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ADB:Hälschner, Hugo

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Artikel „Hälschner, Hugo“ von Ernst Landsberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 731–734, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:H%C3%A4lschner,_Hugo&oldid=- (Version vom 20. Dezember 2024, 05:19 Uhr UTC)
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Hälschner: Hugo Philipp Egmont H., Jurist, hauptsächlich Criminalist, ist geboren am 29. März 1817 zu Hirschberg in Schlesien, wo sein Vater, Justizrath H., als tüchtiger Jurist eine weitreichende und erfolgreiche Thätigkeit ausübte. Wenn diesem Vater umfassende Kenntnisse, ungewöhnlicher Scharfsinn und „ungefärbte Redlichkeit“, ausgeprägt religiöser Sinn, dichterische Begabung und „eiserne Treue für seine Freunde“ nachgerühmt werden, so finden sich diese Charakterzüge in seinem zweiten Sohne Hugo in genau derselben Vereinigung bezeichnend wieder.

Nachdem letzterer das Gymnasium seiner Vaterstadt besucht hatte, studirte er 1837–1840 in Breslau und in Berlin die Rechte, hörte aber namentlich an letzterer Universität mit besonderem Eifer auch philosophische Vorträge bei Braniß, Werder und Gans, da ihm offenbar schon damals philosophische Grundlegung für seine wissenschaftliche Erkenntniß unentbehrlich war. Sodann kehrte er nach Breslau zurück, um sich dort für die akademische Lehrthätigkeit vorzubereiten. Er promovirte zu Halle am 26. Mai 1842 mit einer Dissertation „De jure gentium quale fuerit apud populos Orientis“ und war im Begriffe, sich auch ebendort zu habilitiren, als ihn eine Aufforderung des berühmten Bonner Staatsrechtslehrers und Historikers Clemens Theodor Perthes erreichte, die ihn nach Bonn einlud. Dieser Einladung folgend begann H. seine Wirksamkeit an der Bonner Universität, der sein ganzes Leben von da ab ununterbrochen gehören sollte, durch Habilitation dortselbst am 16. Januar 1843 als Privatdocent. Im Hause Perthes’ wohnend, wurde der Schlesier gar bald schon an die Rheinlande auch innerlich gefesselt, wie das äußerlich hervortrat durch die Verlobung mit Ottilie Marcus, der wahren Verkörperung rheinischer Thatlust und Heiterkeit, rheinischer Liebenswürdigkeit und Frische, als welche die Greisin heute noch unter uns weilt. Der Ernennung zum außerordentlichen Professor, 31. März 1847, folgte binnen 14 Tagen, am [732] 12. April 1847, der Abschluß der denkbarst glücklich gewordenen, die innigste Verbindung preußischen und rheinischen Wesens geradezu versinnbildlichenden Ehe. Ebenso glücklich entwickelten sich die äußeren Verhältnisse. Am 19. October 1850 nach Ablehnung eines Rufes nach Rostock zum ordentlichen Professor befördert, nahm H. alsbald in akademischen, städtischen, kirchlichen Verhältnissen eine centrale, ja vielfach leitende und maßgebende Stellung ein. So gehörte er seit 1853 mit nur kurzer Unterbrechung fortwährend – eine ganz außergewöhnliche Erscheinung – dem akademischen Senate an, bekleidete bereits im Jahre 1857/58 das Rectorat und vertrat seit 1868 die Universität als Mitglied des Herrenhauses. Berufungen nach Tübingen (1864) und nach Heidelberg (1872) lehnte er ab, wurde 1870 zum preußischen Geheimen Justizrath ernannt, mehrfach mit hohen Orden bedacht und nahm 1873 an der außerordentlichen Generalsynode der evangelischen Landeskirche Theil, wie er denn auch 1879 infolge königlicher Ernennung Mitglied der ersten ordentlichen Generalsynode war. Mit nicht geringerem Eifer und Erfolg aber widmete er sich auch localen kirchlichen Aemtern, der Leitung akademischer und gemeinnütziger Institute; namentlich seine Verdienste um den wohlgelungenen Bau der Bonner protestantischen Kirche seien hervorgehoben. Als er 1887 seinen siebzigsten Geburtstag feierte, noch in der Vollkraft körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit, weithin berühmt als Lehrer und Gelehrter, anerkannt als Stütze und Säule der Facultät und Universität, als Vertrauensmann der Regierung wie seiner Collegen, sowie als Presbyter seiner Kirchengemeinde, da strömten in seinem allezeit gastlichen Hause zahllose Beweise der Liebe und Verehrung zusammen, deren er sich herzlich erfreut hat. Aus dem Vollbesitze dieser Stellung, nach nur kurzem Leiden, entriß ihn der Tod am 16. März 1889.

