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ADB:Gruner, Justus von (preußischer Diplomat)

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Artikel „Gruner, Justus von“ von Justus v. Gruner. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 598–602, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gruner,_Justus_von_(preu%C3%9Fischer_Diplomat)&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 10:08 Uhr UTC)
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Gruner: Justus Karl Alexander Friedrich Elliot Wilhelm Ferdinand von G., preußischer Staatsmann, wurde am 2. April 1807 zu Berlin im Cadettenhause geboren, wohin seine Mutter, eine geborene Freiin v. Pöllnitz, [599] im Winter 1806/7 aus Posen zu ihrer Freundin, einem Fräulein v. Steinmetz, einer Tante des späteren Feldmarschalls, gekommen war. Sein Vater, der bekannte Justus Gruner *) weilte zu der Zeit in Ostpreußen, wohin er sich von Posen aus begeben hatte, um sich den höchsten Staatsbehörden zur Verfügung zu stellen. Nachdem G. auf den Befehl Blücher’s, dessen Hauptquartier er zugetheilt war, nach Abschluß des Friedens mit Frankreich im J. 1807 in Treptow a. d. Rega eine provisorische Kriegs– und Domänenkammer gebildet hatte, und er nun voraussetzen zu können glaubte, daß er den Posten eines Directors derselben noch eine längere Zeit bekleiden würde, ließ er Frau und Kind nach Treptow kommen. Jedoch schon zu Anfang des Jahres 1809 wurde G. zu einer andern Thätigkeit von dort abberufen. Er erhielt nämlich zunächst den Auftrag, bei der Einführung der Städteordnung in Berlin thätig zu sein und siedelte infolge dessen mit seiner Familie dorthin über. Kurze Zeit darauf übernahm er, als erster königlicher Polizeipräsident, die Neuorganisation und Leitung der Polizei der Hauptstadt. Im J. 1810 begab sich die Präsidentin G. mit ihren zwei Kindern – es war inzwischen noch ein Sohn geboren, welcher aber nur wenige Jahre lebte –, zu ihren Verwandten nach Franken. Hier erhielt sie die Nachricht von der Scheidung ihrer Ehe mit Justus Gruner und verblieb nun den größten Theil ihres Lebens in ihrer Heimath in der Nähe ihrer Verwandten.

In dem kleinen, in der Nähe von Ansbach gelegenen Landstädtchen, Leutershausen, wohin sich die Präsidentin G. zu ihrem Bruder begeben hatte, welcher dort Landrichter war, erhielt der junge G. durch einen Hauslehrer seinen ersten Unterricht und besuchte später das Gymnasium in Ansbach, wo er Freundschaften fürs Leben schloß. Nachdem G. das Gymnasium absolvirt hatte, begab er sich 1827 nach Berlin, um dort die Universität zu besuchen und gleichzeitig bei dem Garde-Schützenbataillon, den sogenannten Neuchatellern, sein Jahr abzudienen. Da das Abgangszeugniß des Ansbacher Gymnasiums in Berlin nicht als genügend angesehen wurde, mußte G. noch ein Examen vor der wissenschaftlichen Prüfungscommission ablegen. Nach Ablauf des Jahres ging G. nach Göttingen und später nach Heidelberg und hörte endlich im letzten Semester in Berlin noch einige der vorgeschriebenen juristischen Collegia. Nach Absolvirung des ersten juristischen Examens (1830) war G. zunächst beim Stadtgericht in Berlin und dann beim Oberlandesgericht in Münster thätig. Im J. 1832 bestand G. die zweite juristische Prüfung. Da er die Absicht hatte, zur Regierung überzutreten, mußte G. nunmehr aus dem Gerichtsdienst ausscheiden und wurde darauf nach Breslau versetzt, wo er zwei Jahre lang an der Regierung arbeitete. Nachdem er im J. 1835 das große Regierungsexamen bestanden hatte, wurde er der Regierung in Frankfurt a/O. überwiesen. Gleichzeitig aber nahm G. einen längeren Urlaub, den er zu einem Besuche bei seiner Mutter in Ansbach und einer Reise nach Paris benutzte. Sein Rückweg führte G. über Köln, wo er sich bei dem Hauptsteueramt anstellen ließ. Kurze Zeit darauf wurde er, auf sein Ersuchen, an das Hauptsteueramt nach Berlin versetzt. Da es sein dringender Wunsch war, in das Ministerium des Aeußern einzutreten, mußte G., nachdem er schon eine Zeit lang in dem Ministerium gearbeitet hatte, noch das dafür vorgeschriebene Examen machen (1844). Nach bestandenem Examen zum Legationsrath ernannt, wurde G. an die Bundesgesandtschaft nach Frankfurt a/M. versetzt.

