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ADB:Heydebrand und der Lasa, Tassilo von

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Artikel „Heydebrand und der Lasa, Tassilo von“ von Wilhelm Uhl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 297–305, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heydebrand_und_der_Lasa,_Tassilo_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 00:22 Uhr UTC)
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Heydebrand: Tassilo (nicht Tassilone) von H. und der Lasa wurde geboren am 17. October 1818 zu Berlin (oder in Potsdam?), wohin seine Eltern, nach ihrer Vermählung, von Breslau übergesiedelt waren.

Er ist der Stammvater der jüngeren Linie dieses alten schlesischen Adelsgeschlechtes, die zum Theil evangelisch wurde, zum Theil aber römisch-katholisch geblieben oder wieder geworden ist. Er selber war evangelisch und der einzige[1] Sohn des späteren preußischen Generalmajors a. D. Heinrich Joseph Karl v. H. u. d. L. (geboren am 4. Mai 1790, † zu Warmbrunn am 29. September 1868), der im Ruhestande von 1843 bis 1856 die Herrschaft Klein-Tschunkawe im Kreise Militsch bewirthschaftete. Dieser hatte sich als Premierlieutenant im 1. schlesischen Cürassierregiment und designirter Rittmeister im Regiment Garde du Corps, geschmückt mit dem Eisernen Kreuz der Befreiungskriege, am 18. Januar 1818 zu Breslau vermählt mit Emilie geb. Thomann, einer verwittweten Frau v. Kleist. Sie war fast fünf Jahre älter als ihr zweiter Gatte und überlebte ihn länger denn sechs Jahre (geboren zu Hirschberg am 6. Juli 1785, † zu Warmbrunn am 30. Januar 1875).

Ein drei Jahre älterer Vetter (d. h. Vaters-Bruders-Sohn) Oskar Ernst Sylvius v. H. u. d. L. (geboren zu Militsch am 21. Januar 1815, † zu Kl.-Tschunkawe am 24. April 1888) wurde der Stammvater der älteren, ausschließlich protestantischen Linie des Hauses.

Der Beiname „und der Lasa“, obwol nicht urkundlich, hat zu der unhistorischen Contraction: „v(on) d(er) Lasa“ geführt; eine Kürzung, deren sich auch Tassilo als Autor sehr oft bedient hat. In wichtigen Fällen, z. B. bei Unterschriften, brauchte er aber die volle Form: „v. H. u. d. L.“. Auf dem Titelblatt seines Hauptwerkes steht: „T. von der Lasa“. Die ältere Schreibung des Vornamens („Thassilo“) wird noch im Handbuch für den Preußischen Hof und Staat consequent bevorzugt. Auf jener Kürzung und der durch sie hervorgerufenen irrigen Annahme zweier Personen, mag die Anekdote beruhen, der zufolge Wilhelm I. seinen Diener mit der scherzhaften Anrede zu begrüßen pflegte (!): „Guten Tag, lieber Heydebrand! Was macht von der Lasa?“

Mehrere Jugendjahre verbrachte Tassilo mit den Eltern in Potsdam. Später bezog er das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Berlin, welches er als Abiturient zu Michaelis 1838 mit dem Zeugniß der Reife verließ. Ursprünglich zum Verwaltungsdienste bestimmt, studirte er in Bonn und Berlin Jura und Cameralia. Das Militärjahr ward bei den Garde-Ulanen in Potsdam abgeleistet. Seit 1845, in welchem Jahre v. H. nach bestandenem ersten Examen bei der Regierung in Trier arbeitete, erschloß sich ihm in regelrechter [298] Folge der staffelförmige cursus honorum einer langen und überaus wirkungsreichen, zuerst preußischen, dann reichsdeutschen Beamtencarriere. Noch im J. 1845 erfolgte der Uebertritt in die diplomatische Laufbahn. Zuerst war v. H. Attaché in Wien, wo er die Angelegenheiten des deutschen Bundes gründlich kennen gelernt haben mag. Dann rückte er zum Legationssecretär auf und wurde als solcher während der nun folgenden Jahre bei den preußischen Gesandtschaften in Stockholm, Frankfurt a. M. und Brüssel beschäftigt. König Friedrich Wilhelm IV. ernannte ihn 1851 zum Kammerherrn; im folgenden Jahre wurde er Legationsrath. In die Nähe der europäischen Küste ward er 1857 verschlagen durch seine Wirksamkeit bei der Gesandtschaft im Haag. Im nächsten Jahre ging er dann zum ersten Male über das große Wasser, und zwar nach Rio de Janeiro in Brasilien, als Geschäftsträger und designirter „Ministerresident“. In Rio mag v. d. L. seine spanischen und romanischen Sprachkenntnisse erweitert haben, was ihm bei seinen historischen Schachstudien später zu Gute kommen sollte. Den Portugiesen Damiano hatte er allerdings damals schon edirt (mit R. Franz, Berlin 1857).

