Zum Inhalt springen

ADB:Goar

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Goar“ von Franz Xaver Kraus in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 294–295, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Goar&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 04:01 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Gnidius, Matthäus
Nächster>>>
Goar, Moritz
Band 9 (1879), S. 294–295 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Goar in der Wikipedia
Goar in Wikidata
GND-Nummer 118539973
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|9|294|295|Goar|Franz Xaver Kraus|ADB:Goar}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118539973}}    

Goar, der heilige. Der Prümer Mönch Wandelbert (um 839) hat uns eine Vita s. Goaris (abgedruckt bei Mabillon, Act. Ord. S. Bened. II. 281) hinterlassen, für welche er sich auf eine ältere Quelle beruft, welche man gewöhnlich in der (ebenfalls bei Mabillon II, 226 und Act. SS. Jul. II, 333 veröffentlichten) Vita eines Anonymus zu erkennen glaubte. Daß auch letztere schwerlich älter sei als das 9. Jahrhundert, ist zwar von Rettberg, K. G. Deutschlands I, 481 und Hefele, Kirchenlexikon IV, 559 behauptet, von Friedrich, K. G. Deutschl. II, 220 dagegen mit guten Gründen widerlegt worden. Nach dieser Lebensbeschreibung kam G., der Sohn eines Georgius und einer Valeria, unter Chlodwigs I. Sohn Childebert I. und dem Bischof Felicius (Fibicius) aus Aquitanien nach dem Trierischen und baute sich zwischen Oberwesel und Boppard (intra terminum Wasaliacense, suburbano Treverico, ubi fluvius Wocara vocatur) eine kleine Kirche (ecclesiola), in der er zahlreiche Reliquien niederlegte. Er predigte den umwohnenden heidnischen Landleuten das Evangelium, und lebte dabei in Gebet und Ascese, immerhin aber die Werke der Gastfreundschaft gerne und reichlich ausübend. Dieser Umstand wie überhaupt sein Wirken wurde aber bei dem damaligen Bischof Rusticus verdächtigt: zwei G. feindlich gesinnte Geistliche erhielten daher den Auftrag, ihn nach Trier zu führen um dem Bischof Rede zu stehen. G. nahm die zwei Kleriker mit gewohnter Gastfreundschaft [295] auf, diese aber verschmähten es des Morgens vor der Abreise mit ihm zu essen und wären nun auf dem Wege des Hungers gestorben, hätte G. nicht drei Hirschkühe herzugerufen und die hungrigen Begleiter mit deren Milch erquickt. Der Bischof von Trier empfing unsern Heiligen sehr ungnädig und lud ihn nicht einmal ein seine Cappe (Mantel, nicht Mütze wie Rettberg übersetzt) abzulegen. G. that das dann ungeheißen, indem er dieselbe an einem Sonnenstrahl aufhing (dasselbe Wunder in der Vita S. Florentii von Haslach und anderwärts). In diesem Augenblick brachte man dem Bischof ein Findelkind, das aus jener Marmorwanne genommen war, welche in der Trierer Domkirche zur Aufnahme ausgesetzter Kinder aufgestellt war und die später als Geschenk Pipins nach Prüm kam. Rusticus forderte denn G. auf, seine Unschuld und Gottgefälligkeit dadurch zu erweisen, daß er die unbekannten Erzeuger des Kindes nenne; worauf der Heilige das Kind sprechen hieß und dieses den Bischof Rusticus und eine gewisse Afflaia oder Flavia als seine Eltern nannte. Rusticus fiel beschämt, entlarvt, G. zu Füßen. König Siegbert aber, der damals herrschte, hörte von dem Vorfall und bot nun G. das Bisthum Trier an, was dieser ausschlug, indem er erklärte, lieber sieben Jahre lang mit dem gefallenen Rusticus Buße üben zu wollen. Nach Ablauf der sieben Jahre hätte ihm der König abermal die Nachfolge des Rusticus angetragen, G. aber sie wieder ausgeschlagen, worauf er bald (angeblich 6. Juli 575) in seiner Zelle starb, wo später das Stift und das Städtchen St. Goar sich erhoben. Abgesehen von den kindlich naiven Wundern dieser Legende beruht die Erzählung auf einer allerdings verworrenen Anschauung der merowingischen Königsgeschichte. Um die Zeit des Königs Siegbert von Austrasien (561–75) ist die Bischofsliste von Trier durch Nicetius, Magnerich eingenommen und läßt keinen Platz für Rusticus oder eine siebenjährige Sedisvacanz. An Siegbert II. († 613) und III. (633–56) kann nicht gedacht werden. Gleichwohl ist der Schluß Rettberg’s übereilt, daß der „Name Rusticus geradezu erdichtet sei, um die klerikalische Roheit gegenüber der Gutmüthigkeit Goar’s zu personificiren.“ Die Cella beati viri (Goaris) am Rhein ist auch anderweitig unter Pipin (Mabill. Acta S. Bened. II. 298) bezeugt, und die älteren von mir veröffentlichten Bischofskataloge (Jahrb. d. Vereins v. Alterthumsfreunden, XXXVIII, 27 ff.) von Trier haben den Namen des Rusticus und zwar als zweiten Nachfolgers des Fibicius und Vorgänger des heiligen Nicetius. Die Vita sowol in der älteren Fassung als in derjenigen des Wandelbert, ist zweifellos ein geistlicher Roman, aber darum braucht der Kern der Geschichte nicht unwahr zu sein. Ich glaube, daß man an der Existenz des heil. G. ebenso wie an derjenigen des Rusticus festzuhalten hat. G. war meiner Vermuthung nach Chorbischof am Rhein und mag in Jurisdictionsstreitigkeiten mit Rusticus gerathen sein, die zu des letzteren Ungunsten ausfielen. Mit Rettberg (II, 482) in der ganzen Erzählung „nur ein Legendenstück des 9. Jahrhunderts zu finden, mit der offenen Absicht, heitere Tafelfreuden gegen böswillige Ascetik zu vertreten“, heißt denn doch die Kritik etwas cavaliermäßig betreiben.