[600] Zu Anfang des Jahres 1845 trat G. diesen Posten an, welchen er 11/2 Jahre hindurch bekleidete. Im Sommer 1846 nahm dann G. wieder einen längeren Urlaub, welchen er, um sich noch im Französischen zu vervollkommnen, in Genf und Paris zuzubringen gedachte. Die Ereignisse aber, welche sich gleich nach seiner Ankunft in Genf vor seinen Augen abspielten – der Kampf zwischen James Fazy und der Regierung des Kantons – bewogen ihn nur ganz kurze Zeit in Genf zu bleiben und sich früher nach Paris zu begeben, als er eigentlich die Absicht hatte. Während dieser Zeit beschäftigte gerade die schleswig-holsteinsche Frage sehr stark das öffentliche Interesse. Der derzeitige preußische Gesandte in Paris, Baron Heinrich Arnim, welchem es bekannt war, daß G. bereits im Ministerium des Aeußern diesen Gegenstand eingehend bearbeitet und eine ausführliche Denkschrift über denselben geliefert hatte, forderte ihn auf, in einer kurzen Broschüre oder in einer Reihe von Leitartikeln dem französischen Publicum den deutschen Standpunkt in dieser Angelegenheit klar zu machen. G. entschied sich dafür, dies in einer Broschüre zu thun. Dieselbe erschien anonym in Paris unter dem Titel: „De la succession dans la monarchie danoise considérée principalement sous le point de vue du droit public“.

Im Frühjahr 1847 kam G. von seinem Urlaub nach Berlin zurück. Zum Wirklichen Legationsrath und vortragenden Rath ernannt, trat er jetzt in das Ministerium ein und arbeitete in demselben so lange, bis im J. 1851 der von Oesterreich wiederhergestellte Bundestag von Preußen neu beschickt wurde. Der Minister v. Manteuffel sandte ihn mit der aus dem General v. Rochow und Herrn v. Bismarck bestehenden Bundestagsgesandtschaft nach Frankfurt. Hier blieb G. etwa drei Monate und wurde während dieser Zeit zum Geheimen Legationsrath ernannt. Mit dem festen Entschlusse sich nunmehr aus dem activen Staatsdienste zurückzuziehen, trat G. dann einen Urlaub an, welchen er in Blankenburg im Harz zubrachte. Nachdem G. die ihm vom Minister übertragene Uebernahme des Vorsitzes in der Elbschifffahrtscommission zu Magdeburg aus Gesundheitsrücksichten abgelehnt hatte, bat er zunächst um einen Urlaub von einem Jahre unter Verzicht auf sein Gehalt. Als der Minister v. Manteuffel jedoch dies Gesuch abschlägig beschieden hatte, beantragte G., einstweilen zur Disposition gestellt zu werden. Diesen Wunsch Gruner’s legte nun der Minister v. Manteuffel seinerseits aber dahin aus, daß G. um seine gänzliche Entlassung aus dem Staatsdienste gebeten habe. Er beantragte daher dieselbe beim König, welcher sie denn auch am 1. November 1851 genehmigte.

In der nächstfolgenden Zeit betheiligte sich G. selbstverständlich nicht am politischen Leben. Erst nachdem einige Monate seit seiner Entlassung verflossen waren, bewarb er sich um ein Mandat und wurde zuerst in Paderborn, dann in Duisburg und noch später in Magdeburg zum Abgeordneten gewählt. Nun trat er sogleich der Partei Bethmann-Hollweg bei. Für das Organ derselben, das „Preußische Wochenblatt“, war er außerordentlich thätig, und später übernahm er dasselbe vollständig von Herrn v. Bethmann-Hollweg. In diese Zeit fällt der Anfang der nahen Beziehungen, in welche G. zu dem Prinzen und der Prinzessin von Preußen trat. Wenige Wochen, nachdem er aus dem Staatsdienst entlassen war, wurde G. in den Dienst der Stadt Berlin berufen. Am 26. November 1851 nämlich wurde er an Stelle des Commercienrathes Prätorius, der sein Amt niedergelegt hatte, zum Gemeindeverordneten gewählt und am 15. Januar 1852 in den Gemeinderath – die jetzige Stadtverordnetenversammlung – eingeführt und verpflichtet. Seine Thätigkeit in diesem Amte war jedoch nur von sehr kurzer Dauer. Nachdem er im Laufe [601] des Jahres ausgeloost und nicht wieder gewählt worden war, schied er am Schlusse desselben aus dem Gemeinderathe aus. Als dann nach Uebernahme der Regentschaft durch den Prinzen von Preußen das Ministerium Manteuffel von demjenigen der „Neuen Aera“ abgelöst wurde, trat G. wieder in den activen Staatsdienst zurück und wurde zum Wirklichen Geheimen Legationsrath und Unterstaatssecretär im Ministerium des Aeußern ernannt, dessen Chef der Minister v. Schleinitz wurde. In dieser Stellung übte G. einen gewissen Einfluß aus. Auch nachdem der Minister v. Schleinitz, und später die andern liberalen Minister, welche gleichzeitig mit G. ihr Amt angetreten hatten, aus ihren Stellungen ausgeschieden waren, verblieb G. auf Wunsch des neuen Ministers des Auswärtigen, Grafen Bernstorff, noch eine Zeitlang auf seinem Posten. Doch wurde G. endlich im Juli 1862, nachdem er bereits Ende Mai einen längeren Urlaub angetreten hatte, auf seinen Wunsch zur Disposition gestellt und Ende September desselben Jahres aus Allerhöchstem Vertrauen in das Herrenhaus berufen.

