere Vergehn, wenn du jetzt wieder nur einmal in deine Sünde verfielest. Gesetzt aber auch, du sündigtest nicht in der Einsamkeit, so ist es doch zur Heilung deines Verstandes, zur Berichtigung deiner Einbildungskraft nothwendig, daß du so wenig allein seyst, als möglich. Schmiege dich, wo du kannst, an gute Menschen an. Alles was mit Menschen und menschlicher Glückseeligkeit in Verbindung steht, wird dir dadurch immer wichtiger, und das ist ein Glück für dich. Du lernst manches in der Welt besser schätzen und mancher Trieb zur Thätigkeit wird unvermerkt in dir erwachen.
[412] 8) Vermeide im Essen und Trinken alles, was die Nerven reizen und das Blut erhitzen kann. Also keine erkünstelte gewürzreiche Speisen, keine warme und geistreiche Getränke! Deine Kost sey einfach, und nichts, als Mäßigkeit und Arbeitsamkeit sey das Gewürz derselben. Mancher schon geretteter Jüngling fiel in seine vorige Schande und ins Verderben zurück, weil er durch ein Glas Wein, Punsch oder Liqueur Begierden in sich erweckte, die er schon gänzlich in sich besiegt und erstickt zu haben wähnte! Spiegle du dich an dem unglücklichen Beispiele derselben, und vermeide alles, was deiner guten Vorsätze dich vergessen machen und dich in Gefahr bringen[WS 5] kann, sie hintan zu setzen.
9) Gewöhne dich, um dich gegen jeden Rückfall zu sichern, an mancherlei Abhärtungen deines Körpers, damit die zu große Empfindlichkeit desselben immer mehr abnehme. Versuche es daher oft, wie lange du diese oder jene unangenehme Empfindung aushalten kannst. Entwöhne dich, nicht auf einmal, aber nach und nach, von warmen Kleidern, warmen Stuben, warmen Betten, warmen Getränken, so wie von allem, was sinnlichen Gefühlen schmeichelt. Halte dich oft in freier Luft, auch wenn sie kalt und unangenehm ist. [413] Lerne den Hunger ertragen. Nimm oft mit einem Bissen trockenen Brods vorlieb. Die Uebung in allerlei Ungemächlichkeiten ist ein herrliches Heilmittel für dich. In deiner täglichen Kost und körperlichen Pflege befleißige dich der strengsten Mäßigkeit und sorge auf die Art für deine Gesundheit. Wie sehr ist dies deine Pflicht, da du als sicher annehmen kannst, daß sie auch durch die seltenste Wiederholung deines Lasters schon in einem gewissen Grade geschwächt ist, und daß du also der Zerstörer deiner Gesundheit selbst gewesen bist. Durch einfache leichte Speisen, dünne und kühle Getränke und tägliche körperliche Arbeit wirst du ihr wieder Stärke und Festigkeit geben. Solltest du indessen schon so sehr deine Gesundheit geschwächt haben, daß du selbst an dir eine Abnahme deiner Kräfte verspürst, so bleibt freilich die Unterlassung deiner Sünde das erste nothwendige Mittel, das du selbst anwenden kannst und mußt, um von den schrecklichen Folgen des verübten Lasters wenigstens zum Theil befreiet zu werden; auch bleibt die vorgeschriebene Ordnung in Bewegung und Speise und Trank überaus wichtig. Dennoch aber will und muß ich dir zu deinem eigenen Besten rathen:
[414] 10) Daß du dich einem erfahrnen Arzte entweder selbst entdeckest oder durch einen Freund entdecken lassest. Säume damit nicht, denn wie leicht kann das Uebel so gefährlich werden, daß kein Arzt dir mehr helfen kann. Laß dich durch Schaamhaftigkeit nicht abhalten. Hier würde sie dir nur schaden, denn du brauchst Hülfe. Gesteh alles offenherzig und reuevoll, so findest du Mitleiden, Hülfe und Verschwiegenheit. Würdest du aber dich niemand entdecken, so würde doch endlich dein Vergehen zu deiner Schande bekannt werden, denn auch ohne dein Geständniß würde es dir der Arzt sagen können, daß du dich mit dem schändlichsten Laster befleckt habest. Was dir zur Abwendung oder Erleichterung deines Elends verordnet wird, gebrauche mit der grösten Pünktlichkeit. Ohne deine ernstliche Mithülfe wird alle Arzenei vergebens seyn. Sey aber auch nicht muthlos, wenn die Arzenei nicht gleich anschlägt. Eine solche Zerrüttung der Gesundheit, eine solche Schwächung des Körper- und Seelenzustandes, als jenes schreckliche Laster zur Folge hat, kann nicht so geschwind gehoben werden. Thue nur das Deinige und erwarte in Geduld so viel Hülfe, als nach Beschaffenheit deines Zustandes möglich ist.
