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ADB:Hoffmann, Christoph

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Artikel „Hoffmann, Christoph“ von Christoph Kolb in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 393–398, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hoffmann,_Christoph&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 12:57 Uhr UTC)
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Hoffmann: Christoph H. ist geboren am 2. December 1815 in Leonberg als zweiter Sohn des Bürgermeisters daselbst Gottlieb Wilhelm Hoffmann, sein älterer Bruder war der bekannte, als Hofprediger und Generalsuperintendent von Brandenburg verstorbene Wilhelm Hoffmann. Seine Jugendzeit verlebte er in der durch seinen Vater ins Leben gerufenen Gemeinde Kornthal. Die Eindrücke, unter welchen er dort aufwuchs, sind von nachhaltiger Wirkung gewesen für seine ganze Entwicklung. In seinem Vater schaute er das Bild einer erfolgreichen und doch der Kirche abgeneigten praktisch-religiösen Thätigkeit, in der vom Kirchenregiment unabhängigen Gemeinde den Versuch einer nach christlichen Grundsätzen organisirten Gemeinschaft. Nachdem er seine Vorbildung durch den Besuch der Oberclassen des Stuttgarter Gymnasiums abgeschlossen hatte, trat er 1832, noch nicht ganz 17 Jahre alt, in das theologische Stift ein, zugleich mit Gerok, Rümelin u. A. Als Kornthaler schloß er sich an die studentische Pietistenstunde an, ging aber daneben auch, begünstigt von einer merklichen poetischen Begabung (Proben in seiner Selbstbiographie, Bibl. Poesien, 1887. Sodann Gedichte und Lieder von Chr. Hoffmann, 1869, Stuttgart, bei Steinkopf) seinen ästhetischen Neigungen nach, ohne daß diese verschiedenen Richtungen sich zur höheren Einheit verschmolzen hätten. Mit der Hegel’schen Philosophie, welche gerade damals durch Strauß ihren siegreichen Einzug im Stift hielt, hat er sich vertraut gemacht, aber bald ihre Unvereinbarkeit mit der christlichen Weltanschauung erkannt. Doch hat er, [394] Autodidact in der Theologie, auch der Hengstenbergischen Reaction sich nicht angeschlossen. Aber ebensowenig hat er jemals die Bedeutung der neuerwachten historisch-kritischen Richtung der Theologie würdigen lernen, da ihm bei seiner beachtenswerthen Anlage zum Historiker die kritische Ader völlig fehlte. Wahrheit suchte er damals besonders bei den Mystikern. Im weiteren Verlauf jedoch schloß er sich besonders der Theologie des Pfarrers Phil. Matth. Hahn an. Durch seine freundschaftliche und bald auch verwandtschaftliche Verbindung mit der Familie Paulus (er heirathete 1841 Pauline Paulus, eine Enkelin Hahn’s), lernte er dessen Schriften kennen und fand hier, was auch ihm als Grundidee des Christenthums vorschwebte: das Königreich Jesu Christi auf Erden. Sein Werk erschien ihm später nur eine Verwirklichung der Gedanken, die durch Hahn’s frühen Tod unausgeführt geblieben waren. Mitbestimmend für seine weitere Entwicklung ist jedenfalls auch das gewesen, daß er nie im eigentlichen Kirchendienst stand, er hat darum auch die pfarramtliche Thätigkeit nie richtig beurtheilen können. Vorübergehend in der von Strebel geleiteten Erziehungsanstalt zu Stetten angestellt trat er bald ganz in das Unternehmen der Familie Paulus ein, welche zuerst in Kornthal, hernach auf dem Salon bei Ludwigsburg ebenfalls eine Erziehungsanstalt gründete. Diese Anstalt wurde von der Familie nämlich in besonderem Sinne als Arbeit für den Bau des Reiches Gottes im Sinne Hahn’s betrachtet. Mit nur einjähriger Unterbrechung (1840), während welcher er mit ziemlichem Widerwillen seiner Pflicht als Repetent genügt hatte, gehörte er dem Salon bis 1853 als Lehrer in Philologie und Geschichte an; er schlug sogar eine Berufung als Pfarrer nach Kornthal aus. Oeffentlich aufzutreten fühlte