ADB:Egg, Johann Jakob

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Artikel „Egg, Johann Jakob“ von Hermann Wartmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 658–661, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Egg,_Johann_Jakob&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 11:50 Uhr UTC)
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Egg: Johann Jakob E., Kaufmann und Fabrikant, geb. 1774 in Zürich[1], † 1. August 1843 in Neapel. Als jüngerer Sohn einer angesehenen Züricher Familie sollte J. J. E. durch Privatunterricht und einen Aufenthalt in der wälschen Schweiz zur späteren Uebernahme eines öffentlichen Amtes vorbereitet [659] werden; denn die Stadt Zürich, die damals noch die ganze Landschaft regierte, hatte so viele Aemter zu vergeben, daß diese Laufbahn für einen gut empfohlenen jungen Mann ebenso sicher, wie ehrenvoll und vortheilhaft erschien. Mit 14 Jahren wurde er in die Kanzlei der Grafschaft Kiburg eingestellt und dort in die ersten Geheimnisse der Amtsschreiberei eingeführt, legte aber bald und bleibend einen so unüberwindlichen Widerwillen gegen diese trockenen Geschäfte an den Tag, daß der Vater sich nach zwei Jahren entschloß, seinen ersten Plan aufzugeben und den Sohn in dem Handlungshause J. und A. Biedermann in Winterthur als Lehrling unterbrachte. So schlecht sich der junge Anfänger in der Amtsschreiberei angelassen hatte, so gut gelang es ihm hier. Nach Vollendung der vierjährigen Lehrzeit trat E. als Angestellter in ein großes zürcherisches Handelshaus und besuchte zuerst für dieses die Messen in Frankreich und Deutschland, später, als die Stürme der Revolutionszeit und die nachfolgende Napoleonische Herrschaft die altgewohnten Beziehungen vielfach unterbrachen und theilweise gründlich zerstörten, suchte er mit bestem Erfolge Ersatz für das Verlorene durch Anknüpfung lebhafter Handelsverbindungen mit Italien, das er in allen Richtungen bereiste. Das fchöne[2] Land mit seinen reichen Kunstschätzen übte auf E. von Anfang an eine besondere Anziehungskraft aus; in ihm sollte er auch die eigentliche Stätte seiner schöpferischen Wirksamkeit finden. Als nämlich durch die Einverleibung stets neuer Länder in das französische Kaiserreich mit seinem Ausschlußsystem der Absatzgebiete der schweizerische Handel[3] immer mehr verkümmert wurde, faßte E. den kühnen Entschluß, seiner Heimath den Rücken zu kehren und ihre am Boden liegende Baumwollenindustrie nach dem bisher ganz industrielosen Unteritalien zu verpflanzen, wo der Rohstoff unmittelbar zur Hand war. Mit Empfehlungsschreiben wohl ausgestattet, durchzog er im Sommer 1812 mehrere Provinzen des Königreichs Neapel und fand bei der Stadt Piedimonte d’Alise[4] im Thale des mittleren Volturno die nöthigen Vorbedingungen für sein Unternehmen: gesunde Lage; hinreichende Wasserkräfte neben einem verlassenen Kloster, dessen weite Räume sich zur Umwandlung in eine Fabrik trefflich eigneten; eine Bevölkerung, die als Fabrikarbeiter brauchbar erschien. Die neapolitanische Regierung leistete dem Unternehmen jeden Vorschub, und bei der traurigen Lage der einheimischen Industrie nahm auch die zürcherische Regierung keinen Anstand, ihrem rührigen Mitbürger die Erlaubniß zur Ueberführung von 150 Arbeitern nach Piedimonte zu ertheilen. So machte sich denn E. ernstlich ans Werk, suchte sich seine Leute zusammen, schloß mit ihnen Verträge ab und ließ sie im December 1812 in drei Abtheilungen über den Gotthard ziehen, 200 Spinner, Weber, Maschinisten und Handwerker, eine ganze Colonie, zum größeren Theile aus dem Canton Zürich. Die zur Einrichtung der mechanischen Spinnerei erforderlichen Maschinen wurden gleichzeitig über Triest an den Ort ihrer Bestimmung gesandt. Sechs Monate bedurften diese, um nach Piedimonte zu gelangen, wo inzwischen Alles zu ihrer Aufnahme vorbereitet, auch vorläufig die Handspinnerei an selbst verfertigten, bisher in Neapel noch unbekannten Spinnrädchen und die Weberei mit dem hier noch ebenso unbekannten Schnellschützen eingeführt worden war. Die Ein- und Umwohner von Piedimonte zeigten sich geschickt und gelehrig für die neue Arbeit und trotz der hohen Preise der Baumwolle fanden die Egg’schen Gewebe reißenden Absatz in dem durch die Continentalsperre und den gänzlichen Mangel einer eigenen Industrie an solchen Producten so zu sagen ausgehungerten Lande. Der Anfang war demnach ermuthigend.

