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stellte sich dann dem Cafee gegenüber auf die Schattenseite in eine tiefe Haustür. Nach etwa drei Minuten tauchte der bleiche Kellner wieder auf und mäßigte sein Galopptempo erst dicht vor der Drehtür des Lokals, das er dann sehr gemächlich wieder betrat. Der Assessor blieb noch zehn Minuten in seinem Versteck. Es war ja nicht ausgeschlossen, daß der Blasse nochmals das Cafee verließ. –

Die Ballsäle des Nordens lagen nur um die Ecke. Soeben hatte Karl wieder an eine „Gönnerin“ die bekannte Frage gerichtet. Und nun – endlich ein Erfolg! – „Ach – die Film-Claire meinst du wohl, Junge?“ – „Sie soll große Augen und ne Stupsnase haben,“ meinte Karl eifrig. – „Stimmt – det is se. Du, sag’ man dem Kavalier, daß die Film-Claire schon lange nach München abjerutscht is. Sie hat ’n Engagement dort jekriegt.“ – Karl war enttäuscht. Aber er war auch schlau genug, diese Quelle weiter anzuzapfen. – „Wissen Sie’s auch janz bestimmt?“ fragte er nun. Da deutete die „Gönnerin“ nach der einen Saaltür hin, sagte achselzuckend: „Der da mit’s Monokel könnt’ Dir wohl ihre Adresse anjeben. ’t is ihr Freund.“

Karl duckte sich plötzlich hinter ihrem Riesenhut zusammen. Das da drüben war der Zylinder-Onkel, der Violinenkünstler! Und jetzt kam auf den langen Hageren sehr eilig ein bleicher Kellner zu. Sie flüsterten miteinander, schritten der Haupttreppe zu. Karl blieb dicht hinter ihnen. Die Treppe hatte eine scharfe Biegung. Und der Junge fing nun ein einzelnes Wort auf, einen Namen, dem eine Verwünschung folgte.

„Harst! Der Teufel hole den Hund!“ –

Harald Harst sah in seinem Versteck nach der Uhr. Gleich zwölf. Und um zwölf wollte er sich mit Karl auf der Weidendammer Brücke treffen. Er schaute sich nach einem Auto um, ging dann zu Fuß der Friedrichstraße zu. Plötzlich hinter ihm eine Stimme: „Sie, Herr, – einen Augenblick –“ – Es war der bleiche[1] Kellner in Hut und Mantel. Er war ganz atemlos, hastete nun hervor: „Gut, daß ich Sie noch gefunden habe. Sie wollten doch was über die Claire Ruckser wissen. Ich war inzwischen in den Borussia-Sälen. Dort hab’

  1. Vorlage: leiche
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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)