Zum Inhalt springen

ADB:Hegner, Ulrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Hegner, Joh. Ulrich“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 288–291, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hegner,_Ulrich&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:35 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Heher, Georg Achatz
Band 11 (1880), S. 288–291 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Ulrich Hegner in der Wikipedia
Ulrich Hegner in Wikidata
GND-Nummer 116572167
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|11|288|291|Hegner, Joh. Ulrich|Gerold Meyer von Knonau|ADB:Hegner, Ulrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116572167}}    

Hegner: Joh. Ulrich H., geb. zu Winterthur am 7. Februar 1759, gest. daselbst am 3. Januar 1840, Schriftsteller und Dichter. Aus einem angesehenen Winterthurer Bürgergeschlechte stammend, der Sohn des dortigen Stadtphysicus, war H. von dem Vater gleichfalls für den Beruf eines Arztes bestimmt und er wurde, nach einer eigenthümlich abgeschlossenen, streng häuslichen Erziehung, welche aber der Leselust und der daraus sich nährenden geistigen Regsamkeit doch freien Raum ließ, 1775 auf die Universität Straßburg gebracht. Ohne Lust zu den ihm vorgeschriebenen Studien und ohne rechte Concentration in seiner Beschäftigung, erwarb er sich da doch 1780 den Doctorhut, nachdem er noch in der letzten Zeit seines Aufenthaltes von dem durch Goethe bekannt gewordenen [289] Actuar Salzmann allerlei Förderung gewonnen hatte. Nach Hause zurückgekehrt, empfing er in der Ausübung der Praxis neben dem Vater keine höhere Schätzung seines Berufes, und so übernahm er, ohne dabei Winterthur verlassen zu müssen, 1786 die amtliche Stellung des Landschreibers unter dem zürcherischen Landvogte in dem äußeren Theile der ausgedehnten Grafschaft Kiburg, die in seiner Familie so zu sagen erblich war. Wohl hauptsächlich der in den 11 Jahren der Amtsführung erworbene Name verursachte, daß der keineswegs demokratisch gesinnte Städter doch im April 1798 unter der neuen helvetischen Ordnung als zürcherischer Kantonsrichter erwählt wurde. In Zürich nahm H. nun seine Wohnung bei dem berühmten Theologen Lavater, mit dem er schon längere Zeit bekannt war. Damals entstand auch, als er, selbst zu keiner ausgesprochenen Partei zählend, mitten unter Anhängern des Alten und Neuen stand, der Plan zu seiner ersten litterarischen Arbeit, dem allerdings erst 1814 erschienenen, als Gesammtschöpfung mißglückten, im Einzelnen trefflichen Zeitbilde: „Saly’s Revoluzionstage“. Anfang 1801 trat H. aus der Behörde aus und benutzte im gleichen Jahre seine Muße zu einer Reise. Vorher hatte ihn Rom angezogen; aber „die besten Kunstwerke, der Hauptgegenstand der Reise, waren von der großen Nation hinwegerobert worden“, und so folgte H. denselben nach der Stadt, welche durch den ersten Consul immer mehr Hauptstadt Europa’s werden zu sollen schien. Die drei Bändchen des „Auch ich war in Paris“ (1803–4) legten den feinen Kunstgeschmack, die geschickte Beobachtungsgabe und die sprachliche Gewandtheit des Verfassers schon klar vor die Augen; daneben findet der kundige Leser besonders im ersten Theile eine Fülle trefflicher theils humoristisch gefärbter, theils von hohem sittlichen Ernste durchdrungener Bemerkungen über die zur Zeit der Reise zweifelhaften politischen Zustände des Heimathlandes. Darnach lebte H., Anerbietungen zu politischer Bethätigung sehr bestimmt ablehnend, wieder längere Zeit ganz zurückgezogen in Winterthur. In einer für sein Wesen äußerst bezeichnenden Weise wies er 1803, als er unter der neu eingeführten Mediationsverfassung nur als Bezirksrichter und nicht, wie