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Harst suchte geduldig und mit jener kühlen, klaren Überlegung, die ihm vor Margas Verlust stets zu eigen gewesen. Den kleinen, modernen Damenschreibtisch nahm er zuletzt vor. In der Schublade unter der Platte lagen seine Briefe, die er an Marga geschrieben, obwohl sie sich fast täglich gesehen hatten. Daneben stand eine elegante Stahlkassette, in der der Schlüssel noch von der ersten Durchsuchung steckte. Darin befand sich unter anderem Margas Sparkassenbuch. Harst besichtigte es. Auch Stolten hatte dies getan und es wieder weggelegt. Harst prüfte die Abhebungen jetzt wie alles hier mit kritischem Geist. Dann steckte er das Buch zu sich. Sonst aber fand auch er nichts weiter, das ihm beachtenswert erschienen wäre. Er ging nun zu seiner Schwiegermutter hinüber, brachte das Gespräch unauffällig auf Margas bescheidene Geldbedürfnisse und fragte, ob sie in letzter Zeit wohl größere Ausgaben gehabt hätte. Die Präsidentin verneinte. „Im Gegenteil – eigentlich war sie seit ihrer Verlobung noch sparsamer. Sie wollte, wie sie sagte, doch wenigstens ein paar Pfennige Mitgift Dir mit einbringen, lieber Harald, da wir ja nur die Aussteuer geben konnten.“

Harst verabschiedete sich bald und ging nach der Nebenstelle der Städtischen Sparkasse, nahm den betreffenden Beamten beiseite und fragte, ob diesem Fräulein Marga Milden vielleicht von Ansehen bekannt sei. Der Beamte nickte eifrig. „Sehr gut sogar. Die junge Dame brachte häufig kleinere Beträge. Wir alle hier von der Nebenstelle haben ihren Tod aufrichtig bedauert. Noch am Tage vor ihrer Ermordung hat sie fünfhundert Mark abgehoben.“

„Ja – und zehn Tage vorher vierhundert Mark. – Ich bin ihr Verlobter, Assessor Harst. –Ich danke Ihnen für die Auskunft.“

Harst fuhr weiter zum Polizeipräsidium. Stolten war nicht anwesend, aber Wachtmeister Salewski konnte ihm den Bescheid geben, daß bisher von den Marga geraubten Schmuckstücken nichts bei Händlern oder Hehlern aufgetaucht wäre. Als sie noch miteinander sprachen, trat Stolten ein. Er kam von einem „neuen Fall“. An der Jannowitzbrücke hatte man eine weibliche Leiche aufgefischt, die schon längere Zeit im

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)