er sich aufgefordert durch Fr. Vischer’s Inauguralrede mit ihrem Angriff auf das Christenthum, 1844, (21 Sätze wider die neuen Gottesleugner und andere Schriften), um so mehr, da der in erster Linie bedrohte Pietismus sich allzu schweigsam verhielt. Er ist mit Muth und Geschick gegen Vischer (den er übrigens stets als unbedeutenden Mann taxirte) vorgegangen und hat mit dazu beigetragen, daß die Behörde sich genöthigt sah, einzuschreiten. Aber die Form seiner Vertheidigung fand auch nicht bei Freunden ungetheilten Beifall und sachlich ist das Urtheil wohl begründet, daß er jenes Stadium der geistigen Entwicklung Deutschlands nicht gerecht würdigte. Die von den Hegelianern drohende Gefahr erschien ihm so groß, die Abwehr von anderer Seite so ungenügend, daß er sich auf den Rath des Professors Dr. Schmid in Tübingen entschloß, gemeinsam mit den Brüdern Paulus ein Blatt, „Die süddeutsche Warte“ (seit 1877 „Warte des Tempels“ betitelt) herauszugeben, 1845. Dasselbe fand seine Aufgabe darin, das Bestehende in Kirche und Staat gegen den Geist der Revolution zu vertheidigen, doch mit Verständniß für die Wünsche nach nationaler Einigung und synodaler Vertretung, wie mit freimüthiger Kritik der Schäden. Der bis dahin litterarisch geführte Streit wurde auf den politischen Schauplatz verlegt im Jahr 1848. Nach einem von beiden Seiten mit Aufbietung aller Kraft geführten Kampf gab das Landvolk im Bezirk Ludwigsburg mit großer Majorität den Ausschlag für die Wahl von H. gegen Strauß zum Abgeordneten ins Frankfurter Parlament. Aber die Erfahrungen, welche er damals machte, riefen in ihm eine Wandlung hervor, vielleicht darf man auch sagen, sie brachten schlummernde Ansätze zur Entfaltung. Er stimmte im Parlament für Trennung der Kirche vom Staat, um so entschiedener trat er für das Recht der Kirche auf die Schule bez. für die confessionelle Schule ein, subsidiär dafür, die Schule zur Gemeindesache zu machen. Unbefriedigt durch die Entwicklung der Dinge in Frankfurt, legte er 1849 sein Mandat nieder. Die Wandlung seiner Ansichten hat er dargelegt in den Schriften: „Stimmen der Weissagung über [395] Babel und das Volk Gottes“, 1849, „Die Aussichten der evangelischen Kirche Deutschlands infolge der Beschlüsse der Reichsversammlung in Frankfurt“, 1849, „Das Christenthum im ersten Jahrhundert“, 1853 (erwachsen aus öffentlichen Vorträgen). Der „christliche Staat“ schien ihm völlig zusammengebrochen, von dem religionslosen Staat erwartete er wenig mehr, von der Kirche sollte die Erneuerung des Volkslebens ausgehen, dazu bedurfte sie aber selbst einer Neubelebung und der Zusammenfassung der gläubigen Glieder. Diesem Zweck diente der vom Salon gegründete Evangelische Verein und die Einrichtung einer Evangelistenschule unter dem Inspectorat Hoffmann’s. Die in dieser Schule ausgebildeten Laienprediger sollten in den Gemeinden den Pietismus beleben und dem Verein Mitglieder gewinnen. Zunächst noch im Zusammenhang mit der Kirche. Aber bald beginnen die Wege aus einander zu gehen. Die Aufgabe der religiösen, socialen, politischen Reform trat für H. mehr und mehr in den Vordergrund, und die Mittel der inneren Mission, durch welche man die Schäden des Volkslebens heilen wollte, erschienen ihm angesichts der Nothlage der ersten fünfziger Jahre unzulänglich. Gründliche Erneuerung konnte nur kommen durch die „Sammlung des Volkes Gottes“. Und zwar sollte Jerusalem der Ort sein, wo diese neue Gemeinde, nach den socialen Vorschriften des mosaischen Gesetzes eingerichtet, sich organisiren und als geistlicher Tempel einen Mittelpunkt des Heils für die ganze Welt bilden sollte. Darin sah er die Erfüllung der von ihm buchstäblich gefaßten Weissagungen der Propheten des alten Testaments und der von jeher dem Pietismus als Lieblingsbuch geltenden Apokalypse.

