Zum Inhalt springen

ADB:Clam-Martinic, Karl Graf von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Clam-Martinitz, Graf Karl Jos. Nepomuk von“ von Eduard von Wertheimer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 490–496, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Clam-Martinic,_Karl_Graf_von&oldid=- (Version vom 17. November 2024, 11:29 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Clasen, Lorenz
Band 47 (1903), S. 490–496 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand Mai 2015, suchen)
Karl von Clam-Martinic in Wikidata
GND-Nummer 104056398
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|47|490|496|Clam-Martinitz, Graf Karl Jos. Nepomuk von|Eduard von Wertheimer|ADB:Clam-Martinic, Karl Graf von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104056398}}    

Clam: Graf Karl Jos. Nepomuk C.-Martinitz, geboren in Prag am 23. Mai 1792, † in Wien am 29. Januar 1840, zählt zu den hervorragendsten Persönlichkeiten der vormärzlichen Periode. Obgleich er, im kräftigsten Mannesalter stehend, schon eine bedeutende Vergangenheit hinter sich hatte, erwarteten seine ihm gesinnungsverwandten Zeitgenossen noch viel Bedeutenderes von ihm. Bei seinem Tode hieß es – wie in einem ungedruckten Tagebuch zu lesen –, eine ganze große Zukunft sei mit ihm ins Grab gesenkt worden.

Sein Vater, oberösterreichischer Regierungspräsident und seit 1820 Oberstlandkämmerer von Böhmen, ward durch seine Heirath mit Maria Anna, der Erbtochter des Grafen Franz Karl v. Martinitz, der Stifter einer besonderen Linie, die von nun an den Namen Clam-Martinitz führte. Er bestimmte seinen Sohn Karl, gegen dessen Neigung, sich dem Civildienst zu widmen und ließ ihn die Rechte studiren. Das Kriegsjahr 1809 bewirkte jedoch eine ihm willkommene Aenderung seiner Laufbahn. Der Aufruf Erzherzog Karl’s, daß Alle, die nicht durch Nahrungssorgen und Familienverhältnisse an den heimischen Heerd gefesselt seien, zu den Waffen greifen mögen, zündete in der jugendlichen Seele. Keinen Augenblick zögerte er, seinen Vater um Erlaubniß zu bitten, zu den Fahnen eilen zu dürfen. „Ich würde mich“ – schreibt er an diesen in einem Briefe, der, damals veröffentlicht, das größte Aufsehen erregte – „unwerth halten, ein Böhme, ein österreichischer Unterthan zu sein, wenn dieser Wunsch in mir nicht rege würde, und unwerth würde ich mich halten, Dein Sohn zu heißen, wenn ich die Erfüllung dieses Wunsches nicht von Dir erflehte“. Vor allem aber ist für seine Denkungsart bezeichnend, daß er, der hochgeborene Graf, erst auf dem Schlachtfelde die „zufälligen Vorzüge“ verdienen will, die ihm durch Geburt zu theil wurden. Bereitwilligst wird sein edles Verlangen gefördert. Der commandirende General von Prag, Graf Kolowrat, verlieh ihm bei seinem Infanterieregiment eine Fähnrichsstelle, worauf ihn Erzherzog Karl am 16. März 1809 zum „Unterlieutenant“ bei der eben gebildeten „Legion Erzherzog Karl“ ernannte. Seitdem verließ [491] er nicht mehr den Soldatenstand, für den er von Jugend auf besondere Vorliebe bekundet hatte. 