ADB:Haizinger, Amalie
*): Amalie H., Sängerin und Schauspielerin, wurde am 6. Mai 1800 in Karlsruhe als Tochter des badischen Hoffouriers Morstadt geboren. Sorgfältig erzogen, trat sie am 29. März 1809 gelegentlich einer Wohlthätigkeitsvorstellung in der Rolle des Wranitzky’schen „Oberon“ zum ersten Male öffentlich auf und erregte durch ihr Spiel und durch ihre Stimme großes Aufsehen. Seitdem stand der Entschluß in ihr fest, daß sie sich der Bühnenlaufbahn widmen wolle. Im J. 1815 wurde sie für das Großherzogliche Hoftheater in Karlsruhe engagirt. Anfangs nur in kleineren Opern- und Schauspielpartien beschäftigt, kam sie überraschend schnell vorwärts und wurde bald der erklärte Liebling der Karlsruher Theaterfreunde, ein Erfolg, an dem sicher auch ihre blühende Jugendschönheit großen Antheil hatte. Erst sechzehn Jahre alt, vermählte sie sich im J. 1816 mit ihrem Collegen, dem Schauspieler Karl Neumann. Da ihr Ruf bald über das Weichbild der Stadt hinausdrang, erhielt sie schon im Anfange ihrer Bühnenlaufbahn zahlreiche Gastspielanträge, die sie nach Mannheim, München, Wien, Berlin und Hamburg führten. Nach dem frühen Ende ihres Gatten (er erkrankte und starb auf einer Gastreise in Hannover am 20. September 1823) blieb sie eine Zeit lang Wittwe. Im J. 1827 reichte sie zum zweiten Mal einem Manne ihre Hand, dem zu seiner Zeit gefeierten Tenoristen Anton Haizinger, mit dem sie als Gastin eines Aachener Ensembles im J. 1829 nach Paris ging, wo ihr Mann als Max in Weber’s „Freischütz“ und als Florestan in Beethoven’s „Fidelio“ wahrhafte Triumphe feierte, während sie selbst in kleineren Rollen, wie in Holtei’s „Münchener in Berlin“ ungemein gefiel. Der seltene Erfolg, den diese Gastspielreise auch in finanzieller Hinsicht gehabt hatte, bestimmte das Künstlerpaar zu einer Wiederholung im nächsten Jahre. Im J. 1832 begleitete die H. ihren Gatten auf einer Concertreise nach London und 1835 [743] ging sie zum ersten Male nach Rußland. Am häufigsten aber mußte sie in Wien erscheinen, wo man schon früh versuchte, sie für die Burg zu gewinnen, ohne sie ihrer geliebten Heimath abspenstig machen zu können. Bei ihrem ersten Auftreten auf dem Burgtheater am 22. Juni 1825 spielte sie die Preciosa und ließ darauf noch elf weitere Rollen folgen, unter denen die der Eboli, der Donna Diana, des Suschen in Clauren’s „Bräutigam aus Mexiko“ und der Margaretha in Iffland’s „Der Hagestolz“ besonders gerühmt wurden. Aber obwol sie auch im März 1838, sodann im J. 1839 und 1842 mit vielem Beifall in Wien aufgenommen wurde, wurde sie erst bei ihrem fünften dortigen Gastspiel im Mai 1845 für die Burg engagirt und gab im Januar 1846 ihre Debutrollen als Justizräthin in „Die Frau im Hause“ und als Baronin in „Die Selbstbeherrschung“. Unter Laube’s Direction entwickelte sie sich in Wien zu einer der besten Vertreterinnen älterer weiblicher Charakterrollen, die sie mit ihrem unversiegbaren Humor und mit der lebendigen Naturwahrheit ihres Spieles auf eine seltene Höhe zu bringen wußte. Sie hing mit ganzer Seele an ihrem Berufe und konnte sich nicht entschließen, eher als es dringend nöthig war, von der Bühne Abschied zu nehmen. Im März 1860 feierte sie ihr fünfzigjähriges Künstlerjubiläum und wurde bei dieser Gelegenheit durch die Verleihung der goldenen Künstlermedaille ausgezeichnet. Als sie im Mai 1875 das Jubiläum ihres dreißigjährigen Engagements am Burgtheater begehen durfte, erhielt sie das goldene Verdienstkreuz mit der Krone. Bald darauf erkrankte sie und mußte sich seitdem mehr und mehr des weiteren Spieles enthalten. Ohne im eigentlichen Sinne des Wortes pensionirt zu sein, lebte sie in stiller Zurückgezogenheit, besuchte aber womöglich Abend für Abend die Vorstellungen im Burgtheater. Als sie am 11. August 1884 starb, nahmen die Wiener den regsten Antheil an diesem Verluste, denn mit ihr war nicht nur ein Stück Burgtheater, sondern ein Stück des alten Wien dahingegangen.