[415] 11) Solltest du aber dich in einer Lage befinden, wo es dir schlechterdings unmöglich wäre, dich der Hülfe eines Arztes zu bedienen: dann – aber auch nur für diesen Nothfall – rathe ich dir, eine Zeitlang feine Chinarinde, alle zwei Stunden einen guten Theelöffel voll zu nehmen, täglich und zwar zu einer Zeit, da der Magen leer ist, dich in freien Wasser und zwar so zu baden, daß du nicht länger als einige Minuten im Wasser bleibest, dir viel Körperbewegung in freier Luft machen, dein Gemüth, so viel dir immer möglich ist, durch Vertrauen auf Gott und durch Hoffnung aufzuheitern, und daneben zur Stärkung der am meisten geschwächten und verletzten Schaamtheile folgendes von einem Arzte empfohlene Mittel zu brauchen: wasche die geheimen Theile Morgens und Abends, durch Hülfe eines Schwamms, entweder nur mit kaltem Wasser, oder mit einem, die Stärkung noch mehr befördernden künstlichen Wasser, welches auf folgende Weise verfertiget wird. Man kauft auf der Apotheke 1 Loth Bleiextract und 2 Loth guten Kampferspiritus, gießt beides in eine Quartbouteille voll reinen Regenwassers, und schüttelt dasselbe wohl um. Dann gießt man von diesem kampforirten Bleiwasser, welches man in [416] einem Keller mehrere Monate lang aufbewahren kann, einen Eßlöffel voll in eine Bouteille voll ordinairen kalten Wassers, schüttelt es wohl um, und braucht es nachher, wie gesagt, zum zweimaligen täglichen Waschen der Schaamtheile, von dem Mastdarm an, durch Hülfe eines Schwamms. – Dieses Mittel soll zugleich, nach der Versicherung des Arztes, die gute Wirkung haben, daß die gar zu große Reizbarkeit jener Theile dadurch vermindert wird. Befleißige dich dabei
12) Der größten Reinlichkeit. Kleidung und Wäsche sey immer sauber. Unendlich viel trägt dies zur Gesundheit und Stärke des Körpers bei. Die tägliche Sorge dafür wird auch selbst deiner Seele eine immer größere Liebe zur Ordnung und Reinigkeit in jeglichem Sinne einflößen. Alle Unfläterei wird ihr durch den täglichen Anblick reinlicher Gegenstände immer verhaßter. Hingegen mit der Vernachläßigung der körperlichen Reinigkeit wird auch die Unschuld der Seele leicht vernachläßigt. Sey nie ungewaschen und ungekämmt. In deinem ganzen Anzuge herrsche Reinlichkeit und Ordnung. Auch hierzu, wie zur Stärkung deines geschwächten Körpers, [417] kann man dir das tägliche Bad nicht genug empfehlen.
13) Endlich will ich dir, um dich zu steter Aufmerksamkeit auf dich selbst zu gewöhnen, den Rath geben, daß du dir ein Tagebuch haltest. Schreibe darin alle Abend deine vollbrachten Taggeschäfte. Zeichne auch darin an, was du gutes gelernt und nützliches erfahren hast. Auch deine Fehler merke an; wo du etwa von deiner vorgesetzten Ordnung abwichest, oder sonst leichtsinnig handeltest. Nicht nur der Gedanke, daß du dir selbst am Abend Rechenschaft geben mußt, wird dir den Tag über Muth und Lust zur nützlichen Thätigkeit einflößen, damit du eine frohe Stunde bei deinem Tagebuche zubringen könnest; sondern du wirst auch nachher übersehen können, wie weit du in deiner Besserung fortgerückt bist. Manches wird denn zu deiner Belehrung, manches zu deiner großen Beruhigung und Freude seyn.
