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ADB:Blumenbach, Johann Friedrich

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Artikel „Blumenbach, Joh. Friedrich“ von Oscar Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 748–751, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Blumenbach,_Johann_Friedrich&oldid=- (Version vom 1. Dezember 2024, 21:23 Uhr UTC)
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Band 2 (1875), S. 748–751 (Quelle).
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Blumenbach: Joh. Friedrich B., geb. 11. Mai 1752 in Gotha, studirte zu Jena und Göttingen, von 1776 bis zu seinem, am 22. Januar 1840 erfolgten Tode Professor der Medicin in Göttingen. An seinen Namen knüpft sich die Begründung der Anthropologie in dem Sinne, wie diese Wissenschaft gerade in der neuesten Zeit ihren Ausbau erhielt, er gilt als einer der bedeutendsten Naturhistoriker und war der erste Universitätsprofessor, welcher besondere Vorlesungen über vergleichende Anatomie hielt. Bis in das höchste Alter wirkte er anregend auf seine zahlreichen Zuhörer, unterstützt durch philosophische und classische Gelehrsamkeit, seinen lebhaften Geist und eine höchst originelle Persönlichkeit. In seiner allgemeinen philosophischen Bildung basirte er auf Kant, nachdem ihm Baco und Spinoza nicht fremd geblieben. Seine Naturforschung war daher im Sinne der Besten seiner Zeit eine philosophische, und weit entfernt von dem bloßen Aufzählen und Beschreiben, suchte er nach den Ursachen, wobei er Newton’s Grundregel huldigte: Causas rerum naturalium non plures admitti debere, quam quae et verae sint et earum phaenomenis explicandis sufficiant. Von Haus aus Mediciner nahm er früh eine feste Stellung zu einigen der wichtigsten physiologischen Fragen. Er war ein eifriger Vitalist und substituirte für die Lebenskraft die Namen „Bildungstrieb“ oder „risus formativus“. Diesen definirt er als einen Trieb, „der sich vor aller blos mechanischen bildenden Kraft (als welche auch im unorganischen Reiche Krystallisationen u. dgl. hervorbringt) dadurch auszeichnet, daß er nach der endlos mannigfaltig verschiedenen Bestimmung der organisirten Körper und ihrer Theile, [749] die vielartig organisirbaren Zeugungsstoffe auf eben so mannigfaltig aber zweckmäßig modificirte Weise in bestimmte Gestalten zu formiren vermag und so – durch die Verbindung des Mechanischen mit dem zweckmäßig Modificirbaren in diesem Triebe – zuerst bei der Empfängniß die allmähliche Ausbildung, dann aber auch die lebenswierige Erhaltung dieser organischen Bildung durch die Ernährung, und selbst wenn dieselbe durch Zufall gelitten haben sollte, so viel möglich die Wiederersetzung derselben durch die Reproduction, bewirkt wird“. Hiermit ist auch zugleich gesagt, daß er ein eben so entschiedener Epigenesist war, ein Gegner der Evolutionisten, welche schon im Keim und Samen die ganze Vielfältigkeit der Organe des künftigen ausgebildeten Lebewesens factisch enthalten sein ließen. Er erklärt also die Entstehung der neuerzeugten organisirten Körper „durch allmähliche Ausbildung (epigenesis) des an sich zwar ungeformten, aber unter den dazu erforderlichen Umständen organisirbaren Zeugungsstoffes“. Noch eine wichtige Grundanschauung Blumenbach’s reiht sich hieran, welche er aus der übersichtlichen und vergleichenden Erfahrung gewonnen hatte. Er huldigte nämlich nicht der Linné’schen und damals der bis tief in unser Jahrhundert hinein herrschenden Doctrin von der Constanz der Arten (die er „Gattungen“ nennt), sondern war, besonders nach den berühmten Cölreuter’schen Versuchen, überzeugt, daß man wenigstens durch künstliche Bastarderzeugung „endlich die eine Gattung von organischen Körpern gänzlich in die andere umwandeln“ könne. Gerade hiermit begründete er das Vernunftgemäße der Epigenesis. Unter ihrer Voraussetzung allein erschien ihm, wie es ja in der That ist, die Veränderlichkeit möglich, und diese eigenthümliche Biegsamkeit des Organismus bildet auch die Grundidee einer seiner ersten und wesentlichsten Arbeiten: „De generis humani varietate nativa.“