H. lehrte in Bonn die Fächer der Rechtsphilosophie, des Völker- und Staatsrechts, des protestantischen Kirchenrechts und des Strafrechts. Litterarisch ist er zuerst als Publicist, dann wesentlich nur noch als Criminalist thätig gewesen.

Zu den publicistischen Schriften gehören, außer der schon genannten Doctordissertation, die Abhandlungen „Zur wissenschaftlichen Begründung des Völkerrechts“ in Eberty’s Zeitschrift für volksthümliches Recht, 1844, und „Die Preußische Verfassungsfrage“ u. s. w., 1846. Außerdem eine Reihe von Schriften und Aufsätzen über die Thronerbfolge der Herzogthümer Schleswig-Holstein, zunächst 1847, sodann besonders 1863 und 1864 (z. B. auch in den „Preußischen Jahrbüchern“ Bd. 13), Schriften, welche ihm die dankbare Anerkennung des Augustenburgers mit Recht eintrugen. Wenn der spätere Kaiser Friedrich die Rechte dieses Prätendenten stets so besonders bereitwillig anerkannt hat, so mag dabei die streng juristische Denkweise Hälschner’s, seines Staatsrechtslehrers, nicht zum wenigsten Einfluß geübt haben.

Indessen mochte gerade diese Strenge und Schärfe juristischen Denkens H. veranlaßt haben, sich dem dafür so viel günstigeren Fache des Strafrechts immer ausschließlicher zuzuwenden. Als Gegenstand litterarischer Bearbeitung wählte er sofort den bedeutsamsten und umfassendsten, die möglichst vollständige, historische und systematische Darstellung des geltenden Preußischen Strafrechts. Von diesem groß angelegten und durchgeführten Werk erschien 1855 der erste Band, unter dem Sondertitel „Geschichte des Brandenburgisch-Preußischen Strafrechts“; bereits 1858 folgte die dogmatische Darstellung des allgemeinen Theils, erst 1868 der dritte Band mit dem besonderen Theil. Damit war denn aber auch H. entschieden an die Spitze der preußischen Criminalistik getreten und vermochte nun in einer Reihe von einzelnen Aufsätzen, theils im „Gerichtssaal“, theils in „Goltdammer’s Archiv“ veröffentlicht, zahlreichen [733] Einzelheiten sich besonders zu widmen. Unter diesen Aufsätzen ragen besonders hervor die rechtsphilosophischen über das Unrecht und seine verschiedenen Formen, von 1869 und 1876, im Gerichtssaal. Inzwischen war an Stelle des Preußischen das Deutsche Strafgesetzbuch getreten, nicht ohne eifrige directe Mitarbeit Hälschner’s, vgl. namentlich seine „Beiträge zur Beurtheilung des Entwurfs eines Str.G.B.s für den Nordd. Bund“, Bonn 1870; weit stärker aber war doch noch die mittelbare Beeinflussung durch sein Lehrbuch des Preußischen Strafrechts. So erscheint gewissermaßen als Umarbeitung und als neue Auflage desselben das entsprechende Werk, das H. nun zum Rechte des neuen Deutschen Reichs unternahm und abermals fertigzustellen vermochte, „Das gemeine deutsche Strafrecht, systematisch dargestellt“, Bd. 1, Bonn 1881, Bd. 2 Abth. 1 ebend. 1884, Bd. 2 Abth. 2 ebend. 1887. Mit dieser zweiten großartigen Leistung war Hälschner’s Lebensarbeit abgeschlossen; entsprechend dem Gange der Geschichte selbst war sie, in Preußen fest wurzelnd, zur Ausdehnung über ganz Deutschland fortgeschritten und hatte darin ihr Ende gefunden.

