Seite:Zwei Taschentücher.pdf/83

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

war es, der im Winter die jetzige Gräfin in Berlin einmal heimlich verfolgt und in einem Goldwarengeschäft hat verschwinden sehen, dessen Inhaber sich dann weigerte anzugeben, was die Dame soeben bei ihm gewollt hätte. Dabei lag aber auf dem Verkaufstisch eine Perlenkette mit einem antiken Verschluß, die nach Bollschwings Beschreibung sehr wahrscheinlich aus dem Familienschmuck stammte.“ – „Das klingt durchaus glaubhaft, zumal doch der Graf anscheinend in letzter Zeit stets stark in Geldverlegenheit war. – Ah – der Aufseher mit einer Depesche. – Aus Berlin – an den Amtsrichter? – Das ist die erwartete Antwort. – Sie gestatten, daß ich vorlese: „Treffe im Auto nachmittags ein. – Wettgegner. Im Auftrage – Kammler!“ – Das ist nämlich der Kommerzienrat Kammler, meine Herren, der eigentliche Urheber der Millionenwette. Er soll an Ort und Stelle erfahren, was es mit dem Geheimnis des Sees auf sich hat und soll, so hoffe ich, genau auch wie Sie beide noch heute – die Leiche der Gräfin Hildegard Lippstedt sehen. – Bitte, fragen Sie nichts mehr, meine Herren. Finden Sie sich um zehn Uhr abends am Ausgange der Stadt auf der Chaussee hinter dem Bahnhof ein.“ –

„Ziehen Sie sich die Schuhe aus, meine Herren. Es geht nicht anders. Wir müssen jedes Geräusch vermeiden.“ So sprach Harst vor der Seitenmauer des Erbbegräbnisses im Park von Szentowo und kletterte dann als erster durch das Fenster in die Kapelle hinein. Mörner, Bollschwing, Blenkner, Kammler und Schraut-Schüler folgten. Sie alle nahmen sich sehr in acht, und so gelangten sie lautlos bis auf die in die Erbgruft hinabführende Steintreppe. Unter ihnen schimmerte Licht. Man hörte metallisches Klirren, lautes Keuchen, das Knirschen einer Stahlsäge, schließlich eine weibliche Stimme:

„Erwin – ich vergehe vor Grauen. Laß doch die Tote, wo sie ist, – ich flehe dich an! Glaube mir, Du hast zu große Angst, daß dieser Harst uns schaden könnte. Wie soll er wohl auf die Vermutung kommen, daß die Tote gerade unten im Zinksarge liegt! – Mein Gott – dieses hier übersteigt meine Kräfte. Ich – ich –“

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/83&oldid=- (Version vom 1.8.2018)