1812 finden wir ihn, während des russischen Feldzuges, beim Schwarzenberg’schen Hülfscorps als Oberlieutenant von Erzh. Karl-Ulanen. Schon damals sagte Fürst Schwarzenberg in einem Bericht an Kaiser Franz von ihm, er sei „ein Offizier, von dem sich der Dienst sehr viel versprechen kann“. Im Kriege von 1813 zeichnete er sich dann auch als Rittmeister in der Schlacht von Kulm (30. August) durch besondere Tapferkeit aus. Er überbrachte auch die Siegesbotschaft in das Hauptquartier des Kaisers Franz. Schwarzenberg, auf dessen Vorschlag er zu seinem Ulanenregiment übersetzt worden war, faßte immer größeres Vertrauen zu der Intelligenz Clam’s, so daß er ihn zu seinem Adjutanten erwählte und zu besonders heiklen Missionen verwendete. Der Marschall, der große Stücke auf ihn hielt, rühmt seine „pünktliche Vollziehung der wichtigsten Aufträge“, so wie seine „besondere Geistesgewandtheit“. Am 7. März 1814 wurde er zum Major ernannt. Als solcher war er Augenzeuge eines der merkwürdigsten Ereignisse jener an merkwürdigen Begebenheiten so ungemein reichen Periode. Im Gefolge des österreichischen Feldmarschalllieutenants Freiherrn v. Koller, als dessen erster Adjutant, begleitete er Napoleon, nach dessen Sturz, von Fontainebleau nach Elba. Wiederholt mußte C. auf dieser in ihrer Art einzigen Reise eingreifen, und seine Relation hierüber ist von großem Interesse. Nach der Rückkehr Napoleon’s von Elba betheiligte sich C. wieder an der Seite Schwarzenberg’s am Feldzuge von 1815. Es wird behauptet, daß er während des Wiener Congresses zu diplomatischen Verhandlungen gebraucht worden und sich bei dieser Gelegenheit die Gunst der Monarchen erworben habe. Jedenfalls ist es sicher, daß er auf Metternich den besten Eindruck gemacht, so daß ihn dieser im September 1816 zu einer Mission nach Warschau verwenden wollte. Infolge eines Sturzes aus dem Wagen, konnte C., der damals in Gaya (Mähren) stationirte, dem Rufe nicht folgen. Erst März 1818 begleitete er den österreichischen FML. Prinz Philipp von Hessen-Homburg nach Russisch-Polen, wo damals Kaiser Alexander I. weilte. Der Prinz, so wie C. hatten den Auftrag, die militärischen Kräfte Rußlands in Polen zu studiren. Der Bericht, den C. hierüber erstattete, ist ganz ausgezeichnet geschrieben und zeugt von scharfer Beobachtungsgabe. Insbesondere hatte er sich die Ergründung des Charakters des Czaren zur Aufgabe gemacht. Da man ihn wiederholt der Person Alexander’s attachiren wollte, erregte er bei den Russen schon den Verdacht, daß er ein allzu aufmerksamer Beobachter sei, wie dies durch die in Wien intercipirte Correspondenz zwischen dem Grafen Capo d’Istria und Mocenigo erhärtet wurde. Als C. von dieser üblen Deutung seiner Verwendung Kunde erhielt, bat er, von nun an jeder Dienstleistung bei Alexander und den Mitgliedern der russischen Kaiserfamilie enthoben zu sein. 1820 wurde er zum Oberstlieutenant bei Kronprinz Ferdinand-Cürassieren ernannt. Der damalige Präsident des Hofkriegsrathes stellte ihn in seinem Vortrag vom 21. Juni 1820 als das Muster eines vollkommenen Stabsofficiers hin, der mit rastlosem Eifer nur für seinen Dienst lebe. C. befand sich jetzt in jener Epoche seines Lebens, wo er bedeutende Proben seiner Talente als Diplomat und praktischer Militär geliefert hatte. Die zwei wichtigsten Eigenschaften des Mannes, der berufen war, einst als Staatsmann und Soldat eine führende Rolle zu übernehmen, hatte er schon jetzt mit glänzendem Erfolg bethätigt. Am 25. December 1820 zum Oberst ernannt, vermählte er sich im folgenden Jahre mit der durch Geist und Schönheit ausgezeichneten Lady Selina Meade, Tochter des in Oesterreich verstorbenen Richard Lord Guilford. In einem Briefe an die Fürstin Lichnowsky, die [492] Tante seiner Frau, schildert er mit begeisterten Worten die umgestaltende Wirkung, die sein Eheleben auf sein ganzes Wesen ausgeübt habe. Nun – sagt er da – sei es zu Ende mit