ADB:Böhmer, Justus Henning
Schröter, Wildvogel, Freih. v. Lynker und Schubart studirte, daneben historischen und philosophischen Studien oblag. 1695 disputirte er unter dem Präsidium von Wildvogel über seine Dissertation: „De imputatione culpae propriae“, und widmete sich dann in seiner Vaterstadt der Advocatur. Da ihn jedoch der akademische Beruf anzog, ging er 1697 als Hofmeister nach Rinteln und dann nach Halle, wo er namentlich Thomasius und Stryk hörte und in letzterem einen Gönner erwarb. 1698 wurde er auf die Dissertation: „De jure epistalmatis, von fürstlicher Ordre“ in Halle zum Licentiaten beider Rechte promovirt und begann 1699 daselbst Vorlesungen zu halten. 1701 als Begleiter des Grafen Heinrich Georg v. Waldeck zu den Feierlichkeiten, welche sich an die Krönung des ersten Königs in Preußen anschlossen, nach Berlin gereist, trat er in Beziehung zu dem dortigen Ministerium, worauf er am 27. Juli 1701 zum außerordentlichen Professor in Halle ernannt wurde und dort am 11. August 1702 die Doctorwürde annahm. Am 9. December 1704 wurde er auf königlichen Specialbefehl Stryk in der Juristenfacultät adjungirt; am 24. August 1711 erhielt er zugleich mit der ordentlichen Professur eine Stelle in der genannten Facultät, am 29. Juni 1715 nach dem Tode des jüngeren Stryk dessen Professur der Institutionen und des Lehnrechts. 1715 wurde er Pfalzgraf, erhielt darauf den Titel eines Hofraths, am 23. Mai 1719 aber den eines Geheimen Raths. Von Friedrich Wilhelm I. wurde er durch Handschreiben vom 12. Mai 1731 nach Potsdam gerufen, um sein Gutachten über die Hebung der Universität abzugeben. Der König ernannte ihn darauf unter dem 25. Mai zum Director der Universität und Vice-Ordinarius der Juristenfacultät, und nach dem Tode des Kanzlers von Ludewig wurde er unter dem 14. Dec. 1743 zum Regierungskanzler des Herzogthums Magdeburg und Ordinarius der Juristenfacultät befördert. Trotz zahlreicher ehrenvoller Berufungen an die Universitäten Bern, Kiel, Helmstädt, Frankfurt a. O., Tübingen, an die kursächsischen Universitäten, als Hofrath nach Celle, und auch als ihm der Kaiser 1726 eine Reichshofrathsstelle anbot, blieb er Halle treu. Im August 1749 erkrankte und starb er. Aus seiner am 21. August 1703 mit Eleonora Rosina Stützing geschlossenen Ehe stammten vier Söhne, von denen der älteste Johann Samuel Friedrich (von) B. als Director der Universität Frankfurt a. O. 1772 starb (s. o.); der zweite Karl August (von) B. als königl. preußischer Geheimer Rath, Präsident der Oberamtsregierung und des Oberconsistoriums zu Glogau bereits am 7. März 1748 gestorben ist; der dritte Georg Ludwig B. (s. o.) als Rechtslehrer in Göttingen wirkte, während der jüngste Philipp Adolf B., geb. 1712, als Professor der Anatomie zu Halle 1789 gestorben ist (s. u.). Just Henning B. war ebenso ausgezeichnet durch seine gründliche Gelehrsamkeit, als durch seine ernste religiöse Gesinnung (wie er denn auch Kirchenlieder gedichtet hat) und durch seine Gerechtigkeitsliebe. – Just Henning Böhmer’s wissenschaftliche Arbeiten gehören vorzüglich dem Civilrecht und dem Kirchenrecht an und besonders durch die letzteren hat er sich bleibend eine ruhmvolle Stellung in der Geschichte der Wissenschaft gesichert. In ersterer Beziehung sind hervorzuheben: „Usus moderni Strykiani continuatio a libro XXIII. usque ad librum XXXVIII.“, 1733. Es ist bemerkenswerth, wie namentlich die Rechtslehrer in Halle unter [80] der freilich mangelhaften Hülle des „Usus modernus Pandectarum“ eine Fülle moderner und deutschrechtlicher Bildungen vor der Unterdrückung durch das römische Recht bewahrt, und bei ihren nahen Beziehungen zu der preußischen Gesetzgebung des achtzehnten Jahrhunderts durch Vermittlung der letzteren als ein wichtiges Element der späteren nationalen Civilgesetzgebung überliefert haben. „Introductio in jus digestorum“, zuerst 1704, ein Pandektencompendium, das, oft aufgelegt, sich an manchen Universitäten bis in den Anfang unsers Jahrhunderts behauptete. „Justiniani Imp. institutionum libri IV, notis illustrati“, 1718. 8.; „Ed. emend. adjecta Theophili paraphrasi“, 1718. 