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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der Bergpartei entschied. Der Convent, vom zerlumpten Volke umlagert, saß jetzt in den Tuilerien. Condorcet gehörte Anfangs nicht zu den proscribirten Abgeordneten, da er sich aber ohne Schonung gegen die Constitution von 1793 aussprach, wurde er denuncirt, vorgefordert und am 3. October als Mitschuldiger in Anklagestand versetzt.

Genöthigt sich zu verbergen und bald für „außer dem Gesetze“ erklärt, fand er acht Monate lang bei einer großmüthigen Freundin ein Asyl, in welchem er sich wieder mit schriftlichen Arbeiten beschäftigte. Da bewog ihn ein neues Decret, das Allen, welche außer dem Gesetze befindliche Personen aufnähmen, mit dem Tode drohte, seinen Zufluchtsort zu verlassen, um seine Wohlthäterin nicht noch größerer Gefahr auszusetzen. Vergebens suchte diese ihn zurückzuhalten. Er verließ Paris um die Mitte März 1794 ohne Paß, mit der Absicht auf dem Landhause eines Freundes sein Unterkommen zu finden. Er traf diesen nicht an und war genöthigt sich mehrere Nächte in verlassenen Steinbrüchen zu verbergen. Vom Hunger getrieben, trat er endlich in ein Wirthshaus, wo er sich für einen Bedienten ausgab, dessen Herr vor Kurzem gestorben sei. Sein langer Bart, seine Unruhe, sein schlechter Anzug veranlaßte die Wirthin zu fragen: „ob er auch bezahlen könne?“ und er zog eine Brieftasche hervor, deren Eleganz gar sehr mit seinem Aeußeren contrastirte. Ein zufällig anwesendes Mitglied des revolutionären Comités des Ortes ließ ihn sogleich arretiren und nach Bourg-la-Reine transportiren. Dort warf man ihn in’s Gefängniß. Am anderen Tage sollte er zum Verhör geführt werden, aber man fand ihn todt; er hatte von dem Gifte Gebrauch gemacht, das er schon lange, um sich der Hinrichtung zu entziehen, bei sich trug.

Kurz vorher war Chamfort, dem Minister Roland eine Scriptorstelle an der Nationalbibliothek verschafft hatte, wegen einiger erbitterter Aeußerungen über die Revolutionsgräuel verhaftet worden. Wiewohl er bald wieder in Freiheit gesetzt wurde, hatte ihn doch die kurze Haft mit solchem Abscheu erfüllt, daß er, als er einen Monat später wieder festgenommen werden sollte, sich zu tödten versuchte. Er hatte sich die Adern geöffnet; neben ihm lag ein Blatt mit folgenden Worten: „Ich, Sebastian Nicolaus Chamfort, habe als freier Mann sterben wollen, statt mich als Sclaven in’s Gefängniß geführt zu sehen.“

Die Hülfe der Kunst und die Sorgfalt der Freunde hielten ihn am Leben zurück, doch er starb bald darauf, im April 1794. „Ach, Freund,“ sagte er im Sterben zu Sieyès, der an seinem Bette saß, „so verlasse ich endlich diese Welt, in welcher das Menschenherz brechen oder versteinern muß!“

So waren Alle, denen Cazotte’s Prophezeiung gegolten, hinübergegangen, und wenn Todte im Jenseits zusammenkommen, konnten sie den Jahrestag der zufällig eingetroffenen Weissagung feiern. „Sie sind,“ sagte ein Zeitgenosse, „hinübergegangen in ihren Thränen, mit ihren Wunden, Typen der Menschheit, die, wie sie es auch anfange, sich ihrem Verhängniß nicht entziehen kann.“

„Es mußte so kommen, es war vorherbestimmt!“ erwiderte Dom Chavis.




Ein Virtuos der Bühnenwelt.
Von Robert Heller.


Erinnert Ihr Euch noch der geheimnißvollleuchtenden Augen Ludwig Tieck’s und der bezaubernden Persönlichkeit eines Dichters, welcher die wunderbare Anziehungskraft, die er auf die vornehmsten Geister seiner zeitgenössischen Umgebung ausübte, wahrhaftig ebenso stark aus der romantischen Anmuth seiner geselligen Erscheinung, wie aus der Märchenpoesie und dem polemischen Reiz seiner Schriften schöpfte? Auf Veranlassung König Friedrich Wilhelm’s des Vierten, in dessen Hausdienst der Vater Friedrich Haase’s stand, ist Ludwig Tieck um die Mitte der Vierziger Jahre des gegenwärtigen Jahrhunderts der erste Kunstbildner des Schauspielers gewesen, den wir den Lesern der Gartenlaube hiermit vorstellen.