Hier hast du nun meine wohlgemeinten Erinnerungen, und ich wünsche und hoffe, daß sie auch deine täglichen Erinnerungen seyn werden. Wohl dir, wenn du sie treu befolgest! Aber denke dir auch jenes schreckliche Elend, von dem ich dir nur einen Theil geschildert habe, worin du unvermeidlich gerathen mußt, wenn du deine [418] sündliche Gewohnheit fortsetzest. Gott, der alle unsere guten Entschließungen mit Wohlgefallen sieht, und mit seinem Beistande gern uns zu Hülfe kommt, wenn wir nur selbst von unsern eigenen Kräften einen redlichen Gebrauch machen wollen, der seegne dein Bemühen, einst noch, so viel möglich ist, ein gesunder, nützlicher und froher Mann zu werden.
Hiernächst, meine jungen Freunde, ist das, was euch in eurem jetzigen frühen Alter vor dem Laster der Selbstschwächung schützt, auch das, was euch zu allen Zeiten vor jedem Laster der Unkeuschheit schützen wird. In euren künftigen Jahren werdet ihr noch manche Gelegenheit, ja selbst absichtliche Verführungen von andern zur Unkeuschheit zu vermeiden haben; aber wie leicht wird euch dies werden, wenn ihr jetzt schon im Stande seyd, euch zu beherrschen, wenn ihr mit den Gefahren dieses Lasters, mit den Abhaltungsgründen davon bekannt seyd, euch auch schon so gute Fertigkeiten in vielen nützlichen Dingen erworben habt. Verheelen kann ich es euch nicht, daß ihr einst, in der großen Welt, wie man sagt, viele finden werdet, die mit der unverschämtesten Frechheit Laster der Unzucht ausüben, [419] Personen des andern Geschlechts verführen, und darüber lachen und scherzen und sich so wenig daraus machen, als wenn sie mit ihren Füßen den Staub betreten. Ihr werdet es oft hören, daß sie diese unverschämte lasterhafte Lebensart Galanterie oder Liebeshändel nennen. Liebe, meine jungen Freunde, die sich in den erwachsenen Jahren gegen das andere Geschlecht äußert, ist eine erlaubte Zuneigung, die sich auf den Wunsch einschränkt, mit einer Person, die uns wegen mancher guten Eigenschaften vorzüglich gefällt, in eine eheliche Verbindung zu treten; also eine solche Person und uns zugleich in ihrem Besitz glücklich zu machen. Liebe hat immer den Zweck, andere glücklich zu machen. Jene unmäßige Leidenschaft hat nichts anders zum Zweck, als erhitzte Begierden zu befriedigen, oft mit dem sichtbarsten Unglück für sich selbst und andere. Sie, die so viele Jünglinge ins Grab wirft, so manches Mädchen mit Schande bedeckt, verdient nicht den Namen derjenigen Empfindung, die für zwei unschuldige Personen, eine Quelle der Freude und Glückseeligkeit wird, indem sie sie auf diejenige Vereinigung leitet, die allein die Absicht Gottes erfüllt. Wohl dem Jünglinge, [420] der seine Unschuld bewahrt! Nur er darf hoffen, daß dereinst reine Liebe ihn glücklich machen werde.
