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ADB:Faber, Ernst

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Artikel „Faber, Ernst“ von Max Christlieb in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 469–472, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Faber,_Ernst&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 13:22 Uhr UTC)
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Faber: Ernst F. ist geboren am 25. April 1839 in Coburg als Sohn eines Klempnermeisters. Trotz glänzender Begabung war er zunächst genöthigt, das Handwerk des Vaters zu erlernen; aber auf der Wanderschaft, im Jünglingsverein zu Münster, entschied sich sein Schicksal. Nachdem er dort, wie er selbst sagt, „gefunden, was er lange gesucht hatte, Frieden für die Seele im Glauben an Christum“, meldete er sich zur Aufnahme in das Missionsseminar der 1828 gegründeten Rheinischen Missionsgesellschaft in Barmen, übersprang die Vorbereitungsschule und vollendete in vier Jahren den dortigen Lehrgang. Vier Semester studierte er noch Theologie, in Basel hauptsächlich bei Auberlen, in Tübingen besonders bei Beck; ein eifriges Studium der Naturwissenschaften wurde durch einen zoologischen Präparircurs in Berlin abgeschlossen. Im August 1864 in Barmen ordinirt, reiste er über London in 255tägiger Segelfahrt nach China, wo er vom 25. April 1865 bis zu seinem Todestag mit wenigen und kurzen Unterbrechungen über 33 Jahre zubrachte.

Zunächst arbeitete er mit Predigt, Seelsorge und Schulunterricht unter der Puntibevölkerung in der Gegend von Kanton; ein beim Predigen erworbenes Halsleiden nöthigte ihn aber bald, sich hauptsächlich der Arbeit zu widmen, durch die er seine große Bedeutung gewinnen sollte, der litterarischen. Bald stand er in der ersten Reihe der Kenner chinesischer Sprache und chinesischen Wesens; seine chinesischen Schriften waren für alle Missionen dankbar geschätzte Hülfsmittel der Arbeit und seine Aufsätze über die Arbeit in China zeigten ihn bald als Bahnbrecher neuer, heute allgemein angenommener Methoden. Auf einer Erholungsreise in Deutschland kam es 1877 zu einem persönlichen Zerwürfniß mit dem Inspector seiner Mission, dem bekannten, auch für die Colonialsache thätigen Dr. Fabri, und als bald darauf F. und die meisten anderen rheinischen Missionare mit dem von einer Berlin-Stettiner Gesellschaft übernommenen Missionar Hubrig nicht auskommen konnten – wobei übrigens dessen lutherischer Confessionalismus nur eine untergeordnete Rolle spielte – wurde mit zwei anderen auch F. entlassen. Damit war er vollends ganz aus der eigentlichen praktischen Arbeit heraus und auf sein eigenstes Gebiet litterarischer Thätigkeit geführt worden. Und als die ihm eine Zeit lang durch Freunde in Deutschland übersandten regelmäßigen Unterstützungen anfingen knapp zu werden, nahm der eben gegründete Allgemeine Evangelisch-Protestantische Missionsverein ihn in äußerst liberaler Weise unter seine Arbeiter auf, indem er ihm völlige Freiheit in seiner Thätigkeit ließ.

[470] Die letzten vierzehn Jahre seines Lebens waren erfüllt von angestrengter Arbeit, aber auch von reicher Anerkennung. Die Missionare in China und die Freunde der Mission im Abendland verehrten in ihm den größten Kenner des chinesischen Geistes und den Schöpfer der bedeutendsten Arbeiten auf einem doppelten Gebiet: einmal brachte er den Chinesen selbst christlich-abendländisches Wesen so nahe, wie kein Zweiter – und die Wirkung seiner Schriften beginnt eigentlich erst jetzt durchzudringen –, sodann aber hat er zur Erschließung und Kenntniß des schwer zugänglichen chinesischen Wesens in Religion, Philosophie und Geschichte mehr beigetragen als irgend jemand, vielleicht Legge und Richthofen allein ausgenommen. Daneben erwarb er sich noch große wissenschaftliche Verdienste um die Kenntniß der chinesischen Botanik und entdeckte etwa 120 neue Pflanzenarten; ein Genus und etliche 20 Species erhielten seinen Namen. Die theologische Facultät in Jena ehrte sich und ihn 1888 durch die Verleihung der theologischen Doctorwürde und nannte ihn darin „den gediegenen Schriftsteller von der Art der altchristlichen Apologeten“ und „den Pfadfinder für die vergleichende Darstellung der Sitten und Gebräuche, Gesetze und Literatur Chinas“. Auf dem Religionscongreß in Chicago hielt er eine Vorlesung über den Confucianismus. 1890 gründete er die Deutsch-evangelische Gemeinde in Shanghai und war ihr Prediger, bis der Allg. Ev.-Prot. Missions-Verein ihm einen Mitarbeiter schickte; 1898 siedelte er nach Tsingtau über, um die Missionsarbeit des Vereins dort einzuleiten, die nach seinen Plänen fortgesetzt wird. Das im Anfang wegen der vielen Grabungen verderbliche Klima Tsingtaus schwächte seine ohnehin nicht sehr starke Gesundheit noch mehr; am 26. September 1899 starb er in Tsingtau.