Sehr rasch verdüsterten sich aber die frohen Aussichten. Das Jahr 1814 brachte gleich beim Beginn größere Schädigung durch Wassersnoth und ärgerliche Streitigkeiten mit den schweizerischen Arbeitern. Es folgten wachsende Unruhen gegen die französische Herrschaft in dem Königreich, welche E. nöthigten, seine [660] Fabrik in eine kleine Festung gegen die herumstreifenden, plünderungslustigen Banden umzuwandeln; es folgte 1815 der Sturz Murat’s und der Einmarsch österreichischer Truppen von der Militärgrenze nach Piedimonte als Befreier zweifelhaften Werthes. Die wichtigste Frage für E. war jedoch diejenige, wie sich die zurückgekehrte bourbonische Regierung zu seiner Schöpfung stellen und welche Rückwirkungen die Aufhebung des Continentalsystems auf seine Fabrikation ausüben würde.

In ersterer Beziehung lief alles über Erwarten gut ab. Wenn sich auch der neue Unter-Intendant in Piedimonte durch das Geschrei des aufgeregten Volkes für die Vertreibung irrgläubiger Fremden einnehmen ließ, so versicherte schon der Ober-Intendant zu Capua den zu ihm geeilten E. seines kräftigen Schutzes, und ganz besondere Gunst fanden die Anfänge der durch E. gepflanzten einheimischen Industrie bei König Ferdinand IV. Er nahm durch Decret von 28. Oct. 1815 das Etablissement zu Piedimonte unter seine specielle Obhut und verlieh ihm das Recht, das königliche Wappen zu führen. Unter dieser Obhut war es auch möglich, die Schläge zu pariren, welche mit dem Falle des Continentalsystems durch die plötzliche Entwerthung der inländischen Baumwolle und die ebenso plötzliche Ueberfluthung des Landes mit englischen[WS 1] Baumwollengeweben die junge Schöpfung des Schweizers bedrohten. Zuerst gaben persönliche Privilegien – das Monopol für die sogenannten Balazores-Tücher (1816) und die Erlaubniß der zollfreien Einfuhr ausländischer Baumwolle für den eigenen Bedarf (1818) – die Kraft, sich über die schlimmsten Zeiten hinweg zu helfen, dann gewährte das allgemeine Verbot der Einfuhr ausländischer Handgespinnste und ein ungebührlich erhöhter Zollansatz auf auswärtige Maschinengarne weitere Begünstigung. Endlich wurde zu Anfang des Jahres 1825, ohne Zweifel unter des vielgeltenden Egg’s kräftiger Einwirkung, ein Schutzzollsystem aufgerichtet, welches nicht blos das fernere Gedeihen der Fabriken in Piedimonte sicherte, sondern auch noch manche andere unternehmenden Schweizer nach Unteritalien lockte, um dort nach Egg’s Vorbild großartige Fabriken zu gründen und in kurzer Zeit eine ganz bedeutende einheimische Baumwollenindustrie ins Leben zu rufen, die bis in unsere Tage größtentheils in ihren Händen blieb. E. ergänzte seine ersten Anlagen mit der Zeit durch Einführung der mechanischen Weberei, durch ausgedehnte Krappanpflanzungen und eine Rothgarnfärberei. Die Zahl seiner Arbeiter stieg bis zu Anfang der dreißiger Jahre auf ca. 1300, nun beinahe ausschließlich Eingeborene, darunter ein großer Theil von der Regierung gelieferte Mädchen aus den öffentlichen Armen- und Correctionsanstalten. Allerdings brachte diese Gunstbezeugung neben dem Vortheile wohlfeiler Arbeitskräfte auch manche Sorge mit sich. – Der umgestaltende wohlthätige Einfluß der Egg’schen Schöpfungen auf deren nähere Umgebung mag am besten daraus ermessen werden, daß die Bevölkerung von Piedimonte in den Jahren von 1814–1842 von 4200 auf ca. 12000 Einwohner angewachsen ist. Auch das mag bei diesen Anlagen[5] erwähnt werden, daß E. im J. 1813 die Kartoffel zum ersten Male nach der Gegend von Piedimonte gebracht hat, wo sie nach anfänglich ungünstiger Aufnahme nicht blos ein beliebtes Nahrungsmittel, sondern auch ein sehr bedeutender Handelsartikel geworden ist, indem die benachbarten Orte im Gebirge jährlich über 50000 Säcke allein nach der Hauptstadt Neapel verkaufen.

