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liebe Wagner über alles – sind mir schon als Staatsanwaltschaftsasserssor stets die besten Gedanken gekommen. – Bei diesem Morde stimmt etwas nicht, meine Herren. Soeben ist mir eingefallen, daß Marie den Grafen mir ebenfalls – bis auf seine Liebschaft mit der Mulack – als einen untadeligen, gutmütigen Ehrenmann geschildert hat, der für jedermann eine offene Hand hatte und der sich früher größter Beliebtheit erfreute. – Wie sind Sie eigentlich gerade darauf gekommen, daß die Leiche Ihrer Tante in dem See versenkt worden sein soll, Herr von Blenkner?“

„Weil Bollschwing in jener Nacht, als Tante Hildegard aus Szentowo verschwand – überhaupt verschwand, kurz vor Tagesanbruch auf Anstand auf einen Rehbock ging und in der Dunkelheit auf dem See das hellgestrichene Ruderboot, das zum Schlosse gehört, mit einer einzelnen männlichen Gestalt darin auf dem See gesehen hat – ziemlich dicht an der kleinen Anlegebrücke vor der Schloßterrasse, und weil er, bevor er es bemerkte, einen lauten Schrei ebenfalls vom See her hörte. Er kann aber nicht genau sagen, ob der Schrei aus weiblicher Kehle kam. Es war auch mehr ein Ruf, irgend ein Name, der sehr laut geschrien wurde, meint er. Er hat damals diesen Beobachtungen keine Bedeutung beigemessen, und erst als –“

„Schon gut – danke,“ unterbrach Harst ihn, fragte dann: „Trauen Sie Ihrem Onkel Erwin einen Mord zu?“ – „Offen gestanden: nein! Wenn nicht so vieles gegen ihn spräche –“ – „Also nicht, Herr von Blenkner. Das genügt mir, – Ich bin jetzt überzeugt, Ihre Tante ist nicht ermordet worden. Sie befinden sich auf falscher Fährte, genau wie ich, der ich Sie erst für den Dieb des Familienschmuckes hielt und dann ebenfalls einen Mord annahm. – Der Charakter des Grafen und der Schrei sind das ausschlaggebende Moment hier.“ Er rauchte ein paar schnelle Züge. „Was halten Sie überhaupt von diesem Diebstahl?“ – „Er hat nie stattgefunden, Herr Harst. Ich behaupte, die jetzige Frau des Grafen hat ihren Mann dazu zu bestimmen gewußt, ihn zu erfinden, um die Juwelen heimlich in Berlin verkaufen zu können ohne Schädigung des Ansehens ihres Gatten. Bollschwing

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/82&oldid=- (Version vom 1.8.2018)