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ADB:Bahrdt, Carl Friedrich

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Artikel „Bahrdt, Karl Friedrich“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 772–774, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bahrdt,_Carl_Friedrich&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 00:57 Uhr UTC)
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Bahrdt: Karl Friedrich B., der verschrieene Aufklärer und theologische Abenteurer des vorigen Jahrhunderts, geb. 25. Aug. 1741[WS 1] zu Bischofswerda, † zu Halle 23. April 1792, hat die ganze Stufenleiter theologischer Richtungen durchgemacht. Als Leipziger Katechet orthodox und des Hauptpastors Goeze Liebling, wandte er sich als Erfurter Professor vom Symbol- zum Bibel-Glauben, die stroherne Hülle scholastischer Terminologie aus der Dogmatik entfernend, und ging als Professor in Gießen in Berichtigung des Lehrbegriffes immer weiter. Wegen seiner „Neuesten Offenbarungen Gottes in Briefen und Erzählungen“ (1773), darin sich Alles so verständlich liest, als ob die neutestamentlichen Schriften einen Deutschen zum Verfasser gehabt hätten, ward er ein Socianer in Lebensgröße, ein Naturalist mit der Bibel unter dem Arm, ein Vorfechter aus Satanas’ Schule gescholten: er habe das Neue Testament übersetzt wie ein Heide. Nach seiner durch Leichtsinn verunglückten philanthropinistischen Thätigkeit in Marschlinz, faßte er als durch Reichshofrathsconclusum entsetzter Generalsuperintendent von Dürkheim seine Heterodoxie in ein kurzes Glaubensbekenntniß zusammen, worin er die christliche Religion bis auf die Knochen abschälte und [773] nichts als ein bloßes Gerippe von kahlem Deismus mit moralischen Bettlerlappen behängt, übrig ließ. B. hatte gleichwol damit von der lutherischen Kirche sich nicht lossagen wollen. Erst in Halle, wo der Landflüchtige (1779) Privatdocent, später Wirthshausvater wurde, schlug durch des Philosophen Eberhard und des Pädagogen Trapp Einfluß die Sterbestunde für seinen Offenbarungsglauben. Er wird entschiedener Anhänger der bloß natürlichen Religion und der Herold des hereinbrechenden naturalistischen Reiches. Alle Religion soll im Staate auf allgemeine Vernunftbegriffe eingeschränkt werden, damit alle Unterthanen gleichen Antheil an der öffentlichen Religion nehmen können. Christus selbst war der größte Naturalist, der, glühend vor Abscheu gegen die scheußlichste Unterjochung der Vernunft und der Tugend, welche herrschsüchtige Priester allen Völkern durch vorgebliche Göttersprüche und eingeführten Opferdienst bewirkt hatten, einen Versuch zu machen beschloß, die Welt aufzuklären und durch reinere Begriffe von Gott und Gottesverehrung dem menschlichen Geiste seine Freiheit, der Wahrheit ihr Interesse und der Tugend ihre Verehrer wiederzugeben. Sein Zweck war, nach und nach alle positive Religion zu verdrängen, und es waren bloße Klugheitsrücksichten, die ihn hinderten, alle unmittelbare Offenbarung als Priesterbetrug darzustellen. Auf diesem Standpunkt hat B. sich viel seltsame Mühe gegeben, den übernatürlichen Factor als Ueberrest jüdischen Aberglaubens aus der Bibel zu entfernen. Er hat in seiner „Kleinen Bibel“ (1780) Moses zum Feuerwerker gemacht, der mit Hülfe des Pulvers vom Berge Sinai herabdonnerte, in seinen „Briefen über die Bibel im Volkston“ (1782) alle Wunder Christi