ADB:Hahnemann, Samuel
[375] Vermöge der letzteren allein war es ihm möglich, sich die Mittel zum Studium an der Universität Leipzig, die er im Frühjahr 1775 bezog, zu verschaffen, denn seine Eltern waren mittellos und auch der Besuch der Fürstenschule war nur dadurch ermöglicht worden, daß man ihm das Schulgeld erließ. Er übersetzte in Leipzig für verschiedene Buchhändler englische Werke und ertheilte einem reichen Studirenden aus den Donaufürstenthümern Unterricht in der französischen und deutschen Sprache. Mit einem durch Sparsamkeit mühsam erworbenen Sümmchen verließ er das für die Krankenbehandlung unzulängliche Leipzig nach zwei Jahren und ging nach Wien, wo der berühmte medicinische Lehrer Dr. v. Quarin wirkte. Nachdem er dort circa ein Jahr die Collegia besucht hatte, mußte er vorläufig aus Mangel an Mitteln das Studium aufgeben und eine ihm angebotene Hausarztstellung bei dem Statthalter von Siebenbürgen, Baron v. Bruckenthal in Hermannstadt, annehmen. Zwei Jahre hinlänglicher praktischer Beschäftigung in Hermannstadt verschafften ihm die Befähigung und die Mittel, um am 10. August 1779 in Erlangen den Doctorgrad zu nehmen, nachdem er noch einige Zeit an der dortigen Universität studirt und die Lücken in seinem Wissen ausgefüllt hatte. Die von ihm öffentlich vertheidigte Dissertation führt den Titel: „Conspectus adfectuum spasmodicorum aetiologicus et therapeuticus“. Zunächst ließ er sich in Hettstädt als Arzt nieder, ging dann nach Dessau, nahm im J. 1781 eine Stellung als Physikus in Gommern an, die er jedoch bald wieder aufgab. Dann war er drei Jahre lang als Arzt am Dresdener Krankenhause thätig und wandte sich 1789 wieder nach Leipzig, um die litterarischen Beziehungen mit dortigen Buchhändlern enger zu knüpfen. Denn während dieser Wanderjahre war er unausgesetzt litterarisch thätig gewesen, theils als Uebersetzer, theils als selbständiger Autor auf den Gebieten der Chemie und Pharmacie. Namentlich erwarb er sich auf letzteren beiden Gebieten sehr bald einen Namen; seine Schrift über „Arsenikvergiftung“ ist eine Meisterleistung; seine neue „Weinprüfungsmethode“ erregte allgemeines Aufsehen und ist unter dem Namen der Hahnemann’schen Weinprobe heute noch bekannt; ebenso trägt das von ihm erfundene Quecksilberpräparat Hydrargyrum solubile seinen Namen. Ein gewisser Hang zu litterarischer Thätigkeit, sowie der an Quacksalberei und Charlantanerie grenzende Zustand der damaligen Heilkunde brachten ihn dazu, der letzteren mehr und mehr zu entsagen und sich der ersteren zuzuwenden und an den von ihm übersetzten medicinischen Werken gleichzeitig eine sachliche Kritik zu üben. Dies geschah namentlich an der in englischer Sprache erschienenen Arzneimittellehre Cullen’s, die er in’s Deutsche übertrug. Die in derselben enthaltenen Widersprüche über die Wirkungen der Chinarinde brachten ihn zu dem Entschlusse, dieses Mittel an sich selbst zu versuchen. Sonderbarer Weise rief dieses, das Wechselfieber heilende Mittel, bei ihm „wechselfieberartige Zufälle“ hervor, und da er gefunden hatte, daß noch eine ganze Serie von Arzneistoffen existire, die ein Autor als „eine bestimmte Krankheitsform heilend“ anpriese, während ein anderer das gerade Gegentheil davon behaupte, so kam er auf den Gedanken, daß es möglich sei, die Arzneimittel in einer anderen, als seither von den Aerzten beliebten Weise nutzbar zu machen und sie in nicht zu starken, also nicht vergiftenden und bedeutendere Nebenwirkungen hervorrufenden Präparaten solchen Krankheitssymptomen gegenüberzustellen, wie diejenigen es sind, welche dasselbe Mittel in massiverer Gabe an Gesunden hervorruft. H. ist dieses, den Kernpunkt seiner ganzen