Ihr werdet aber nächstdem auch Menschen in der Welt finden, die sich eben nicht ihrer begangenen Laster rühmen, aber doch heimlich und unbemerkt Unzucht ausüben, wozu sie oft Personen des andern Geschlechts sehr bereitwillig finden. Verheelen kann ich euch das nicht, daß es in der Welt so tiefgesunkene elende Weibspersonen giebt, die durch Winke, Zuredungen und verführende Liebkosungen Jünglinge verleiten, sich mit ihnen in unzüchtige Vertraulichkeit einzulassen. Nicht bloßer Wollusttrieb treibt sie zu diesen Verführungen an, sondern sie haben auch die Absicht, von jedem Jüngling, der sich mit ihnen abgiebt, Geld und andere Sachen zu gewinnen oder zu entwenden, wodurch sie sich Unterhalt verschaffen können. Und weil sie dazu von unerfahrnen jungen Menschen oft Gelegenheit haben, so setzen sie diese schändliche Lebensart fort und ihre Lasterhaftigkeit giebt ihnen eine Art von täglichem Verdienst. In großen Städten, meine Lieben, giebt es leider viele solche Personen, die manchen unschuldigen Jüngling des Abends zu sich hereinlocken. Und wehe dem, der in ihre Wohnungen, die man Hurenhäuser oder öffentliche Unzuchtshäuser [421] nennt, einkehrt. Er wird seines Geldes, seiner Gesundheit, ja endlich seines Lebens durch ein verzehrendes Gift beraubt, daß diese Personen als eine natürliche Folge ihrer Ausschweifungen in ihrem Körper tragen, und das sich auf jeden fortpflanzt, der unzüchtigen Umgang mit ihnen hat. Aerzte nennen dieses Gift das venerische Uebel, das alle Theile des Körpers anfrißt, und die Säfte desselben durch und durch verdirbt, auch äußerlich durch ekelhafte Geschwüre, sogar im Gesichte selbst, sich verräth.
Wollt ihr den Greuel der Verwüstung sehen, den dieses schreckliche Gift, das Kind der Unzucht, in dem geschändeten Körper der Unzüchtigen anrichtet: so besucht, wenn ihr Gelegenheit dazu habt, diejenigen Krankenhäuser in großen Städten, in welchen dergleichen elende Menschen die Folgen ihres schändlichen Lebens unter dem Messer der Wundärzte bejammern müssen. Aber da nicht jeder von euch dies selbst zu sehen Gelegenheit haben wird: so will ich euch die kurze, eben so wahre als schauderhafte Beschreibung mittheilen, die ein würdiger Geistlicher, Herr Ulrich, Prediger an der Charite’ in Berlin, vor einigen Jahren davon bekannt gemacht hat.
„Ich kann es Ihnen, schreibt dieser würdige [422] Mann an einen Freund,[2] nicht läugnen, daß ich bei meinen ersten Besuchen der Krankenzimmer heftig gerührt wurde, und mir viele Tränen aus den Augen rannen. Dies wird wol einem jeden begegnen, der menschliches Gefühl hat, wenn er in ein solches Zimmer tritt, wo er eine zwiefache Reihe unglücklicher, blasser, mit den schmerzhaftesten Krankheiten kämpfender und mit dem Tode ringender Menschen erblickt; wenn hier dem einen der innerliche Schmerz die Brust hoch in die Höhe treibt, dort ein anderer die fürchterlichsten Zuckungen bekömmt; wenn hier ein entseelter Leichnam in die Todtenkammer oder nach dem Anatomiehause getragen wird, und dort ein bis auf sein Knochengerippe abgezehrter Kranke, zum Erbarmen der Anwesenden, stöhnt und seinen Tod mit jedem Seufzer, den der Schmerz ihm auspreßt, herbeiruft.“
„In zehn Zimmern sind die sogenannten venerischen Kranken vertheilt, die durch vertraulichen Umgang mit hurischen Personen, durch Unkeuschheit und Wollust ihren Körper dergestalt verderbten, daß ihnen ganze Theile des Leibes abfaulen oder abgeschnitten werden müssen. Als ich meine [423] Predigerstelle in der Charite’ antrat, büßten einige sechzig Wollüstlinge die Schuld ihrer bösen Lust, fast eben so viel Jünglinge und Männer, als Mädchen und Weiber.“
