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hold, wenn auch ebenso traurig aus. Sie ist die Tochter des Rechnungsrats Hold aus Eberswalde und sucht hier eine Stellung als Gesellschaftsdame, Empfangsdame oder dergleichen. Ich verdanke diese Einzelheiten der Pensionsinhaberin, der Witwe Pestell, bei der ich seit heute ein Zimmer belegt und für acht Tage für einen Neffen vorausbezahlt habe, der morgen ankommen soll und nie ankommen wird, da der arme Junge, der ja gar nicht existiert, erkranken wird. Auf diese Weise kann ich häufiger bei der Pestell mich zeigen, die offenbar für Geld alles tut – auch spionieren.“

„Aber – aber, – wozu dies alles, wenn Sie doch von der Anzeige sich nichts versprechen?“ meinte ich mit ehrlichem Erstaunen. Worauf Harst die vierte Mirakulum am Stummel der dritten anrauchte und entgegnete: „Oh – die Gertrud Hold gefällt mir, lieber Schraut, hauptsächlich deswegen, weil sie sich mit ihren Eltern eines Menschen wegen überworfen hat, der ein Taugenichts sein soll. Und Taugenichtse interessieren mich immer.“ Er gähnte zwanglos. „Ich hatte gehofft,“ fuhr er etwas lebhafter fort, „daß ein Mann die Offerten einfordern würde. Insofern ist diese Spur ein Fehlschlag – aber nur insofern, lieber Schraut. – Gute Nacht. Ich bin müde. Sie finden wohl allein ins Bett.“

Ich lag noch eine ganze Weile wach und schlief dann mit der Überzeugung ein, daß Harst es mit mir jetzt wieder genau so machte wie in Szentowo, wo er mich auch zumeist mit halben Andeutungen abspeiste. – Gertrud Hold war ihm – interessant. Arme Gertrud! Dieses Interesse eines Harald Harst für Deine holde Person ist nicht ganz ungefährlich.




Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/94&oldid=- (Version vom 1.8.2018)