Zwei Jahre später finden wir v. d. L. wieder in Deutschland, wo er nun eine glückliche Häuslichkeit sich begründete. Am 24. April 1860 vermählte er sich zu Baden-Baden mit der protestantischen Anna B. Helldorf (geboren zu Weimar am 11. December 1831, † zu Baden-Baden am 21. November 1880). Sie war die Tochter des königlich preußischen Kammerherrn Bernhard v. Helldorf auf Gleina in der Provinz Sachsen und seiner Gemahlin Therese, einer geborenen Köhne.

Der zwanzigjährigen ungetrübten Ehe ist nur ein Sohn entsprossen: der jetzige königlich preußische Kammerherr Heinrich v. H. u. d. L. (geboren zu Baden-Baden am 6. October 1861), welcher der protestantischen Religion seiner Eltern folgte.

Nach seiner Vermählung wurde Tassilo v. H. u. d. L. als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister an den Hof zu Weimar entsendet, wo das glanzvolle Leben auf dem altclassischen Boden, wenn auch weit ruhiger geworden als vordem, die ersten Jahre der Ehe auf das günstigste inaugurirte. Häufig weilten die Gatten zu Besuch bei den Schwiegereltern in Baden-Baden.

Die „deutsche Frage“ spitzte sich während der ersten Jahre seiner Ehe immer schärfer zu. Sie nahte ihrer Lösung durch Bismarck.

Während des dänischen Krieges war v. d. L. in den Elbherzogthümern beim Obercommando thätig. Nach dem Friedensschlusse vertraute ihm der König das verantwortungsvolle Amt des preußischen Gesandten in Kopenhagen an; gewiß ein hoher Beweis für das diplomatische Geschick, den feinen Tact und die reichen Erfahrungen v. Heydebrand’s. In der dänischen Hauptstadt vertrat v. d. L. während der folgenschweren Ereignisse von 1866 und 1870/71 mit politischem Scharfblick die Interessen Preußens; connivent und doch energisch. Seine Persönlichkeit ist dadurch in Oesterreich, wie auch in Frankreich nicht unbeachtet geblieben. Auch nachdem der Friede von Versailles geschlossen war, blieb v. H. auf seinem Kopenhagener Posten, jetzt als Gesandter des Deutschen Reiches. Im J. 1878 folgte als äußere Anerkennung der geleisteten Dienste die Verleihung des Titels: „Wirklicher Geheimer Rath“, mit dem Prädicate „Excellenz“, von Seiten des Reiches.

Bevor v. H., der im J. 1880 seine Gattin und mit ihr die Lust am Herrendienste verlor, sich nach der „Pensionopolis“ Wiesbaden, das er auf seinen Reisen liebgewonnen hatte, ins Privatleben zurückzog: – kurz vor [299] seiner Pensionirung also ist v. d. L. noch etwas über ein Jahr (1878–80) am königlich württembergischen Hofe zu Stuttgart beglaubigt gewesen.

Im „Ruhestande“ unternahm v. H. einige Weltreisen; die letzte 1887/88, auf welcher er auch den fünften Erdtheil Australien kennen lernte. Er starb an Altersschwäche im 81. Lebensjahre, ohne Krankheit sanft hinüberschlummernd, auf Storchnest im Kreise der Seinigen am 27. Juli 1899.

Der Verstorbene war Ehrenritter des Johanniterordens (von der Ballei Brandenburg). Er besaß den preußischen Rothen Adlerorden 2. Classe mit dem Stern und Eichenlaub, sowie den preußischen Kronenorden 1. Classe; nebst vielen hohen ausländischen Orden.

Die militärische Laufbahn v. d. Lasa’s blieb auf seine Zugehörigkeit zum Beurlaubtenstande, zur Reserve und Landwehr, beschränkt. Er wurde zuerst geführt beim 20. Landwehrregiment Cavallerie 1. und 2. Aufgebots, zuletzt bei der Cavallerie des 22. Landwehrregiments. Hier sei daran erinnert, daß ein Bruder von ihm, der Major a. D. Leopold v. H. u. d. L., werthvolle hippologische Schriften verfaßt hat.