Die Eiferer unserer Tage, welche außer sich gerathen, wenn wir den Menschen an seine thierische Verwandtschaft erinnern, müssen daran gemahnt werden, daß die Betonung dieses Verhältnisses durchaus keine Erfindung der modernen Zeit ist. B. konnte zwar nicht Linné beistimmen, welcher sagte: nullum characterem hactenus eruere potui, unde homo a simia internoscatur, sondern meinte im Gegentheil, feste äußere Charaktere der Humanität aufstellen zu können, abgesehen davon, daß „auch ohne dieselbe hoffentlich nie ein Naturforscher in praxi in Verlegenheit gekommen sein würde, Menschen und Affen etwa zu verwechseln“. Aber seine ganze Behandlungsweise der Anthropologie bleibt eine naturforschende. Die Menschen in der Stufenfolge der Thiere und die Menschenaffen unter sich nach einem einseitigen Merkmal zu bestimmen, hatten schon Daubenton und Peter Camper versucht, jener durch die Stellung des Hinterhauptsloches zur Horizontalebene, dieser durch den allbekannten Gesichtswinkel. Als specifische Unterscheidungszeichen sah B. den aufrechten Gang an, die zwei vollkommenen Hände, das prominirende Kinn und die aufrechte Stellung der unteren Schneidezähne. In der oben citirten Schrift suchte er nun den Nachweis zu führen, daß nach denselben Gesetzen und unter denselben Einflüssen, wie andere organisirte Körper, namentlich die Hausthiere in Varietäten ausarten, auch die bekannten Völker aller Zeiten von einer gemeinschaftlichen Stammrasse abstammen könnten. Die Grenzen der fünf Rassen, in welche er das Menschengeschlecht unterzubringen unternommen, sind jedoch sehr willkürlich. Sie sind: die kaukasische, mongolische, äthiopische, amerikanische und malayische, und von ihnen müsse, so meinte er, nach allen physiologischen Gründen die kaukasische als die sogenannte Stamm- oder Mittelrasse angenommen werden. Eine Ergänzung und Fortsetzung dieser anthropologischen Studien bildeten seine Schädeluntersuchungen, wie sie in den „Decades craniorum“ niedergelegt sind. Das große Verdienst dieser grundlegenden anthropologischen Studien ist das Hervorheben des Totalhabitus, was hier in [750] einer weit glücklicheren Weise geschehen ist als, wie unten gezeigt werden wird, bei der Ausarbeitung seines zoologischen Systemes.

B. begann sein Lehramt als Anatom und Physiolog. Die Anatomen der vorigen Jahrhunderte waren jedoch, wie es in der Entwicklung ihrer Disciplin lag, auch meistens vergleichende Anatomen, und so ist Blumenbach’s „Geschichte und Beschreibung der Knochen des menschlichen Körpers“ voll von vergleichenden anatomischen Bemerkungen, aus denen eine reiche Selbstthätigkeit hervorleuchtet, während er in der Physiologie mehr die allgemein bekannten Pfade wandelt. Dort war er daher auch schöpferisch, und er kommt, so oft es geht, auf sein Grundthema, die allgemeine Menschen- und Völkerkunde, zurück. Eine Aufgabe, welche jetzt noch nicht gelöst ist, hat B. gestellt, die Charakterisirung des Gerippes nach den Nationalverschiedenheiten der Menschenrassen.

