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Mag der Schein auch noch so sehr gegen uns sprechen – es ist die volle Wahrheit, die ich Dir damals beim letzten, kurzen und so schmerzlichen Beisammensein sagte. – Ewig Dein V.“ – Nachschrift. – „E. ist in Norwegen.“

Ich legte den Brief auf den Tisch zurück. – „Nun?“ fragte Harst. „Geben Sie mal die Erläuterungen dazu, Schraut. Das heißt, nur über die Punkte, die zweifelhaft sein können.“ – Ich nahm den Brief wieder zur Hand, begann:

„Der Schreiber ist der angebliche Viktor Reupert. Die Heiratsannonce sollte ihm, der nach Doberan geflüchtet ist, zeigen, daß Gertrud Hold von der Polizei nicht beobachtet – nicht belästigt – wird. Hm – und der zum Schluß erwähnte E. dürfte Reupert-Vater sein.“

Harst trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. „Aber die Hauptsache, Schraut, – die Hauptsache! Wo bleibt die?“ – „Ehrlich – ich finde sie nicht,“ sagte ich kleinlaut. – „Er findet sie nicht! Aber Mensch, Schraut, – hier in dem Brief steht doch ganz klar zu lesen, daß dieser V. – also vielleicht wirklich ein Viktor – bestreitet, den Mord begangen zu haben! Hier heißt es – „noch im letzten Augenblick vom Rande des Abgrundes –“ und weiter – „Mag der Schein auch noch so sehr –“ – Das alles ist nur so zu deuten: die Hold und dieser Viktor haben sich nach der Ermordung Schmiedickes noch gesprochen – flüchtig nur, und dabei hat dieser Viktor erklärt, weder er noch der „andere“ sei der Mörder des Mannes, den man nun bald tot auffinden würde. – So, mein lieber Schraut, ist hier zwischen den Zeilen zu lesen. – Und – wie hat sich nun die Hold zu dieser Behauptung gestellt? Glaubt sie dem Geliebten? – Ich denke ja. Sonst hätte sie nicht die Anzeige eingerückt!“

Ich starrte Harst ganz kopflos an. Meine Gedanken suchten Klarheit in ein Chaos von Widersprüchen zu bringen. Umsonst! Das Chaos wurde nur noch größer. Schließlich meinte ich dann unsicher: „Aber – aber – wie kann die Hold denn einer so unsinnigen Behauptung wohl Glauben

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/112&oldid=- (Version vom 1.8.2018)