Zum Inhalt springen

ADB:Escher, Heinrich (Jurist)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Escher, Heinrich“ von Siegfried Brie in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 355–357, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Escher,_Heinrich_(Jurist)&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 17:53 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Escher, Hans Caspar
Band 6 (1877), S. 355–357 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Heinrich Escher (Rechtsgelehrter) in der Wikipedia
Heinrich Escher in Wikidata
GND-Nummer 117512613
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|6|355|357|Escher, Heinrich|Siegfried Brie|ADB:Escher, Heinrich (Jurist)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117512613}}    

Escher: Heinrich E., geb. am 25. April 1789 zu Zürich, † am 9. Febr. 1870, hat nicht nur in seinem Heimathcanton angesehene amtliche Stellungen bekleidet und eine nicht unbedeutende politische Wirksamkeit geübt, sondern auch in weiteren Kreisen sich bekannt gemacht durch werthvolle rechts- und staatswissenschaftliche Schriften.

Vorgebildet auf dem Gymnasium und dem Carolinum seiner Vaterstadt, trat er im J. 1806 als freiwilliger Canzlist bei der zürcherischen Regierung ein, wurde dann aber zu weiterer Ausbildung nach Neufchâtel gesandt. Seine Hoffnung, in Paris mit den neuerworbenen Sprachkenntnissen eine Anstellung zu finden, schlug fehl; dagegen trug der Pariser Aufenthalt (1809–10) wesentlich dazu bei, einerseits in ihm eine Vorliebe für die französische Litteratur zu erwecken, andererseits seinen früh genährten Haß gegen Napoleon und die französische Gewaltherrschaft zu stärken. In die Heimath zurückgekehrt, besuchte er die Vorlesungen auf dem neugegründeten politischen Institut; da diese aber höheren wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen konnten, bezog er auf den Rath seines Verwandten und Gönners Konrad E. von der Linth die Universität Heidelberg, wo er unter Anleitung Thibaut’s, Heise’s und Martin’s mit deutscher Rechtswissenschaft sich vertraut machte. Seine Studien, wol unter Mitwirkung seiner Familienverbindungen verschafften ihm schon im J. 1812 das Amt eines öffentlichen Anklägers am Züricher Obergericht. Daneben wurde ihm 1816 die Professur der Rechtswissenschaft am politischen Institut übertragen. Im Jahr 1819 erhielt er von der Restaurationsregierung die wichtige Stelle eines Oberamtmannes in dem ausgedehnten und stark bevölkerten Bezirk Grüningen. In der berüchtigten Untersuchung wegen der angeblichen Ermordung des Schultheißen Keller von Luzern wurde er von der zu Luzern im November 1825 zusammengetretenen Conferenz zum Verhörrichter erwählt; mit großer Klarheit und Entschiedenheit deckte er das Unwahrscheinliche einer Ermordung und die in dem früheren Stadium der Untersuchung vorgefallenen Mißbräuche auf; hierdurch aber und noch mehr durch die vorzeitige Veröffentlichung des Thatbestandes zog er sich viele Anfechtungen, insbesondere von radicaler Seite zu. Gegen die Volksbewegung, welche zu Ende des J. 1830 eine demokratische Umgestaltung der Züricher Cantonalverfassung durchsetzte, verhielt er sich, wenn er auch die Berechtigung mancher Reformwünsche anerkannte, doch, vornehmlich wegen seiner eingewurzelten Abneigung gegen revolutionäre Ausschreitungen, entschieden ablehnend. Des ungeachtet wurde er, nach Abgabe seiner Oberamtmannsfunctionen, im Juli 1831 vom Großen Rathe zum Präsidenten des für den ganzen Canton neuerrichteten Criminalgerichts gewählt. In Folge eines Conflicts mit dem von dem herrschsüchtigen Keller (dem bekannten Romanisten) geleiteten Obergericht legte er diese Stelle im März 1833 nieder. Seine Absicht, sich nunmehr ganz [356] dem Lehrberuf an der neugegründeten Züricher Universität, an welcher ihm die (außerordentliche) Professur der Staatswissenschaften übertragen war, zu widmen, wurde vereitelt durch seine im December 1833 erfolgte Wahl zum Mitglied des Regierungsrathes. In dieser Behörde bewahrte er inmitten gefahrdrohender auswärtiger Verwicklungen und schwerer innerer Kämpfe einen gemäßigten und unabhängigen Standpunkt, welchen er gleichzeitig publicistisch als Redacteur der Neuen Züricher Zeitung verfocht. Insbesondere wirkte er für Nachgiebigkeit gegenüber den drohenden Noten der fremden Mächte aus Anlaß des völkerrechtswidrigen Savoyerzugs; trat aber andererseits energisch für Widerstand gegen die von der französischen Regierung verlangte Ausweisung Louis Napoleon’s ein.

