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Walther Kabel: Die Wahrheit über Freund Lampe. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 7, S. 222–225

Angriffe aufs tapferste verteidigt haben. „Einmal,“ so erzählt ein Forstmann, „wurde ich bei einem Pirschgang durch das laute Geschrei von Krähen auf eine Szene aufmerksam, die zu dem Eigenartigsten gehört, was ich während meiner Praxis in meinem Revier erlebt habe. Vorsichtig durch eine Tannenschonung mich heranschleichend, gewahrte ich vier Krähen, die unter wütendem Gekrächz stets aufs neue auf einen Junghasen herabstießen, der schon völlig ermattet im Grase des Waldraines lag. Neben dem Junghasen hockte ein zweiter, ausgewachsener Hase, der jedesmal emporschnellte und nach den Krähen biß, sobald eine einen neuen Angriff wagte. Nachdem ich mehrere Minuten diesem Kampfe zugeschaut hatte, bemerkte ich, wie von einem nahen Hochwaldstreifen drei weitere Krähen herbeiflogen, offenbar durch das Geschrei ihrer Artgenossen herbeigelockt. Gegen diese Übermacht wird sich der tapfere Verteidiger nicht lange halten können, sagte ich mir und erwartete, daß der Hase nun schleunigst flüchten und das junge Tier seinem Schicksal überlassen würde. Weit gefehlt. Meister Lampe blieb auf seinem Posten, trotzdem unter den Schnabelhieben der Krähen die Wolle aus seinem Pelz in großen Flocken herumflog. Die Art des Hasen, die Vögel abzuwehren, sah bisweilen geradezu possierlich aus. Oft schnellte er sich in offenbarer Wut fast einen Meter hoch in die Luft, die großen Löffel zum Schutz des Genickes dicht anklatschend, oft wieder richtete er sich auf den Hinterläufen auf und schlug mit den Vorderläufen nach seinen Gegnern. Trotzdem merkte ich sehr bald, daß seine Kräfte erlahmten. Bisweilen saß er schon für Sekunden regungslos neben dem hingestreckten Junghasen und ließ teilnahmlos alles über sich ergehen. Ein Schuß aus dem Schrotlauf meiner Büchsflinte änderte dann schnell das Bild, und drei Krähen büßten diesen Überfall mit ihrem Leben. Meister Lampe war auf den Schuß wie ein Blitz in der Schonung verschwunden. Den Junghasen nahm ich mit nach Hause, wo er sich bald erholte und später vollständig zahm wurde.“

W. K.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Wahrheit über Freund Lampe. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 7, S. 222–225. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Wahrheit_%C3%BCber_Freund_Lampe.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)