ADB:Gersbach, Anton

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Artikel „Gersbach, Anton“ von Moritz Fürstenau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 44–46, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gersbach,_Anton&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 10:05 Uhr UTC)
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Gersbach: Anton G., wurde am 21. Febr. 1803 zu Säckingen geboren, wo sein Vater Müller, später Rathsherr und Bürgermeister war. Unterstützt vom Pfarrer Hempfer und seinem Bruder Joseph (s. u.), entwickelte sich frühzeitig sein musikalisches Talent, so daß er schon im 11. Jahre für den Cantor des Heimathsortes die Orgel spielen konnte. Nachdem er bereits in Säckingen die lateinische Schule besucht hatte, kam er auf seines Bruders Joseph Veranlassung nach Zürich, wo er gleich diesem bei der Familie Hirzel[WS 1] wie ein Kind des Hauses gehalten wurde. In Zürich trieb er bis 1820 mit Erfolg Gymnasialstudien, setzte unter seines Bruders Leitung die musikalischen Arbeiten fort, sang in Nägeli’s Singgesellschaft und genoß dessen bildenden Umgang. 1821 folgte er seinem Bruder nach Nürnberg, um denselben beim Unterricht zu unterstützen und sich auf die Universität vorzubreiten. Hier zeigten sich schon die Anfänge jener nervösen Unterleibsbeschwerden, welche bald sein tiefes hypochondrisches Leiden hervorriefen und seinen frühen Tod veranlaßten. Im Winterhalbjahre 1822–1823 hörte er philologische und mathematische Collegien an der Universität zu Halle. Heftige Steigerung seines körperlichen Leidens hinderten ihn am Besuch der Universität Berlin und trieben ihn nach der Schweiz zurück, von wo er sich nach erfolgter Besserung nach Nürnberg begab, um die Stelle seines Bruders zu übernehmen. Ein neuer heftiger Ausbruch seines Uebels zwang ihn im Herbst 1823 abermals nach der Schweiz zurückzukehren. Im Herbst 1824 ging er nach Carlsruhe, um sich bei seinem Bruder Joseph im dortigen Schullehrerseminar für den musikalischen Beruf weiter auszubilden und denselben im Unterricht zu unterstützen; doch schon im April 1825 eilte er wieder nach Zürich, um auf den dringenden Rath des Arztes den philologischen Beruf mit dem eines Musiklehrers zu vertauschen. Als solcher entwickelte er nun eine umfassende Thätigkeit, erntete durch öftere Claviervorträge in Concerten vielen Beifall und betheiligte sich eifrig bei den verschiedenen Musikvereinen, theils singend, theils dirigirend. So leitete er z. B. bei dem schweizerischen Musikfest in Zürich 1829 den Vocalchor, wofür er zum Ehrenmitglied der Gesellschaft ernannt wurde. Nach dem Tode seines Bruders Joseph im J. 1830 übernahm er die Stelle desselben in Carlsruhe, welche er mit größter Gewissenhaftigkeit im Geiste des Entschlafenen verwaltete. In demselben Jahre trat er von der katholischen zur protestantischen Kirche über. Neben seinen amtlichen Beschäftigungen gab er viel Privatunterricht, besorgte die Ordnung, Vollendung und theilweise die Herausgabe des musikalischen Nachlasses Josephs und schrieb selbst Mancherlei. Seit 1844 schwer gepeinigt durch Verschlimmerung seines Uebels starb er am 17. Aug. 1848. Der treffliche Biograph der Gersbach’s, Hofkirchenmusikdirector [45] Giehne[WS 2] in Carlsruhe, sagt über Anton: „Nicht so bedeutend in schöpferischer Hinsicht wie Joseph, hat Anton G. gleichwohl als dessen geistiger Schüler durch die selbständige Fortsetzung und Ergänzung der Lehrmethode des Ersteren, durch seine gediegene Richtung und die Gründlichkeit seines Unterrichtes sich um das musikalische Schulwesen bleibende Verdienste erworben. War Joseph mehr theoretischer, so war Anton mehr praktischer Musiker und verschaffte sich besonders als vortrefflicher und geistvoller Clavierspieler, der Bach’s wohltemperirtes Clavier als sein musikalisches Evangelium erkannte, allgemeine Geltung.“ Anton Gersbach’s Compositionen und musikalische Arbeiten sind folgende: „12 Variationen für Pianoforte“, „30 Uebungsstücke für dasselbe“, „6 vierstimmige Gesänge oder Nachklang zum Singvögelein“, „29 zweistimmige Liedersätze“ (1839), „Geistlicher Chorgesang „Herr Gott, dich loben wir“, für eine Männerstimme“, „25 ein- und zweistimmige Kinderlieder“ (1841), „Die musikalische Taktlehre, aus Jos. Gersbach’s musikalischer Reihenlehre entnommen und in Tabellen zusammengestellt“ (1843); das neue badische Choralbuch nebst der ganzen Redaction, die Choralgesänge für Männerstimmen; mehre Lieder und Chöre in einzelnen Sammlungen; im Nachlaß 12 Motetten für Männerchor und verschiedene andere Gesangstücke; hiervon herausgegeben eine Auswahl „Lieder mit Clavierbegleitung“, zwei Hefte. Außerdem die unter Jos. Gersbach bezeichneten Veröffentlichungen und in Gemeinschaft mit Hofrath Maurer eine Liedersammlung für die Gelehrtenschulen.