Ueber die politische Thätigkeit v. Heydebrand’s ruht gewiß noch viel unveröffentlichtes Material in den Acten des Auswärtigen Amtes zu Berlin. Nicht ausgeschlossen, wenn auch unwahrscheinlich, ist der Fund eigener Aufzeichnungen im handschriftlichen Privatnachlaß, welchen der Sohn des Verstorbenen verwaltet. Seine ganze schriftstellerische Thätigkeit war eben ausschließlich seiner Privatneigung, dem Schach gewidmet. Die Erfahrungen, die er als Beamter seines Königs sammelte, hat er zeitlebens als „Dienstgeheimniß“ angesehen und für sich allein behalten. Auch diese fast subalterne, direct vorbildliche Treue ist ein Zug, der in seinem Bilde nicht fehlen darf. Es widerstrebte ihm, seine Person in den Vordergrund zu rücken.

Die Schachthätigkeit v. Heydebrand’s kann man in drei Theile zerlegen: in die praktische, die theoretische und die historische Periode. Als Wissenschaft, und nicht anders, hat v. H. die Schachspielkunst stets behandelt. Er hat dieses Studium als ein philologisch und bibliothekarisch geschulter Fachmann betrieben. v. H. war dabei allerdings in der glücklichen Lage, über große Mittel verfügen zu können. Es ließe sich fragen, ob das Schachspiel eine Wissenschaft, eine Kunst oder nur ein Sport sei. Es gibt bereits eine Litteratur über diese Frage, eine ernsthafte und eine scherzhafte; die letzte überwiegt wol. Es sei von dieser Art hier nur eine Probe gestattet: „Nichts ist subjectiver als die Urtheile, welche man gewöhnlich über das Schachspiel fällen hört. Wer mit tüchtigen Geistesgaben ausgestattet, ein wenig allzusehr in diesem Mikrokosmus sich verloren hat, citirt Leibniz und setzt Alles daran, eine ‚Schachwissenschaft‘ zu construiren; wer es nicht so weit zu bringen vermag, behauptet, daß er es nur ‚zum Vergnügen‘ spiele, und wer endlich ganz unglücklich mit seinen Versuchen bleibt, der citirt Lessing und sagt, ‚daß das Schach für ein Spiel zu ernst und für Ernst zu viel Spiel sei‘ – wobei er freilich aus der Noth eine Tugend macht und sich obendrein darin irrt, daß das fragliche Dictum nicht Lessing, sondern Montaigne zum Urheber hat“ (G.[ottl.] Sch.[napper], Vom Frankfurter Schachcongreß. Frkf. Ztg., Feuill. v. 11. Aug. 1878, mitgetheilt von Johannes Minckwitz, Die Schachcongresse zu Düsseldorf, Köln und Frankfurt a/M. u. s. w. Leipzig 1879, S. 91 ff.).

Die Wechselbeziehung zwischen dem Beruf und der Erholung ist uns heute beim Schach gänzlich verloren gegangen. Professions- und Gelegenheitsspieler stehen einander jetzt scharf gegenüber. Das war früher anders. Im 18. Jahrhundert, und noch später, betrachteten in Europa die Militärs und die Diplomaten, besonders wol bei den Franzosen und Engländern, das edle [300] Schachspiel als eine ihres Berufes würdige, weil ihm verwandte, Beschäftigung für die Mußestunden. Man denkt etwa hierbei an das „Kriegsspiel“, das in den Officiercasinos außerdienstlich, aber doch halb-officiell betrieben wird. In ähnlicher Weise interessirten sich Diplomaten und höhere Staatsbeamte für das Schachspiel. Es ist vielleicht kein Zufall, daß die „Analyse nouvelle des ouvertures du jeu des Echecs“ I/II, Leipzig und Petersburg 1842/43, ein Lehrbuch des Schachspiels, das namentlich in Rußland und Frankreich als vorbildlicher und maßgebender Nachschlage-Codex angesehen wurde, von einem russischen Hofrath, dem Professor der Mechanik C. F. v. Jaenisch († 1872), verfaßt worden war (der Titel nach Philidor’s Analyse v. J. 1749).

Für Deutschland war etwas ähnliches noch nicht geleistet worden, doch fehlte es nicht an guten Vorarbeiten. Am besten war immer noch die „Neue theoretisch-praktische Anweisung zum Schachspiel“, von dem Oesterreicher Johann Allgaier († 1826), Wien 1795 und öfter, zuletzt 1841 erschienen; nach v. d. L. ein „vorzügliches Lehrbuch“ (Zur Gesch. u. Lit. des Schachspiels, S. 243 f.), welches jedoch nun veraltet sei (Handbuch⁴, 1864, S. 42a).