Als Mitglied von Commissionen und Berichterstatter über verschiedene Gesetzesvorlagen u. s. w. nahm G. nunmehr an den Arbeiten des Herrenhauses eifrig theil. Namentlich bekämpfte hier G., welcher mit den Führern des Centrums, den Brüdern Reichensperger und Windthorst, sowie auch mit andern Mitgliedern dieser Partei befreundet war, sehr entschieden die sogenannte Culturkampfgesetzgebung. Dies zog ihm natürlich den unversöhnlichen Haß des Fürsten Bismarck um so mehr zu, als G. unter die Berather der Kaiserin Augusta gerechnet wurde. In der That aber gehörte er zu dem Kreise derjenigen Personen, welche der Kaiserin über die jeweilige politische Situation Bericht erstatten mußten. Diese Berichterstattung begann mit dem Jahre 1864 und endete erst mit Gruner’s Tode. Aber auch bei anderen Angelegenheiten bediente sich die Kaiserin Gruner’s; so z. B. inbetreff der Gründung eines Erziehungsstiftes für Töchter gefallener Officiere und Militärärzte, – der jetzigen „Kaiserin Augusta-Stiftung“ in Charlottenburg, die jetzt nach Potsdam verlegt ist. Im J. 1867 wurde G. ohne, oder wol eigentlich sogar gegen seinen Wunsch in dem Duisburger Wahlbezirk, welcher ihn schon einmal in den fünfziger Jahren in das Abgeordnetenhaus gewählt hatte, als Candidat für den constituirenden Reichstag des Norddeutschen Bundes aufgestellt und auch gewählt. G. nahm zwar an den Arbeiten dieser Versammlung theil, trat aber während der ganzen Session in keiner Weise hervor.

Im März 1867 bat G. um seine gänzliche Entlassung aus dem Staatsdienste, welche bereits am 5. April vom König genehmigt wurde. Während G. mit seiner Stellung zur Disposition mit Ausnahme der Zeit der Culturkampfgesetzgebung im öffentlichen Leben nicht mehr hervorgetreten war, brachte das Jahr 1877 ein Ereigniß, durch welche Gruner’s Name plötzlich wieder in der Oeffentlichkeit ohne sein Zuthun wiederholt genannt wurde. Am Nachmittage des 2. April dieses Jahres überbrachte nämlich ein königlicher Lakai ein eigenhändiges vom 22. März 1877 datirtes Schreiben des Kaisers Wilhelm, in welchem der Monarch ihn in Erinnerung an seine langen und vielfachen treuen Dienste zum Wirklichen Geheimen Rath mit dem Titel Excellenz ernannte. Auf gänzlich unerklärliche Weise war die „Vossische Zeitung“ bereits am folgenden Tage in der Lage, ihren Lesern dies Ereigniß in der Morgennummer mitzutheilen. Natürlich erfolgte sofort in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ ein scharfes Dementi dieser Nachricht. Das Staatsministerium, vom Kaiser dazu aufgefordert, weigerte sich, wol auf Bismarck’s Befehl, dem Monarchen ein Patent für G. auszufertigen und gegenzuzeichnen. Infolge dessen befahl der Kaiser dem Minister des Königlichen Hauses, Freiherrn [602] v. Schleinitz, ein Patent für G. auszufertigen, ihm zur Unterschrift vorzulegen und dasselbe dann gegenzuzeichnen. Daß diese ganze Angelegenheit natürlich lebhaft und eingehend in allen Zeitungen des In- und Auslandes besprochen wurde, versteht sich von selbst. Während bei Hofe die Ernennung Gruner’s anerkannt wurde, geschah dies von Seiten der Staatsbehörden nur insoweit, daß man ihm den Titel Excellenz nicht vorenthielt. Mehrere zu Anfang der 80er Jahre eintretende Schlaganfälle, welche jedoch noch glücklich überwunden wurden, wiesen darauf hin, daß die G. gesetzte Lebenszeit sich ihrem Ende nähere. Zwar stellte eine Cur in Wildbad im Schwarzwald noch einmal, wenn auch nur auf kurze Zeit seine Gesundheit wieder her, aber schon im folgenden Jahre (1885) starb G. nach kurzer Krankheit am 2. October, nachdem er noch einmal wieder eine Kräftigung seiner Gesundheit in Wildbad gesucht hatte.

Justus v. Gruner.

[599] *) Die oben im Texte gemachten Angaben über J. Gruner’s Leben dienen gleichzeitig als Berichtigung und Ergänzung zu dem A. D. B. X, 42 ff. enthaltenen Artikel über ihn.