„Ich ging zuerst zu dem Frauenzimmer. Scheußlich und grauenvoll war hier der Anblick. Junge Mädchen, auf deren Gesichte nur noch unkenntliche Spuren ehemaliger Munterkeit durchschimmerten, aufgeschwollene Gesichter von unnatürlicher Röthe, aus welchen die erstorbenen Augen einen matten Schein von sich warfen, bleiche Lippen, welke herabhängende Brüste mit Warzen und Ausschlag bewachsen, Eiter im Munde und ein – den ganzen Körper des gesunden Besuchers mit kaltem Schauder und Entsetzen erfüllender Geruch, eine unverständliche häßliche Sprache und ein Schnarren, das die Nerven durchdringt – das alles strömte mir auf einmal entgegen.“
„Ich ging in ein ander Zimmer, und hier boten sich mir noch schreckenvollere Auftritte dar. Ich fand nicht bloß ehelose Mädchen und Witwen, sondern auch Ehefrauen, die ihren Männern ungetreu geworden waren. Eben waren einige am Halse und an andern Theilen des Leibes geschnitten. Neben ihren Betten lagen die Messer, die man zu ihrer Rettung gebraucht hatte.“
[424] „Mancher Anblick war dergestalt schreckhaft, daß sich alles in mir empörte, und daß ich beinahe ohnmächtig davon ward. So lag z. B. in der Ecke des Zimmers eine Frau, der die venerische Krankheit das ganze Gesicht zerfressen hatte. Keine Augen, keine Nase mehr – von der Stirn bis ans Kinn Eine Oefnung, gleich einem Abgrunde, dessen Tiefe man nicht ergründen kann.[3] Die Wärterin riß ihr die Decke vom Gesicht, die sie sich aus Schaam über dasselbe gezogen hatte. Sie schrie und die Stube erschallte von dem dumpfen Tone wieder. Ich bat nur, sie in die Decke wieder einzuhüllen. Eine gräßliche Vorstellung, die ich lange mit mir herum trug! Dieses zerfleischte Opfer der schnöden Wollust hält sich schon eilf Jahr in diesem fürchterlichen Kerker auf, isset und trinkt und ihr unglückliches Leben dauert fort. Sie war ehemals die Frau eines ehrbaren Bürgers in Spandau, dem sie ihr Herz entzog und hierauf, sowol zu ihrem eigenen [425] unheilbaren Schaden, als auch zum Unglücke mancher unkeuschen Jünglinge und Männer, ihren Körper Preis gab.“
„Neben ihr lag eine vom venerischen Gifte inficierte Wöchnerin, die vor einigen Tagen entbunden war. Das Kind hauchte Tod und Verwesung, und doch lächelte es, wenn seine grausame Mutter es anblickte. Diese Scene war äußerst rührend. Die Mutter kämpfte mit den gewaltsamsten Schmerzen (man hatte bei der schweren Geburt Instrumente brauchen müssen) und schwamm in Tränen, so oft sie ihr Kind ansah. Verzweifelungsvoll rang sie die Hände empor. In ihren Augen war die sichtbarste Mischung von Wildheit, von nagendem Kummer und von Wuth. Gott, Gott, was hab ich gethan! rief sie einmal über das andere aus. Armes Kind – an deinem Tode bin ich Schuld!“
„In die sogenannte Schwitzstube zu gehn, worin durch Mercur und Salviren das venerische Gift aus den Körpern, bei asigtem Auswurf und Ausdunst getrieben wird, hielt ich nicht für rathsam.“
„Gleich niederschlagend für Gefühl und Empfindung sind die Behältnisse der unkeuschen unglücklichen Jünglinge und Männer. Beulen und Geschwüre folgen der Unkeuschheit als Begleiter [426] nach, auf sie kann der Unzüchtige, als auf ganz unausbleibliche Gefährten sicher rechnen.“
„Ich fand hier zwölf Jünglinge in der Blüthe ihres Alters, zwischen 17 und 20 Jahren. Einige hatten das venerische Uebel im höchsten unheilbaren, andere im geringern Grade.“