Hier waren seit der dritten Auflage (1811) die Spiele in Tabellen dargestellt, was sehr übersichtlich war und später von A. Alexandre in seiner Encyclopédie des Echecs, Paris 1837, noch vollkommener ausgeführt wurde (51 Tabellen, mit Partieen aus ungefähr 30 Autoren). Alexandre bediente sich zwar bereits der algebraischen Notation; aber sein Werk sollte international sein, und deshalb ließ er die Bezeichnung der Figuren fort. Dies erschwerte die Uebersicht und hat der Verbreitung des Werkes sehr geschadet. (Vgl. Zur Gesch. u. Lit., S. 257 f.) So behauptete Allgaier’s Buch mit sieben Auflagen das Feld. Die algebraische Notation, nebst Bezeichnung der Figuren, wurde seitdem in Deutschland und den deutschredenden Ländern allgemein üblich; im Gegensatz zu England und Frankreich, die noch heute an ihrer umständlichen, gewissermaßen ausmalenden oder umschreibenden Notation festhalten, bei der obendrein immer auf die Stellung des Brettes, d. h. auf die Lager der Weißen und Schwarzen, Rücksicht genommen werden muß. (Wenig bekannt ist übrigens, daß die algebraische Notation eigentlich auf die hundert Endspiele des Syrers Philipp Stamma, Paris 1737, zurückgeht.) Allgaier’s verdienstliche „Anweisung“ wurde einem größeren Publicum nutzbar gemacht durch Joh. Frdr. Wilh. Koch, Die Schachspielkunst, Magdeburg 1801, Elementarbuch der Schachspielkunst, ebenda 1828; ferner durch die Arbeiten von Hirsch Silberschmidt (1826–45, vgl. darüber Handbuch⁴, S. 45a f.).

Indessen genügten in der deutschen Schachwelt gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts alle diese Werke nicht mehr, und die Analyse nouvelle des russischen Meisters v. Jaenisch, mit dem v. d. L. übrigens eng befreundet war (vgl. Z. Gesch. u. Lit., S. 258 mit Anm.¹) sollte für Deutschland durch ein ähnliches Werk ersetzt, nicht aber aus Deutschland verdrängt werden, denn sie war dort wol kaum jemals eingebürgert. Die sog. „ältere Berliner Schule“ ist es gewesen, aus deren Mitte die Anregung zur Abfassung eines derartigen Buches ganz unwillkürlich durch die Spielpraxis hervorging. Junge Leute aus den verschiedensten Ständen versammelten sich an bestimmten Wochentagen des Abends regelmäßig, aber zwanglos, im „Blumengarten“ in der Potsdamer Straße; etwa seit dem Ende der dreißiger Jahre. Im Sommer 1837 wurde v. H. durch Bledow eingeführt. Adlige und Bürgerliche, Officiere, Beamte und Künstler verkehrten hier miteinander, freundschaftlich, ungezwungen. Das Schach mischte die Stände, was in der „vormärzlichen“ Zeit ein Ereigniß war. Auch Studenten hatten Zutritt. In diesem bunten Kreise fühlte sich v. H. stets am wohlsten. Er ist niemals exclusiv gewesen, im Gegentheil hat er von [301] seiner Mutter eine ausgesprochene Vorliebe für das bürgerliche Element geerbt. Im späteren Leben ist es ihm durch seine hohe Stellung oft erschwert worden, mit Schachspielern und in Schachclubs zu verkehren; im In- wie im Auslande aber hat er diese Vorurtheile stets siegreich zu überwinden gewußt. Der Kreis im Blumengarten ging noch auf den alten Mendheim zurück, der sich aber mehr für das Problemfach interessirt hatte, welches später etwas zurücktrat. Die Spielpraxis wurde nun bald fast ausschließlich gepflegt, am eifrigsten von dem „Siebengestirn“, von der „Berliner Plejade“. Der glänzendste dieser Sterne war der Mathematiker Ludwig Bledow († 1846), ein Gymnasiallehrer, dessen Spielstärke bekannt und gefürchtet war. v. H., der 1837 noch Gymnasiast war, bekennt sich dankbar als seinen Schüler.

