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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

Soldaten und Gefangene wurden von Amts wegen geradezu unmenschlich geprügelt. Ich erinnere an das Spießrutenlaufen. Kinder, selbst im zartesten Alter, wurden von Eltern und Lehrern, Lehrlinge von den Meistern und Gesellen, oftmals wegen geringfügigster Ursache in geradezu barbarischer Weise geschlagen. Männer schlugen ihre Frauen, bisweilen auch umgekehrt. Die Menschen prügelten sich auch unaufhörlich gegenseitig auf offener Straße, und zwar noch lange nach Aufhebung des Faustrechts. Auf den Gesellenherbergen war es ganz selbstverständlich, daß täglich die furchtbarsten Schlägereien stattfanden. Das Prügeln war ja staatlich privilegiert. Selbstverständlich hatten die armen Tiere ebenfalls unter dieser barbarischen Unsitte arg zu leiden. Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, als die Arbeiter sich noch nicht solidarisch verbunden hatten und der Branntwein unverstandenerweise noch als Verdauungs- und Erwärmungsmittel galt (bekanntlich hat der Branntweingenuß die entgegengesetzte Wirkung) fanden in den Vorstädten Berlins alle Sonnabend abend die ärgsten Schlägereien statt. In andern Großstädten und Industrieorten war es nicht besser. Leider ist diese Unkultur in unserem fortgeschrittenen Zeitalter noch lange nicht beseitigt. Die Menschheit sollte endlich einmal zur Einsicht gelangen, daß durch Prügel nichts zu erreichen ist, daß eindringliche ermahnende Worte und vorbildliches Handeln bedeutend wirksamer sind. „Ohne Prügel können Kinder nicht groß werden.“ Diese einfältige Redensart hört man noch vielfach. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Kinder, die von ihren Eltern und Lehrern heftig geschlagen wurden, oftmals arg entartet sind. Die vielen Schülerselbstmorde werden zumeist von sogenannten Pädagogen verschuldet, die sich nicht entblöden, erwachsene Schüler höherer Unterrichtsanstalten, selbst Obersekundaner, zu prügeln. Derartige Lehrer, die durch ihre sogenannte Schneidigkeit ihre Unwissenheit und pädagogische Unfähigkeit

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/231&oldid=- (Version vom 16.12.2023)