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Nach Tisch wollte Harst sich zerstreuen, schritt im Gemüsegarten auf und ab und säuberte ein paar Rosenstöcke von Blattläusen. In dem Gärtnerhäuschen am hinteren hohen Holzzaun wohnte seit Jahren die kränkliche Witwe eines früheren Kutschers der Firma Emil Harst mit ihrem jetzt fünfzehnjährigen Jungen. Karl Malke hatte mit Harstschem Gelde das Gymnasium bis Quarta besucht. Doch er kam nicht vorwärts. Das Stillsitzen und Lernen haßte er. Jetzt pflegte er seine Mutter, besorgte allein den kleinen Haushalt und spielte bei Harsts Faktotum für alles. Der langaufgeschossene Junge mit dem altklugen Gesicht war ausgesprochen praktisch veranlagt und ein heller, findiger Kopf. Harst verehrte er, obwohl dieser den bei aller guten Charakterveranlagung recht abenteuerlustigen und unstäten Knaben häufig streng ins Gebet nahm, weil dieser noch immer für einen bestimmten Beruf sich nicht entschieden hatte, während ihm doch dank der Freigebigkeit Frau Augustes jede Laufbahn offen gestanden hätte.

Zwischen Harst und Karl Malke herrschte im übrigen ein vertraulicher Ton. Der Junge, der soeben das Unkraut aus den Frühbeeten entfernte, hatte Harst eine Weile beobachtet und sagte nun zögernd: „Herr Assessor, Ihnen muß irgend was passiert sein. Sie sind so unruhig.“

Harst trat neben den Jungen und sog den süßlichen Duft der aus dem Frühbeet noch nicht versetzten Heliotroppflanzen ein. – Heliotrop! Margas Lieblingsparfüm! – Und schon krampfte sich sein Herz in jäher Angst zusammen.

Dann antwortete er dem Jungen, erzählte ihm von seinen plötzlichen Sorgen. – Karl hatte eigentlich für Marga nicht viel übrig, da sie es gewesen, die seiner Mutter letztens dringend geraten hatte, eine Verwandte zu sich zu nehmen, damit der Junge irgendwo in die Lehre gegeben werden könnte. Und es hatte Karl viel Tränen gekostet und all seiner Überredungskünste bedurft, ehe die Mutter ihm zugesagt hatte, noch bis zum Herbst ihm diese goldene Freiheit zu belassen.

Jetzt aber fand er doch aufrichtig gemeinte Worte, die seine Teilnahme für seines verehrten Gönners Besorgnis um die Braut verrieten.

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)