Bledow ist das eigentliche Haupt, der Begründer der älteren Berliner Schule; seine Thätigkeit als Organisator ist nicht hoch genug zu bewerthen. Seine auswärtigen Beziehungen waren beträchtlich. Die anderen Mitglieder dieses Kreises, sowie auch die damals beliebten und unbeliebten aufkommenden und abkommenden Spiel-Eröffnungen, hat uns v. H., der stets mit großer Liebe bei dieser Jugendperiode verweilte, mehrfach geschildert. (v. d. L., Berliner Schacherinnerungen, Leipzig 1859. [Mit Berliner Spielen aus den Jahren 1837–43.] Brief an den Breslauer Landsmann und Coaetanen Adolf Anderssen zum 50jährigen Schachjubiläum, bei Emil Schallopp, Der Schachkongreß zu Leipzig im Juli 1877, Leipzig 1878, S. 58–65; Z. Gesch. u. Lit., S. 256 f.) Eine höchst beachtenswerthe Trias, wenn auch wol weniger stark am Brette als Bledow, war: der spätere Regierungsrath W. Hanstein († 1850), sein Vetter, der nachmalige Stadtgerichtsrath Karl Mayet († 1868) und der Künstler Horwitz, der später nach England ging († 1885). Etwas ferner stand der Maler Schorn († 1850). Als sechster und siebenter kamen v. d. Lasa und sein früh (1840) verstorbener Freund Paul Rudolf v. Bilguer hinzu (s. A. D. B. II, 635 f., ferner v. d. L. im Vorwort zur vierten Auflage des Handbuches, Leipzig 1864; daselbst auch das Porträt v. Bilguer’s).

Mit dem Lieutenant v. Bilguer, auf den die Idee des neuen Lehrbuches zurückzuführen ist, war v. H. intim befreundet. Er hat den handschriftlichen Nachlaß des Verstorbenen, die Vorarbeiten zum „Handbuch“, kritisch gesichtet. In pietätvoller Weise ließ v. H. seinem verstorbenen Freunde auf dem Titelblatte, und auch sonst immer, den Vortritt, während er selber die Hauptarbeit leistete. Im Texte heißt es stets: „Wir“, worunter die Autoren, v. Bilguer und v. d. Lasa, zu verstehen sind. Für die Anlage des Ganzen, welche auf der Allgaier’schen Tabellenmanier fußte, war speciell vorbildlich die kurz vorher erschienene Abhandlung v. Bilguer’s: Zur Theorie des Schachspiels. Das Zweispringerspiel im Nachzuge. Berlin 1839. (Mit 11 Tabellen in 4°.) Drei Jahre nach v. Bilguer’s Tode erschien das Werk zum ersten Male unter dem Titel: „Handbuch des Schachspiels. Entworfen und angefangen von P. R. v. Bilguer. Fortgesetzt und herausgegeben von seinem Freunde v. d. Lasa“. Berlin, Veit & Co., 1843. Auf dem Titel der zweiten („durchaus verbesserten“) Auflage (Berlin, Veit, 1852), fehlt der Zusatz: „von seinem Freunde“, und ebenso in den folgenden Auflagen, die dann später, nach v. Heydebrand’s Tode, durch Andere besorgt wurden. Bis zur 5. Auflage incl. (Berlin 1873) hat v. H. das Handbuch noch persönlich geleitet. Die 7. Auflage (Leipzig 1891) hat Emil Schallopp redigirt. Die 8. Auflage erschien seit 1901 in Lieferungen. Die Anordnung nach den Eröffnungen ist sehr übersichtlich. Am Schluß ist auf die Endspiele Rücksicht genommen; vorn auf die Spielregeln, die damals noch sehr schwankend waren. Es ist dies ein Hauptverdienst des Herausgebers, daß viel zu wenig gewürdigt wird. Durch die Festsetzung allgemein [302] gültiger Spielregeln (wol nach englischem Muster), die später vom „Deutschen Schachbunde“ acceptirt wurden, hat v. H. überhaupt erst das Zustandekommen der heutigen großen internationalen Meisterturniere ermöglicht. Deutschland gewann auf diesem Gebiete die Führung. Anderssen’s Londoner Siege (1851 und 1862) stärkten das patriotische Gefühl. Die Schachcongresse, zuerst in den 60er Jahren im Rheinlande beginnend, sowie auch die in den größeren Städten gegründeten Schachclubs, haben ihre Bedeutung für Deutschlands innere Geschichte ebenso gut gehabt, wie die Turner-, Schützen- und Sängerfeste. Auch die Schachspalten in den Familienzeitschriften beginnen jetzt zu erscheinen. Es fehlte nur noch an einem gemeinsamen periodischen Organe, in welchem sich die deutschen Schachfreunde gegenseitig über ihre Angelegenheiten aussprechen konnten. Dieser Mangel ist ebenfalls durch v. H. beseitigt worden, indem er 1846 die Anregung zur Gründung der Berliner Schachzeitung gab, in welcher er dann selber oft das Wort ergriff (vgl. die unten citirte Zusammenstellung von Max Lange). Hervorragend betheiligt an diesem Unternehmen waren der Obertribunalsrath v. Oppen, der 1856 zu Berlin, mit Benutzung von Bledow’s Nachlaß, die Endspiele Stamma’s herausgegeben hatte, und ein Berliner Schachfreund Namens Lehfeldt. Auch Bledow war daran betheiligt, als Präsident der Berliner Schachgesellschaft. Der Verlag dieser bis heute lebensfähig gebliebenen Zeitschrift ist später nach Leipzig übergegangen (Veit & Co.). Bald wird der 60. Jahrgang erscheinen. Redacteur war lange Zeit der verstorbene Schachmeister Johannes Minckwitz. Jetzt sind die Herausgeber Johann Berger und Karl Schlechter. Die erwünschte Möglichkeit einer schnelleren Berichterstattung über Turniere u. s. w. hat inzwischen das „Deutsche Wochenschach“ ins Leben gerufen (bisher 20 Jahrgänge, Potsdam, A. Stein’s Verlagsbuchhandlung). Die „Berliner Schachzeitung“ ist mit diesem Blatte vereinigt worden. Leiter des „Wochenschach“ ist Heinrich Ranneforth. Nun hatten auch die Deutschen ihr Organ; wie die Franzosen ihren Palamède, die Engländer ihr „The Chess Players Chronicle“.