Es ist schon bemerkt, daß man den Anthropologen B. nicht von dem Naturforscher loslösen kann, und so beruht denn auch sein Ruf vornehmlich auf seiner Wirksamkeit als Professor der Naturgeschichte. Sie erstreckte sich über die drei Theile: die Mineralogie, Botanik und Zoologie; sein Hauptfeld war aber die Thierkunde, welcher auch der weitaus größere Raum in den vielen Auflagen und Ausgaben des Handbuches der Naturgeschichte eingeräumt ist. Die Vorzüge der Behandlung sind in den obigen Mittheilungen über Blumenbach’s allgemeinen Standpunkt schon enthalten. Es ist in der That das erste nach modernem Zuschnitt auf umschauender anatomisch-physiologischer Grundlage. Allein reformatorisch griff B. trotz alledem nicht ein, weil er im wesentlichen das schwache Linné’sche System beibehielt und damit bei der Durchführung der speciellen Systematik an der Oberfläche haften blieb. Wenn wir nicht irren, ist der Ausdruck „natürliches System“ zuerst von B. gebraucht worden; er will ein solches dem künstlichen Linné’schen gegenüber begründen und dabei mehr auf den „Totalhabitus“ sehen. Allein gleich bei der Eintheilung der Säugethiere verfällt er in denselben Fehler, welchen er soeben an dem großen Schweden getadelt hat, den der Consequenz in der Einseitigkeit. Hatte dieser sich hauptsächlich an die Zähne gehalten, so legt er „vorzüglich die Bewegungswerkzeuge, weil sie am leichtesten in die Augen fallen und dem Totalhabitus sehr angemessen sind, zum Grund der Ordnungen“, wie es vor ihm schon Ray und Pennant gethan. Ohne auf eine Aufzählung und Kritik der Ordnungen einzugehen, sei nur erwähnt, daß er für den Menschen die schon von Aristoteles gebrauchte Bezeichnung Bimanus, für die Affen die Buffon’sche Quadrumana einführte. Wie unglücklich die letztere, hat erst in neuester Zeit Hurley nachgewiesen. Er stellte ferner zu den Ferae außer den Insectenfressern auch die Beutler und vereinigte in der gänzlich verfehlten Ordnung der Palmata die Biber, Seehunde, Ottern, Schnabelthiere, Wallroß, Manate. Mit Recht sagt daher Spix in seiner Geschichte der zoologischen Systeme, daß „dieser Verfasser eines Werkes über vergleichende Anatomie sich in der Systematik nicht im geringsten durch letztere leiten, sondern allein durch die zufällige Aehnlichkeit nach dem Totalhabitus blenden ließ“. Und ferner: „Ueberhaupt herrscht durch das Ganze nicht eine und die nämliche lebendige Ansicht, welche sowol die Ordnungen, als auch die einzelnen Gattungen unverrückbar an ihren Platz gestellt hätte, was doch sicher von diesem so kenntnißreichen Naturforscher zu erwarten gewesen wäre, hätte es ihm gefallen, auch in der Zoologie von seinem Studium der vergleichenden Anatomie und Physiologie Gebrauch zu machen, was leider nicht geschehen ist.“ Wir müssen dieses gerechte Urtheil noch dahin ergänzen, daß B. bei seiner an Peter Camper erinnernden Vielseitigkeit und Vielgeschäftigkeit auch nicht einmal so weit in die vergleichende Anatomie eingedrungen war, um die systematische Zoologie auf jene wirklich zu basiren, und daß er bei Herausgabe seines in Deutschland lange Zeit hoch angesehenen [751] „Handbuches der vergleichenden Anatomie“ (1805), des ersten, was überhaupt erschien, in der ihm fast gänzlich verschlossen gebliebenen Anatomie der wirbellosen Thiere von Cuvier schon vollständig überflügelt war.

Die wichtigsten Werke Blumenbach’s sind: „De generis humani varietate nativa“, Goett. 1775; „Ueber den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäft“, 1781; „Handbuch der Naturgeschichte“, 1779; „Geschichte und Beschreibung der Knochen des menschlichen Körpers“, 1786; „Institutiones physiologicae“, 1787; „Colleccionis suae craniorum diversarum gentium decades“, 1790–1820; „Abbildungen naturhistorischer Gegenstände“, 1796; „Handbuch der vergleichenden Anatomie“, 1805.

Marx, Zum Andenken an Blumenbach, Gött. 1840, mit einer Schilderung seiner originellen Persönlichkeit u. vollständ. Schriftenverzeichniß.