dem Ehrgeiz, der bisher die vorherrschende Eigenschaft seines Charakters gewesen. Seitdem er Selina geheirathet, fühle er sich vom Ehrgeiz wie befreit, und sich nur glücklich im Besitze dieses engelgleichen Weibes. Dieses angebliche Erlöschen des Ehrgeizes hinderte C. nicht, mit unermüdlichem Fleiße an seiner geistigen Ausbildung fortzuarbeiten. Die Muße, die ihm die Garnisonsstation zu St. Georgen, nördlich von Preßburg gelegen, ließ, verwendete er zu schriftstellerischer Thätigkeit. Dies ist um so höher anzuschlagen, als es damals in der österreichischen Armee nicht viele Officiere gab, die ihre freie Zeit Studien widmeten, um dann als Schriftsteller aufzutreten. 1823 erschienen von ihm unter den Buchstabenzeichen: G. C. M.: „Vorlesungen aus dem Gebiete der Kriegskunst“ – ein Werk, so klar, so vortrefflich geschrieben, daß auch der Laie es mit gespanntester Aufmerksamkeit zu Ende liest. Die Bibliothek des k. u. k. Kriegsarchivs bewahrt von C. außerdem noch zwei Manuscripte, von denen das eine den Titel: „Grundsätze der reinen Taktik“ führt, während das andere: „Von der Kriegskunst überhaupt“ sich nennt. Doch ist es nicht ganz sicher, ob letztere Arbeit auch wirklich C. zugesprochen werden kann. Metternich behielt diesen vornehm gebildeten Militär, der in der alten und neuen Litteratur bewandert war, gut französisch sprach und schrieb, auch die schönen Künste pflegte, stets im Auge. Der Staatskanzler wußte es zu schätzen, in C. einen ebenso unterrichteten Militär, wie vollendeten Cavalier mit scharfer Beobachtungsgabe für seine diplomatischen Zwecke zur Verfügung zu haben. So soll er – nach Hirtenfeld, jedoch ohne daß wir diese Angabe zu erhärten wüßten – 1824 wieder in geheimer Mission nach Petersburg gesandt worden sein. Allein vollkommen unrichtig ist es, wenn behauptet wird, daß C. 1826 beauftragt worden, dem Czaren Nikolaus, aus Anlaß seiner Thronbesteigung, die Glückwünsche des österreichischen Hofes zu überbringen. Der Wahrheit entspricht vielmehr, daß der Abgesandte des Kaisers Franz, Erzherzog Ferdinand d’Este gewesen, dem Graf Clam als berathender Kammerherr beigesellt worden. Metternich forderte den Petersburger Botschafter, Freiherrn v. Lebzeltern, auf, C. gegenüber mit der größten Offenheit vorzugehen, denn er sei von höchster Discretion und werde ihm „bei der Leitung des täglichen Benehmens des Erzherzogs ganz besonders behülflich sein. Als sich im J. 1830 die Nothwendigkeit herausstellte, beim Hofkriegsrath einen zweiten General der Cavallerie anzustellen, fiel die Wahl des Grafen Gyulai, des damaligen Präsidenten dieser obersten militärischen Behörde Alt-Oesterreichs, auf den Oberst Clam. Gyulai hatte sich vorher noch eine Conduiteliste über diesen vorlegen lassen, die sich über den Grafen in den schmeichelhaftesten Worten äußert. Es heißt da über ihn: „Er ist nicht nur ein vorzüglicher Regimentscommandant, sondern wird auch als General rücksichtlich seiner Kenntnisse, Bildung, regem Diensteifer, sehr edlen Charakter und noch voller Manneskraft in jeder Verwendung wesentliche Dienste leisten“. Gestützt auf dieses vorzügliche Zeugniß der militärischen Fähigkeiten Clam’s, erstattete Gyulai am 11. October 1830 seinen Vortrag, worauf jener im November desselben Jahres zum Generalmajor mit der Zutheilung zum Hofkriegsrath ernannt wurde. Schon im nächsten Jahr ward er wieder zu wichtigen politischen Sendungen nach Mailand und Olmütz verwendet. Als die Juli-Revolution den deutschen Bund mit Krieg