ADB:Hesekiel, Ludovica
George H. (s. A. D. B. XII, 270 ff.); sie wurde geboren am 3. Juli 1847 in Altenburg. Bei ihrer Taufe waren Ludwig Tieck und Emanuel Geibel unter den Pathen, darum trug sie beider Dichter Namen. Tieck stand dem Hause Hesekiel persönlich näher und gab den Anlaß, daß George H. 1848 nach Berlin übersiedelte, wo er die Redaction des ausländischen Theils der neugegründeten „Kreuzzeitung“ übernahm. Ueber die Wiege der kleinen L. brausten die Schrecken der Revolution hin. Sie mußte einmal, weil das Haus des als Reactionär bei den Republikanern verhaßten Vaters bedroht war, von einer Schwester ihrer Mutter über die Straße durch die Aufständischen hindurch in Sicherheit gebracht werden. So wurde die Revolution für sie ein Schreckgespenst bis in ihre Kindesträume hinein und prägte sich der früh geistig geweckten und geistig erregten Kleinen als das auf Erden zumeist zu hassende ein. Ihr haftete von daher etwas scheues gegen die Außenwelt an, zugleich aber erfaßte sie früh eine fast abgöttische Verehrung für ihren Vater, die ihr bis ans Ende geblieben ist. Im Hause des Vaters in Berlin, wo er mitten in die Hochfluth des politischen Treibens hineingestellt war, verkehrte alles was mit conservativer Politik, auch aber was mit der schönen Litteratur in Berührung kam. So wurde auch das Kind sehr früh von dem bewegten Treiben der Poesie und Litteratur berührt. Bald war sie in geistiger Entwicklung ihren Jahren weit voraus. Sehr früh schon in die Schule geschickt, lernte sie spielend und setzte oft genug durch wunderbare Fragen, oft genug auch durch allerlei altkluge Bemerkungen Lehrer und Lehrerinnen in staunende Bewunderung. Besonders auffallend waren ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet fremder Sprachen, wie der Geschichte und Litteratur. Kaum zwölfjährig, mußte sie der Schule entnommen werden; das Pensum war absolvirt. Sie arbeitete nur noch privatim, dadurch erhielt ihre Erziehung und Denkweise eine gewisse Einseitigkeit. Auch auf die Redaction nahm der Vater sie jetzt schon mit. Sie hatte hier unter den vielen schreibenden Herren ihren eigenen Tisch; Niemand störte sie und sie ließ sich auch nicht stören. Sie machte Auszüge aus ausländischen Zeitungen, übersetzte kleine Essays und bereicherte ihre Kenntnisse nach allen Seiten. Nebenbei wurde hier mancherlei gesammelt, was dem Vater bei der nächtlichen Abfassung seiner Romane dienen konnte. Ihm kleine Dienste erweisen zu können, war ihr größter Stolz und mächtig fühlte sie sich gehoben als der Vater sie eines Tages bei der redactionellen Arbeit „mein lieber junger College“ anredete. So weiblich die Grundstimmung ihres Gemüthes war, so bekam sie doch durch die straffe Schule und Disciplin des Vaters eine feste Geschlossenheit.
Hesekiel: Ludovica Karoline Albertine Emanuele H., verehelichte Johnsen, als Schriftstellerin „Ludovika Hesekiel“, älteste Tochter des Dichters und SchriftstellersGroßen Stolz empfand L. besonders dann, wenn der Vater sie in geheimer Mission in die Wilhelmstraße schickte, um dem großen Leiter der Politik eine wichtige Correspondenz zuzutragen oder ihm diesen und jenen Artikel aus dem Bereich der hohen Politik im ersten Bürstenabzug zur Correctur vorzulegen und sein Placet oder seine Randglossen in Empfang zu nehmen. Dabei fiel dann auch wol einmal, wenn der „Eiserne“ gerade in guter Stimmung war, eine kleine schmeichelhafte Bemerkung für die niedliche Ueberbringerin ab. Bald war L. des Vaters rechte und linke Hand. Er konnte sie so wenig entbehren, wie die Mutter das jüngere Töchterchen die Lise, die im Haushalt ebenso praktisch wie L. ungeschickt war. Kochen hat sie nie gelernt, obwol sie mit ihrem etwas epikureisch angelegten Vater zusammen ein interessantes Kochbuch verfaßte und herausgab: „Speise und Trank – Ein deutsches Kochbuch von George und Ludovica Hesekiel“.
