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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

verduftete und dort in eine Falschspielerbande geriet. Ich will nun auf das Ergebnis der Verhandlung näher eingehen. Ich muß sagen, daß der Angeklagte in der ganzen Beweisaufnahme sehr viel Glück gehabt hat, weil sich der Schuldbeweis nicht mehr richtig führen läßt, da die Zeugen zum Teil krank, zum Teil sogar geisteskrank oder aus sonstigen Gründen nicht erschienen sind. Der einzige Fall, in welchem sich die völlige Unschuld des Angeklagten herausgestellt hat, ist der Fall Frey. Zahlreiche andere Fälle lassen sich nicht mehr mit genügender Sicherheit aufklären, trotzdem in diesen ein dringender Verdacht bleibt. Andere Fälle aber sind typische Hochstapeleien. Dies sind die Fälle Horch, Risch, Noack, Gustke, Kielholz, Thilo, Felsing und Werner. Bei der Strafabmessung bitte ich zu berücksichtigen, daß eine Reihe von Fällen, die zweifelhaft lagen, mit zur Anklage gestellt worden sind. Diese Fälle können zur Illustration dienen. Ich wiederhole: Der Angeklagte ist ganz mittellos im Mai 1909 hier angekommen, hat ohne redlichen Erwerb ein ganzes Jahr hindurch gelebt, alle möglichen Leute betrogen und war dann verduftet. Zahlung hat er später nur geleistet, wenn er dazu gezwungen war. Ich bitte zu berücksichtigen, daß die Schädigung der Leute im Moment des Betruges außerordentlich groß war. Der Angeklagte hatte gar keine begründete Aussicht, den Schaden wieder gutzumachen. Es handelt sich um erhebliche Objekte, nämlich 16 000 Mark, 2000 Mark, 1650 Mark, 1000 Mark und 800 Mark. Auf der anderen Seite muß das Sachverständigen-Gutachten zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden. Dieser ist ja moralisch minderwertig, aber wenn er in Ruhe vorgeht, dann ist er, wie wir hier gesehen, sehr klar und hat eine bewunderungswürdige Überredungsgabe. Ferner muß berücksichtigt werden seine Jugend, der Umstand, daß er von seiner Familie verlassen war, mit 30 Mark monatlich auskommen sollte, und daß er schon vor seiner Heirat den Willen bekundet hat, den Schaden

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/251&oldid=- (Version vom 30.12.2022)