er erwartete, als Präsident des Winterthurer Bezirksgerichts erwählt wurde, diese Wahl in unverblümter Zuschrift ab, wobei er in einem im weiteren Verlaufe an den ersten Staatsschreiber gerichteten Schreiben in Bezug auf jene von Zürich aus nicht angenommene erste Eingabe sagte, er könne darin nichts finden, das nicht „unter einer freyen, kaum begonnenen Regierung mit Anständigkeit gesagt werden dürfte“. Seinem Freunde, Meyer von Knonau, der H. sehr gerne wieder in die öffentlichen Geschäfte gezogen wissen wollte, schrieb er in diesen Tagen: „Soll nun meine politische Laufbahn ein Ende haben, so sey es; der Mensch ist nicht um der Politik willen in der Welt. Epikur wußte sich in seinem Garten Ehre und Glück zu schaffen; ich habe auch einen Garten“. Seit 1805 Mitglied des Winterthurer Stadtrathes, bald auch in der ihm noch zumeist zusagenden Stellung eines Friedensrichters, ökonomisch völlig unabhängig, lebte H. ganz seinen Studien, deren Früchte nach einigen Jahren zu Tage traten. Denn „als die Fülle seines Geistes, seine feine Beobachtung der Menschen und eine rege Laune einen Schatz von Ideen in seinem Innern gesammelt hatten, die er nicht mehr zu verschließen vermochte und deren Zurückhaltung dem Vergraben reicher Kostbarkeiten gleich zu achten gewesen wäre, trat er in einer Reihe von Schriften auf, die sein hohes Talent beurkunden“: – so sagt der unten zu erwähnende Nekrolog. Nach kleineren Stücken, einer 1805 in der Monatschrift Isis herausgegebenen Reisebeschreibung in das Berner Oberland, biographischen Arbeiten (worunter besonders eine 1807 als Neujahrsblatt der Züricher Künstlergesellschaft erschienene treffliche Charakteristik des 1806 verstorbenen vorzüglichen Winterthurer Malers Johann Rudolf Schellenberg, dessen [290] originelle Art hier höchst lebenswahr gezeichnet wurde) kam 1812 der erste Theil vom Hauptwerke Hegner’s, der „Molkenkur“, an deren zwei Hälften erst 1819 mit „Suschens Hochzeit“ der dritte abschließende Band, das Ganze vollendend, sich anreihte. An Bedeutung tritt hinter den einzelnen Vorzügen das Ganze der Dichtung, die Fügung des Romanes, allerdings zurück: – der Hauptreichthum liegt in der meisterhaften Schilderung und Auffassung von Land und Leuten – Hauptschauplatz ist des Verfassers Lieblingsaufenthalt zur Sommerszeit, der Appenzeller Kurort Gais –, in den sehr feinen Urtheilen über schweizerische Art, welche einem anfangs mit Unlust, dann mit immer größerem Interesse beobachtenden norddeutschen Briefschreiber in den Mund gelegt sind; doch fehlt es auch nicht an einzelnen wahrhaft poetischen Abschnitten, wovon besonders die Erzählung von der Reise nach dem Sonnenaufgange im dritten Theile Zeugniß ablegt. Noch viel weniger konnte als Ganzes das endlich 1814 erschienene, im Einzelnen treffliche Charakteristiken bietende Zeitbild von 1798 befriedigen, das schon erwähnt ist; vollends der Schluß dieser Geschichte „Saly’s des Holzhackers“ gewann erst in der Umarbeitung für die gesammelten Werke 1828, nach des Autors eigener Ansicht, „ein gefälligeres Ende“. Noch ein Mal war inzwischen H. in das öffentliche Leben getreten, hatte 1814 beim Beginne der Restaurationszeit einige Monate dem neugewählten kleinen Rathe angehört, aber bald, da er sich nicht wohl in seiner Stellung fühlte, nach Winterthur sich wieder zurückgezogen, wo der kinderlose Mann, der sich aber durch Adoption eine Familie geschaffen hatte, allein seinen Studien, daneben einigen gemeinnützigen Bestrebungen, so weit man in engen Verhältnissen seinen Rath hören mochte, besonders der Förderung der öffentlichen Bibliothek lebte. In diese späteren Jahre fällt eine ausgezeichnete Schilderung einer Rigi-Reise, „Berg-, Land- und