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ehe er sich dem Trunke ergab und dann schließlich Taschendieb wurde. – Nun – er würde diese gefährliche Fingerfertigkeit nie mehr zum Schaden seiner Mitmenschen ausüben. Harst hatte ihn jetzt auf den rechten Weg zurückgeführt, und von dieser ehrlichen Straße wollte er nie wieder abweichen – nie wieder!

Der Andrang zu dem Personenzuge war nicht groß. Er fand in der Vierten ein Eckplätzchen und machte es sich bequem. Nach ihm kamen noch zwei Frauen mit vielen Paketen und ein älterer Mann herein. Dann nach einer Weile noch ein Kollege von ihm, ein rotbärtiger, schlotteriger Mensch mit einer blauen Brille und einer kleinen Drehorgel.

Der Drehorgelspieler nickte ihm, als er den Violinenkasten sah, kameradschaftlich zu und stellte sein Instrument auf die Bank neben ihn, sagte dazu mit heiserer Säuferstimme: „Passen Sie doch ’n bißchen auf meine Quietschkiste auf.“ Dann verließ er den Wagen wieder und kehrte erst zurück, als der Zug sich bereits in Bewegung setzte. Er nahm mit einem: „Na, da wären wir ja!“ neben Schraut-Schüler Platz und holte eine dicke Stulle hervor. – „Möchten Sie was abhaben?“ fragte er. „Ich bin von Frau Auguste Harst gut versorgt worden –“

„Sie – Sie sind’s?“ stotterte der Komiker.

„Vorsicht! – Wir sind Kollegen, die sich hier zufällig getroffen haben. Danach richten Sie sich. – Hier, greifen Sie zu, essen Sie. Wir haben mit dem Bummelzug zwölf Stunden zu fahren. – Glaubten Sie wirklich, ich wollte Sie allein reisen lassen? – Nein, da hätte ich wohl kaum unseren jungen Freund Karl Malke nachmittags mit so viel Aufträgen herumgehetzt und mir von Ihnen nicht noch schnell eine Unterrichtsstunde im Schminken, Bartbefestigen und so weiter geben lassen! – Nicht wahr, die Hausmacher-Dauerwurst meiner Mutter ist großartig! – Wenn der Schaffner die Fahrkarten nachsehen kommt, wollen wir fragen, ob wir nicht hier und in den anderen Wagen Vierter ein wenig musizieren dürfen. Vielleicht haben wir Glück und stöbern einen braven Landmann aus Szentowo oder Umgegend auf, mit dem wir uns anbiedern können. Sie verstehen, Kollege: so ein bißchen

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/54&oldid=- (Version vom 1.8.2018)