bedrohte, ward C. im September 1831 nach Berlin beordert, um für die Organisirung der deutschen Bundesarmee zu wirken; sie sollte jedem französischen Angriff begegnen und einer eventuell in Frankreich ausbrechenden [493] Anarchie den Weg nach Außen hin verrammeln. Um kein Aufsehen zu erregen, hieß es nur, der österreichische General komme nach der preußischen Hauptstadt, „um Maßregeln wegen der Cholera zu verabreden“. Während der glänzende böhmische Magnat den Damen bei Hofe ungemein gefiel, so daß, noch lange nach seiner Abreise manche ihn betreffende Anekdote in diesen vornehmen Kreisen cursirte, fand er nicht die gleiche wohlwollende Aufnahme bei den preußischen Generalen. Dies hatte auch seinen guten Grund. Mit Hartnäckigkeit vertrat C. bei den Conferenzen, getreu seinen Functionen, den Standpunkt, daß alle süddeutschen Truppen unter Oesterreichs, die norddeutschen unter Preußens Führung marschiren sollten. Erst als der kranke, reizbare Minister Bernstorff von den Verhandlungen zurücktrat und Knesebeck diese 1832 in die Hand nahm, näherten sich beide Höfe einander. Treitschke, erbost über die Haltung Clam’s, nennt ihn eine „unausstehliche Persönlichkeit“, ein Epitheton, das er durchaus nicht verdient. C. kämpfte nur so lange für seine Vorschläge, bis er die Weisung bekam, nachzugehen. Im December 1832 wurden bei den Berliner Militärconferenzen, allerdings nur für einen möglichen Kriegsfall, der nie eintrat, schließlich die preußischen Anträge angenommen; sie gipfelten darin, daß drei Heere zu bilden seien, zwei aus Preußen und Bundestruppen gemischte am Nieder- und Mittelrhein, ein österreichisches am Oberrhein. 1833 ward C. als Mitglied in die Commission „zur Prüfung der Infanterie- und Cavallerie-Manövrir-Instructionen“ berufen. Die wichtigste Phase seines Lebens beginnt jedoch mit dem Augenblick, da er an Stelle des erkrankten Freiherrn v. Appel am 6. März 1835 zum Generaladjutanten Kaiser Ferdinand’s ernannt wurde. Als solchem fiel ihm bald darauf auch das Referat über die staatsräthliche Militärsection zu. Infolge Verständigung Erzherzog Ludwig’s , des Stellvertreters des zur Führung der Staatsgeschäfte unfähigen Kaiser Ferdinand, mit Metternich und Kolowrat, ward C. am 12. Februar 1836 (und, nicht wie Hock irrthümlich schreibt, am 12. März), nach dem Rücktritt des Freiherrn v. Mohr zum „Chef der staatsräthlichen Militärsection“ erhoben. Durch diese Verbindung der Generaladjutantur mit der staatsräthlichen Militärsection ward ein schon bestehender außerordentlicher Zustand zu einem gleichsam gesetzmäßigen gestempelt. Schon früher hatte nämlich die Einmischung des Generaladjutanten in die militärischen Angelegenheiten stattgefunden, aber immer nur in Form eines Mißbrauches. Mit der eben erfolgten Vereinigung beider Aemter ward der gewohnheitsmäßige Mißbrauch förmlich geregelt. Erst nach dem Tode Clam’s wurde die Generaladjutantur wieder von der staateräthlichen Militärsection getrennt, indem erstere dann wieder als gesonderte Militärcabinetskanzlei auflebte. So lange C. jedoch an der Spitze der beiden Aemter stand, hat er die ihm dadurch zukommende Macht nur zum Vortheil des Staates benützt. In seiner Eigenschaft als Chef der staatsräthlichen Section, die ihm eine Gewalt verlieh, welche mit jener eines Kriegsministers identisch war, machte er der bisher in der österreichischen Armee herrschenden Stagnation ein Ende. Zu einer vollständigen Umwandlung des Heeres, wie dies Radetzky für nöthig erachtete, kam