Gegen die Thätigkeit der Evangelisten wurden bald von kirchlicher Seite Bedenken erhoben. Aber auch der Pietismus weigerte sich, H. auf diesen Wegen zu folgen, kirchenfreundlicher wie er geworden war, und gerade in dem Gefühl, daß H. mit viel größerer Consequenz die praktischen Folgerungen zog aus Voraussetzungen, welche von jeher den Pietisten eigen gewesen waren. Der anerkannte Vertreter des Pietismus, Prälat v. Kapff, wurde zugleich immer mehr Hoffmann’s entschiedenster Gegner. Ja selbst seine Schwäger, mit Ausnahme von Christoph Paulus, traten ihm nicht bei. Er fand dafür in dem Kaufmann Georg David Hardegg von Ludwigsburg einen vorandrängenden Bundesgenossen.

So schied er 1853 vom Salon. Von Spittler gerufen, begleitete er das Inspectorat der Evangelistenschule auf Chrischona bis 1855, doch die Verwandtschaft der Bestrebungen war mehr eine scheinbare, die Ziele zu verschieden. Vom Salon wie von seinem Heimathort Kornthal (unter dem Einfluß von Staudt) zurückgewiesen, lebte er als Privatmann in Ludwigsburg. Durch Ranke’s Geschichte der Päpste war ihm einst in der Repetentenzeit an Loyola klar geworden, was ein einzelner Mann, ganz dem Dienst seiner Sache geweiht, ausrichten kann. Unter persönlichen Opfern suchte er nun den Beruf, den er von Gott erhalten zu haben glaubte, zu erfüllen. Schon 1854, 24. August, hatte der Ausschuß für Sammlung des Volkes Gottes (Hoffmann, Chr. Paulus, Hardegg und Höhn), eine Versammlung der Freunde Jerusalems nach Ludwigsburg einberufen. Es gelang 439 (zuletzt über 500) Unterschriften zu gewinnen für eine Bittschrift an die Bundesversammlung in Frankfurt (abgesandt 31. October), in welcher diese Behörde ersucht wurde, sich beim Sultan dahin zu verwenden, daß eine Ansiedlung in Palästina gestattet, mit den nöthigen Rechten versehen und geschützt werde. Darauf ließ sich der Bundestag natürlich nicht ein (ebenso wenig Anklang fand H. 1861 beim National-Verein).

Man war also zunächst darauf angewiesen, in der Heimath den Tempel [396] zu bauen. Mai 1855 erschien der Entwurf einer Verfassung für das Volk Gottes. Außerdem schrieb H. in jener Zeit das Buch: „Geschichte des Volkes Gottes“ als Antwort auf die sociale Frage, in welchem er seine Ideen aus der Geschichte des Volkes Israel begründet.

Zur eigentlichen Gemeindebildung kam es dadurch, daß Januar 1856 das Gut Kirschenhardthof bei Marbach durch die „Jerusalemsfreunde“ angekauft wurde. Hier sollte nun ein Anfang gemacht werden mit der Begründung eine besseren Zustandes.

Daß es bald zum förmlichen Bruch mit der Kirche kam, war eine aus der Lage der Dinge nothwendig sich ergebende Folge. Mit Berufung auf die erstandene Candidatenprüfung beanspruchte H. das Recht zu kirchlichen Handlungen und übte sie trotz der Verweigerung durch das Consistorium aus, eigentlich im Widerspruch mit seinen eigenen Grundsätzen, welche die damalige Gestalt der Kirche als berechtigt nicht mehr anerkannten. So wurde ihm 1856/57 die Ausübung seiner Candidatenrechte untersagt, und da er darin fortfuhr, erfolgte 1859 der Austritt der Kirschenhardthöfer aus der württembergischen Landeskirche. Damals vielleicht ca. 60 Männer. (Vgl. die actenmäßige Darstellung des Consistoriums in seinem Amtsblatt II, S. 507 ff.)

