ADB:Ewald, Johann Ludwig
[445] mit Lavater und mit dem Pfarrer Hahn. Die Gemeinde war mit dieser Wendung nicht durchaus einverstanden; er erlitt Anfeindungen und folgte 1781 einem Ruf nach Detmold. Hier als Hofprediger, Consistorialrath und Generalsuperintendent zu einflußreicher Stellung erhoben, verfolgte er mit vollem Eifer und gutem Erfolge hauptsächlich pädagogische Interessen, welche seiner Neigung und Fähigkeit offenbar am meisten entsprachen. Sein Verdienst war die Verbesserung des dortigen Schulwesens und die Errichtung eines Schullehrerseminars, dessen Ziele er in einer Schrift über Volksaufklärung und deren Grenzen entwickelte. Die Revolutionsjahre bewogen ihn, auch nach der politischen Richtung das Wort zu nehmen; doch erregten zwei kleine Schriften von ihm: „Ueber Revolution, ihre Quellen und die Mittel dagegen“, Berlin 1792, und „Was sollte der Adel jetzt thun“, Leipzig 1793, so starkes Mißfallen, daß ihm auch diese übrigens glückliche Amtsthätigkeit verleidet wurde. Von Marburg aus 1796 zum Doctor der Theologie ernannt, übernahm er gleichzeitig eine zweite Predigerstelle an der Stephanskirche zu Bremen und fuhr durch Einrichtung einer Bürgerschule fort, für Schul- und Erziehungswesen wohlthätig zu wirken. Eine Reise in die Schweiz machte ihn 1804 mit Pestalozzi’s und Fellenberg’s pädagogischem Verfahren bekannt; er wurde ganz dafür eingenommen, empfahl nach seiner Rückkehr diese Methoden in öffentlichen Vorlesungen für Mütter und Lehrerinnen und gründete selbst eine Unterrichtsanstalt nach gleichem Muster. Ein Brustübel nöthigte ihn, sich mehr von der Kanzel zurückzuziehen; dagegen übernahm er 1805 eine Stelle als Professor der Philosophie am dortigen Lyceum, doch nur für kurze Zeit, denn schon in demselben Jahre erhielt er den Ruf als Professor der Moral, Kirchenrath und Director des Ephorats in Heidelberg. Er ist daselbst zwei Jahre geblieben, auch hier war seine Wirksamkeit keine ungestörte. Aber seine Gaben und Verdienste fanden Anerkennung, die badische Regierung zeichnete ihn aus durch Versetzung nach Karlsruhe (1807), woselbst er als Kirchen- und Ministerialrath und in seinen Bestrebungen ununterbrochen fortfahrend bis zu seinem Tode am 19. März 1822 geblieben ist. Bähr war sein Nachfolger. – Ewald’s Schriften – einzelne Predigten und ganze Sammlungen, Erbauungsschriften, Vorträge und Abhandlungen, moralische und philosophische Betrachtungen, Reisephantasieen, Einiges specieller zur Theologie, Schrifterklärung, Ethik und Kirchenverwaltung, besonders aber pädagogische und katechetische Anleitungen, Rathschläge, Handbücher und Briefe, endlich ein Drama mit Chören – belaufen sich fast auf 100 Nummern, worunter zwar vieles Kleine, aber auch manches Mehrbändige. Diese bunte Vielschreiberei ist schon damals von Hebel – s. die Schrift von Becker über diesen, S. 151. 152 – scharf gerügt worden. Gründliche oder wissenschaftlich bedeutende Leistungen darf man bei solcher Menge von Publicationen nicht erwarten. Doch war E. unstreitig ein Mann von Talent und vielseitiger Bildung; er wußte von Theologie und Philosophie, von Litteratur und Aesthetik soviel, als er für seine popularisirenden und praktischen Zwecke brauchte. Auf diesem breiten Felde bewegt er sich mit Leichtigkeit und in einer zwar redseligen, aber sehr faßlichen, gefälligen, oft lebhaften und gewinnenden Sprache, woraus sich erklärt, daß seine Schriften eine große Verbreitung fanden und theilweise in die holländische, sogar in die französische Sprache übergingen. Das Studium Herder’s, die Beschäftigung mit Kant und Fichte sind unverkennbar. Den meisten Werth haben noch die pädagogischen und die didaktischen Arbeiten, z. B. „Vorlesungen über Erziehungskunst und Erziehungslehre“, 3 Bde., Mannh. 