er nicht. Dazu hätte er einer längeren Lebensdauer bedurft, als sie ihm vergönnt war. Aber man muß gestehen, daß er in dem kurzen Zeitraum von nur drei Jahren sehr Tüchtiges leistete. Vor allem sei erwähnt, daß ihm die Armee eine elegantere und zweckmäßigere Uniform dankt, als sie bis dahin üblich war. Gegenüber dem Sparmeister Kolowrat wußte er mit vieler Mühe und Noth für sämmtliche Subalternofficiere die Erhöhung ihrer früher ziemlich schmal zugemessenen Gage durchzusetzen. Für seine humane Denkungsart spricht jedoch, daß er die Abstellung der bis zu seinem Amtsantritt [494] willkürlich ertheilten Stockstreiche durchführte. Von nun an war es jedem Hauptmann strengstens untersagt, mehr – als zehn Stockstreiche geben zu lassen. Jede höhere Zahl mußte jetzt durch den Auditor entschieden und von dem Regimentscommandanten bestätigt werden. Als eifriger Verfechter der öffentlichen Soldatenerziehung drang C. – und dies ist sein bleibendes Verdienst – auf Hebung der wissenschaftlichen Bildung des Officiercorps. In seinem Eifer für die Officiersehre ging er sogar so weit, daß er den Officieren des Wiener Bürgermilitärs die Auszeichnung des goldenen Portepée nehmen wollte – eine Maßregel, die an dem dadurch erregten Unwillen der Bürgermiliz scheiterte. Vielleicht ist er nicht mit Unrecht beschuldigt worden, daß er wesentlich dazu beigetragen, eine Scheidewand zwischen Militär und Civil aufzuführen, wie sie in diesem Umfang bis dahin in Oesterreich unbekannt gewesen. Will man ihm aber gerecht werden, so muß gleichzeitig erwähnt werden, daß er, ein so enragirter Aristokrat er auch war, dem damals weit verbreiteten Protectionswesen in der Armee, das unbefähigte und verdienstlose Adelige begünstigte, unnachsichtlich zu Leibe ging. Dadurch hat er sich manch bittern Tadel von Seite seiner Standesgenossen zugezogen. Er wollte nur das wirkliche Verdienst gelten lassen, und hatte daher kein Gehör für solche Adelige, die ihre Stellen entweder in der Antichambre hochmögender Herren oder in den Boudoirs reizender und einflußreicher Damen suchten. Besaß jedoch C. schon eine große Bedeutung als Chef der staatsräthlichen Section, so war die Wichtigkeit, die ihm als Generaladjutant des Kaisers zukam, eine noch viel hervorragendere. Man hat ihn sogar den „Allmächtigen“ genannt. Gewiß ist jedenfalls, daß er in dem Kampf, der, bald nach der Thronbesteigung Kaiser Ferdinand’s zwischen Metternich und Graf Kolowrat, dem Minister des Innern, entbrannte, sein ganzes Gewicht zu Gunsten des Staatskanzlers in die Wagschale warf. „Clam“ – schreibt 1836 die Fürstin Melanie Metternich in ihrem Tagebuch – „ist in diesem Augenblick für mich ein Trost; er stützt Clemens (Metternich) mit einer Willenskraft und Rechtlichkeit, wie sie selten vorkommt, deren man aber in solchen Momenten nothwendig bedarf“. C., der sich als Schüler Metternich’s betrachtete, theilte vollkommen dessen Ansichten. Gleich diesem fürchtete auch er nichts mehr als das mächtige Anschwellen der revolutionären Bewegung, zu deren Bewältigung der ältere und jüngere Mann sich verständnißvoll die Hände reichten. In gewisser Hinsicht war C. ein noch starrerer Anhänger des aristokratischen Princips als der Staatskanzler. Die Aristokratie, an die er aber nach jedweder Richtung hin die höchsten Anforderungen stellte, sollte die Führerin des staatlichen Lebens sein, ihr daher, mit Ausschluß des bürgerlichen Elementes, alle wichtigeren Civil- und Militärämter zufallen. In voller Kenntniß