HaizingerUeber ihre künstlerischen Leistungen sind die Meinungen der berufensten Beurtheiler nahezu einig. Eduard Devrient sagt im Hinblick auf ihre Karlsruher Anfänge: „Sie war eine der glänzendsten Erscheinungen der modernen Kunst, von üppiger, blendender Schönheit, einem weichen, einschmeichelnden Organ, dem nur ihr Dialekt etwas nachtheilig wurde. Ein heiteres, erfindungsreiches Talent, voll Wärme der Empfindung, blühendem Humor, Verstand und Eleganz. Das Lustspiel war ihr eigenstes Terrain, in empfindsamen und tragischen Rollen hatte sie eine gesangartige Declamation und outrirte Effecte. Ihren naiven Rollen mangelte die natürliche Auffassung keineswegs, aber die im Spiele überall hervorstechende Gefallsucht that den Darstellungen unbefangener Natur begreiflich den größten Schaden. Die Kokette des Lustspiels war ihre Force, aber auch hier übertrieb sie je länger je mehr bis auf das Aeußerste, während sie alle Mittel besaß, auch ohne Absichtlichkeit zu bezaubern“. Diese Fehler ihrer Jugend scheint sie in späteren Jahren gänzlich abgelegt zu haben. Rühmt doch Laube, dessen Leitung sie allerdings vieles zu verdanken hatte, von ihr: „Ihr Grundzug besteht darin, daß sie sich bis in ihr Alter die frischeste Natürlichkeit bewahrt hat, daß sie immer unmittelbar lebendig erscheint, niemals abgedämpft durch irgend eine abstracte Schauspielerformel. Und ihre Natürlichkeit, ihre Lebendigkeit sind zündend, die Lebenskraft, welche von ihr ausströmt, ist echt, ist unverfälschtes Quellwasser. Sie ist vielleicht nicht so sehr humoristisch, als fröhlich. Der Zuhörer fühlt sich belebt und erfrischt, er vergißt den künstlichen Begriff eines Theaters, er ruft ihr zu, er jauchzt mit ihr, wenn sie jauchzt … Der erweckende Luftzug des wahren Talents tritt mit ihr auf die Scene und verbreitet sich im ganzen [744] Hause“. Fast noch enthusiastischer als Laube äußert sich Ludwig Speidel, der Jahrzehnte lang maßgebende Theaterkritiker der Wiener „Freien Presse“: „Amalie Haizinger zählt zu den glücklichen Frauen, die ein langes, thätiges Leben sich selbst und Anderen zur Freude hingebracht haben … Sie besaß das Geheimniß, sich ewig zu verjüngen, indem sie sich in die Zeiten schickte und von jedem Lebensalter die ihm eigene Blüthe brach … Eine solche weibliche Vollnatur auf der Bühne zu sehen, war ein Genuß, den die Wiederholung nicht abstumpfte. Diese Fülle des angeschlagenen Tones und dieses reiche Nachquellen der Kraft erregte stets Bewunderung. Da stand es und da bewegte es sich vor uns, dieses Souveräne und Siegreiche einer wahren Natur. Sie hatte früher naive und sentimentale Rollen gegeben, auch ins Tragische hatte sie herübergespielt und kleine Opernpartien gesungen. Ein musikalisches Element, auch wo sie nur sprach, ist ihr immer verblieben, und die Naive und Sentimentale hat sie mit herübergenommen in das Fach der komischen Alten … Ihrer Naivetät glaubte