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„Schweig – schweig!! Hast Du nicht den ganzen Plan ersonnen, hast Du mich nicht elend – zum Verbrecher gemacht?! Und jetzt, wo wir die Leiche von hier fortschaffen müssen, da dieser Harst fraglos schon in irgend einer Verkleidung hier herumspioniert – wenn ich nur wüßte, in welcher! – willst Du von Grauen und Angst sprechen, Du – Du, die ich jetzt als meinen bösen Geist verfluche, die mich noch zum Selbstmord treiben wird –“

Da hielt Harst die Zeit für gekommen. Absichtlich räusperte er sich laut, betrat nun die Gruft. Die anderen drängten nach. – Ein gellender Aufschrei der Gräfin. Der Graf selbst stand regungslos neben dem Sarge, schaute den Eindringlingen mehr überrascht als erschrocken entgegen.

„Herr Graf,“ begann Harst, indem er auf den Zinksarg deutete, „schon gestern Nacht verriet mir Ihre begonnene Arbeit da, daß Ihre erste Gattin sehr wahrscheinlich mit der unechten Gräfin diese letzte Ruhestätte teilte. Die Gräfin Hildegard hat sich aus Kummer über ihre unglückliche Ehe in jener Nacht im See ertränkt. Sie eilten ihr nach, riefen laut ihren Namen, konnten aber den Selbstmord nicht mehr verhindern, fischten die Leiche heraus, die wohl im flachen Wasser gelegen haben wird, verbargen sie, fuhren zu Ihrer Geliebten nach Malchin, die Ihnen dann den Gedanken eingab, die Eisenbahnkatastrophe dazu zu benutzen, den Selbstmord zu verheimlichen und einen Versicherungsbetrug in Szene zu setzen, da die Versicherungsgesellschaft bei Selbstmord die 100 000 Mark nicht auszuzahlen brauchte. – Sie sind dann, als das Leuchten auf dem Seegrunde sich zeigte, häufig nachts im Boot auf dem See gewesen, um diese Erscheinung selbst zu untersuchen, die sie bei Ihrem belasteten Gewissen beunruhigt haben wird. Anderseits wollten Sie aber auch nicht die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf dies seltsame Phänomen lenken, damit nicht etwa Schloß Szentowo und der See der Mittelpunkt Ihnen sehr ungelegener Nachforschungen würden. – Da Sie zu alledem schweigen, nehme ich an, daß ich meine Aufgabe hier restlos erfüllt habe.“

Graf Lippstedt verbeugte sich knapp, wandte sich dann

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/84&oldid=- (Version vom 1.8.2018)