Für die Berufung von David Strauß an die Züricher Hochschule stimmte er, welcher in kirchlichen Angelegenheiten immer eine sehr freisinnige Haltung eingenommen hatte, im Regierungsrath aus voller Ueberzeugung; angesichts der beginnenden Glaubensbewegung, welche nach seiner Meinung durch thörichte Schritte des Bürgermeisters Hirzel wesentlich befördert wurde, rieth er doch zum Einlenken. Bei Ausbruch des Aufruhrs hielt er muthig bis zuletzt auf seinem Posten in der Regierung aus. Mit der Katastrophe vom 6. Sept. 1839 war Eschers politische Laufbahn geschlossen; denn auch den Radicalen, welche nach dem Sturz des Septembersystems wieder an das Ruder kamen, waren weder seine politischen Grundsätze, noch seine Persönlichkeit genehm. Als Familienvater mußte er sich, um Ersatz für das verlorene Einkommen zu gewinnen, in seinem 51. Lebensjahre entschließen, mit seiner Lehrthätigkeit an der Universität die Ausübung der Advocatur zu verbinden; daneben aber gewann er genügende Muße für die Veröffentlichung von zwei wissenschaftlichen Hauptwerken.

Zu einer eingehenderen Beschäftigung mit der Strafrechtswissenschaft war E. frühzeitig durch den im J. 1819 ihm ertheilten Auftrag, ein Strafgesetzbuch und eine Criminalproceßordnung für den Canton Zürich auszuarbeiten, geführt worden. Als litterarische Frucht seiner Vorarbeiten ließ er 1822 „Vier Abhandlungen über Gegenstände der Strafrechtswissenschaft“ erscheinen. Das besondere Interesse, welches er schon damals der Lehre vom Betruge zuwendete, veranlaßte ihn später zu einer ausführlichen Behandlung derselben „Die Lehre von dem strafbaren Betruge und von der Fälschung nach römischem, englischem und französischem Rechte und den neueren deutschen Gesetzgebungen“, Zürich 1840). Dieses sehr beifällig aufgenommene Buch hatte das große Verdienst, zuerst in der deutschen Rechtswissenschaft den überaus schwierigen Gegenstand in sorgfältiger monographischer Untersuchung zu bearbeiten; von den Resultaten ist insbesondere die Unterscheidung zwischen Betrug und Fälschung maßgebend geworden.

Auf dem Gebiete der Staatswissenschaft hatte sich E. bereits 1821 durch eine kleine Schrift „Ueber die Philosophie des Staatsrechts, mit besonderer Beziehung auf die Haller’sche Restauration“, bekannt gemacht; er trat hier ebenso der Verherrlichung der Fürstenwillkür, wie andererseits der Theorie der Revolution entschieden entgegen und verfocht den Grundsatz verfassungsmäßiger Reform. Die gleichen Principien legte er in einer gedankenreichen Schrift („Die neue Phönixperiode der Staatswissenschaft“, Zürich 1848) an die große Revolution von 1848. In hohem Alter aber unternahm er, denselben eine ausführliche wissenschaftliche Darstellung zu geben, in seinem „Handbuch der praktischen Politik“ (2 Bde., Leipzig 1863 u. 64). Dieses umfangreiche Werk enthält eine Fülle belehrenden Stoffs, insbesondere ist auch die französische und englische Litteratur im reichen Maße benutzt; die volkswirthschaftlichen und die kirchlichen Verhältnisse sind in dankenswerther Weise berücksichtigt; die Gesinnung des Verfassers documentirt sich durchaus als eine sittliche und gerechte. Andererseits [357] läßt sich nicht leugnen, daß die Darstellung vielfach an Weitschweifigkeit und Schwerfälligkeit leidet; neue geniale Ideen fehlen; endlich tritt die dem Verfasser von Jugend auf eigenthümliche Melancholie in der Beurtheilung menschlicher Dinge stark hervor.

Hauptquelle für Escher’s Lebensgeschichte sind die von ihm selbst herausgegebenen „Erinnerungen seit mehr als sechzig Jahren“, 2 Bändchen, Zürich 1866 u. 67.