man aufs Wort und ihre Empfindung trug den Stempel der Wahrheit. Sie konnte lachen und weinen, ihr Schluchzen in komischen Situationen machte ihr niemand nach; aber vollends hinreißend war sie, wo sie Lachen und Weinen in einem Sack hatte. Sie besaß, was so wenig Frauen besitzen: Laune, die sich bis zum Humor steigerte; sie konnte mitten in der Komik ergreifend wirken und bis zu Thränen und selbst über die Thränen hinweg rühren …“
- Penelope. Taschenbuch für 1889. Hrsg. v. Theodor Hell. 28. Jahrg. Leipzig o. J. (Porträt.) – Illustrirte Zeitung. 25. Bd. Leipzig 1855, S. 251; 51. Bd. 1868, S. 231; 83. Bd. 1884, S. 191, 192. – Die Gartenlaube. Leipzig 1884, S. 582, 583. – C. v. Wurzbach, Biogr. Lexikon. Wien 1861, S. 222–226. – E. Devrient, Gesch. d. Deutschen Schauspielkunst, 4. Bd. Leipzig 1861, S. 59, 60. – H. Laube, Das Burgtheater. Leipzig 1868, S. 442–444. – Badische Biographieen, hrsg. v. Frdr. v. Weech. I, Heidelberg 1875, S. 332, 333; IV, 1891, S. 542. – E. Wlassack, Chronik des k. k. Hof-Burgtheaters. Wien 1876 (Register). – C. L. Costenoble, Aus dem Burgtheater (1818–1837), 1. u. 2. Bd. Wien 1889. (Register.) – R. Lothar, Das Wiener Burgtheater. Leipzig, Berlin und Wien 1899. (Register.) – R. Lothar u. J. Stern, 50 Jahre Hoftheater. Neue Ausgabe. Wien o. J. (Register.) – Wien 1848–1888. Denkschrift, 2. Bd. Wien 1888, S. 369–371 (Speidel). – Almanach d. Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger. Hrsg. v. E. Gettke. 13. Jahrg. 1885. Kassel und Leipzig o. J., S. 112–114. – Deutscher Bühnen-Almanach, 49. Jahrg. Hrsg. v. Th. Entsch. Berlin 1885, S. 228–230. – Deutsche Thalia. Hrsg. v. T. Arnold Mayer, 1. Bd. Wien u. Leipzig 1902, S. 36–42. – L. Eisenberg’s Großes Biogr. Lexikon d. Deutschen Bühne im XIX. Jahrh. Leipzig 1903, S. 386–388. – M. Martersteig, Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert. Leipzig 1904, S. 433, 461, 462, 467. – Hermann Schöne, Aus den Lehr- u. Flegeljahren eines alten Schauspielerss. Leipzig (1903), S. 102–105.
Die H. hatte aus ihrer ersten Ehe zwei Töchter, welche sich beide als Schauspielerinnen einen Namen gemacht haben. Die jüngere Adolfine Neumann, geboren am 5. Februar 1822 in Karlsruhe, † in Berlin am 8. April 1844, da Ebenbild der Mutter, wirkte namentlich in Karlsruhe, die ältere, Louise, 1818 in Karlsruhe geboren, kam schon im Mai 1839 an die Burg, wo sie als naiv-sentimentale Liebhaberin die Wiener geradezu entzückte, so daß ihre Verheirathung mit dem Grafen Schönfeld im J. 1857 und ihr dadurch [745] bedingter Abgang von der Bühne als ein nicht zu ersetzender Verlust erschien.
- Vgl. Laube a. a. O. S. 308–313, Eisenberg a. a. O. unter Neumann und Wurzbach 10c, 276–279. – A. Bettelheim, Amalie Haizinger. Gräfin Louise Schönfeld-Neumann. Biographische Blätter. Wien 1906. (Erst nach Abfassung des Artikels erschienen und daher noch nicht benutzt.)
[742] *) Zu Bd. XLIX, S. 721.