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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

für die ich, ohne mich einer Beleidigung schuldig zu machen, vergeblich einen passenden Ausdruck suche, traten grell in der Gerichtsverhandlung zutage. Ein recht gutmütig aussehender siebzehnjähriger Zögling, der im Laufe der Verhandlung als Zeuge erschien, weigerte sich, den Eid zu leisten. Er äußerte auf Befragen des Vorsitzenden unter heftigem Weinen: „Ich war ein gläubiger Christ und hatte für Geistliche die größte Hochachtung. Nachdem ich aber gesehen habe, daß ein Geistlicher wehrlose Kinder ohne jede Ursache, bloß weil sie arm sind, schlimmer wie wilde Tiere behandelt hat, ist meine Hochachtung vor den Geistlichen geschwunden. Ich kann auch nicht mehr glauben, daß ein Gott im Himmel lebt, denn dieser würde solche Greuelszenen nicht zugelassen haben.“ Der Vorsitzende machte dem Knaben klar, daß er gesetzlich verpflichtet sei, den Eid zu leisten, gleichviel, ob er an Gott glaube oder nicht. Der Knabe entsprach schließlich der Aufforderung des Vorsitzenden. Aber welch furchtbare Anklage lag in den Worten des Knaben. Angesichts solcher erschütternden Vorgänge braucht man sich wirklich nicht zu wundern, wenn der Glaube an Gott und an die Autorität des Staates im Volke immer mehr schwindet. Möge man doch endlich zu der Einsicht gelangen, daß Prügel als Erziehungsmittel vollständig zu verwerfen sind; es ist noch ein Überbleibsel aus der Zeit der Barbarei. Friedrich Wilhelm I., von 1713 bis 1740 König von Preußen, Vater Friedrichs des Großen, lief mit einem großen, dicken Stock durch die Straßen seines Landes, insbesondere in Berlin und Potsdam und prügelte höchst eigenhändig seine „Untertanen“ auf offener Straße, wenn er der Ansicht war, daß sie sich irgendeiner Verfehlung schuldig gemacht hatten.[1] In dieser Zeit war das Prügeln an der Tagesordnung.


  1. Aber nicht minder auch seine eigenen Kinder, wie uns die Markgräfin von Bayreuth, die Schwester Friedrichs des Großen in ihren berühmten „Memoiren“ berichtet. (2 Bde. 11.Aufl. Verlag v. Hermann Barsdorf in Berlin.)
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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/230&oldid=- (Version vom 16.12.2023)