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ADB:Hartmann, Moritz

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Artikel „Hartmann, Moritz“ von Ferdinand Hiller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 697–698, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hartmann,_Moritz&oldid=- (Version vom 6. Oktober 2024, 16:43 Uhr UTC)
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Band 10 (1879), S. 697–698 (Quelle).
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Hartmann: Moritz H. Er war das Kind deutsch-jüdischer Eltern in Böhmen und wurde geboren am 15. October 1821 in dem Dorfe Duschnik bei Przibram. Wissenschaftliche Erziehung wurde ihm auf den Gymnasien zu Jungbunzlau und zu Prag, in welch letzterer Stadt er auch durch mehrere Jahre die Universität besuchte, ohne jedoch ein sogenanntes Fachstudium zu ergreifen. Nachdem er in Wien in bedeutenden Familien während einiger Jahre als Erzieher gelebt, verließ er seine österreichische Heimath und es begann nun eine Reihe von Lehr- und Wanderjahren, wie sie inhaltsvoller wol kaum einem deutschen Dichter zu Theil geworden. H. war eine jener, von der Natur überschwänglich reich ausgestatteten Persönlichkeiten, welchen es denn auch Bedürfniß wird gleichmäßig zu leben, zu wirken und zu schaffen. Von anziehendem und sympathischen Aeußern, voll Geist und Fantasie, voll Muth und Enthusiasmus, mit schneller Auffassung ein außerordentliches Gedächtniß vereinigend, die Sprache schriftlich und mündlich, in allen Formen beherrschend, krönte er alle diese Gaben durch einen Charakter von lauterster Reinheit. Den humanitären Freiheitsgedanken, welchen er von frühester Jugend an seine Seele geöffnet hatte, blieb er mit unerschütterlicher Gewissenhaftigkeit treu durch ein von mannigfachen Schicksalen bewegtes Leben und so konnte es kaum anders kommen, als daß ihm Liebe in Fülle zu Theil wurde und der Haß der Gegner sich damit begnügen mußte, seine Tendenzen und seine Schöpfungen anzugreifen – dem Menschen als solchem konnten sie nichts anhaben. Seine zahlreichen schriftstellerischen Erzeugnisse verschlingen sich so eng mit den Wechselfällen seines allzu kurzen Lebens, daß sie sich gegenseitig erklären und ergänzen. – Die erste Sammlung seiner sprühenden Gedichte „Kelch und Schwert“ brachte ihm die Verbannung aus Oesterreich ein. Im J. 1848 nach Böhmen zurückgekehrt, um mitzuhelfen die dortigen Deutschen dem großen Vaterlande zu erhalten, wurde er vom Distrikte Leitmeritz in den Frankfurter Reichstag gewählt und blieb, wie Ludwig Uhland, Mitglied desselben bis zur letzten hinschwindenden Auflösung in Stuttgart. Dichterisch entsprossen ist diesen Zeiten die geistreiche „Reimchronik des Pfaffen Mauritius“, während seine „Bruchstücke revolutionärer Erinnerungen“, in der antiken Einfachheit ihrer Darstellung nicht allein den persönlichen Muth und die Geistesgegenwart des Dichters in’s hellste Licht stellen, sondern auch dessen eminentes Talent für die historische Erzählung bekunden. Jetzt auch durch längere Jahre verhindert nach Deutschland zurückzukehren, wählte er Paris zum Wohnsitz, machte aber von dort aus zahlreiche Reisen, die wiederum die Veranlassung wurden zu mehreren seiner besten schriftstellerischen Arbeiten: so das „Tagebuch aus Languedoc und Provence“ mit seinem Anhange von Uebersetzungen provencalischer Gesänge, die „Briefe aus Dublin“ mit den irischen Märchen, die „Wanderungen durch celtisches Land“, [698] welchen eine, gemeinschaftlich mit seinem Freunde L. Pfau unternommene Sammlung „Bretonische Volkslieder“ folgte. Auch dem französisch-englisch-russischen Kriege in den Jahren 1854–55 wohnte er theilweise als Berichterstatter bei, kehrte aber von demselben krank zurück und brauchte lange Zeit, um sich gänzlich wieder herzustellen. Wie sehr nicht allein die Völker in ihren verschiedensten patriotischen und poetischen Stimmen, sondern auch die Künste in ihren reichen Manifestationen und hervorragenden Vertretern seinen verständnißvollen Antheil erregten, beweisen seine „Biographischen Bilderskizzen“ und seine „Wanderungen durch Pariser Ateliers“. Eine sprudelnde Erfindungsgabe, wie die mannigfachen Erlebnisse in allen Landen und inmitten aller Schichten der Gesellschaft, mußten denn auch die novellistische Produktion des Dichters befördern. Seine Erzählungen sind unter verschiedenen Titeln in einer Reihe von Bänden enthalten und bilden in der Fülle und Frische, vielleicht auch in der Sorglosigkeit, wie sie Improvisationen eigen, einen köstlichen Theil unserer der Unterhaltungslectüre gewidmeten Litteratur. Die besten derselben sind, wie die obengenannten Schriften, in der zehnbändigen Ausgabe seiner, durch Ludwig Bamberger und Wilhelm Vollmer veranstalteten und in der Cotta’schen Buchhandlung erschienenen Werke zusammengestellt. – Eine glückliche, ja beseligende Ehe, die er, in Genf verweilend, mit einem in jeder Beziehung ausgezeichneten deutschen Mädchen geschlossen, krönte das bis dahin unstäte Leben des herrlichen Menschen. Der ungeheuere Umschwung, der in den politischen Verhältnissen seines engeren und weiteren Vaterlandes eingetreten war, erlaubte ihm in Stuttgart und später sogar in Wien selbst (wohin ihn die Redaction der „Neuen freien Presse“ berufen) seinen Aufenthalt zu nehmen. So manches Große, was errungen worden war, freudig anerkennend, konnte er doch wieder mit Anderem sich nicht befreunden, da es den stets festgehaltenen Idealen seiner Jugend widersprach. Blättert man in seinen Schriften, so wird man mehr als einmal den alten Spruch bestätigt finden, daß im Dichter ein Stück Prophet steckt. Leider trübte eine schmerzensvolle Krankheit die letzten Jahre seines Lebens. Hob ihn auch die Liebe des aufopferndes Weibes und seine ungemeine Seelenstärke über seine Leiden geistig empor, der Körper konnte auf die Dauer nicht widerstehen. H. verschied am 13. Mai 1873, „einer der Edelsten und Frischesten“, wie ihn Karl Goedeke bezeichnet, der jüngsten Schule deutscher Dichtung.