Seereise“, 1818 erschienen; vornehmlich aber wies die 1816 gemachte Reise nach München – deren Tagebuch in den gesammelten Schriften – in deutlichster Weise schon auf ein in Vorbereitung befindliches kunstwissenschaftliches Werk des ebenso eifrigen, als verständnißvollen Forschers und Sammlers. Abgesehen davon, daß H. noch mehrmals Künstlerbiographien in die Neujahrsblätter der Züricher Künstlergesellschaft gegeben hatte, so 1815 des Winterthurers Anton Graff (s. d. Art.), ließ er 1827: „Hans Holbein der Jüngere“ (Berlin) erscheinen: wie die Anregung durch die Holbein’schen Werke der Basler Sammlung gegeben war, so lag natürlich das Hauptverdienst in der Darstellung und Würdigung des Antheiles der Schweiz an dem großen deutschen Meister, und hier hat H. sehr Vieles in höchst anerkennenswerther Weise bereits festgestellt, so daß sein Buch auch neben den allerdings viel weiter gediehenen Forschungen der neuesten Jahre eine bleibende der Beachtung würdige Leistung auf dem Entwickelungsgange der deutschen Kunstgeschichte sein wird. Daneben benutzte H. auch fortwährend, von 1810 an bis 1834, gerne die Gelegenheit, in den anfangs nur auf ein Blatt sich beschränkenden, seit 1826 auf ein Heft erweiterten Texten zu den Winterthurer Neujahrsblättern, in den Erläuterungen zu den abgebildeten Schlössern und anderen bemerkenswerthen Oertlichkeiten im nördlichen Theile des Kantons Zürich, geschichtliche Belehrungen, da und dort jedoch auch treffende oft scharfe persönliche Bemerkungen in weitere Kreise zu verbreiten. Von 1828–30 kamen dann bei G. Reimer in Berlin in fünf Bänden „Hegner’s gesammelte Schriften“ heraus. Sie enthalten, theilweise etwas umgestaltet, die schon erwähnten belletristischen und Reiseschriften, dann gesammelte Gedichte – wol die schwächste Seite des Meisters der Prosa –, sowie vielfach sehr bemerkenswerthe „aus früheren Papieren gezogene Gedanken, Meynungen, Urtheile“. Zum letzten Male trat H. 1836 mit den „Beiträgen zur näheren Kenntniß und wahren Darstellung Johann Kaspar Lavater’s“ litterarisch hervor, [291] welche nach einer interessanten Auswahl von Briefen und Brieffragmenten den meisterhaften Versuch einer Charakteristik Lavater’s: „Etwas von seinem Leben und Wirken“ mittheilen. H. hatte den Geschilderten genau gekannt und wollte hier „Wahrheit, erweisliche Wahrheit“ geben: „Nur dem Nimbus bin ich gram“ – schrieb er über das Buch seinem Freunde Meyer von Knonau – „der keinem Menschen wohl anstehet, und sollte ich, wo so viel Kraft vorherrschet, nicht von der Schwachheit reden dürfen? Die blinden Anhänger Lavater’s achten, weil ihnen die Täuschung genommen wird, um so viel weniger auf das überwiegende Gute, Schöne, Reinmenschliche, was da von ihm gesagt ist“. – Nicht geradezu verdrossen oder verbittert, aber doch immer mehr sich einspinnend, verlebte H., der, mochte er es nicht zugestehen, stets zur Hypochondrie Anlage gehabt hatte, seine letzten Jahre. Schon jetzt zählen die Schriften des feinen Humoristen zu jenen Erzeugnissen, für deren Würdigung der gegenwärtigen Leserwelt, freilich zu ihrem eigenen Schaden voran, infolge einer gewissen Uebersättigung die verständnißvolle Erkenntniß zumeist abgeht.

Vgl. einen (sehr wahrscheinlich von L. Meyer von Knonau verfaßten) Nekrolog in der Neuen Zürcher Ztg. vom 8. Jan. 1840 (Nr. 4). Von Hegner’s Jugend- und Studienjahren gab J. Melch. Ziegler eine treffliche Zeichnung (mit vorzügl. Portr., von Amsler), im Winterthurer Neuj.-Bl. v. 1855. Ganz werthlos ist das inhaltsarme Büchlein: Erinnerungen an Hegner (Winterthur 1843). Neuestens im Zürcher Taschenbuch v. 1879: Aus dem Briefwechsel zwischen Ulrich Hegner und Ludwig Meyer von Knonau (S. 162 bis 228), v. Verf. d. Art.