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phantasierte leise über Motive aus Wagners Walküre. Seine geliebte, süßlich duftende Mirakulum hing ihm im Mundwinkel. Er spielte künstlerisch, und es war ein Genuß, ihm zuzuhören. Nach einer Weile erklärte er dann ganz unvermittelt:

„Ich habe die Berichte in den Zeitungen über den Schmiedicke-Fall gesammelt und sehr genau studiert. Sie doch auch, Schraut, nicht wahr?“ – „Gewiß, vor kaum zehn Minuten,“ erwiderte ich. – „Was ist Ihnen dabei aufgefallen?“

Diese Frage kannte ich schon. Mir sollte auch bei der Geschichte in Szentowo so alles Mögliche auffallen. Aber – Harst stellte eben zu große Ansprüche an mich als seine bescheidene Hilfskraft. Er maß zu sehr mit eigenem Maße. Wie konnte ich wohl wie er, der doch für den Detektivberuf geradezu hervorragend begabt ist, sofort überall da Besonderes wittern, wo ganz winzige Unstimmigkeiten in dem Tatsachenmaterial sich zeigten?! – Ich antwortete daher auch jetzt diplomatisch: „Vorläufig ist mir nichts aufgefallen. Ich werde die Berichte aber nochmals durchsehen.“ – Er schlug ein paar dröhnende Baßakkorde an, die wie ein ärgerlicher Ausruf klangen. Dann sanken seine Hände von den Tasten herab. „Ich glaube weder an das Feuermal des einen noch an den künstlichen Arm des anderen,“ sagte er. „Die beiden Burschen haben als geriebene Verbrecher diese besonderen Kennzeichen nur vorgetäuscht, um nachher desto sicherer zu sein. Wer einen solchen Millionenraub plant, darf auf der Wange keinen talergroßen rotbraunen Fleck haben und wählt sich nicht gerade einen Einarmigen zum Komplicen.“ – Ich wagte zu bemerken, daß doch der Zimmerkellner von 46, 47 verschiedentlich gesehen hätte, wie Viktor Reupert nur den rechten Arm gebrauchte, während der linke Unterarm mit der handschuhbekleideten künstlichen Hand stocksteif auf dem Tisch ruhte. – Harst stand vom Flügel auf, meinte: „Na – warten wir ab, lieber Schraut. Die Offiziellen schwören scheinbar auch auf diesen künstlichen Arm, genau so wie sie auch den Fehler begehen, dem Hause Preßburger Straße 5 viel zu geringe Beachtung zu schenken. – Doch – genug

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/89&oldid=- (Version vom 1.8.2018)