[274] Sehr ernst nahm L. die Vorbereitung auf ihre Confirmation durch den alten ehrwürdigen Generalsuperintendenten Büchsel. Außer ihrem Vater hat wol L. in ihren Jugendjahren keinen Mann so hoch verehrt wie diesen ihren Seelsorger. Daß der Vater ihr zur Confirmation das Büchlein der Augsburgischen Confession schenkte, darf als charakteristisch für den Geist des Hesekiel’schen Hauses erwähnt werden. Es kamen die ersten kleinen Sommerreisen mit ihren Eltern in den Harz, zu den Kreideklippen Rügens. Dann schickten die Eltern sie, damit sie doch etwas haushälterische Fähigkeiten sich aneigne, in ein ländliches Pfarrhaus der Provinz Sachsen zum Bruder des Vaters. Die ländliche Idylle dünkte sie ein wahres Paradies, doch aber kehrte sie nach einigen Monate gerne wieder zu ihren Büchern und Schriften in ihr „Sanctuarium“ nach Berlin zurück.
Schon in früheren Jahren hatte L. einige nicht üble Uebersetzungen geliefert, 1868 trat sie mit dem dreibändigen Roman „Eine brandenburgische Hofjungfer“ in die Oeffentlichkeit. Sensationell wirkte die Novität nicht gerade; ihre Erfindungsgabe war überhaupt nicht groß, aber die Arbeit zeigte ein liebenswürdiges Talent, warme Empfindung und Anschaulichkeit der Zeichnung; die weitverbreitete Lesewelt des Vaters kam der Tochter freundlich entgegen. Schon war L. mit den Entwürfen ihres zweiten Romans „Lenz Schadewacht“ fertig, da unterbrachen öffentliche und private Verhältnisse die Ruhe des Schaffens. Der französische Krieg war ausgebrochen und daheim nahm jetzt die Liebesthätigkeit für die im Felde Stehenden und die verwundet Heimkehrenden Herz und Hände der Frauenwelt in Anspruch. Mit vollster Hingebung stellte sich auch die zarte Schriftstellerin in den aufreibenden Dienst der Baracken und des Vaterlandes. Ihre Thätigkeit in den Berliner Lazarethen beschrieb sie in dem Buche „Barackenleben“ (Berlin 1872). Wie sie monatelang die schwere Arbeit auszuhalten vermochte, ist kaum zu begreifen. Aber die Tochter des Schreibers der Soldatengeschichten fühlte auch sich selbst hier im Soldatendienst und leistete ihn mit voller Treue; mit stolzer Freude durfte sie dafür die erste ihr verliehene Decoration anlegen.
Aber andere schwere Prüfungen folgten unmittelbar nach. Ein zartes Herzensverhältniß, welches sich angeknüpft hatte, fand durch das Verschulden des anderen Theils eine schmerzliche Lösung und zugleich trübten sich andere tief eingreifende Beziehungen. Bismarck vollzog seinen Bruch mit der Kreuzzeitungspartei. Hesekiel, bisher sein treuer Bannerträger, der an dem Programm der Kreuzzeitung festhielt, konnte den neuen Bahnen des gewaltigen Staatsmannes weder politisch noch kirchenpolitisch folgen. Unter schweren Seelenkämpfen löste er sich von dem bisher Bewunderten los. Es ist wol denkbar, daß dies zum ersten Nagel zu seinem Sarge ward. Erst 55jährig schloß er am 6. Februar 1874 die Augen. Bald nach seinem Tode siedelte die Mutter mit den Töchtern nach Potsdam über, wo sie in der Jägerallee ein kleines Haus besaßen. Viel Vermögen hatte der Vater ihnen nicht hinterlassen, trotz seiner nicht unbedeutenden Einnahmen bei der Kreuzzeitung und der Honorare für die mehr als 140 Bände seiner Schriften. Jetzt wurde die damals 26jährige L. gewissermaßen Chef des Hauses. Sie nur konnte des Vaters Nachlaß ordnen; ihr bestes Erbe war die Feder des Vaters; sie allein war im Stande den Haushalt, wenn auch unter bedeutenden Einschränkungen weiterzuführen. Des Vaters Segen ruhte auf ihrem tapferen Muth und ihrer Geistesarbeit. Hatte der Alte einmal geschrieben: „’s wird nicht alles ausgesungen, manches wird nur angeklungen“, so war es nun der Tochter schöner Beruf, Vieles auszusingen von dem, was der Vater in seinen Gedanken und Elaboraten nur leise hatte anklingen lassen. Ihre Muse diente [275] dem Broterwerb, wir wollen sie aber darum nicht minderwerthig schelten. Ein großer Theil ihrer späteren Romane erschien zuerst im Feuilleton der Kölnischen Zeitung gegen ein Honorar von 4–5000 Mk. und darüber, zu dem dann noch der Ertrag der Buchausgabe kam. So konnte die kleine Familie nicht nur ganz behaglich leben, indem mindestens jedes Jahr ein größerer Roman erschien, sondern es blieben auch noch Mittel für vielerlei