Sehr bald wußte England auch auf dem schachlichen Gebiete das „Made in Germany“ sehr wohl zu schätzen; wie der Titel des nach dem Bilguer (aber kürzer), von keinem Geringeren als von Howard Staunton, bearbeiteten Werkes deutlich verräth: „The Chess-Players Handbook“, London 1847; 2. Aufl. 1848. Die Tabellenform war jedoch hier nicht mit herübergenommen, da sich die englische Notation nicht gut für dieselbe eignet. Dies hat der Uebersichtlichkeit des englischen Buches Abbruch gethan, und viele Engländer, wie auch Franzosen, benutzten damals schon, und jetzt natürlich noch viel mehr, dankbar das deutsche Werk, den „großen Bilguer“, direct.

Als „kleinen Bilguer“ könnte man den „Leitfaden für Schachspieler“ bezeichnen, den v. H. ganz allein herausgab; zuerst Berlin 1848, 2. Auflage ebenda 1857. Die 5. Auflage hat Constantin Schwede bearbeitet, Leipzig 1880. In der 6. Auflage, Leipzig 1894, ist dieses kleine Werk durch Bardeleben und Mieses mit der modernsten Spielführung nachträglich bereichert werden. Der 75jährige Autor widmete sich damals schon fast ausschließlich den historischen Studien. Der „kleine Bilguer“ gibt den Extract des „großen“, auch die Endspiele, läßt aber die werthvolle chronologische Litteraturübersicht am Anfang, sowie die geschichtliche Einleitung fort. Das Buch war für den Anfänger bestimmt, für den es aber doch wol zu hoch ist. Es scheint eine Abneigung v. Heydebrand’s bestanden zu haben, Musterpartien mitzutheilen; später ist er selber dem Verlangen der Leser entgegengekommen, mehr noch die Bearbeiter seiner Werke. Ein Lehrbuch bekommt gleich einen frischeren Ton durch die enge Berührung von Praxis und Theorie; es braucht deshalb noch [303] nicht so populär gehalten zu sein wie z. B. „Das ABC des Schachspiels“ von Johannes Minckwitz. Der Anfänger will vor allen Dingen die Partien berühmter Meister nachspielen, dann erst analysiren.

Bei v. Heydebrand war nun aber durch das Spielen im Blumengarten die Praxis direct in die Theorie hinübergeflossen. Manche Partieen waren, vielleicht die meisten, nur gewechselt worden, um den Werth gewisser Eröffnungen zu erproben. So kam es denn, daß v. H. in jeder praktischen Partie nur eine Analyse sah, die bis zu einem gewissen Punkte gleich in den Tabellen untergebracht werden konnte. Auch wissen wir von ihm zufolge einer gelegentlichen Aeußerung, mitgetheilt von Oskar Cordel, Analysen und Analytiker, Deutsches Wochenschach, 15. Jahrgang, Berlin 1899, S. 20, daß seine Spielstärke durch das häufige Analysiren ungünstig beeinflußt worden sei.- Immerhin blieb seine praktische Stärke am Brett wol Zeit seines Lebens eine recht respectable. Mit Anderssen und Staunton hat er sich erfolgreich gemessen.