natürlich erklärt. Die Krankenheilungen geschahen mit Hülfe von Heilmitteln, die er als arcana und als Universalmedicin bei sich führte, die Todtenerweckungen waren Erweckungen aus tiefer Ohnmacht. Auf der Hochzeit zu Kana hatte Jesus einen Vorrath von (vielleicht nur gemachtem) Wein zur Hand. Die Speisung der 5000 wurde dadurch möglich, daß Jesus einen Korb mit verschnittenem Brod nach dem anderen aus einer Höhle tragen ließ, worin Tags vorher Brodvorräthe in Menge geschafft worden waren; das Wandeln auf dem Meere ist geschehen auf einem ungeheuren hundert-elligen Stück Bauholz. Endlich in seiner „Ausführung des Plans und Zweckes Jesu“ (1783) erscheint B., dem alten Freimaurer und Gründer der deutschen Union, gleichsam einer Fortsetzung des Illuminatenordens, Jesus als Stifter einer geheimen Ordensgesellschaft mit drei Graden, bestimmt das heilige Depot der vernünftigen Religion im Stillen zu verwahren, um es gegen Aberglauben und Priesterbetrug zu schützen, wie denn auch schon Moses mittelst einer Art von Maurerei und durch Geheimnisse die Israeliten vom Joch der Aegypter befreite. An den Ordensbrüdern hatte Jesus willige Werkzeuge, die bei den wunderbar scheinenden Handlungen und besonders zur Zeit seines Leidens und Sterbens als stärkende Engel und als Engel in weißen Kleidern sich thätig erwiesen. Nach der scheinbaren Himmelfahrt lebte Jesus als unbekannter Oberer im Cercle einer Mutterloge fort, in welche noch Paulus aufgenommen wurde. Wie hier B. das Leben des Herrn in einen abenteuerlich sentimentalen Roman verwandelt hat, so war er selbst ein abenteuernder, immer tiefer sinkender Libertin, lustig im Leben, leicht und Alles nur anstreifend in der Wissenschaft. Eine Reihe plumper Romane (z. B. „Leben und Thaten des weiland hochwürdigen Pastor Rindvigius“. Ochsenhausen [Liebau] 1790) und boshafte Schriften (z. B. „Kirchen- und Ketzeralmanach aufs Jahr 1781 Häresiopol“ [Züllichau]) ist besonders in den letzten Jahren seines Lebens von ihm ausgegangen, deren eine auf das preußische Religionsedict vom 9. Juli 1788 („Das Religionsedict. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen“. Thenakel [Wien] 1789) ihm ein Jahr Festungsarrest auf der Citadelle Magdeburg eintrug. In Folge seines berüchtigten Streites mit dem Leibarzt Zimmermann [774] in Hannover, in welchen sich Herr von Kotzebue mit seinem schändlichen Pasquill „Dr. Bahrdt mit der eisernen Stirn“ (1790) mischte, erhielt er den heute noch geläufigen Beinamen „Bahrdt mit der eisernen Stirn“. Er starb auf seinem bei Halle gelegenen Weinberg an der Quecksilberkrankheit, nach dem Tode noch von Pasquillanten verfolgt.

Die zahlreiche Litteratur über B. ist von dem Unterzeichneten in Raumer’s Historischem Taschenbuch, Jahrgang 1866, S. 346 ff. vollständig aufgeführt bis auf folgende zwei Schriften: Thiele, Bahrdt in Marschlins, ein fehlendes Füllstück zu seiner Lebensgeschichte. Zizers bei Chur in Bündten, 1796, und J. Leyser, K. F. Bahrdt, der Zeitgenosse Pestalozzi’s, sein Verhältniß zum Philanthropinismus und zur neueren Pädagogik. Neustadt a. d. H. 1867. 2. Aufl. 1870.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Tatsächliches Geburtsjahr: 1740. Siehe Günter Mühlpfordt: 1740, nicht 1741. Zu Bahrdts Geburtsjahr. Irrtum oder Manipulation? In: Gerhard Sauder/Christoph Weiß (Hrsg.): Carl Friedrich Bahrdt (1740–1792). St. Ingbert 1992, S. 291–305.