Die apokalyptischen Erwartungen Hoffmann’s und seiner Anhänger veranlaßten ihn 1858 zunächst einmal zu der in Gemeinschaft mit Hardegg und Bubeck unternommenen Erforschungsreise nach Palästina. Eine auf dem Kirchentag 1857 durch Hoffmann’s Bruder vermittelte Audienz bei Friedrich Wilhelm IV. trug wenigstens Empfehlungen an die preußischen Consulate im Orient ein. Jene Forschungsreise führte zu dem Ergebniß, daß vorläufig noch von einer Niederlassung in Palästina abzusehen sei. So galt das folgende Jahrzehnt dem Ausbau des Tempels in der Heimath. Die Prophetenschule sollte für geeignete Werkzeuge sorgen, man bestrebte sich, die Geistesgaben der apostolischen Zeit, Weissagen und Wunderthaten wieder zu erwecken, Anhänger Hardeggs versuchten sich in sehr zweifelhaften Heilungen. Es ist anzuerkennen, daß H. selbst ein viel nüchterneres Urtheil fällte als Hardegg, dem die Erneuerung der apostolischen Geistesgaben in erster Linie stand. H. ist es gewesen, der einen schmählichen Betrug aufdeckte und dadurch den Tempel vor gefährlichen Abwegen bewahrte. Von da an datirt allerdings auch das Zerwürfniß zwischen beiden. Die ganze Gesellschaft der Jerusalemsfreunde trat 1861 aus der evangelischen Kirche – aus Babylon – überhaupt aus, constituirte sich auf mehreren Synoden als „Deutscher Tempel“ unter einem Rath von 12 Aeltesten mit Hardegg als weltlichem, H. als geistlichem Vorsteher (den vorzüglich mit Rücksicht auf den Orient gewählten ursprünglichen Titel Bischof legte H. 1867 wieder ab). Während dieser ganzen Zeit, seit 1854, erscheint überhaupt Hardegg als eigentlicher Führer der Bewegung. H. begnügte sich mit der Stelle eines Schriftführers und mit litterarischer Thätigkeit. Eine Confession des Tempels wurde 1863 aufgestellt, Reiseprediger warben im Land umher, namentlich im Fränkischen und auf dem Schwarzwald, H. selbst in Stuttgart, neue Glieder, welche der Aufsicht von Aeltesten unterstellt wurden. Litterarisch suchte H. sein Unternehmen zu begründen in der nun ganz von ihm redigirten Warte, sodann durch sein geschichtliches Werk: „Fortschritt und Rückschritt oder Geschichte des Abfalls“, 1864 ff. Der Gegensatz zur Kirche wird nun immer schroffer. Von Seiten der Kirche fanden Hoffmann’s weitaussehende Gedanken nicht immer das rechte Verständniß und seine Anhänger nicht überall die dem Gesetz des Staates und der christlichen Liebe entsprechende Behandlung; aber das ist der Kirche auch sehr schwer gemacht worden durch die leidenschaftlichen Angriffe der Templer, welche ihr jede Befähigung zur Erfüllung [397] ihrer Aufgabe absprachen und zum Austritt aus Babel aufforderten, ganz in der Weise des früheren Separatismus. Bat doch der Tempel 1861 in einer Eingabe an die Abgeordnetenkammer um Abschaffung der staatlichen Vorrechte der Landeskirchen.