Bledow (geb. 1795) gehörte, wenn er auch das moderne Schach inaugurirt hat, noch zum alten Stamm der Philidorischen Schule. Das zeigt sich z. B. in der Zurückhaltung, die er beobachtete, wenn es galt, sich über die Quellen zu äußern, aus denen er seine Kenntniß neuer Eröffnungen und Endspiele geschöpft hatte. Dieser mittelalterliche Turnierrest hatte sich im Zeitalter der internationalen Schachwettkämpfe merkwürdig lange conservirt. (Staunton-St. Amant; Mac Donnell-Labourdonnais. [Letzterer wurde im J. 1846 Commandant der Tuilerien!]) Man denke auch an die Correspondenzpartien, die zwischen den Clubs großer Hauptstädte z. B. Paris-Petersburg, Edinburg-London, Berlin-Posen gewechselt wurden. Die Kriegslisten durften bei Leibe nicht verrathen werden! (Bledow’s Schachbücherei ist übrigens zum Theil in den Besitz der kgl. Bibliothek zu Berlin übergegangen.)

Mit diesem alten Vorurtheil der Schachspieler hat v. H. gründlich aufgeräumt, womit er die Schachspielkunst aus den Schranken der nationalen Eitelkeit (vgl. z. B. die Bezeichnungen: französische, englische, spanische, italienische Partie) zum Range einer kosmopolitischen, freien Wissenschaft erhob. Das ist ihm um so höher anzurechnen, als er durch seinen diplomatischen Beruf von Hause aus nur auf die Reservirtheit angewiesen war. Sein vorsichtiges Urtheil ist ein Beweis hierfür; nicht minder sein Stil, der sich gern in Hypothesen, Conjunctiven und umschreibenden Hülfszeitwörtern äußert. Allerdings kann man diese Eigenthümlichkeit auch vielleicht auf sein bescheidenes Wesen zurückführen. Alle diese Rücksichten ließ er jedoch außer Acht, wenn es die Freiheit der Wissenschaft galt. So sagt er ausdrücklich (Vorwort zur ersten Auflage des „Handbuches“, Berlin 1843, S. VII): „Abweichend von dem Gebrauche der meisten Schriftsteller, welche sich fast immer mit dem eignen Urtheile sehr zurückhaltend zeigen, wagen wir es, vor jedem Abschnitte unumwunden unsere Ansicht auszusprechen und dann die Ausführung folgen zu lassen. Wir wissen zwar, daß wir uns dadurch der Kritik mehr bloßstellen, als wenn wir den Leser unsere Meinung aus den verschiedenen Resultaten einzelner Spiele errathen ließen. Vielleicht dürfen wir aber dem Tadler des Dichters Worte zurufen: (folgt ein Citat aus der sog. Ars poëtica des Horaz.) …“ Und noch deutlicher heißt es (im Vorwort zur 2. Auflage, Berlin 1852, S. VII): „Abweichend von dem fast allgemeinen Gebrauche, sich mit dem eignen Urtheile zurückhaltend zu zeigen, wagen wir, überall unsere Ansicht auszusprechen. Wir glauben dem Leser diese uns vielleicht manchmal bloßstellende Offenheit zur möglichsten Erleichterung seines Studiums, nach dem Plane dieses Werkes, schuldig zu sein. Aus demselben Grunde suchen wir sowol das Benutzen der älteren oft nicht gut geordneten Quellen, wie der gleichzeitigen [304] Schriftsteller, durch häufige Citate bequemer zu machen, und geben dabei, wenn wir Stellen in fremder Sprache aufnehmen, wenigstens den Sinn derselben auch deutsch an“. Hier ist bereits der Historiker zu erkennen, der dem Praktiker und Theoretiker zur Seite steht.

Die historischen Studien v. d. Lasa’s gingen Hand in Hand mit dem Wachsen seiner Bibliothek, über die ein als Manuscript in zwei Auflagen gedruckter, mehrere tausend Nummern umfassender Katalog Auskunft gibt. Derselbe ist eine unentbehrliche Ergänzung des Buches von Antonius van der Linde († 1898): Das erste Jahrtausend der Schachlitteratur. Berlin 1881. Der Katalog verzeichnet auch mehrere Manuscripte, allerdings meist Abschriften. Ferner hingen aber die historischen Studien v. d. Lasa’s aufs engste mit seinen, oft nur zum Zwecke der Durchforschung von Bibliotheken unternommenen Reisen zusammen. Die eingehende gerechte Würdigung dieser ganzen streng gelehrten Thätigkeit muß aber nothwendig einer fachwissenschaftlichen Monographie vorbehalten bleiben, welche ich präparire. Dabei wird es sich empfehlen, die Annalen- oder Regestenform heranzuziehen. So erst wird man auch sein monumentales Lebenswerk zu begreifen im Stande sein, das den Titel führt: „Zur Geschichte und Litteratur des Schachspiels. Forschungen von T. v. d. Lasa“. Leipzig 1897. (Verlag von Veit & Co.) Dieses Buch ist nun seinerseits wiederum eine Ergänzung des werthvollen Quellenwerkes von Antonius van der Linde: Geschichte und Litteratur des Schachspiels. I/II. Berlin 1874.