Fritz Haase, der in neuester Zeit durch sein Gastspiel in Süddeutschland und der Schweiz die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, hat aber mit Tieck nicht blos den Berliner Geburtsort gemein, sondern er hat auch etwas in seinen Augen und einen ästhetisch feinen, schalkhaft ironischen Zug in seinem menschlichen und theatralischen Wesen, wodurch er persönlich an den großen Romantiker erinnert. Der Vergleich mit dem poetischen Meister, wie verherrlichend er für den Jünger einer unselbstständigen, weil nur nach gegebenen Mustern schaffenden Kunst erscheint, hat jedoch nicht blos seine schmeichelhaften Seiten. Wie sich Tieck zu Goethe, Schiller und Lessing, wie sich die zersetzende Romantik überhaupt zur classischen Schöpfung verhält, so verhalten sich auch die Schauspieler modernen Stils zu den Vertretern der naiv gläubigen Schule von ehedem, und Haase ist der Modernste unter den ersteren. Das scharfsinnig Combinirte muß häufig in ihren Leistungen das einfach Plastische ersetzen, was seinen hohen Geist im Gegenstande selbst ausdrückt. Ihre Bildung vermittelt nicht blos den Genuß am Werke, sie gestaltet ihn auch nach individueller Willkür um. Die Darsteller alter Schule spielten vor Allem den Reiz des Stückes aus, die Modernen geben in ihrer Charakteristik die bestechenden Eigenthümlichkeiten ihres Naturells zum Besten. Tadeln wir sie um dieses subjectiven Behagens willen, so ist die Rechtfertigung leicht bei der Hand, denn dann verlangen sie nach neuen dramatischen Werken von der Größe der classischen Epoche. Da wäre es den Schauspielern leicht geworden, aus dem frischen Holze in kindlicher Einfalt die für die Dauer gültigen Muster zu schneiden, ganz aufzugehen in der Sache, die dem Volke völlig neue Offenbarung war. Aber jetzt? Das Interesse an den Werken sei längst ein unveränderlich feststehendes geworden und so müsse denn das Interesse am Schauspieler aushelfen. In der That fragt heute das Publicum nicht sowohl: was wird von Shakespeare oder Goethe gegeben? sondern: wer giebt den Mephistopheles? wer tritt als Othello auf?

Aus Weimar, wohin Haase 1846 zunächst von Berlin aus zum Theater gegangen war, hörten wir von ihm noch nicht, eben so wenig von seiner Wirksamkeit in Prag, wo er 1850 ein wachsendes Interesse an seine Bühnengestalt zu fesseln wußte, sondern erst einige Jahre später wurde uns sein Name hier und da von Bühnenfreunden zugetragen, die ihn in München hatten spielen sehen, wo jener Zeit Dingelstedt’s Hand das Steuer der Intendanz führte und Haase Dingelstedt’s verzogener Liebling war. So fragte zuvörderst eine Dame, ob uns der Münchener Hofschauspieler bekannt sei, der sich so elegant zu kleiden und seine zierlich gebaute Gestalt so aristokratisch nachlässig auf der Bühne zu bewegen wisse. – „In München?“ rief ich. „Nein! das ist die Stadt der derben Nahrungsmittel und eckigen Lebensformen. Wie sollte ein dortiger Schauspieler dermaßen aus der Art geschlagen sein!“ – Aber es hatte seine Richtigkeit mit der einnehmenden Erscheinung Haase’s; der Ruf feierte ihn alsbald um größerer Eigenschaften willen, als jener Dame zu seiner Empfehlung bemerklich geworden waren. In Hamburg hatten wir gerade eine der hier regelmäßig wiederkehrenden Krisen des Stadttheaters zu bestehen. „Wenn wir ein Mitglied wie Friedrich Haase hier an die Spitze zu bringen suchten,“ meinte ein Matador unserer Hamburger Kaufmanns- und Umgangswelt, „der hätte nicht nur das Theaterpublicum für sich, mit seinen liebenswürdigen Manieren gewänne er auch die Gesellschaft.“ – „Ist er denn aus seinen contractlichen Händeln mit Dingelstedt und der baierischen Hoftheater-Intendanz heraus?“ So lautete meine dadurch gegen Haase verstimmte Entgegnung. „Muß doch sein. Ich sah ihn als Grafen Thorane in Gutzkow’s „Königslieutenant“, fuhr jener fort. „Das Stück hat für mich etwas seltsam Verkünsteltes und in der französirenden Titelrolle stieß es mich bisher geradezu ab. Aber so wie Haase diesen Grafen Thorane giebt, wirkt er mit einem eigenthümlichen Schmelz des Wesens, mit einer ungezierten Vornehmheit und einer chevaleresken Herzensgüte, die mit der Hofmeistermiene versöhnt, womit der Graf auf unsere Nation und Politik herabblickt. Die Frauen sind allein schon von den Spitzen entzückt, die Haase bei dieser Gelegenheit als Busenstreifen und Manschetten trägt.“

Der gefeierte Elegant der Münchener Bühne befand sich also jetzt in Frankfurt a. M. Die Damen schwärmten für seine weiße Hand und Wäsche, und, was mehr war, auf bedeutende Männer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_203.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)