1809 u. 10. Sie liefern Gesichtspunkte, welche E. auch für Ethik und Religionslehre in Anwendung bringt. Liebe, Vertrauen und Dankbarkeit sind die stärksten Impulse und Bildungsmittel, sie erwecken und kräftigen [446] den sittlichen Geist, erheben zum Bewußtsein der Gottesnähe und Gottesgemeinschaft, lassen Glückseligkeit und Sittlichkeit zusammenfließen. Aber diese lebendigsten Kräfte schöpfen wir nicht aus abstracten Lehrsätzen, sondern empfangen sie aus der Vergegenwärtigung von Wirkungen, Persönlichkeiten und Thatsachen, besonders aus der Bibel, wenn sie als Geschichtsbuch behandelt wird. E. war also der Meinung, daß der religiöse Jugendunterricht von der biblischen Erzählung, nicht vom Katechismus, auch nicht von dem Heidelberger ausgehen müsse, und vertheidigte diese Methode zuversichtlich gegenüber der anderen, welche den katechetischen Leitfaden zum Grunde legt. Hierher gehören die Schriften: „Geist und Tendenz der christlichen Sittenlehre“, Heidelb. 1806, „Die Religionslehre der Bibel aus dem Standpunkt[WS 1] unserer geistlichen Bedürfnisse betrachtet“, Stuttg. 1812, „Christenthumsgeist und Christensinn“, 2 Thle., Winterth. 1819, „Bibelgeschichte, das einzige wahre Bildungsmittel zur christlichen Religiosität“, Heidelb. 1819, u. v. a. Einiges andere bezieht sich auf Maßregeln der badischen Schul- und Kirchenverwaltung, die Vereinigung protestantischer und katholischer Gymnasien und die Union der beiden protestantischen Confessionen, welche er noch erlebte. Beachtung gefunden hat auch seine letzte größere Schrift: „Briefe über die alte Mystik und den neuen Mysticismus“, Leipz. 1822.
Ewald: Johann Ludwig E., geb. am 16. September 1747 in dem fürstl. isenburgischen Städtchen Hayn zu Dreieich (Dreieichenhein), erhielt durch seinen Vater und einen dortigen Prediger eine obwol unzureichende wissenschaftliche Vorbildung und studirte dann reformirte Theologie in Marburg. Einige Zeit lebte er als Hauslehrer in Kassel und wurde hierauf Lehrer und Erzieher der jüngeren Prinzen von Hessen-Philippsthal. In Götzenhain, wo er zuerst als Prediger Anstellung fand, blieb er nur kurze Zeit und wurde dann von dem Fürsten von Isenburg-Birstein nach Offenbach als Prediger der deutschreformirten Gemeinde berufen, woselbst er mit großem Beifall predigte. Sein theologischer Standpunkt war der des damaligen Rationalismus, der ihm jedoch selber leid wurde und von welchem er sich 1778 öffentlich lossagte, ohne jedoch in das Gegentheil umzuschlagen. Von systematischer Orthodoxie ist er stets entfernt geblieben, doch hielt er sich seitdem an das Biblische und Positive und legte Werth auf Erbauungsstunden, angeregt, wie gesagt wird, durch seine Bekanntschaft- Vgl. Scriba. Lexikon der Schriftsteller des Großherzogthums Hessen im 19. Jahrh., S. 210–13, woselbst Meusel’s Gelehrtenlexikon, Allg. L. Z., Ergänz. Bl. 4. Jahrg. 2. Bd. S. 114, Lampadius, Heidelb. Universitätskalender von 1813, Raßmann’s Handwörterbuch verstorbener deutscher Dichter, S. 381, Königsfeld’s Gesch. von Offenbach, S. 77, Le Pique, Statistik der protest. K. in Baden, S. 101, Döring, Die deutschen Kanzelredner, und Brockhaus’ Conversationslexikon citirt werden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Stadpunkt