Faber’s Aufsätze in deutschen und englischen Missionszeitschriften, sowie seine deutschen und englischen Bücher sind eine unerschöpfliche Fundgrube für die Kenntniß des chinesischen Wesens. Seine frühesten deutschen Aufsätze erschienen in dem Blatt der Rheinischen Mission, seine spätern in Warneck’s Allgemeiner Missionszeitschrift – unter ihnen sind besonders hervorzuheben: „Ueber den Philosophen Tschŭang-tsi“ 1881, „Ueber literarische Missionsarbeit“ 1882 und als wichtigstes: „Sitten und Gebräuche der Christen unter den Heiden“ 1884. Hier wird das bedeutungsvollste Missionsproblem, die Ausgestaltung des religiösen und sittlichen Lebens in einer heidenchristlichen Kirche, lichtvoll erörtert. F. tritt der geschichtslosen Art, die Heiden nicht bloß zu Christen, sondern in allen Stücken möglichst der heimathlichen Kirche und Sitte gleich zu machen, scharf entgegen und redet einer verständnißvollen Erhaltung und organischen Läuterung des nationalen Wesens das Wort, Grundsätze, die immer mehr Allgemeingut des heutigen Missionsbetriebs werden. Von seinen Aufsätzen in der Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft, dem Blatte des Allg. Ev.-Prot. Missionsvereins, ist besonders hervorzuheben der „Authentische Sittenspiegel der Chinesen“, Auszüge aus dem Pekinger Regierungsblatt (1889 und 1891), sowie ein „Jahresbericht für 1891 über die socialen Ursachen der Unruhen in China“, der in geradezu prophetischer Weise die letzten Gründe der Wirren des Jahres 1900 klarlegt. – Wie der Aufsatz über die „Sitten und Gebräuche“ in Buchform erschienen ist („Problems of practical Christianity in China“), so auch Faber’s letzter Beitrag zu der Zeitschrift seines Vereins (1899) „Theorie und Praxis eines protestantischen Missionars in China“ (Heidelberg 1902). Umgekehrt ist ein zuerst selbständig erschienenes Werk: „Paul the apostle in Europe, a guide to our Mission Work in Asia“ (Shanghai 1891) zum größten Theil übersetzt in jener Zeitschrift erschienen (1891–1896).

Faber’s übrige, theils in Zeitschriften oder Sammelwerken, theils gesondert [471] erschienene Schriften beschäftigen sich zur Hälfte mit der Religion und Philosophie, zur andern Hälfte mit der Geschichte Chinas. Zur ersten Classe gehören: „Der Lehrbegriff des Confucius“ (Hongkong 1872), „Quellen zu Confucius und zu dem Confucianismus“ (ebd. 1873), beide zusammen englisch unter dem Titel: „A systematical digest of the doctrines of Confucius with an introduction on the authorities upon Confucius and Confucianism“ (ebd. 1875), ferner „Introduction to the science of Chinese religions“ (ebd. 1879), „The historical characteristics of Taoism“ (China Review XIII), „A Missionary view of Confucianism“ (in China Mission Handbook, Shanghai 1896). Endlich die Werke über die drei Philosophen Mencius, Micius und Licius: „Eine Staatslehre auf ethischer Grundlage oder Lehrbegriff des chinesischen Philosophen Mencius“, „Der Naturalismus bei den alten Chinesen … oder die sämmtlichen Werke des Philosophen Licius“, „Die Grundgedanken des alten chinesischen Socialismus oder die Lehren des Philosophen Micius“ (alle Elberfeld 1877).

