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ADB:Hlasiwetz, Heinrich

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Artikel „Hlasiwetz, Heinrich“ von Albert Ladenburg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 513–516, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hlasiwetz,_Heinrich&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 16:01 Uhr UTC)
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Hlasiwetz: Heinrich H., einer der bedeutendsten Chemiker Oesterreichs in unserer Zeit, wurde geboren am 7. April 1825 zu Reichenberg in Böhmen, und starb in Wien am 8. October 1875. Sohn eines Apothekers, genoß er eine sorgfältige Erziehung und wurde von seinem Vater für denselben Beruf bestimmt. Nachdem er bis 1835 die Normalschule seiner Vaterstadt besucht, kam er auf das Gymnasium zu Prag und zugleich, da er musikalisch sehr begabt war, auf die dortige Musikschule. 1839 mußte er zum Vater in die Lehre, setzte es aber 1842 durch, die Universität Jena beziehen zu dürfen, immer noch mit der Aussicht, die Apotheke des Vaters später zu übernehmen, weshalb er auch dort das pharmaceutische Institut besuchte. Er hörte in Jena Döbereiner, Wackenroder, Schleiden etc. Letzterer, dessen glänzender Vortrag so viele Jünger seiner Wissenschaft gewonnen, begeisterte auch H. für die Botanik, doch siegte schließlich die ältere Vorliebe für die Chemie; und hier reifte in ihm der Entschluß, sich ausschließlich der Gelehrtencarrière zu widmen. Der Vater, zu dem er 1843 mit diesem festen Vorsatz zurückkehrte, sträubte sich energisch dagegen, und erst nach hartem Kampfe gab er der Festigkeit des Sohnes gegenüber nach, jedoch eine dreijährige Prüfungszeit erheischend, die H. als praktischer Apotheker in Brünn, Wien und Reichenberg absolvirte. Nun erst widmete er sich ganz seinem Fachstudium unter Redtenbacher in Prag, wo er 1848 das Diplom eines magister pharmaciae, 1849 den Doctor der Chemie sich erwarb. Schon in dieser Zeit fand H. seine Erholung in der Musik, die er leidenschaftlich liebte, theoretisch und praktisch betrieb, und für die er eine bedeutende Begabung hatte, so daß sie ihm nicht nur sein ganzes Leben verschönte und bereicherte, sondern er in ihr auch schöpferisch thätig war. Eine Oper, viele Lieder und Sonaten hat er componirt, die theilweise vor größerem Publikum und stets mit Erfolg aufgeführt wurden. Auch besaß er als Klavierspieler bedeutende Virtuosität, mußte aber den Genuß, den er sich und seinen Freunden damit bereitete, aufgeben, nachdem er im J. 1870 sich durch einen Fall die Hand verletzt hatte und dadurch ein Gichtleiden, das ihn schon seit längerer Zeit quälte, bedeutend verschlimmert wurde. – Als junger Doctor hat H. sich viele Freunde erworben, welche ebenfalls [514] später in der Wissenschaft bleibende Namen sich geschaffen: so den Physiologen Czermak (Bd. IV S. 672), den Sprachforscher Schleicher, den Historiker Springer, Curtius und vor allen Rochleder, welcher ihn zu seinem Assistenten machte, als er, wenige Jahre älter wie H., nach Redtenbacher’s Berufung nach Wien, dessen Nachfolger auf der chemischen Lehrkanzel in Prag wurde. Zwischen beiden, für die Wissenschaft begeisterten Männern, entspann sich ein intimes Freundschaftsband, und auch der Tod, so scheint es, sollte diese Vereinigung nicht lösen, denn kaum war der Nachruf, den H. seinem Freunde widmete, im Druck erschienen, als er selbst die Augen schloß.

Im J. 1849 habilitirte sich H., doch verblieb er in dieser Stellung nur bis 1851, wo er als außerordentlicher Professor nach Innsbruck für den neu errichteten Lehrstuhl der Chemie gerufen wurde. Hier harrte seiner eine schwierige Aufgabe, da er unter nicht einfachen und leichten Verhältnissen mit sehr geringen Geldmitteln sich Alles schaffen sollte, was der Chemiker zum Arbeiten braucht, vor Allem ein Institut. Mit der ihm eigenen Energie und durch ein besonderes organisatorisches Talent begünstigt, überwindet er alle Hindernisse, so daß schon nach 2 Jahren das (bescheidene) Institut vollendet dasteht. Nun erntet er aber auch die Früchte seiner Anstrengungen: die Collegen schlagen ihn im Jahre 1854 zum ordinarius vor, was seine Ernennung alsbald zur Folge hat, und rasch füllt sich das Laboratorium mit begeisterten Jüngern, so daß er wirklich als der Gründer einer chemischen Schule angesehen werden darf, aus der sehr tüchtige Männer, wie Pfaundler und Barth hervorgegangen sind. Neben der Lehrthätigkeit verwendet er seine Zeit hauptsächlich zu wissenschaftlichen Untersuchungen, deren Richtung in jener Zeit durch Rochleder beeinflußt wird. Doch überflügelt der Schüler bald den Meister, und erst in Hlasiwetz’s Händen ist das schwierige und scheinbar unzugängliche Gebiet der Harze für den Chemiker nutzbar geworden. Nebenbei machte er große Reisen und lernte nach und nach ganz Europa kennen. Wie glücklich er sich dabei in Innsbruck fühlte, zeigt die Ablehnung eines im J. 1858 an ihn ergangenen Rufes nach Greifswald, was übrigens diese Universität nicht hinderte, ihm im folgenden Jahre den doctor medicinae honoris causa zu verleihen.