4. Seine zahlreichen Dissertationen hat sein Sohn Georg Ludwig B. in den „Exercitationes ad pandectas“, T. I–VI. Hannov. et Gott. 1745–1764. 4. gesammelt. Unter Just Henning Böhmer’s kirchenrechtlichen Werken ragt hervor sein „Jus ecclesiasticum protestantium, usum hodiernum juris canonici juxta seriem Decretalium ostendens“, 1714–37. 5 Tom., Ed. V. (Tom. 5. Ed. III.) 1756 sqq. 5 Tom. Damit hängt zusammen sein „Jus parochiale“, 1701. Ed. VI. 1760. In seinem großen, durch die geschichtliche Gelehrsamkeit, wie durch die Fülle praktischer Anschauungen ausgezeichneten Werke über das Kirchenrecht weist B. die durch die Grundsätze der Reformation und die spätere kirchliche und weltliche Gesetzgebung modificirte Geltung des canonischen Rechts in der evangelischen Kirche eingehend nach, und hat so die Behandlung des evangelischen Kirchenrechts für die Folgezeit vor den entgegengesetzten Abwegen der gewaltsamen Losreißung von der geschichtlichen Grundlage des Rechts der vorreformatorischen Kirche, wie der ungebührlichen Beherrschung durch solche Principien des letzteren, welche den Grundsätzen der Reformation widerstreiten, sicher gestellt. Auch in seinen Anschauungen über Lehre und Bekenntniß vertrat er die evangelischen Principien gegen die Abirrungen der starren Orthodoxie, wie des flachen Rationalismus. Hinsichtlich der Stellung der landesherrlichen Gewalt zur evangelischen Kirche huldigte B. einem gemäßigten Territorialismus, neigte sich aber später dem Collegialismus zu. J. H. Böhmer’s Methode und Material beherrschten die gesammte Behandlung des evangelischen Kirchenrechts im 18. Jahrhundert und obwol er von der Einwirkung falscher Naturrechtstheorien seiner Zeit sich nicht frei zu halten vermochte, so ist sein Werk für gründliches Studium des evangelischen Kirchenrechts wegen der Fülle praktischer Gesichtspunkte, die ihm hinsichtlich des katholischen freilich nicht ebenso zu Gebote stand, noch gegenwärtig unentbehrlich. Nicht geringer ist das Verdienst, was sich B. durch seine Ausgabe des „Corpus juris canonici“, Hal. 1747. 4. erwarb. Ist auch der Text derselben nicht correct und nicht selten von dem officiell festgestellten der Editio Romana von 1582 abweichend, so zeichnet sie sich doch durch die in den Vorreden verwertheten eigenen und fremden Untersuchungen, durch die Hinzufügung eines kritischen Apparates, die Nachweise der Quellen, die Angaben über die Inscriptionen etc. aus, und ist nur von der Richter’schen übertroffen worden, durch welche sie indessen nicht völlig entbehrlich geworden ist. Noch sind zu erwähnen „XII Dissertationes juris ecclesiastici antiqui ad Plinium Secundum et Tertullianum“, 1711. 4., Ed. II. aucta, 1729. 8.; „Kurzer Entwurf des Kirchenstaats der drey ersten Jahrhunderte“, 1713, dann 1733; „Institutiones juris canonici tum ecclesiastici, tum pontificii ad methodum decretalium nec non ad fora catholicorum atque protestantium compositae“, 1738, Ed. V. 1770. Dazu kommen seine Ausgaben von Petrus de Marca, „De concordia sacerdotii et imperii“, Lips. et Francof. 1708 fol., von C. Fleury, „Institutiones juris ecclesiastici“, 1724. 1733 u. a. Seine „Consultationes et decisiones juris“ sind gesammelt 3 Tom. in 7 Part. fol. 1748–54.
Böhmer: Just Henning B., geb. 29. Jan. 1674, † 29. Aug. 1749, ein namentlich um die Wissenschaft des Kirchenrechts hochverdienter protestantischer Jurist. Zu Hannover, wo er geboren ward, war sein Vater Valentin B. Rechtsconsulent; seine Mutter hieß Anna Maria Schirmer. Seine Vorfahren waren aus Böhmen um der Religion willen flüchtig geworden. Auf der Stadtschule seiner Vaterstadt besonders in den alten Sprachen unterrichtet, bezog Just Henning B. 1693 die Universität Jena, wo er die Rechte unter Leitung von Hartung, Flörke, Friese,- [81] Joh. Peter Niceron’s Nachrichten v. d. Begebenhtn. u. Schriften berühmter Gelehrten, herausgeg. v. Friedr. Eberh. Rambach. Bd. XXII. (Halle 1762) S. 299–340; Christ. Gottl. Hauboldi Institutiones jur. Rom. litterariae, T. I. (Lips. 1809). §. 61. p. 153 sq.; Spangenberg in Ersch und Gruber’s Allgem. Encykl. der Wissensch. u. Künste, Thl. XI. (Leipz. 1823) S. 240 u. d. A.; Jacobson in Herzog’s Real-Encykl. f. prot. Theol. u. K. Bd. II. (1854) S. 277 f.