ADB:Genserich

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Artikel „Genserich, König der Vandalen“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 569–573, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Genserich&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 18:05 Uhr UTC)
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Genserich, König der Vandalen, Begründer des Vandalenreiches in Afrika (richtiger als „Geiserich“: von dem Wildgans-Hahn, „das Alterthum liebte es, Benennungen von Helden starken muthigen Thieren zu entlehnen“ [Jac. Grimm]), unechter Sohn des Vandalenkönigs Godegisel, aus dem Hause der Asdingen, der als Führer seines Volkes a. 406 auf dem Zuge von Pannonien nach Gallien im Kampf gegen die Franken fiel: ihm folgte ein ehelicher, aber noch nicht waffenfähiger Sohn Guntherich, für welchen der ältere Bruder G. thatsächlich Schwert und Scepter führte. (Ueber diese Vereinigung der widerstreitenden Quellenberichte [570] s. Dahn, Könige der Germanen I., München 1861, S. 143. 144.). Nach dreijährigem verheerenden Umherziehen in Gallien gelang im Herbst 409 der schon einmal gescheiterte Versuch der beiden vandalischen Völkerschaften der Asdingen und Silingen, mit ihren Wandergenossen, den Alanen und einer Gruppe suebischer Schaaren, durch die Pyrenäenpässe in Spanien einzudringen: das Loos theilte den asdingischen Vandalen und den Sueben zusammen die Landschaft Galläcia im Nordwesten, den silingischen die südöstlich hieran grenzende Bätica, den Alanen Lusitanien im Südwesten zu: als im J. 416 die Silingen, im J. 418 die Alanen ihren König im Kampf gegen die Westgothen verloren, schlossen sich beide Völkerschaften den Asdingen unter Guntherich an, welcher, wie seine Nachfolger, von da ab den Titel „König der Vandalen und Alanen“ führte: als dieser im Kampf gegen die Franken gefallen (427), folgte ihm G. auf den Thron und führte den schon bei Lebzeiten Guntherich’s gefaßten Plan aus, mit seinem Volk Spanien zu verlassen und in dem fruchtbaren römischen Nordafrika eine neue Heimath zu suchen: der kaiserliche Statthalter Bonifacius hatte die Vandalen selbst herbeigerufen, sich der drohenden Absetzung und Bestrafung zu entziehen, welche der weströmische Hof, angeblich in Folge einer Intrigue seines Nebenbuhlers Aëtius, gegen ihn beschlossen hatte: vielleicht hatte G. die Beziehungen zu Bonifacius angeknüpft als Befehlshaber der vandalischen Raubschiffe, welche schon seit der Einnahme von Sevilla und Karthagena (425) die Balearen und auch bereits die Küsten Nordafrikas heimgesucht hatten: es war für die Machtentwicklung der Vandalen von höchster Bedeutung, daß sie so früh auch auf die Beherrschung der See ihr Auge richteten. Der Vertrag mit Bonifacius hatte das römische Afrika in drei Theile gegliedert: G. sollte, obzwar bisher nicht König, eine selbständige Herrschaft erhalten. Nach dem Tode Guntherich’s führte nun G. die Uebersiedelung aus: vor der Einschiffung der zwischen 50 und 80000 Köpfen schwankend berechneten Menge, wandte sich G. nochmal rasch in die aufgegebenen Sitze zurück und schlug die nachdrängenden Sueben, die alten Feinde bei Merida aufs Haupt: ihr König ertrank auf der Flucht in den Fluthen des Anas (der Guadiana). – In Afrika entfaltete nun G. alle Kräfte seiner großartigen Persönlichkeit: er ist eine der gewaltigsten Gestalten der heldenreichen Zeit der Völkerwanderung: nahe