Erst nach 16jährigem, ruhmvollen und rastlosen Wirken in dem schönen, stillen, von keinem großstädtischen Getriebe gestörten Leben, vertauscht er Innsbruck mit der österreichischen Hauptstadt, wohin ihn ein Ruf als Professor der chemischen Technologie und Agriculturchemie an das Polytechnikum führte. Um sich für seine neue Lehrthätigkeit, die immerhin von der bisher verfolgten weit ablag, vorzubereiten, machte er in der letzten Zeit seines Tyroler Aufenthaltes Ausflüge, um Fabriken, Hütten- und Bergwerke aufzusuchen. Ein solcher Ausflug führte ihn nach Hall, wo er beim Einfahren in einen tiefer gelegenen Schacht die Führung verliert und sammt seinem Begleiter in die Tiefe stürzt. Schwer verletzt wurden die Beiden herausgezogen, H. hatte neben vielen Contusionen einen Bruch des Schienbeins erlitten, welcher ihn acht Wochen an das Bett fesselte. Noch nicht ganz geheilt, verläßt er am 19. October die Stätte seiner langjährigen Wirksamkeit, um sein neues Amt anzutreten. Hier hatte er gerade Zeit sich ein neues Laboratorium einzurichten, als ihm im J. 1869 die eben durch Schrötters Abgang erledigte Professur der allgemeinen Chemie an derselben Hochschule übertragen wurde. In dieser Stellung verblieb er bis zu seinem Tode, obgleich ihm noch mehrfach ehrenvolle Anträge gestellt wurden, wie der im J. 1870 an die Universität Wien, den er mit Rücksicht auf die ihm von seinen Collegen und von den Studirenden des Polytechnikums dargebrachten Zeichen von Verehrung und Liebe ablehnte, ebenso wie eine von competenter Seite an ihn ergangene Anfrage, Liebig’s Nachfolger in München zu werden.

[515] Auch in dieser neuen Stellung hatte er mehrfach mit Unheil zu kämpfen; so wird er im J. 1871, bei einer Arbeit mit Kohlenoxydkalium beschäftigt, durch eine furchtbare Explosion schwer verletzt und erleidet eine ausgedehnte Verbrennung. Wochenlang schwebt er in Todesgefahr, bis seine kräftige, zähe Natur den Sieg erringt: aber die Spuren bleiben für immer eingegraben auf Gesicht und Händen und vielleicht ist sein später so plötzlicher Tod mitbedingt durch diese Katastrophe. Auch hier gelingt es ihm wieder, eine Reihe von tüchtigen Kräften heranzubilden, von denen ich nur Weselsky, seinen späteren Nachfolger anführen will. Hier in Wien tritt er als durchaus selbständiger Forscher auf, und er hat namentlich durch die mit Habermann gemeinsam geführte Untersuchung über die Eiweiskörper einen bleibenden ehrenvollen Namen in der Geschichte der physiologischen Chemie sich erworben. Schon im J. 1859 hatte ihn die Akademie der Wissenschaften in Wien zu ihrem correspondirenden Mitglied ernannt; im J. 1863 wird er wirkliches Mitglied derselben. Außerdem wurde er noch im J. 1871 zum correspondirenden Mitglied der bairischen Akademie in München ernannt und etwas später als Hofrath in das Unterrichtsministerium berufen, in welcher Stellung er sich durch seine überlegene Ruhe und sein nur dem Interesse der Sache gewidmetes Auftreten die Achtung und Verehrung auch der Kreise zu erwerben wußte, die ihm ferner standen.

Noch kurz vor dem Ende seines Lebens lernte er in Marie, Freiin von Ankershofen, eine junge, hochgebildete Dame kennen, zu der ihn viele Sympathien, besonders aber die Liebe zur Musik in ein näheres Verhältniß treten lassen, was kurze Zeit darauf in Verlobung und Heirath eine erfreuliche Lösung findet. Im Juli führt er sie heim, die Hochzeitsreise geht nach Italien und der Schweiz, wo er in vollen Zügen die beglückende Gegenwart genießt. Endlich kehrt er zurück, durch das Bewußtsein einer eigenen Häuslichkeit zu neuem, fröhlichen Schaffen angeregt. Noch den Abend des 7. October verbringt er mit seiner Gattin in engem Freundeskreis. Als er am andern Morgen sein Laboratorium aufsuchen will, ereilt ihn der Tod. Ein Herzschlag setzte seinem Leben ein plötzliches Ziel. Ein tragisches Ende für solch einfaches, harmonisch gestaltetes Leben.