In die zweite Classe, die Geschichte behandelnd, gehört zunächst eine Arbeit Faber’s, die berufen ist, die historische Forschung für China auf eine ganz neue Basis zu stellen: „Prehistoric China“ (Journal of the China Branch of the Royal Asiatic Society XXIV, 1890), die eine deutsche Uebersetzung dringend verdiente. Wie etwa Schrader aus den indogermanischen Wurzeln, so zieht er hier aus den etwa 100 ältesten Schriftzeichen Chinas Schlüsse auf den Culturzustand des Volkes. Aber bis 800 v. Chr. war die chinesische Schrift viel zu unvollkommen, um geschichtliche Urkunden aufzuzeichnen; alles was über diese Zeit hinaufgeht, ist daher sagenhaft. – Eine Skizze der chinesischen Geschichte gibt F. in der Schrift: „China in historischer Beleuchtung“ (Berlin 1895); aus seinem Nachlaß hat P. Kranz herausgegeben „Chronological handbook of the history of China“ (Shanghai 1902), eine Aufzählung der wichtigsten chinesischen Ereignisse, gesammelt aus den Quellen.

Seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse hat er anfangs in zoologischen Präparaten, die er nach Berlin schickte, später mehr auf botanischem Gebiet bethätigt: der Denkschrift des Reichsmarineamtes über Kiautschou 1898 ist eine Skizze der Flora von Tsingtau bis Lauschan von Faber’s Hand beigefügt (vgl. Bretschneider, History of European botanical Discoveries in China, London 1898).

Die andere Hälfte von Faber’s Lebenswerk, den Chinesen unsern abendländisch-christlichen Geist nahe zu bringen, hat er ausgeführt in einer Reihe von chinesisch geschriebenen Schriften. Die wichtigsten sind folgende – ihr Inhalt ist angegeben in der Schrift von Kranz über F. (s. d. Litteratur) –: „Die Schulen Deutschlands“ (1873), „Die Grundzüge der Erziehung“ (1875), „Civilisation östlich und westlich oder die Früchte des Christenthums“ (1884), „Chinesische Theorien über die Natur des Menschen“ (1893), und sein Hauptwerk: „Kritik der chinesischen Classiker“ (1896–98), dessen Vollendung er nicht mehr erleben durfte. Außerdem hat er der Mission ganz direct gedient durch seine homiletischen Schriften: „Commentar und 77 Predigten über das Markusevangelium“ (1874–76, auch ins Japanische übersetzt), „Meditationen über das Alte Testament“ (1892) und „Homiletischer Lukaskommentar mit 1821 Predigtdispositionen“ (1894). In diesen Werken, die in tausenden und zehntausenden von Exemplaren verbreitet sind, hat F. die vorbildliche Methode aufgestellt und befolgt, chinesische Mitarbeiter mit seinen Gedanken zu „inspiriren“: diese mußten dann die Aufsätze niederschreiben und nach F.’s wiederholten eingehenden mündlichen und schriftlichen Correcturen ihnen die letzte in China [472] so überaus wichtige Form geben. Das größte Hinderniß bildet die Sprache selbst, und das Missionsziel ist nach Faber’s Ausspruch erst erreicht, wenn „alle evangelischen Begriffe ihren adäquatesten Ausdruck in chinesischer Schrift und Sprache gefunden haben, und weiter wenn unsere Gemeindeglieder dahin gelangt sind, nicht nur diese evangelisch-chinesische Sprache zu verstehen und zu reden, sondern auch selber evangelisch zu denken“. Durch diese Schriften ist F. nicht bloß, wie ihn die dankbaren Mitarbeiter nannten, der „Lehrer der Missionare in China“ geworden, sondern die Inschrift auf seinem Grabstein sagt mit Recht, er war „ein Bahnbrecher christlichen Glaubens und christlicher Kultur, ein deutscher Forscher im fremden Lande“.

P. Kranz, D. Ernst Faber, ein Wortführer christlichen Glaubens und seine Werke (Heidelberg 1901). – Eigene Bekanntschaft.