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Zehntes Kapitel.
Denkungsart des Theokrit, Bion und Moschus über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die eigentlichen Hirtengedichte des Theokrit beweisen nichts über die Denkungsart seiner Zeitgenossen. Der Dichter hat sich in eine frühere Welt, und in einen andern Stand hineingedacht, als diejenigen waren, in denen er lebte. Er wollte die Einfalt der rohen Natur schildern: die Liebe erscheint bey ihm gemeiniglich mit aller Heftigkeit, aber auch mit allem Schmutze einer bloß sinnlichen Leidenschaft. Zuweilen vergißt er den angenommenen Charakter. Polyphem, der seiner Geliebten die Hand küssen will, gehört an den Hof zu Alexandrien.

Wichtiger zu meinem Zwecke sind die Gelegenheitsgedichte des Theokrit. In der funfzehnten Idylle [1] beschreibt er das Begräbniß des Adonis, das von Arsinoe, der Tochter der Berenice, in Alexandrien gefeyert wurde. Fremde Griechinnen erschienen dabey: eine Dichterin hielt einen Lobgesang, worin zugleich Vieles zum Ruhme der Arsinoe gesagt wurde. Es war also schon Mode, daß die Hofpoeten den Fürstinnen öffentlich ihre Huldigungen darbrachten.

In der siebzehnten Idylle findet sich das Lob der Berenice. Die wechselseitige Liebe zwischen ihr und dem Ptolomäus wird gepriesen, und sie selbst wird vergöttert. Nach der acht und zwanzigsten Idylle sendet Theokrit der Theogenis, Gattin seines Arztes Nicias,


  1. Edition von Harles.