In allen diesen seinen Arbeiten zeigt H. sich besonders umfassend und gründlich, sowohl als Historiker wie als Systematiker, stets bemüht und vermögend, den verschiedensten Richtungen der Wissenschaft, älterer Ueberlieferung und neuern Anregungen, philosophischer Begründung und geschlossen dogmatischer Ausführung Rechnung zu tragen. Er gehört weder der historischen, noch der philosophischen Schule an, sondern beiden: das beweisen seine stets maßgebend an die Spitze gestellten rechts- und dogmenhistorischen Forschungen einerseits, seine stets neu versuchten philosophischen Grundlegungen andererseits. Und ebenso vereinigt er in diesen philosophischen Bemühungen Verschiedenes: der Grundrichtung nach bestimmt durch Hegel, steht er diesem Geistesbezwinger doch weit selbständiger gegenüber, als die Mehrzahl der criminalistischen Hegelianer seiner Zeit. Er bemüht sich namentlich darum, die Hegel’sche Form mit juristischem Material auszufüllen und dadurch zu kräftigen, er weiß aber auch die Systeme Trendelenburg’s und besonders – nach eigenem Ausspruch – eines so entschieden von Hegel abweichenden Denkers wie Chalybaeus zu verwerthen, um aus allen diesen Elementen seine eigene Strafrechtstheorie aufzubauen. Und auch, nachdem er diese sich hergestellt hatte, hat er sich nie ganz bei ihr beruhigt. Immer hat er weitergeforscht und -gearbeitet, immer genauer seine Unterscheidung thätig-strafbaren und thatenlos-straflosen Unrechts zu fassen und dem positiven Recht anzupassen sich bemüht, selbst im höheren Alter sich keinem neu angeregten Problem verschlossen, keinem Fortschritt, den er irgendwie als solchen anzuerkennen vermochte, versagt. Gerade im Hervorsuchen des Guten und Brauchbaren aus den verschiedensten Richtungen und Werken, im Ausgleiche der dabei sich ergebenden Gegensätze und in der Verbindung theilweise so verschiedener Elemente zum systematischen Ganzen zeigt sich Hälschner’s Scharfsinn und Begabung hervorragend.

Das aber war ihm ermöglicht, weil alle diese Verschiedenheiten bei ihm zusammengeschlossen und zur Einheit zusammengehalten werden durch die stets festgehaltenen, unerschütterlich über der Summe wandelbarer Einzelheiten emporragenden letzten Principien, Principien, in welchen Moral und Recht, Mensch und Gelehrter zusammenstimmen. Die Festigkeit des Charakters, die Stetigkeit der Weltanschauung sind es, worauf uns Hälschner’s Wesen einheitlich gegründet erscheint, wodurch uns sein Werk als Monument der classisch-strafrechtlichen Schule entgegentritt, bei allen Vermittlungsbestrebungen im einzelnen. Auf streng positiven Ueberzeugungen in staatlichen und kirchlichen Fragen, auf dem Glauben an eine höhere Weltordnung und an den [734] absoluten Herrschaftsberuf der nackten Gerechtigkeit als solcher hat Hälschner’s Wesen und Wirken zeitlebens beruht. Diese Festigkeit hat er bewährt in Wissenschaft und Lebensführung durch treueste Pflichterfüllung und durch weitherzigste Würdigung alles irgendwie damit Vereinbaren, aber auch durch strenge und würdige Ablehnung aller damit unvereinbaren Elemente. Mit der Wucht und der Heiligkeit dieser Ueberzeugung hat er gewußt, seine Schüler zu erfüllen, und so schwebt er uns heute noch vor als Mann aus Einem Gusse, als ein Bild aus früheren Tagen, da man noch wußte, was man glaubte, und da man noch handelte, wie man demgemäß sollte.

Lebenslauf in der Bonner und in der Kölnischen Zeitung vom 18. und vom 17. März 1889. – Eigenhändig-autobiographische Notizen. – „Antikritik“ in Nr. 16 des Literarischen Centralblattes, Jahrg. 1859. – Bonner Universitäts-Acten.