Hlasiwetz’s wissenschaftliche Untersuchungen drehten sich bis zu seiner Uebersiedelung nach Wien hauptsächlich um die Erforschung der chemischen Natur von Pflanzenkörpern, der sog. Pflanzenextracte und der Harze. Eine solche Arbeit in einer Zeit, wo nur wenige Chemiker sich den Naturprodukten zuwandten und dabei die reiche Ernte an neuen interessanten Verbindungen, deren Natur durch ausführliches Studium klar erkannt und festgestellt wurde, verfehlte nicht auf die Fachgenossen einen großen Eindruck zu machen. Aber auch über die Fachkreise hinaus, bei Medicinern und Pharmaceuten erregten diese Forschungen lebhaftes Interesse und verschafften ihrem Autor den Namen eines klaren, originellen Denkers und den eines exacten Arbeiters. Hier sollen nur die wichtigsten Körper, die er entdeckte, Erwähnung finden. Dahin gehören Guajacol und Kreosol, die Bestandtheile des Buchenholztheers; das Phloroglucin, welches er bei der Untersuchung des Phloridcin findet und das einen wichtigen Bestandtheil so vieler Pflanzenextracte darstellt. Dasselbe scheint dort eine ähnliche Rolle zu spielen wie das Glycerin in den Fetten. Hierher gehören weiter der Isodulcit, eine dem Zucker nah verwandte Substanz und vor Allen das Resorcin, dessen Name andeuten sollte, daß es ein dem Orcin ähnlicher, aus den Harzen (Galbanum u. A.) darstellbarer Körper sei und welches jetzt in der Farbentechnik eine so wichtige Bedeutung erlangt hat. Daran reihen sich dann noch eine stattliche Zahl wichtiger Substanzen, die nicht von H. entdeckt, aber durch ihn erst genauer untersucht wurden. H. begnügte sich übrigens nicht mit dem Detailstudium der einzelnen [516] Verbindungen. Am Schluß dieser Arbeiten, kurz vor seiner Uebersiedelung nach Wien, veröffentlicht er noch einen Aufsatz allgemeineren Inhalts: „Ueber die Beziehungen der Gerbsäuren, Glucoside, Phlobaphene und Harze“, welche eine sichere Grundlage aller späteren Untersuchungen über diese Körper bildet.

In Wien verändert und erweitert er das Gebiet seiner Untersuchungen und dehnt es namentlich auf die Zucker- und Eiweiskörper aus. Hier soll nur noch der letzteren Arbeit gedacht werden, welche wohl als die wichtigste von allen angesehen werden darf. Gerade auf diesem Gebiet sind die Schwierigkeiten der Untersuchung ganz besonders groß, was die Chemiker namentlich zurückgehalten hatte dasselbe zu bearbeiten, sie waren ein noli me tangere, welches vor der Systematik Kühne’s ein unentwirrbares Chaos darstellte, eine Qual für Lehrer und Schüler. H. hat es verstanden, diese schwer zugänglichen und doch so überaus wichtigen Körper in einfacher und glatter Weise zu spalten, und hierdurch ist auf dem dunkelsten Gebiet der Chemie ein Stück Bahn frei gemacht worden. Er hatte sich die Aufgabe gestellt, die Beziehungen dieser Eiweiskörper zu den Kohlehydraten zu erforschen, zwischen denen er in seiner ersten Abhandlung über diesen Gegenstand eine geistvolle Parallele zieht, reich an verwerthbaren Anhaltspunkten. Er glaubt zunächst an einen genetischen Zusammenhang beider Körperclassen, welcher aber durch die weiteren Resultate seiner Untersuchung keine Bestätigung findet. Wie wichtig übrigens ein Resultat nach dieser Richtung hin gewesen wäre, das einzusehen, zeigt der Hinweis auf Diabetes, Glycogen etc. Als wesentliche und bleibende Errungenschaft der erwähnten Arbeit, möge es hier genügen anzugeben, daß bei der Einwirkung von Salzsäure und Zinnchlorür alle Eiweiskörper in ein Gemenge von Leucin, Tyrosin, Glutaminsäure und Asparaginsäure zerlegt werden und daß nur das Mengenverhältniß der einzelnen Körper je nach der Natur des Proteinstoffes verschieden ist.

Zum Schluß möge hier hervorgehoben werden, daß H. auch durch seine populären Vorlesungen, von denen einige im Druck erschienen sind, wie die „Zur Chemie der Thonwaren“, „Ueber Photographie“ und über „Mörtel und Cement“ sprechende Beweise lieferte, daß er es verstand, die wissenschaftlichen Grundsätze und die erkannten Thatsachen in weitere Kreise hinauszutragen und daß er Gegenstand und Sprache in seltener Weise beherrschte.

Vgl. d. Nekrol. in d. Ber. d. Wiener Akad. u. d. chem. Gesellschaft.