Heilmethode bildenden Gedankens wegen oft in heftigster Weise angegriffen worden, und man hat ihm namentlich vorgeworfen, daß es nicht möglich sei, durch das Einnehmen von China ein Wechselfieber zu erzeugen. Dies hat auch H. nicht behauptet, sondern er spricht nur von „wechselfieberartigen Symptomen und ohne eigentlichen Frostschauder“. Endlich war er [376] auch weit entfernt davon, auf dieses eine Experiment seine Lehre zu begründen, sondern er arbeitete weitere sieben Jahre, bevor er sich entschloß, im Hufeland’schen „Journal für Heilkunde“ seinen „Versuch über ein neues Princip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen“ zu veröffentlichen. Dies geschah im J. 1796. Er fordert in dieser geistvollen Abhandlung „die Prüfung der Arzneimittel am gesunden menschlichen Organismus, ehe sie bei Kranken in Gebrauch gezogen werden dürfen“, und führt eine ganze Reihe von Arzneistoffen auf, an denen er beweist, daß das von ihm gefundene Heilgesetz richtig sein müsse. Nachdem er durch diese Abhandlung die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen auf sich gelenkt, folgten bald weitere Beiträge in demselben Journal, unter denen der im 3. Bande (1797) enthaltene: „Sind die Hindernisse der Gewißheit und Einfachheit der praktischen Heilkunde unübersteiglich?“ und im 11. Bande (1801): „Monita über die drei gangbaren Kurarten“ besonders bemerkenswerth sind. Mehr und mehr wandte er sich in diesen Jahren wieder der praktischen Thätigkeit zu, und da er durch die Praxis die von ihm in jenem Journal ausgesprochenen Gedanken bestätigt fand und die medicinische Welt hinreichend auf sein neues Heilverfahren vorbereitet glaubte, so trat er 1805 entschiedener mit demselben hervor und veröffentlichte in Hufeland’s Journal, Bd. 22, seine „Heilkunde der Erfahrung“, ferner eine Broschüre: „Aesculap auf der Waagschale“, endlich ein zweibändiges Werk: „Fragmenta de viribus medicamentorum positivis, sive in sano corpore observatis“. Der erstgenannte, sehr umfangreiche Artikel ist der Vorläufer seines „Organons der Heilkunst“, das letztgenannte Werk seiner „Reinen Arzneimittellehre“. Des Ausdrucks „Homöopathie“ bedient er sich in diesen Abhandlungen nicht, sondern er spricht von der Anwendung specifischer Mittel. Später bezeichnete er dieselben als „homöopathisch-specifisch“, und erst als seine Gegner seine Heilmethode „Homöopathie“ nannten, adoptirte er diesen Namen in ganz ähnlicher Weise, wie die Anhänger Richard Wagner’s die Bezeichnung „Zukunftsmusik“. Er ging in den gedachten Abhandlungen und Werken von der Ansicht aus, „daß zwei Reize, welche große Aehnlichkeit miteinander haben, im Körper nicht nebeneinander bestehen können, sondern daß der stärkere den schwächeren von ähnlicher Kraft vernichtet und auslöscht“, und daß man daher nur nöthig habe, „dem vorhandenen widernatürlichen Reize der Krankheit eine andere krankmachende Potenz, von ähnlicher Wirkung, als solche die Krankheit äußert, entgegenzusetzen“. Nun sei es erwiesen, „daß man durch gewisse Arzneien und Gifte Befindensstörungen im menschlichen Körper hervorrufen könne, die denen in vielen Punkten ähnelten, welche sich in den aus anderen Ursachen im menschlichen Organismus entstandenen Krankheiten zeigen“. Folglich sei es nöthig, diese Arzneistoffe am gesunden menschlichen Körper zu prüfen. In diesen auf dem Wege der Deduction und Induction gefundenen Schlüssen liegt Hahnemann’s eigentliche Denkthat, denn weitere, dem Geiste seiner Zeit entsprechende, von ihm aufgestellte Folgerungen muß man heute, zum Theil wenigstens, als irrig bezeichnen. Vier Jahre vergingen nach Veröffentlichung dieser Ansichten mit Zeitungsplänkeleien wegen