In Heydebrand’s Werk ist die Disposition straff, aber doch harmonisch. Der gelehrte Apparat wird meist in die Anmerkungen verwiesen, um die Lectüre nicht gar zu sehr zu erschweren. Die Darstellung ist schlicht und sachlich, manchmal fast trocken; sie schreitet gleichmäßig vom Alterthum über das Mittelalter bis zur neuesten Zeit. In der Polemik, die übrigens nur sehr sparsam gehandhabt wird, tritt zuweilen ein gutmüthiger Humor zu Tage, eine „feine Ironie“ (vgl. O. Koch, Tröchtelborn, Deutsches Wochenschach 15, Berlin 1899, S. 334), die den Gegner nicht verletzt, aber doch gründlich ad absurdum führt. So ergänzen sich die beiden Werke gegenseitig auf das glücklichste. Erstaunlich reich ist der Inhalt des v. Heydebrand’schen Buches. Ueber den indisch-persisch-arabischen Ursprung des Schachs; über die Benennung und die Gangart der einzelnen Figuren, sowie über die Spielregeln bei den verschiedenen Völkern und in den verschiedenen Zeiten; über Vierschach und früheres Problemwesen; über die Schicksale der alten Autoren und ihrer Werke: – über dieses und vieles andere werden wir bei v. d. Lasa in einer leichtflüssigen Schreibart angenehm belehrt. Besonders die alten Autoren, namentlich die italienischen, hat er uns näher gerückt, was Koch, Allgaier und Silberschmidt theilweise noch versäumt hatten. Ueber den Portugiesen Damiano sprachen wir bereits (siehe oben S. 298). Den Italiener Greco und den Spanier Lucena finden wir bereits in den „Berliner Schacherinnerungen“. Von den später behandelten sind wol die wichtigsten der Spanier Ruy Lopez und der mittelalterliche, lateinische Moralist Jacobus de Cessoles. Ueber manchen Autoren, wie z. B. über dem ‚Bonus Socius‘ schwebt noch ein geheimnißvolles Dunkel, das sich hoffentlich einst lichten wird. Jedenfalls hat v. d. L. das Verdienst, alle diese Räthsel ihrer Lösung bedeutend näher gebracht zu haben.

Zur Genealogie vgl. nebst den bekannten Adelslex. u. Wappenbüchern: Joh. Sinapius, Des Schles. Adels anderer Theil (1728), S. 675. – Zur Biographie und amtlichen Laufbahn: Illustr. Zeitung, 5. April 1873, – S. 251: „Die Vertreter des Deutschen Reiches im Ausland“, m. Porträt. [305] – Genealog. Taschenbuch d. adl. Häuser (Brünn), 1882, S. 186 f., 616 f.; 1888, S. 225 f., 642 f.; 1893, S. 223 f., 655.
Zum Schachspiel: Illustr. Zeitung, 7. Juli 1894, Nr. 2662, S. 21, m. Porträt. – J. B. (Joh. Berger?) in: Deutsche Schachzeitung 54 (1899) Nr. 8, S. 225, ff., 254. – Münch. Allgem. Zeitung 1899, Nr. 174. – Osc. Cordel in: Deutsches Wochenschach (Berlin 1899), Nr. 31/32. – O. Koch, Tröchtelborn: Der Altmeister des deutschen Schach, Herr von Heydebrand und der Lasa in seiner Bedeutung für seine und unsere Zeit, in: Wochenschach 1899, Nr. 39, 40/41 (mit einer guten Zusammenstellung der wichtigsten Schriften u. Aufsätze). – W. Uhl, „v. d. Lasa“, m. Porträt nach einem Familienbilde, in: Wochenschach 20 (1904) Nr. 1. – Schachaufsätze von v. Heydebrand u. d. Lasa (in d. Schachzeitung 1846–1887). Als Mscr. gedruckt. (Von M. Lange. Nur die Titel.) – Dazu Mittheilungen der Familie und von Hrn. Joh. Kohtz.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 297. Z. 21 v. o. l.: älteste (statt einzige). [Bd. 55, S. 895]