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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

mit einer launigen Gebehrde hinzuzusetzen. Das Epitheton ist für alle Zeiten an ihm haften geblieben.

Von Gotha richtete sich die Aufmerksamkeit der beiden Freundinnen auf das kleine Schloß Rheinsberg, wo Friedrich ganz in ihrem Sinne und Geschmacke, von geistreichen Freunden umgeben, sich dem reizvollen Cultus des Genie’s ergab; ebenso auf das alte Schloß Cirey in Lothringen, wo Voltaire bei der gelehrten Besitzerin desselben, der schönen Marquise du Chatelet, der „göttlichen Emilie“, wie sie Friedrich der Große in einer an sie gerichteten Epistel nannte, wohnte und Geisteswerke schuf, die seinen Namen, mit den unsterblichen Kränzen des Ruhmes geschmückt, über Europa trugen. Die Strahlen, welche von Schloß Cirey ausgingen in den „Elementen der Newton’schen Philosophie“, in den „Gesprächen über den Menschen“, in den Tragödien „Alzire“, „Merope“, „Mahomet“, vergoldeten zuerst die Alpengipfel des Geistes, die geistig und gesellschaftlich hochgestellten Menschen des achtzehnten Jahrhunderts, und unter ihnen stehen die beiden Freundinnen in Gotha in vorderster Reihe. Mit Stolz darf das Wort ausgesprochen werden, wie der königliche Friedrich der erste Priester des neuen Geistescultus war, so waren Louise Dorothee von Gotha und Franziska von Neuenstein seine ersten Priesterinnen in Deutschland, und wenn sie in der Geschichte nicht so strahlend hervortreten, als ihr Zeitgenosse, der königliche Philosoph und Feldherr, und als das später in sein Zenith tretende Doppelgestirn Karl August’s und Goethe ’s, so liegt das in ihrem bescheideneren und stilleren Frauenloose; aber sie haben eben so redlich wie Jener und Diese das Ihrige gethan, die Arbeit des Geistes auf Erden zu fördern.

Von jenen Tagen beginnen ihre Verbindungen mit allen ausgezeichneten Geistern der Zeit, die im Dienste der aus dem damals noch rohen und dumpfen Materialismus, aus der bunten Petrefactenwelt der kirchlichen Zustände auf der einen und aus dem nicht minder starren Dogmatismus der Orthodoxie auf der andern Seite, aus der Chrysalide des Mysticismus und aus der Verschwommenheit des Pietismus sich emporringenden Menschheit standen. Fast die Dauer eines Menschenalters hindurch war der gothaische Hof durch diese beiden Frauen eine Pflegestätte der Wissenschaften und Künste und blieb es auch nachher noch eine geraume Zeit, als Louise Dorothee’s Genius nicht mehr dort unmittelbar waltete. Außer Voltaire waren es Diderot, d’Alembert, La Beaumelle[WS 1], Holbach, Helvetius, Grimm, mit welchen das hohe Frauenpaar nach einander in briefliche Verbindung kam und deren Werke es studirte. Der Natur der Sache nach mußten sie dem aufstrebenden Genius der Menschheit, als er seine tausendjährigen Fesseln abzuschütteln begann, in den Werken französischer Schriftsteller huldigen; schleuderten doch deutsche Gelehrte, wie Holbach und Grimm, von Paris aus ihre Gedankenblitze gegen die alten Götzen in französischer Sprache in die Welt. Aber die beiden Freundinnen ließen keineswegs den deutschen Genius unbeachtet, als er sich anschickte, die erste Schlangenhaut des Pedantismus abzustreifen. Der Name des deutschen Geistesherkules, des rechtskundigen Bekämpfers der Hydra Aberglaube, Christian Thomasius, war am gothaischen Hofe ein mit Ehrerbietung genannter, wo man sich selbst von der Trockenheit der Wolf’schen Philosophie nicht zurückschrecken ließ, welche damals alle guten Köpfe Deutschlands beschäftigte. An der Hand eines Magisters Schenk, welcher Informator der beiden Prinzen von Meiningen, Brüder der Herzogin, gewesen und von dieser nach Gotha berufen war, ihr und der Freundin Vorträge zu halten, wagten sie sich auf das Gebiet des speculativen Denkens. Noch mächtiger wurden sie von den bedeutenden Entdeckungen angeregt, welche im Bereich der Naturwissenschaften gemacht wurden. Sie studirten die naturgeschichtlichen Werke der Marquise du Chatelet, stolz und glücklich, daß ihr Geschlecht sich im Forschen und Ringen nach Erkenntniß so ruhmreich betheiligte. Professor Hamberger von Jena führte ihnen 1742 die wichtigsten physikalischen Experimente vor, und als nur wenige Jahre darauf die Erscheinungen der Elektrizität Aufsehen zu machen begannen, schickte Professor Winkelmann in Leipzig, einer der Ersten, welche in Deutschland diesen Zweig der Naturwissenschaften cultivirten, einen seiner Schüler mit einer Elektrisirmaschine von seiner Erfindung nach Gotha, um den Hof damit bekannt zu machen.

Jean Jacques Rousseau erzählt in seinen Bekenntnissen, daß ihm die Herzogin von Gotha ein Asyl anbot, als er vom Unverstand seiner Landsleute von der Petersinsel im Bielersee vertrieben wurde.