Die materiellen Früchte der rastlosen Thätigkeit J. J. Egg’s sollen durch seine Vorliebe für fortwährende Umänderung des kaum Erstellten, durch kostspielige Processe, die einem rechthaberischen Eigensinn entsprangen, und durch ausgedehnte Betrügereien einzelner Angestellter, die ihm zu schmeicheln verstanden, sehr wesentlich beeinträchtigt worden sein und bei Abschluß seines vielbewegten, arbeitreichen Lebens nicht im Verhältniß zu seiner großartigen Wirksamkeit gestanden [661] haben. Eine gewisse Ruhelosigkeit und Härte in seinem Wesen und Auftreten wird hauptsächlich dem Umstande zugeschrieben, daß er seit seiner Uebersiedlung nach Italien das Familienleben entbehrte, indem die Gattin in Zürich zurückgeblieben war und nur durch regelmäßige Correspondenz mit ihm verkehrte. Ungestörte Gesundheit bis in sein hohes Alter sicherte ihm seine außerordentlich mäßige und geregelte Lebensweise. – Die antiquarische Gesellschaft in Zürich ist dem Begründer der Baumwollindustrie in Unteritalien noch heute dankbar für eine schöne Sammlung von Vasen, die E. unter seiner eigenen Leitung ausgraben ließ und den Alterthumsfreunden der Vaterstadt zum Geschenk machte.

Einige Grundzüge aus dem Geschäftsleben des Hrn. J. J. Egg aus Zürich in der Schweiz. 1837. Franz Otto, Der Kaufmann zu allen Zeiten, Leipzig u. Berlin 1869.


[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 658. Z. 3–2 v. u.: Egg war kein Zürcher, sondern stammte aus Ellikon im Bezirk Winterthur. [Bd. 6, S. 795]
  2. S. 659. Z. 17 v. o. l.: schöne. [Bd. 6, S. 795]
  3. Z. 21 v. o. l.: die Absatzgebiete des schweizerischen Handels. [Bd. 6, S. 795]
  4. Z. 26 v. o. l.: Alife (st. Alise). [Bd. 6, S. 795]
  5. S. 660. Z. 12 v. u. l.: diesem Anlasse (st. diesen Anlagen). [Bd. 6, S. 795]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: englichen