derselben nicht blos in den Fachzeitschriften, sondern auch im „Allg. Anzeiger der Deutschen“. H. gab, da er bei seinen Gegnern, abgesehen von absichtlichen Mißverständnissen, auch häufig totale Unkenntniß der in seiner „Heilkunde der Erfahrung“ niedergelegten Grundsätze zu beobachten Gelegenheit hatte, deshalb im J. 1810 eine erweiterte Bearbeitung der letztgedachten Arbeit unter dem Titel: „Organon der rationellen Heilkunst“ heraus, die in den J. 1818, 1824, 1829 und 1833 in neuen, vielfach veränderten Auflagen erschien. Im J. 1811 zog er nach Leipzig, um dort eine Anstalt für jüngere, nach seiner Methode auszubildende Aerzte zu gründen. Doch fand er hierzu von keiner Seite [377] die nöthige Unterstützung und habilitirte sich deshalb für seine Lehre an der dortigen Universität. Am 26. Juni 1812 vertheidigte er die zu diesem Zweck verfaßte Dissertation „De helleborismo veterum“, wobei sein Sohn, der Bacc. med. Friedrich H., als Respondent fungirte. Obgleich er in Folge der von ihm der medicinischen Facultät gemachten Opposition nur wenige Hörer fand, so wußte er doch seine gesammten Anhänger unter den jungen Medicinern zu einer „Arzneiprüfergesellschaft“ zu vereinigen, und unter seiner Leitung begann man denn die gangbarsten Arzneimittel der damaligen Medicin nach ihren symptomatischen Wirkungen auf den gesunden menschlichen Körper zu prüfen. Die Resultate dieser Prüfungen sind in einem sechsbändigen Werke, der „Reinen Arzneimittellehre“, enthalten, dessen erster Band 1811 erschien, und das drei Auflagen erlebte. Dieses Werk – es ist bedauerlicher Weise von Hahnemann’s Zeitgenossen vielfach unterschätzt worden und noch mehr hat es die jüngere Generation der Aerzte verwerfen zu müssen geglaubt, – bekundet einen Riesenfleiß; und jeder einzelne Band ist außerdem mit einer werthvollen, oft sogar classischen Vorrede versehen, in welcher der Verfasser theils die Irrthümer seiner medicinischen Zeitgenossen geiselt, theils Dunkelheiten seiner eigenen Doctrin aufzuhellen sich bemüht. – Aehnlich reformirend, wie auf dem Gebiete der Therapie, wirkte H. auf dem der Pharmakotechnik; er erfand eine neue Methode der Herstellung von Arzneitincturen, welch’ letztere namentlich im russischen Kriege (1811–12) vielfach verwandt wurden, und heute noch besteht seine homöopathische Pharmacie neben der in den officiellen Apotheken ausgeübten Staatspharmacie. – Vielfache Anfechtungen während seines Aufenthalts in Leipzig, die namentlich von den Apothekern ausgingen, denen er wegen der Selbstverabreichung seiner Arzneimittel verhaßt war, bewogen ihn endlich, im J. 1821 einem Rufe des Herzogs von Anhalt-Cöthen als Leibarzt zu folgen und seinen homöopathischen Lehrstuhl dem Dr. Moritz Müller zu überlassen. Er war von da ab hauptsächlich praktisch thätig und gab vom J. 1828 ab noch ein vierbändiges, auf seinen neueren Erfahrungen fußendes Werk: „Die chronischen Krankheiten, ihre eigenthümliche Natur und homöopathische Heilung“ heraus. 1829 versammelten sich noch seine gesammten Anhänger zur Feier seines 50jährigen Doctorjubiläums um ihn in Cöthen. Wenige Jahre darauf aber kam es zwischen ihm und den Vertretern einer mehr modernen und nicht ausschließlich auf seine Worte schwörenden, namentlich seinen ins Ungeheuerliche getriebenen Arzneiverdünnungen feindlichen Richtung in seiner eigenen Schule zu einem Bruch, ja anläßlich der Besetzung der Directorstelle des homöopathischen Spitals in Leipzig zum offenen Skandal, und der achtzigjährige Greis, welcher inzwischen seine erste Gattin verloren, verheirathete sich im J. 1835 zum zweiten Male und zog mit seiner jungen Gattin, Melanie d’Hervilly-Gohier, einer Adoptivtochter des