der herrschenden Mißbräuche, mißbilligte er häufig die schon ins fatalistische ausartende Passivität des Staatskanzlers gegenüber den verrotteten Zuständen im Innern der Monarchie. Nur allein in dieser Hinsicht hatte er sich über Metternich zu beklagen, was ihn aber nicht abhielt, treu zu seinem diplomatischen Mentor zu stehen und fern von Kolowrat zu bleiben. In diesem Mann, der, so weit dies damals möglich war, liberalen Ideen zuneigte, erblickte C. keine verläßliche Stütze seines Systems. Deshalb leistete er dem Minister des Innern, der den Staatskanzler im vertrauten Kreise einen „misérable“ nannte, den energischesten Widerstand, als dieser Metternich aus seiner Stellung verdrängen wollte. Wie Kolowrat den Staatskanzler, so suchte wieder dieser den Minister des Innern zu stürzen, der in C. die Seele der gegen ihn gerichteten Intriguen sah. Hatte Metternich den Erzherzog Franz und C. für sich, so wurde Kolowrat seinerseits von Erzherzog Ludwig gestützt, der ja bekanntlich [495] zu jener Zeit der eigentliche Regent war und den Minister des Innern für eine unentbehrliche Persönlichkeit erklärte. In diesem erbitterten Kampf war es Kolowrat sogar gelungen, den Erzherzog gegen C. einzunehmen. Doch scheint diese feindliche Gesinnung Ludwig’s nicht lange vorgehalten zu haben, da auch er sich damit einverstanden zeigte, in C. den berufensten Nachfolger Metternich’s zu erblicken. Als dieser im August 1839 schwer erkrankte, wollte man C. interimistisch mit der Leitung des Ministeriums betrauen. Er lehnte jedoch ab, wir wissen nicht, aus welchem Grund. Dagegen setzte er es durch, daß Ficquelmont, bisher Botschafter in Petersburg, zur Hülfeleistung für die orientalischen Angelegenheiten an die Seite Metternich’s berufen wurde. Schon vor drei Jahren hatte der Staatskanzler dies gewünscht. Aber Kolowrat, der hierin nur eine Verstärkung der Metternich’schen Partei erblickt haben soll, hatte dies Verlangen, mit dem Hinweis auf Ersparungsrücksichten, stets zu hintertreiben gewußt. Die Thatsache der endlichen Berufung Ficquelmont’s erschien einem Anhänger des Staatskanzlers von der größten Wichtigkeit. Er feiert, wie wir seinen ungedruckten Aufzeichnungen entnehmen können, den Tag, an welchem das hierauf bezügliche Decret dem Kaiser zur Unterzeichnung vorgelegt wurde, wie eine gewonnene Schlacht. Denn ihm erschien die Trias: Metternich-Clam-Ficquelmont noch als die einzige Möglichkeit, um den Staat in dem bisher gewohnten alt-conservativen Geist weiter zu regieren. Metternich, an dessen Aufkommen man fast schon gezweifelt hatte, erlangte seine Gesundheit wieder. Damit begann die alte Rivalität zwischen ihm und dem Minister des Innern von neuem aufzuleben. Mehr denn je war er in diesem Streit um den Besitz der Macht auf die Unterstützung Clam’s angewiesen. Es war daher ein großer Schlag für ihn, als dieser sonst so gesunde und lebenskräftige Mann am 22. Januar 1840 plötzlich schwer erkrankte. „Gott erbarme sich unser!“ ruft die Fürstin Melanie Metternich aus. – „Ein solches Unglück scheint mir unmöglich! Dieser Mann ist so nothwendig“. „Welch ein Verlust!