„Um einen dieser Jünglinge that es mir besonders leid. Er war nicht nur wohlgebildet, sondern seine Miene verkündigte auch noch einen grossen Theil von Herzensgüte. Ich hörte von ihm, daß eine unkeusche schändliche Magd der Herrschaft, die mit seinen Eltern in einem Hause wohnte, ihn an sich gezogen und mit ihrem Gifte angesteckt habe. Er bereuete mit vielen Tränen, daß er den abscheulichen Reizungen dieser Dirne nicht besser widerstanden hätte; und sein Versprechen, sich vor solchen unkeuschen Dirnen und Weibern künftig hüten und die Laster meiden zu wollen, denen eine so schreckliche Strafe auf dem Fuße nachfolgt, schien ganz von Herzen zu kommen.“
„Er hatte am Halse einige Beulen, die ihm aufgeschnitten und beinahe schon zugeheilt waren; aber die bleibenden Narben werden ihm Lebenslang Vorwürfe machen und niederschlagend für ihn seyn. Das Gefühl für Ordnung und Ehre schien noch stark in seinem Herzen zu wirken. Er [427] schämte sich besonders sehr, seinen Eltern wieder unter die Augen zu kommen.“
„Ein anderer unkeuscher Jüngling kam mir mit verstümmelter Nase entgegen. Das fressende Gift der Unzucht konnte durch kein Gegengift ganz geschwächt werden. Ein großer Theil der Nase war zerfleischt, und im Gesichte kettete sich Ein kleines Geschwür an das andere.“
„Einem andern Jünglinge, noch nicht zwanzig Jahr alt, der sich mit einer schändlichen Straßenhure abgegeben hatte, war vor einigen Tagen das Glied abgenommen, womit er gesündigt und das Gift aufgenommen hatte. Man zweifelte, ob er jemals wieder genesen würde.“
„Ein Bedienter hatte sich in den verabscheuungswürdigen Häusern hurischer Personen einen venerischen Ausschlag im Halse zugezogen und dadurch sich fast ganz um das Vermögen zu reden gebracht. Ohne große Aufmerksamkeit verstand man fast kein Wort. Er war sehr niedergeschlagen, besonders auch deswegen, weil er zweifelte, daß ihn seine ehemalige gute Herrschaft wieder in Dienst nehmen und seine Bekannte ihn unter sich wieder leiden würden.“
„Noch schreckenvoller war die Geschichte eines Vaters, welcher auch venerisch krank war. Er [428] hatte in der Stadt eine Frau mit sechs Kindern, und büßte hier die Wollustsünden seiner frühesten Jugend, indem ihm an den Schaamtheilen Geschwüre wieder aufbrachen, die damals nicht gehörig geheilt waren. Er hatte sich unterdessen durch Quacksalbereien zu helfen gesucht.“
„Was wird doch, liebster Freund, aus der nächsten Generation werden, wenn das Uebel so fortgeht und wenn dem reissenden Strome der unbändigen Laster, besonders der Unkeuschheit, nicht bald ein fester Damm sorgfältig vorgebaut wird? So pflanzt sich ja aus dem sündlichen verderbten Blute und Saamen der Eltern Sünde und Krankheit fort auf Kindeskind!“
„Ich habe ihnen nur von einigen wegen Unkeuschheit gestraften Menschen etwas gemeldet, die zu Einer Zeit hier waren. Sie werden sich daraus vorstellen können, was für ein Buch aus den Beschreibungen der Elenden werden könnte, die von Zeit zu Zeit, von Jahr zu Jahr hierher gebracht werden, um hier kuriert zu werden, oder hier das Ende ihres unseeligen Lebens zu finden. Ich glaube aber genug – und für Ihr Gefühl schon zu viel – gesagt zu haben, um Ihre Aufmerksamkeit von neuem auf den Verfall unserer Sitten, besonders auf die Verwüstungen zu erregen, [429] welche die Unkeuschheit anrichtet. Machen Sie dies zur Warnung unserer Jünglinge und Jungfrauen doch weiter bekannt; rathen Sie doch auch dazu, daß die Eltern ihren Kindern lieber die scheußlichsten Exempel der bestraften Unkeuschheit und Wollust zeigen, als ihnen die wollüstigen Romane und Gedichte unserer Zeit zum Lesen in die Hände kommen lassen, die nicht so menschenfreundlich und rechtschaffen warnen, als der liebenswürdige Gellert, wenn er sagt:
Die Wollust kürzet unsre Tage,
Sie raubt dem Körper seine Kraft,
Und Armuth, Seuchen, Schmerz und Plage
Sind Früchte dieser Leidenschaft.