Wohlthätigkeitsbestrebungen übrig. Es konnten aber auch noch allsommerlich kleinere und größere Reisen gemacht werden, meistens Reisen zu Studienzwecken für die Romane, auf denen L. bald von der Mutter, bald von der Schwester begleitet ward. Auch wenn L. ihre Erzählung in alte Zeiten verlegte, suchte sie sich eine lebhafte Anschauung der Oertlichkeiten und Verhältnisse zu schaffen, welche sie zu schildern vorhatte. Dadurch wußte sie ihren Erzählungen ein frisches locales Gepräge zu geben, wie sie überhaupt mit großer Gewissenhaftigkeit den jeweiligen Stoff ihrer Darstellung durchzuarbeiten und zu ergründen bestrebt war. Ihre Reisen führten sie recht weit umher, bis nach Dänemark, Norwegen und Schweden, nach Frankreich und den Niederlanden, wie in die Gebirgswelt des Südens. So im Sommer, und ihre winterliche litterarische Thätigkeit hatte in diesen 12 Jahren mehr als 40 Bände an historischen Romanen wie einfach vaterländischen Geschichten und Erzählungen auf den Büchermarkt gebracht. Da stellte ihr im J. 1887 Fürst Heinrich Reuß j. L.[WS 1], den Antrag ein Lebensbild der verewigten Fürstin Agnes Reuß[WS 2] zu schreiben und lud sie dafür in das Schloß zu Schleiz ein, wo sie das Material erhielt. Hier schrieb sie, von fürstlicher Gastfreiheit geehrt, in ungefähr fünf Wochen das Buch der Fürstin Reuß, für das sie neben hohem Honorar zu ihren bisherigen preußischen Decorationen die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft erhielt. Dann aber gab ein anderer Antrag ihrem Leben eine ganz neue Wendung. Ihr blühte ein später Frühling, dessen Glückes sie aber nicht lange mehr froh werden sollte. Ein verwittweter coburgischer Geistlicher, der Diakonus Johnsen in Neustadt bei Coburg, den sie im Sommer 1886 im Harz hatte kennen lernen, trug ihr seine Hand an und sie folgte ihm 1887 in die neue Heimath, wo sie drei Knaben und ein kleines Mädchen, das der ersten Mutter das Leben gekostet hatte, an ihr treues, liebewarmes Herz nahm. Mit ihr zog neuer Sonnenschein und Freude in das Pfarrhaus ein. Auch der Gemeinde ward die treue Gattin und Mutter bald eine Trost und Segen spendende Wohlthäterin. Aber dies schöne neue Glück war ihr und den Ihrigen nur kurz bemessen. Sie hatte ihrer zarten Constitution schon zu viel zugemuthet, zu viel gearbeitet, zu viel auch gelitten. Und auch hier im Pfarrhaus setzte sie trotz lähmender Kopfschmerzen ihre Schriftstellerei fort. Außer der anmuthigen Erzählung „Der Musterschreiber“ aus der Zeit des Frundsbergs und kleinen Novelletten wie „Der lustige Gascogner“ schrieb sie im Neustädter Pfarrhaus noch den gehaltvollen Roman „Andernach und Clairveaux“.
Der erste Winter in Thüringen hatte ihrer Gesundheit sehr geschadet; im Sommer zog sie mit Mann und Kindern zum Besuch der Mutter und Schwester ihrem lieben Potsdam zu. Im folgenden Winter kränkelte sie und ihre sonst so rastlose Feder mußte gänzlich ruhen. Da traf sie am 1. April 1889 ein Schlaganfall, dessen Folgen sie schon am 6. April erlag. „Fromm und feudal“, das ist das eine große Thema ihres Lebens, das uns in ungezählten Variationen und Stimmungsbildern wiederkehrte wie ein Wagnerisches Leitmotiv. Fromm und feudal, so steht ihr eigenes Bild im Kranz der Treuen und in diesem Colorit wird es ein Vermächtniß sein für das deutsche Volk und seine Fürsten.
- [276] Ein Verzeichniß der Schriften Ludovica Hesekiel’s findet sich in Brümmer’s Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten des 19. Jahrhunderts. (Nach einem uns gütigst zur Verfügung gestellten ausführlicheren Lebensbilde von der Hand des noch heute zu Neustadt, Sachsen-Coburg, lebenden Oberpfarrers Johnsen.)
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Heinrich XIV., Fürst Reuß jüngere Linie, Graf und Herr zu Plauen, Herr zu Greiz, Kranichfeld, Gera, Schleiz und Lobenstein, (1832–1913); regierte als Fürst Reuß jüngerer Linie vom 11. Juli 1867 bis 15. Oktober 1908 und als Regent von Reuß ältere Linie vom 19. April 1902 bis 15. Oktober 1908.
- ↑ Prinzessin Agnes von Württemberg, verh. Pauline Louise Agnes Fürstin von Reuß jüngerer Linie, (1835–1886); Mitglied des deutschen Hochadels. Unter dem Pseudonym Angelica Hohenstein war sie zudem als Schriftstellerin tätig.