“ äußerte ein anderer Zeitgenosse. Am 28. Januar Morgens trat in der Krankheit eine derartige Besserung ein, daß man die Gefahr für überwunden glaubte. Am 29. aber verschlimmerte sich der Zustand wieder, so daß C. an diesem Tage um 6¼ Uhr Nachmittags verschied. „Arme Frau, arme Kinder, aber auch wir Andern sind zu bedauern“ bemerkt zu diesem Ereigniß in seinem Tagebuch ein dem Verstorbenen nahestehender Gesinnungsgenosse. „Diese Nachricht“ – verzeichnet die Fürstin Metternich – „auf die man gefaßt sein mußte, zerriß mir das Herz und ich konnte meine tiefe Bewegung nicht verbergen. Ich weiß einen persönlichen Kummer zu beherrschen, ich wagte es nicht, meinen Vater zu beweinen, aber ein für Clemens (Metternich) so schmerzliches Ereigniß raubt mir alle Fassung.“ So endete C., den seine Talente in den Augen der maßgebenden Stellen zu einer Stütze der Monarchie stempelten, im Alter von 48 Jahren. Die Ehren, die ihm bei seinem Leichenbegängniß (1. Februar) erwiesen wurden, waren der lebendige Ausdruck der hohen Achtung, die die Civil- und Militärbehörden für ihn hegten. Kein Zweifel, daß Graf C., wenn auch kein Freund des Fortschrittes, doch ein hervorragender, durch große Geistesgaben ausgezeichneter Charakter war, wie sie in Alt-Oesterreich nicht in übermäßiger Anzahl vorhanden waren. Zu bedauern ist es nur, daß ein mit solchen Fähigkeiten ausgestatteter Mann für die Bedürfnisse seiner Zeit kein helleres Auge besaß und alle seine Kräfte auf die Erhaltung aristokratischer Vorrechte verschwendete. Er that dies allerdings nicht, wie so manche seiner Standesgenossen, aus persönlichem Eigennutz, sondern noch immer befangen in dem Glauben, daß eine mächtige, alleinherrschende Aristokratie den zur Zusammenhaltung des Staatsgebäudes unerläßlichen [496] Schlußstein bilde. Er, dessen ganzes Auftreten auf den ersten Blick sofort den stolzen Grandseigneur verrieth, machte auch kein Hehl aus seiner Gesinnung, deren sich als Maske für unlautere Zwecke zu bedienen, allen seinen Anschauungen von dem Berufe der Aristokratie aufs grellste widersprochen hätte. Er wollte aufrichtig reformiren, aber nur in der von ihm gehegten Tendenz, daß alle Verbesserungen am Getriebe der Staatsmaschine ausschließlich von aristokratischen Händen, freilich auch zum Vortheil der bürgerlichen Classen, vorzunehmen seien. Als Obrigkeit beträchtlicher Privatgüter war er denn auch in der That aufs eifrigste für das Wohl seiner Unterthanen bemüht. Für die ruhige Entwicklung Alt-Oesterreichs war es jedenfalls verhängnißvoll, daß Männer solchen Schlages, wie Clam-Martinitz, die politische Mitwirkung des bürgerlichen Elementes, das immer vernehmlicher seine ihm gebührenden Rechte forderte, weit von sich wiesen, wodurch gerade sie in erster Reihe, allen ihren Absichten zuwider, nur den Ausbruch der späteren Revolution beschleunigten. – Graf C.-Martinitz hinterließ zwei Söhne und zwei Töchter, von denen die ersteren, Heinrich Jaroslaw und Richard, zu den Führern der feudalen Partei des österreichischen Abgeordnetenhauses gehörten.

Acten des k. u. k. Staatsarchives und des k. u. k. Kriegsarchives in Wien. – Ungedrucktes Tagebuch eines österreichischen Staatsmannes. – J. Hirtenfeld und Dr. H. Meynert, Oesterreichisches Militär-Conversationslexikon, I. Bd., Wien 1851. – Wurzbach, Biogr. Lexikon, 2. Bd. 1857. (Hier sind alle Nekrologe angeführt, die in gleichzeitigen Zeitschriften erschienen.) – Anton v. Prokesch-Osten, Kleine Schriften, IV. Bd. – Helfert, Napoleon I. Fahrt von Fontainebleau nach Elba; – ders., Graf Leo Thun. – Metternich, Nachgelassene Papiere, V. u. VI. Bd. – Oesterreich im J. 1840, I. Bd. – Springer, Geschichte Oesterreichs, I. Bd. – Adolf Schmidt, Zeitgenössische Geschichten. – Hock-Bidermann, Der österr. Staatsrath. – Droysen, Abhandlungen zur neueren Geschichte. – v. Treitschke, Deutsche Geschichte, IV. Bd.