Der haßt sich selber, der sie übt,
Und sich in ihre Fesseln giebt.“
Ich würde euch diese Scheusale der Menschheit nicht beschrieben haben, wenn ich nicht befürchtet hätte, es mögte sonst Niemand euch darüber belehren, und also eure Unwissenheit euch zu Verirrungen leiten. Jetzt, da ich sie euch beschrieben habe, können sie euch zugleich ein Beweis seyn, wie Unkeuschheit Menschen schändet, und wie sorgfältig man sich vor dem ersten Schritte hüten müsse,um nicht endlich in den Abgrund alles Elends zu [430] fallen; denn hier folgt ein Schritt dem andern schnell nach. Was kann euch denn auch nun vor dieser Gefahr schützen? Nichts, als eure früh erlangte ernste Denkart über diese Dinge; eure Hochachtung gegen die weisen Endzwecke Gottes, mit welcher Scheu und Abneigung gegen alles, was diesen zuwider ist, natürlich verbunden ist; eure öftere Erwägung alles des Unglücks, das aus der unerlaubten Befriedigung des Geschlechtstriebes entsteht, eure lebhafte Vorstellung der künftigen frohen Tage, die auf euch warten, wenn ihr eure Unschuld bewahret; und endlich der Umgang mit edeln gutgesinnten Menschen, die euch zu nützlichen Beschäftigungen Gelegenheit geben. Dies schützet euch jetzt vor jeder Verführung eurer selbst. Dies wird euch auch einst schützen vor jeder Verführung der Welt.
O, mögtet ihr alle, meine jungen Freunde, so glücklich werden, als ihr es nach dem Willen eures gütigen Schöpfers werden sollt! Mögtet ihr jetzt und ferner nach allen euren Kräften daran arbeiten! Mögte meine herzliche Belehrung euch dazu geschickter und williger gemacht haben!
Der Wollust Reiz zu widerstreben
Dies, Jugend, liebst du Glück und Leben,
Laß täglich deine Weisheit seyn.
Entflieh der schmeichelnden Begierde;
Sie raubet dir des Herzens Zierde,
Und ihre Freuden werden Pein.
Laß, ihr die Nahrung zu verwehren,
Nie Speis und Trank dein Herz beschweren,
Und sey ein Freund der Nüchternheit.
Versage dir, dich zu besiegen,
Auch öfters ein erlaubt Vergnügen,
Und steure deiner Sinnlichkeit.
Laß nicht dein Auge dir gebieten,
Und sey, die Wollust zu verhüten,
Stets schaamhaft gegen deinen Leib.
Flieh vor des Witzlings freien Scherzen,
Und such’ im Umgang edler Herzen
Dir Beispiel, Witz und Zeitvertreib.
Der Mensch, zu Fleiß und Arbeit träge,
Fällt auf des Müßigganges Wege
Leicht in das Netz des Bösewichts.
Der Unschuld Schutzwehr sind Geschäfte.
Entzieh der Wollust ihre Kräfte
Im Schweisse deines Angesichts.
Erwacht ihr Trieb, dich zu bekämpfen,
So wach auch du, ihn früh zu dämpfen,
Eh er die Freiheit dir verwehrt.
Ihn bald in der Geburt ersticken,
Ist leicht; schwer ists ihn unterdrücken,
Wenn ihn dein Herz zuvor genährt.
Oft kleiden sich des Lasters Triebe
In die Gestalt erlaubter Liebe,
Und du erblickst nicht die Gefahr.
Ein langer Umgang macht dich freier;
Und oft wird ein verbotnes Feuer
Aus dem, was Anfangs Freundschaft war.
Begierden sind es, die uns schänden,
Und ohne, daß wir sie vollenden,
Verletzen wir schon unsre Pflicht.