liegt die Vergleichung mit dem weisen Ostgothenkönig, dem großen Theoderich: aber der wilde Vandale steht ihm gegenüber, wie dem milden Tag die blutige Nacht: ein Gerücht belastet ihn mit dem Vorwurf des Brudermordes: er war kurz von Gestalt, seit einem Sturz mit dem Pferde hinkend, verhalten, wortkarg, abgehärtet, jähzornig, habgierig, höchst geschickt, unter die Fürsten und Völker den Samen der Zwietracht zu streuen – ein Zug, der an Odhin gemahnt – rascher mit der That fertig als seine Feinde mit dem Entschluß. Mit Arglist, Treubruch und Verrath entreißt er den Römern seines Reiches Hauptstadt, Karthago: die Wälle der anderen Städte werden meist geschleift, jede künftige Erhebung unmöglich zu machen: ohne geregelte Theilung nimmt er soviel Land als er braucht für sich und seine Vandalen den Römern ab, welche erschlagen, vertrieben oder, wenn sie bleiben, von dem arianischen Herrscher um ihres katholischen Bekenntnisses willen grausam verfolgt werden: Empörungen im eigenen Volk schlägt er blutig nieder, alle erreichbaren Küsten und Eilande des Mittelmeeres werden geplündert: sticht sein gefürchtetes Raubschiff in See, so bezeichnet er dem fragenden Steuermann kein bestimmtes Ziel, sondern läßt sich „von Wind und Welle zu solchen Menschen tragen, denen Gott zürnt“ – ein echt sagenhafter Zug –: wie sein schrecklicher Bundesgenosse, der hunnische Attila, auf dem Festlande, ward der vandalische Seekönig ein Schrecken der Völker, eine Geißel meeranwohnender Menschen. Wie ein Sturm brauste seine Gewalt über alle Nachbarn hin, verderblich, [571] zerstörend, nicht erhaltend, und das Werk seines Lebens, das abenteuerliche Reich blonder Germanen im heißen Sande Afrika’s, war von kurzer Dauer. Zunächst mußte G. sich in Afrika gegen den Mann wenden, der ihn herbeigerufen. Bonifacius hatte sich mit dem weströmischen Hof wieder ausgesöhnt und suchte nun zuerst auf gütlichem Wege, dann mit Gewalt die gefährlichen Verbündeten, welche er herbei beschworen, wieder fort zu schaffen. Nach zwei verlorenen Schlachten (a. 430. 431) mußte er die Provinz den Vandalen überlassen und G. eroberte eine Landschaft nach der anderen; nur die drei Städte Karthago, Hippo und Cirta waren noch in der Gewalt der Römer: ein im J. 435 geschlossener Friede beließ den Vandalen ihre Eroberungen gegen eine Abgabe und eidlichen Verzicht auf weitere Ausbreitung. Aber G. besann sich nicht, bei guter Gelegenheit diesen Eid und Vertrag zu brechen: mitten im Frieden nahm er (October 439) Karthago weg und von diesem festen Punkt aus, seiner neuen Hauptstadt, begann er alsbald mit seinen raschen Raubschiffen jene verheerenden Fahrten nach allen Küsten des Mittelmeeres, welche seinen und der Vandalen Namen zum Schrecken der Völker machten. Im J. 440 ward das meerbeherrschende Sicilien angegriffen, Lilybäum erobert, Panormus belagert, darauf Unteritalien bedroht, eine von Byzanz zu Hülfe gesandte Flotte (441) richtete nichts aus und Rom erkaufte durch neue Abtretungen in Afrika unsichern Frieden (442). Aber die ewige Stadt sollte den kühnen Meerkönig in den eigenen Mauern sehen: die Verwirrung und Partheiung, in welche die Ermordung Valentinians durch dessen Nachfolger Maximus Rom gestürzt hatte, benützte G., angeblich von der Eudoxia, Wittwe Valentinians und gezwungenen Gattin des Mörders herbeigerufen – er hatte wenigstens 445 mit Valentinian über eine Verschwägerung verhandelt –, in der Hafenstadt Portus mit seiner Flotte einzulaufen und in das widerstandslose Rom einzuziehen. Ganz unbegründet ist die früher herrschende und immer noch nicht ganz verdrängte Vorstellung, bei dieser Gelegenheit sei die eigentliche „Zerstörung Roms“, d. h. vor allem seiner Prachtgebäude, Denkmäler und Bildsäulen geschehen. Dazu hatten die Vandalen in ihrem kurzen Aufenthalt von 14 Tagen weder Absicht, noch Mittel, noch Zeit. Die Vandalen zogen nach Plünderung der Stadt mit den kaiserlichen Schätzen, darunter den Tempelgeräthen von Jerusalem und vielen Gefangenen, darunter Eudoxia und ihre beiden Töchter, nach Karthago zurück: G. hatte die Schwäche Roms erkannt: er eroberte nun den Rest der Provinz Afrika und verwerthete die Gefangenschaft der drei Frauen der kaiserlichen Familie zur Einmischung in die römische Politik. Vergebens forderten deren Freilassung und Schonung der römischen Küsten die Herrscher von Rom und Byzanz. Bei den neuen Verheerungen von Sicilien und Unteritalien ward zwar der Führer der Flotte, ein Schwager Genserich’s, überfallen und getödtet, 439, nachdem schon im J. 436 der gewaltige Mann, welcher thatsächlich das Abendland regierte, der Kaisermacher Rikimer, ein Suebe, bei Agrigent ein Landheer der Vandalen geschlagen, aber die Raubfahrten dauerten fort und als im J. 460 Kaiser Majorian zwei große Flotten gerüstet hatte, um von Spanien aus in Afrika zu landen, kam dem G. zuvor, überfiel die Flotten auf der Rhede von Karthagena, nahm einen Theil derselben weg und erzwang so den Frieden, aber nur um ihn bald wieder zu brechen und abermals Jahr um Jahr Sicilien und Italien heimzusuchen. Der oströmische Kaiser Leo hatte endlich Eudoxia und deren eine Tochter Placidia um schweres Lösegeld frei gekauft, aber die zweite, Eudoxia, hatte G. mit seinem Sohne Hunerich vermählt und benützte diese Verschwägerung mit dem Hause Valentinians III. der Politik seines bedeutendsten Feindes, Rikimers, entgegen zu wirken: er verwarf den von diesem neu erhobenen Kaiser Severus und verlangte die oströmische Krone für Olybrius, den Gatten [572] jener Placidia und Schwager seines Sohnes: auch dem von Rikimer und Kaiser Leo gemeinsam erhobenen Nachfolger des Severus, Anthemius, verweigerte (467) G. die Anerkennung und griff dann auch die byzantinischen Küsten an. Endlich, nachdem Rikimer’s isolirte Anstrengungen, dann gemeinsame Gesandtschaften nichts gefruchtet, verbanden sich die beiden Kaiserreiche zu einer großen combinirten Unternehmung zur Vernichtung des Raubstaates, welcher nun seit vierzig Jahren die mächtigsten Reiche der Erde ungestraft auf das grausamste gepeinigt hatte. Kaiser Leo betrieb die Rüstungen im größten Maßstab: Byzanz bemannte über tausend Schiffe mit mehr als hunderttausend erlesenen Kriegern: dreizehn Centner Goldes betrugen die Kosten. Keine ähnliche Armada hat das Ostreich später mehr aufgebracht. Von drei Seiten zugleich sollte G. angegriffen werden: Basiliskus, des Kaisers Schwager, sollte als Oberfeldherr bei Karthago landen, ein zweiter Führer, Heraklius, bei Tripolis und zu Lande gegen die dann mit den vereinten Heeren zu erobernde Hauptstadt ziehen, während die Weströmer und Marcellinus, verstärkt durch Byzantiner, von Dalmatien aus Sardinien den Vandalen entreißen sollten. Diesmal ward es Ernst und der Anfang des Angriffs gelang. Marcellinus eroberte Sardinien, Heraklius die Städte von Tripolis