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Walther Kabel: Die Katastrophe von Para-Dschala (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 5)

Dann brach der Unglückstag, der 19. April 1856, an. Die Nacht war kühl und sternenklar gewesen und ohne jede Störung verlaufen. Der Morgen brachte warmen Sonnenschein. Unsere Arbeiter sollten zuerst die über den Felsabhang verteilten Sprenglöcher nachprüfen, ob auch kein Wasser eingedrungen war. Der leitende Ingenieur und meine sieben Kollegen verließen gleichzeitig mit ihnen unser Lager, das etwa sechshundert Meter von der Baustelle entfernt war. Ich selbst verspätete mich etwas. Dies sollte meine Rettung werden. Denn als ich gerade aus dem Talgrunde emporstieg, erschütterte urplötzlich ein ungeheurer Krach die Luft. Gleichzeitig fühlte ich mich wie ein Federball hochgehoben und fortgeschleudert. Ich verlor die Besinnung und erwachte erst wieder nach Stunden in meinem Zelt. Mein rechter Arm war gebrochen, und an der Stirn klaffte mir eine große Wunde. Soldaten unseres Bedeckungskommandos hatten mich gefunden und fortgeschafft. Einer von ihnen war es auch, der den Verlauf dieser furchtbaren Katastrophe aus der Ferne mitangesehen hatte.

Aus seinen Angaben ging folgendes hervor: Als unsere Arbeiter und die Ingenieure bis dicht an die Sprengstelle gelangt waren, tauchte mit einem Male hinter einem Felsen ein Hindu auf, der eine brennende Fackel drohend um den Kopf schwang. Noch ahnte niemand etwas Böses. Da rief der Inder unseren Leuten ein paar Worte entgegen und stieß urplötzlich die Fackel auf die Erde. In demselben Augenblick schoß es wie feurige Schlangen über den Abhang hin, das Gestein wankte, Pulverdampf und Steinsplitter verfinsterten die Luft. Als es wieder klar wurde, bot sich den Augen der entsetzt herbeieilenden Soldaten, die in weitem Umkreise wie täglich Posten gestanden hatten, ein grauenvoller Anblick. Nicht einer von all den Menschen, die sich in der Nähe der Sprengstelle befunden hatten, war mit dem Leben davongekommen. Einhundertvierundzwanzig zum Teil bis zur Unkenntlichkeit zerfetzte Leichen lagen dort umher. Das Felsgeröll war weithin mit Blut bespritzt.

Der Para-Dschala hatte den fremden Eindringlingen den Weg freigegeben, aber unter welchen Opfern!“

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Katastrophe von Para-Dschala (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 5). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Katastrophe_von_Para-Dschala.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)