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23 sie erdachten sich eitle Gedanken
und ersannen sich ruchlose Lügen;
dazu behaupteten sie, daß der Höchste nicht sei[1],
und kümmerten[2] sich um seine Wege nicht;
24 sein Gesetz verachteten sie,
seine Bündnisse leugneten sie;
seinen Geboten glaubten sie nicht,
seine Werke vollbrachten sie nicht.

25 Darum, o Esra,

Eitles den Eitlen,
Fülle den Volllommenen[3]!
Das Weltgericht.

26 Denn siehe, Tage kommen, wann die Zeichen, die ich dir früher gesagt, eintreffen,

da wird die ’unsichtbare‘[4] Stadt erscheinen
und das verborgene Land sich zeigen[5];

27 und jeder, der aus den Plagen, die ich dir vorausgesagt, gerettet ist, der wird meine Wunder schauen. 28 Denn mein Sohn, ’der Christus‘[6], wird sich offenbaren samt allen bei ihm[7] und wird den Übergebliebenen Freude geben, 400 Jahre lang[8]. 29 Nach diesen Jahren wird mein Sohn, der Christus, sterben[9] und alle, die Menschenodem haben. 30 Dann wird sich die Welt zum Schweigen der Urzeit wandeln, sieben Tage lang, wie im Uranfang[10], so daß niemand überbleibt. 31 Nach sieben Tagen aber wird der Äon, der jetzt schläft, erwachen und die Vergänglichkeit selber vergehen[11].

32 Die Erde giebt wieder, die darinnen ruhen,
der Staub ’läßt los‘, die darinnen schlafen,

die Kammern erstatten die Seelen zurück, die ihnen anvertraut sind[12]. — 33 Der Höchste erscheint auf dem Richterthron[13]:


  1. Ps. 14,1.
  2. לאׁ יָדְעוּ.
  3. Vgl. Jer. 2,5; dem Sinne nach = „Böses den Bösen, Gutes den Guten“. Der Form nach eine ähnliche Paradoxie wie Matth. 13,12.
  4. Arm manifestabitur urbs quae nunc non apparet; ebenso Ar¹ (Aeth); das erste Glied ist ganz dem zweiten parallel. καὶ φανήσεται ἡ νῦν μὴ φαινομένη πόλις, verschrieben zu ἡ νύμφη φαινομένη πόλις, so Lat et apparebit sponsa apparens (C M) civitas, Syr et revelabitur sponsa apparescens ut civitas und Ar² et cognosces coronatam (i. e. sponsam) quae exsistit.
  5. Paradies und Gottesstadt werden auch sonst nebeneinander genannt; Ap. Bar. 4. Offenb. Joh. 22,2.
  6. Syr Ar¹ filius meus Messias, Aeth Messias meus, Arm Messias dei, Ar² Messias, Lar Jesus ist christliche Korrektur.
  7. 1 Thess. 3,13. 2 Thess. 1,7.
  8. Die Zahl ist eine Kombination von Ps. 90,15 und Gen. 15,13. Das Dogma vom „Chiliasmus“ ist ein Kompromiß zwischen der alten diesseitigen Hoffnung der Propheten und der modern-jüdischen transcendentalen Hoffnung; auf die letztere fällt dabei der Accent.
  9. Diese Erwartung, der Messias werde am Ende seiner Regierung sterben, ist höchst bemerkenswert; mit christlichen Gedanken, wonach Jesus, bevor er das Reich als Christus angetreten hat, gestorben ist, hat diese Erwartung nichts zu schaffen; vgl. aber 1 Kor. 15,28. In anderen Religionen ist das Sterben der Götter nicht auffällig, sondern spielt dort ev. eine große Rolle; so der Tod des Osiris, des Herkules, des Zeus in Kreta u. a.
  10. Dies Schweigen im Uranfang dauerte von der Weltschöpfung an bis zur Entstehung der Menschen und ihrer Sprache, vgl. 6,39; auch hier ist die Voraussetzung: Urzeit = Endzeit.
  11. Geistreich. Vgl. 1 Kor. 15,26.
  12. Die Herkunft und Entstehung dieses Glaubens an die Auferstehung aus den Toten ist noch immer eine ungelöste Frage. Deutlich aber ist uns die ungeheure Bedeutung, die dieser Glaube in der Geschichte der Religion hat: er hat die ganze Religion des Judentums umgestaltet; dieser Glaube macht so sehr Epoche, daß darnach die ganze Religionsgeschichte Israels in zwei Teile zerfällt: vorher und nachher.
  13. Der Thron des Weltenrichters eine apokalyptische Tradition, Dan. 7,9. Offenb. Joh. 20,11 u. a.
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Gunkel (Übersetzer): Das vierte Buch Esra. Mohr Siebeck, Tübingen 1900, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasVierteBuchEsraGermanGunkelKautzsch2.djvu/40&oldid=- (Version vom 30.6.2018)