Wenn du vor ihnen nicht erröthest,
Nicht durch den Geist die Lüste tödtest:
So rühme dich der Keuschheit nicht.
Erfülle dich, scheinst du zu wanken,
Stets mit dem mächtigen Gedanken:
Die Unschuld ist der Seele Glück.
Einmal verscherzt und aufgegeben,
Verläßt sie mich im ganzen Leben,
Und keine Reu bringt sie zurück.
Denk oft bei dir: der Wollust Bande
Sind nicht nur dem Gewissen Schande,
Sie sind auch vor der Welt ein Spott.
Und könnt ich auch in Finsternissen
Den Greul der Wollust ihr verschließen:
So sieht und findet mich doch Gott.
Die Wollust kürzt des Lebens Tage.
Und Seuchen werden ihre Plage,
Da Keuschheit Heil und Leben erbt.
Ich will mir dies ihr Glück erwerben.
Den wird Gott wiederum verderben,
Der seinen Tempel hier verdirbt.
Wie blühte nicht des Jünglings Jugend!
Doch er vergaß den Weg der Tugend,
Und seine Kräfte sind verzehrt.
Verwesung schändet sein Gesichte
Und predigt schrecklich die Geschichte
Der Lüste, die den Leib verheert.
So rächt die Wollust an den Frechen
Früh oder später die Verbrechen
Und züchtigt dich mit harter Hand.
Ihr Gift wird dein Gewissen quälen;
Sie raubet dir das Licht der Seelen,
Und lohnet dir mit Unverstand!
Sie raubt dem Herzen Muth und Stärke,
Raubt ihm den Eifer edler Werke,
Den Adel, welchen Gott ihm gab;
Und unter deiner Lüste Bürde
Sinkst du von eines Menschen Würde
Zur Niedrigkeit des Thiers hinab.
Drum fliehe vor der Wollust Pfade,
Und wach, und rufe Gott um Gnade,
Um Weisheit in Versuchung an.
Erzittre vor dem ersten Schritte;
Mit ihm sind schon die andern Tritte
Zu jedem neuen Fall gethan.
- ↑ Unter Saamen versteht man bei den Gewächsen nach der gewöhnlichen Art zu reden nicht das, worin die zeugende oder bevorbringende Kraft liegt. Diese ist in dem Blumenstaub, oder dem feinen Mehl, das auf den Staubbeuteln liegt, enthalten. Unter Saamen versteht man die würkliche Frucht, die durch die Zeugung in der Blume hervorgebracht ist. Man nimmt hingegen bei thierischen Körpern das Wort Saamen in einer andern Bedeutung, nemlich für das, wodurch ein Wesen von gleicher Art hervorgebracht wird. Wenn nun gleich in beiden Fällen das Wort nicht einerlei bezeichnet, so ist doch immer eine große Aehnlichkeit zwischen der Frucht, die im Schooße der Mutter, und dem Saamenkorn, das im Schooße der Erde sich ausbildet. Und dies hat zur Verwechselung zweier sonst verschiedener Dinge Gelegenheit gegeben. Das Aufkeimen eines Saamenkorns in der Erde kann man nicht als eine Zeugung, wol aber als eine Verwandlung und Vervollkommnung einer schon vorhandenen Frucht ansehen. Zur Zeugung gehören immer zwei Wesen von gleicher Art, die nur blos in den Theilen, die zur Erhaltung ihrer Art nöthig sind, Verschiedenheit haben.
- ↑ In den pädagogischen Unterhandlungen. S. Zweites Jahr, erstes Quartal S. 409.
- ↑ Ich habe dieses unglückliche Scheusal von Menschen noch einige Jahre nachher in der Charite’ gesehn, weil die Geschicklichkeit der Aerzte ihr elendes Leben so lange hinzuhalten gewußt hatte. Der Anblick ist so scheußlich, daß ich Leuten von empfindlichen Nerven nicht rathen mögte, denselben zu versuchen. Da ich sie sahe, waren auch Backen und Zunge bis tief in den Schlund weggefressen.Campe.