Joseph G., Bruder des Vorigen, geb. den 22. Decbr. 1787 zu Säckingen, besuchte seit 1800 das mit der dortigen Abtei in Verbindung stehende Gymnasium, um sich zur Universität vorzubereiten. Neben den ernsten Studien der Mathematik und Logik, in welchen Fächern er sich besonders auszeichnete, trieb er mit Vorliebe Dichtkunst und Musik. Er sang und spielte auch die Orgel: sowie fast alle anderen Instrumente, weshalb ihm trotz seiner Jugend die Leitung des Kirchengesanges und des Orgelspieles im Kloster übertragen wurde. Im J. 1807 bezog er die Universität Freiburg, wo er Philologie, Philosophie und Mathematik studirte. 1809 ging er als Musiklehrer in eine Privat-Erziehungsanstalt nach Göttstadt bei Biel in der Schweiz, von wo aus er den Zögling Melchior Hirzel aus Zürich 1810 nach Stuttgart, Ifferten (Yverdun) und Lausanne begleitete. Die in ersterem Schweizerorte durch Pestalozzi’s hochherzige Bestrebungen empfangenen mächtigen Eindrücke gaben seinem eigenen Wirken eine bestimmtere Richtung, namentlich erweckte die Erkenntniß von Pestalozzi’s richtigem Hauptbestreben, alle Theile des Volksunterrichtes auf einen naturgemäßen Betrieb zurückzuführen, in ihm die Idee, ob es nicht möglich sei, dessen Grundsätze speciell auf das Lehrgebiet der Tonkunst zu übertragen, und so die letztere in Gemeinschaft mit den bereits ausgearbeiteten Fächern zur harmonischen Ausbildung der Jugend erfolgreich zu verwenden. – Mit seinem Schüler nach Zürich zurückgekehrt, blieb er daselbst mehrere Jahre als Musiklehrer und fand im Hirzel’schen Hause eine zweite Heimath. G. verließ im J. 1816 nur ungern Zürich, wo er in Verbindung mit Nägeli getreten war, um einer durch den Erzieherverein der Pädagogen Dr. Dittmar, Hartung und Dr. Kapp[WS 3] an ihn ergangenen Einladung zur Mitwirkung an der neuen Anstalt in Würzburg zu folgen. Wegen der Verlegung des Institutes nach Nürnberg und dessen ungewisser Zukunft kehrte er übrigens schon im Frühjahr 1817 in die Schweiz abermals zu Pestalozzi zurück. In Ifferten gab er zuerst Privatunterricht, erhielt aber bald die Stelle als Lehrer des Gesangs an der Nieder’schen Töchterschule und kurz darauf in der Pestalozzi’schen Knabenanstalt. – Wilhelm Stern, der spätere hervorragende Seminardirector in Karlsruhe, lernte bei seinem Aufenthalt daselbst sein ausgezeichnetes Lehrtalent kennen, [46] wurde sein Freund, und erwirkte ihm 1818 eine Anstellung am Schullehrerseminar zu Rastatt. Diese gab er jedoch aus Abneigung gegen die dort vorgefundenen Verhältnisse 1819 wieder auf, um durch Professor Dittmar’s, des späteren bekannten Geschichtsschreibers, Vermittlung an dem oben erwähnten Lehrinstitut in Nürnberg einzutreten, wo er den Mittelpunkt des in demselben ausgeführten pädagogischen Systems bildete und wesentlich zum kräftigen Gedeihen der vielgerühmten Anstalt beitrug. Er ließ sein beliebtes „Wandervögelein“, eine Sammlung von 60 vierstimmigen Liedern, erscheinen, machte interessante Studien über die bis dahin noch wenig erforschten Gesetze des musikalischen Rhythmus, als deren ergebnißreiche Früchte sein Bruder Anton 1833 die „Reihenlehre“ veröffentlichte und hatte namentlich seine Freude an der Heranbildung munterer Knabenchöre. – In Rastatt trat er 1822 von der katholischen