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der er eine Postanweisung auszuzahlen gehabt hatte. Er war dann also fraglos von der Walter direkt nach dem um die Ecke in der Fröbelstraße liegenden Hotel Sonnenschein zu den Reuperts gegangen, obwohl er noch in den Gebäuden bis zum Hotel hin eine Menge Bestellungen zu erledigen hatte. Daher nahm die Kriminalpolizei auch an, daß die Reuperts, die fast täglich Geldbeträge per Post erhalten hatten, ihn durch die Zusicherung eines guten Trinkgeldes dazu bestimmt hatten, gerade am 3. Mai seinen Bestellgang zu unterbrechen und zu einer gewissen Zeit sich bei ihnen einzufinden.

Ich war sehr stolz darauf, daß ich den Zusammenhang zwischen der Anzeige und Preßburger Straße 5 entdeckt hatte. Als ich dann in Hamburg Harst dies mitteilte, sah er mich fragend an. „Na – und weiter?“ meinte er. – „Ja – was denn weiter?“ sagte ich etwas unsicher. Er klopfte mich auf die Schulter: „Lieber Schraut – das weitere ist ja gerade die Hauptsache! Doch – lassen wir’s jetzt.“

Den 13. Mai über blieben wir in Hamburg. Am 14. morgens reisten wir nach Berlin. Mein Krankenstuhl stand im Gepäckwagen. Ich fuhr erster Klasse und war jetzt der frühere Gutsbesitzer Michael Schrammel aus Neuhof bei Hamburg, der infolge eines Schlaganfalls zumeist von seinem Pfleger und Diener Heinrich Hinkel, welcher bescheiden in der 3ten saß, gefahren werden mußte und der in Berlin einen berühmten Professor konsultieren wollte.

Das Hotel Sonnenschein in der Fröbelstraße war damals ein erst zwei Jahre alter Prachtbau mit allem modernen Komfort. Der Besitzer August Schütze, ein früherer Oberkellner, konnte mit seinem Einfall, sein Hotel nicht wie üblich „Astoria“, „Zentral“, „Kontinental“ oder so ähnlich getauft zu haben, sehr zufrieden sein. Sonnenschein – das behielt jeder, das wirkte erwärmend, lockend, vielverheißend. Und – Hotel Sonnenschein war denn auch immer sehr gut besetzt. Wir hatten von Hamburg aus telephonisch nach freien Zimmern angefragt, drei belegt und fanden daher bei unserer Ankunft alles in Nr. 30, 31, 32 bereit. Sie lagen den bewußten 46, 47 in der 2. Etage schräg gegenüber und dicht an der Haupttreppe und dem Fahrstuhl.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/91&oldid=- (Version vom 1.8.2018)