Schon war Franziska vier Jahre in Gotha, als sie den Bitten der Freundin nachgab und ihre Hand einem würdigen, ebenfalls nicht mehr jungen Hofherrn, dem classisch gebildeten Oberhofmeister Schak Hermann von Buchwald reichte. Es war eine Anstands-, keine Herzensverbindung; aber Franziska’s Schwärmerei gefiel sich in dem Gedanken, auch in dieser Beziehung nicht glücklicher zu sein, als ihre fürstliche Freundin. Es war ein eigenthümliches Geschick, gewissermaßen eine in die äußersten Spitzen verlaufende Rache der von einem Uebermaße von Geistigkeit doch beleidigten Natur, daß diese beiden Frauen, welche auf der Sonnenbahn des Geistes ein Ziel erreichten, welches dem schönen Geschlecht selten zu Theil wird und auch, beim rechten Lichte besehen, über die Grenzen der weiblichen Capacität hinausliegt, die süßesten und sanftesten Gefühle, für die das Weib vorzugsweise geschaffen ist und zu welchen wohl keins mehr Befähigung und Anlage hatte, als gerade sie, niemals befriedigen durften. Der Frühling des Herzens, die Liebe, überschüttete sie nie mit feinen duftenden Purpurblüthen: sie mußten sich mit den Blumen und Früchten des Geistes begnügen. Die sichtbare Rache dieser Versündigung am Herzen trat später im unglücklichen Leben des edlen, hochherzigen Herzog Ernst hervor. – Franziska gab als Frau von Buchwald ihre Stellung als Hofdame auf, blieb aber in der unmittelbaren Nähe der Herzogin, ja, sie behielt sogar ihre Wohnung auf dem Schlosse Friedenstein und wurde bald darauf zur wirklichen Oberhofmeisterin der Fürstin ernannt, womit sie die höchste Würde erreicht hatte, welche die Freundin ihr bieten konnte.

Auch die Regierungsgeschäfte gehörten zum Ressort der beiden so engverbundenen Frauen und wenn die Herzogin den Sitzungen des Ministeriums beiwohnte und ihre maßgebende Stimme abgab, so nahm die Oberhofmeisterin gewissermaßen die Stelle eines Cabinets-Ministers ein.

Man kann sich denken, mit welchem Jubel sie ihr Idol auf dem preußischen Königsthrone begrüßten!

Für die verschiedene Geistesrichtung der beiden Freundinnen ist es bezeichnend, daß, als J. J. Rousseau’s Stern am Literaturhimmel des gebildeten Europa aufging und sein Glanz Voltaire’s Neid erregte und dessen unwürdige Angriffe hervorrief, die Herzogin Voltaire’s, die Oberhofmeisterin Rousseau’s Partei nahm.

Als Voltaire durch seine unedlen Leidenschaften seinen königlichen Verehrer so gegen sich erbittert hatte, daß er am 26. April 1753 Berlin verlassen mußte, besuchte er auf der Rückreise nach seinem Vaterlande den gothaischen Hof, wo er mit offenen Armen aufgenommen wurde und fast bis zu Ende des Monats Mai verweilte. Seine Bewunderung und Ehrfurcht gegen die beiden Freundinnen, deren Umgang den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht hatte, spricht sich in seinen Briefen und Memoiren in voller Weise aus. Die Herzogin nennt er „die beste Prinzessin der Erde, die sanfteste, weiseste, die gerechteste.“ Die Oberhofmeisterin redete er in einem Briefe also an:

Grande maîtresse de Gotha
Et des coeurs grande maîtresse.

Er kann gar nicht glänzende Worte genug finden für das hohe Glück, das er „à la cour enchantresse de Gotha“ „dans ce palais enchanté“ bei „la Minerve de l’Allemagne“ genossen. Er wollte auch durchaus nach Gotha zurückkehren, um seine Reichsannalen, mit deren Abfassung er sich von der Herzogin hatte beauftragen lassen, obgleich er weder Lust, noch Talent, noch Kenntnisse für ein solches Werk hatte, dort zu vollenden. Und doch hatte er das Klima in Gotha abscheulich gefunden. Sein Körper fror, aber die Seele des neunundfünfzigjährigen Philosophen stand in Flammen, welche die hohe Liebenswürdigkeit der beiden Frauen entzündet hatte. Seine Briefe an die Herzogin, welche im herzoglichen Archiv zu Gotha aufbewahrt werden, reichen bis ein Jahr vor ihren Tod (1766).

Nicht anders erging es Friedrich dem Großen, als er die persönliche Bekanntschaft der Herzogin von Gotha gemacht und die ihrer Oberhofmeisterin erneuert hatte. Auch er ist wie berauscht von den hohen und glänzenden Eigenschaften der beiden Damen und auch zwischen ihm und der holden genialen Fürstin entspinnt sich ein Briefwechsel, welcher die charakteristischen Eigenschaften Beider zur Erscheinung bringt und die Verehrung ausdrückt, welche sie für einander hegen. Dieser Briefwechsel ist in der von Preuß zusammengestellten Prachtausgabe der Werke des Königs abgedruckt. Aus ihren Briefen lernt man die fürstliche Frau kennen und überzeugt sich, daß der ihr von Voltaire gegebene prächtige Name der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Baumele
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_605.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)