und marschirte auf Karthago, in dessen Nähe bei Cap Mercurius, 280 Stadien östlich von Karthago, Basiliskus von Sicilien aus gelandet war und bereits einige günstige Gefechte geliefert hatte: am Strande der Bucht, in welcher die Schiffe ankerten, war der Byzantiner befestigtes Lager geschlagen. Groß ward die Gefahr. Da erbat G. eine Waffenruhe von 5 Tagen, welche ihm thörigerweise bewilligt wurde, – man flüsterte auch von Bestechung oder Verrath arianisch gesinnter Feldherren –, der Seekönig wartete nur auf das Eintreffen günstigen (West-)Windes, rüstete Brander, bemannte alle seine Kriegsschiffe und überfiel, als die ersehnte Brise einsprang, wol zur Nacht, mit Flammen und Schwert die schwerfälligen, dichtgedrängten Triremen der Byzantiner: trotz tapferen Widerstandes einzelner Führer ging die stolze Armada in Feuer und Blut zugrunde: Basiliskus rettete vor dem Zorn des Kaisers nur das Asyl der Sophienkirche und die Fürbitte seiner Schwester. Nun mußte auch Heraklius sich wieder einschiffen und da Marcellinus auf Sardinien von seinem Mitfeldherrn war ermordet worden, ging auch dieses Eiland wieder an die Vandalen verloren, welche nun ärger als je zuvor 7 Jahre lang die schutzlosen Küsten beider Reiche verheerten. Endlich im J. 475 schloß G. mit Byzanz den sogenannten „ewigen Frieden“; es war der ausgezeichneten Persönlichkeit des Gesandten Kaisers Zeno, dem Patricius Severus, gelungen, den Meerkönig zum Abschluß dieses Vertrages zu bestimmen. G. war alt geworden, er verlangte nach Ruhe und wollte sein Reich unter seinem minder kräftigen Nachfolger Hunerich nach Kräften sicher stellen. Dieser Vertrag bildete die Rechtsgrundlage der Verhältnisse zwischen Byzanz und Karthago bis zum Untergang des Vandalenreiches. Mit dem abendländischen Kaiserthum unter dem Patricius Orestes ward 475 ebenfalls Friede geschlossen und als bald darauf Odovaker die Herrschaft über Italien gewann, verständigte sich auch mit diesem G. in Güte, indem er ihm gegen Jahrestribut einen großen Theil von Sicilien zurückgab. Von den Maßregeln Genserich’s in der inneren Verwaltung ist außer der Reorganisation des Heeres nach der Landung in Afrika und den grausamen Verfolgungen der katholischen Kirche noch etwa zu erwähnen sein sogenanntes „Testament“, richtiger Erbfolgegesetz, durch welches er den Seniorat als Folgeordnung im Königshause der Asdingen einführte: unter allen Gliedern der Dynastie sollte stets ohne Rücksicht auf Linie oder Gradnähe der Verwandtschaft der älteste Mann auf den Thron folgen. Genserich’s staatsmännischer Blick hatte die Gefahren wol erkannt, welche der Mangel fester Folgeordnung für die germanischen Königsgeschlechter enthielt: [573] jeder ehrgeizige Prinz konnte bei der absoluten Wahlfreiheit des Volkes den Griff nach der Krone wagen und, fand er Anhang, den Bürgerkrieg entzünden. G. lernte den Seniorat bei den Mauren kennen, mit welchen er in Krieg und Friede in stetem Verkehre stand und wählte gerade dieses Princip, weil es mehr als jedes andere die Berufung eines Waffenunfähigen auf den Thron und die Nothwendigkeit einer Regentschaft ausschließt. G. starb im Januar 477. Sein Name war noch 60 Jahre lang der Glanz und der gefürchtete Schild des von ihm gegründeten Reiches.

Die Litteratur s. bei Gelimer; dazu Hermann Schulze, De Testamento Genserici, Jena 1859, und hierüber Dahn, in v. Pözl’s Münchener Krit. Vierteljahrsschrift 1860.