ehemaligen Justizministers der französischen Republik, nach Paris, seine Familie und seine deutschen Schüler verlassend. Trotz seines hohen Alters entfaltete er in Paris eine so bedeutende praktische Thätigkeit und wurde von Personen der höchsten Stände so gesucht, daß der vorher arme deutsche Arzt seiner jungen Frau nach seinem am 2. Juli 1843 in Folge einer Lungenlähmung erfolgten Tode ein bedeutendes Vermögen hinterlassen konnte. Seine Begräbnißstätte befindet sich auf dem Kirchhofe Montmartre, gleich links vom Eingange, und ist mit einem schlichten Denkmal versehen. Weitere Denkmäler wurden ihm errichtet: 1851 in Leipzig, eine, nach einem Modell des Bildhauers Steinhäuser, auf galvanoplastischem Wege hergestellte Statue; 1855 in Cöthen ein Sandsteinmonument mit der lebensgroßen Figur Hahnemann’s vom Bildhauer Schmitz. Ebenso befinden sich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo seine Heilmethode über 5000 ärztliche Anhänger hat und in einer [378] größeren Anzahl von Spitälern ausschließlich geübt wird (z. B. in dem Spital auf Wards Island bei Newyork mit 1600 Betten), mehrere künstlerisch schöne Monumente Hahnemann’s. Trotzdem man der Homöopathie auch in Deutschland seit Jahrzehnten den Untergang prophezeite und ihr kein Lehrstuhl an den Universitäten eingeräumt ist, so ist doch eher ein Fortschritt, als ein Rückschritt bemerkbar, denn sie zählt auch hier gegen 500 Aerzte zu ihren Bekennern. Die Hoffnungen, welche ihr Stifter und seine enragirten Anhänger an dieselbe knüpften, und die Bestrebungen, sie zur herrschenden Heilmethode zu machen, konnten sich selbstverständlich nicht verwirklichen. Denn einerseits konnte manche barocke Idee, wie z. B. das in die Decillionen getriebene Verdünnen der Arzneien, womit H. in den ersten Jahrzehnten seiner Thätigkeit eine Verminderung der giftigen Wirkungen derselben beabsichtigte, während er später lehrte, daß die eigentlichen heilenden Arzneikräfte durch dieses Verdünnen erst erschlossen und so zu sagen potenzirt würden, nie rechte Wurzel in ärztlichen Kreisen fassen, und viele der neueren Homöopathen verwenden daher auch nicht mehr jene Infinitesimal-, sondern mehr materielle Dosen, selbstverständlich auf Grundlage des von H. gefundenen Aehnlichkeitsgesetzes; andererseits ist der traditionell kurirende Standpunkt der Heilkunde immer mehr verlassen und statt dessen die Prophylaxis das Hauptziel der praktischen Medicin geworden, während H. glaubte, jeder Krankheitsform durch Arzneimittel begegnen zu können. Seine, oft genug von nichthomöopathischen Aerzten ausgeübten Theorien haben aber entschieden befruchtend gewirkt; und so wird denn einem Manne, der trotz seines eminenten Fleißes, – er hat allein 23 Werke ins Deutsche übersetzt und 72 deutsche und lateinische Werke und Abhandlungen veröffentlicht, – trotz seiner großen Gelehrsamkeit fast bis in sein höheres Lebensalter hinein darbte, kaum einer seiner Gegner die Anerkennung: Nützliches gewollt zu haben, versagen.
Hahnemann: Christian Friedrich Samuel H. wurde am 10. April 1755 in Meißen geboren, in welchem Orte sein Vater, ein talentvoller, durch Reisen vielseitig gebildeter Maler, an der Porzellanfabrik thätig war. Er besuchte die dortige Stadtschule bis zu seinem 15. Jahre, an welcher der spätere Rector der Fürstenschule, M. Joh. Aug. Müller, als Lehrer angestellt war; und da dieser den Knaben wegen seiner trefflichen Anlagen und seines großen Fleißes halber liebgewonnen hatte, so bestimmte er den Vater, ihn auf der Fürstenschule zum Studium vorbereiten zu lassen. Auf letzterer legte er den Grund zu seiner classischen Bildung und zu seiner sehr geläufigen Kenntniß fremder Sprachen.