zur protestantischen Kirche über. 1823 ward G. als zweiter Lehrer an das Schullehrerseminar nach Karlsruhe berufen, wo er nicht blos in der Musik sondern auch in der deutschen Sprache, in Mathematik und Naturwissenschaften Unterricht ertheilte. Ueber das Seminar hinaus gab er Anregung zur Pflege der Musik in der evangelischen Kirche und Schule. Er sorgte für Anschaffung von Orgeln in den Schulen und unter seiner Leitung entstand ein Verein für Kirchengesang, für welchen er badische Choräle vierstimmig setzte. Mitten im segensreichsten Wirken wurde G. durch den Tod abberufen. Seit einigen Jahren kränklich, erlag er am 3. December 1830 in Karlsruhe einem nervösen Schleimfieber. Er war ein schöpferischer Pädagog von hoher Bedeutung. Hervorzuheben sind namentlich seine Verdienste um das elementare Schulwesen und um die deutsche Sprache; überhaupt hat man seine Neuerungen und Leistungen auf dem Felde der Musik stets nur im Zusammenhang mit dem von ihm aufgestellten allgemeinen Lehrgebäude, in welchem die Musik als wesentliches „nationales“ Volksbildungsmittel einen integrirenden Bestandtheil bildete, also in enger Verbindung mit seiner gesammten Thätigkeit aufzufassen, da G. mehr pädagogischer Musiker als Tonkünstler war. So urtheilt sein Biograph H. Giehne über ihn. Auch die rein menschliche Seite seines Charakters wird sehr gerühmt. Von früh an mit Entbehrungen kämpfend, hatte Geld und Gut nur insofern Werth für ihn, um damit zu helfen. Freilich machten manche Kämpfe, sowie frühzeitige körperliche Leiden ihn wie seinen jüngeren Bruder zum Hypochonder, eine Krankheit, die bei beiden trotz Philosophie und Frömmigkeit nicht immer überwunden wurde. Von Joseph Gersbach’s Werken sind folgende gedruckt: „Choralgesänge, vierstimmige, der evangelischen Kirche Badens“ (1826); „Wandervögelein, oder Sammlung von vierstimmigen Reiseliedern, nebst einem Anhange von Morgen- und Abendliedern“, 4. Auflage (1859); „Singvögelein: 30 zweistimmige Lieder für die Jugend“, 3. Auflage mit Anhang von Anton G. (1839); „Singschule, Zwei Notenheftchen“ (1829); „Anleitung zum Gebrauche der Singschule mit 5 Tafeln. Nebst Vorwort von Anton G.“ (1833); „Wandtafeln zu derselben, aus dem Werkchen groß gedruckt für Schulen“ (1833); „Reihenlehre oder Begründung des musikalischen Rhythmus aus der allgemeinen Zahlenlehre mit Tabellen“. Aus dem Nachlaß von Anton G. (1834). – „Liedernachlaß. Mehrstimmige Gesänge für gemischten Chor und Männerstimmen“, herausgegeben von Anton G. (1839). – Außerdem sind von ihm in Gemeinschaft mit Wilhelm Stern herausgegeben: „Anfänge des Unterrichts in Volkschulen“ (1827); „Lehrgang der deutschen Sprache. Abtheilung 1 – 3: Sprachbuch“, 2. Auflage (1830); Abtheilung 4. Lesestücke. Auch unter dem Titel: „Frühlingsgarten“ (1828); Abtheilung 5: Sprachschule (1829); „Anleitung zum Gebrauch des Sprachbuchs“, 1. und 2. Abtheilung (1828 und 1830).

H. Giehne in Weech’s Bad. Biograph.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist vor allem die Mutter von Konrad Melchior Hirzel, Anna geb. Bluntschli (1766–1845). Ihr Ehemann, der Staatsanwalt Melchior Hirzel (1766–1811), verstarb recht früh.
  2. Heinrich Giehne (1821–1887)
  3. Friedrich Christian Georg Kapp (1792–1866), deutscher Pädagoge.