Die Ereignisse des Jahres 1866 erschienen, auch wieder in apokalyptischer Beleuchtung, den Jerusalemsfreunden als Zeichen der Zeit, nunmehr mit dem Bau des Tempels in Palästina zu beginnen. Auch hier ging die Nöthigung von Hardegg aus, H., dem das geistige Wirken, „die Mission“, jederzeit viel mehr am Herzen lag als die Colonisation, hat damals sogar daran gedacht, die Leitung ganz an Hardegg abzutreten und in Amerika seinen Wirkungskreis zu suchen. Die beiden Häupter, nebst einer Anzahl von Familien (nach und nach ca. 1500 Seelen), siedelten 1868 ins heilige Land über, es entstanden die Colonien Haifa, Jaffa mit Sarona, Jerusalem (Rephaim). Die Differenzen zwischen den beiden Häuptern fanden darin schon Ausdruck, daß Hardegg Haifa, H. Jaffa mit Sarona verwaltete, jeder unabhängig vom andern. Im J. 1874 kam das Zerwürfniß mit Hardegg, einem schwierigen, herrschsüchtigen Charakter, offen zum Ausbruch. Hardegg erklärte seinen Austritt aus der Tempelgesellschaft, H. wurde mit weit überwiegender Mehrheit als alleiniger Vorsteher des Tempels anerkannt, durch Abgeordnete einigten sich sämmtliche Colonien über eine gemeinsame Verfassung, neu geregelt 1879. H. besuchte in geschäftlichen Angelegenheiten 1875 Deutschland noch einmal, 1881 Amerika. Um einen geeigneten Nachwuchs zu erziehen, gründete er 1876 das Hochstift in Jaffa (1878 siedelte er mit demselben nach Rephaim über), eine Art höherer Schule, an welcher er selbst philosophische und theologische Vorlesungen hielt. Proben der letzteren sind erschienen in seiner Auslegung des Römer- und Colosserbriefs, 1882 ff. Zugleich zeigen sie, wie H. seinen nun wesentlich veränderten dogmatischen Standpunkt aus der Schrift zu begründen suchte. Schon 1858 war H. gegen das Dogma der Kirche gleichgültig geworden, nicht das Proselytenmachen für – richtige oder unrichtige – Glaubenslehren, sondern die Erziehung zu einem gerechten und verständigen Leben erschien ihm als Hauptaufgabe der christlichen Kirche. Aber er schritt weiter zur Verwerfung von Lehre und Cultus der Kirche in den wichtigsten Stücken. Dies trat offen zu Tage in den drei Sendschreiben von 1876 über den Tempel und die Sacramente, Dreieinigkeit und Gottheit Christi, Versöhnung der Menschen mit Gott. Dreieinigkeit und Gottheit Christi im Sinn der Kirche betrachtet er nun als Thorheit. Versöhnung und Rechtfertigung im kirchlichen Verstand erkennt er nicht an, die Sacramente entleert er ihres Werthes und sieht in der Weise, wie sie die Kirche verwaltet, ein Haupthinderniß wahrer Frömmigkeit. Er suspendirte ihre Anwendung, bis einmal eine wahre Gemeinde da sei. Dies alles nicht bloß als seine Privatansicht, sondern als Richtschnur für den Tempel. „Wer noch mit einem Faden an der Kirche, ihren Sacramenten und Satzungen hängt, der kann nicht mit getrostem Herzen an der Aufrichtung des Reiches Gottes arbeiten.“ So ist der einstige Vertheidiger der Orthodoxie fortgeschritten zur Bekämpfung derselben, wesentlich mit rationalen Gründen. Freilich tritt in seiner Theologie eine unklare Mischung von Rationalismus und Traditionalismus zu Tage, der Grund ist auch hier wieder in dem Mangel eines wirklich wissenschaftlichen Schriftprincips zu suchen. Die Folge war ein Zerwürfniß in der Tempelgemeinschaft, einige schlossen sich an Hardegg und den 1876 gestifteten Reichsbruderbund oder den Tempelverein an, andere kehrten zur Kirche zurück. H. legte Alters halber sein Vorsteheramt nieder 1884, er starb am 8. December 1885. Sein Werk wird fortgeführt, weitere Anhänger wird seine Sache nicht gewinnen. Eine Culturmission haben seine Colonien im Orient vollbracht [398] und werden sie noch weiter vollbringen, darin sind alle Augenzeugen einig. Damit aber hat sich H. selbst nicht begnügt: „Zur Erfüllung der Weissagung sei mit der Colonisation allein noch kein Anfang gemacht, es würde sich dann fragen, ob man nicht besser daheim geblieben wäre.“ Die von ihm gehoffte Einwirkung auf die Erneuerung der Kirche hat er nicht erlebt.

H. war ein Mann von reicher Begabung, aufrichtiger Frömmigkeit, selbstloser Gesinnung, opfermuthiger Hingabe an seine Idee, aber auch unzugänglich für jede Belehrung. Die Ueberschätzung der Weissagung und die Geringschätzung der Kirche, der Mißverstand der Apokalypse, diese ihm vom Pietismus anerzogenen Schranken ist er nicht los geworden. Aber in den z. Th. ungenießbaren und selbst stachlichten Schalen dieser Denkweise steckt doch manches gesunde und fruchtbare Samenkorn. Forderungen der Neuzeit wie die der Ausgestaltung eines christlichen Gemeindelebens und des praktischen Christenthums überhaupt haben ihm längst vorgeschwebt. Und ganz besonders hat er mit einem aus der heiligen Schrift, wenn auch der einseitig aufgefaßten, geschärften Fernblick erkannt, was heut zu Tage von weiteren Kreisen erfaßt wird: die Aufgabe des evangelischen Deutschlands im Orient. Diese Aufgabe und überhaupt die Beziehungen beider zu einander hat H. in einem seiner besten Bücher „Occident und Orient“, 1875, geistvoll dargelegt. Unter den Pionieren deutsch-evangelischer Cultur im Orient wird auch Christoph Hoffmann’s Name immer mit Ehren genannt werden.

Ueber den äußeren und inneren Gang seines Lebens giebt Aufschluß seine Selbstbiographie, 2 Bde., 1881 u. 84. Vgl. noch Litter. Beilage zum Staatsanzeiger, 1887, 3. u. 4. – Palmer, Gemeinschaften und Secten, 1877, S. 119 ff. – Stälin, Das Rechtsverh. der rel. Gemeinschaften, 1870, S. 131. – Fr. Lange, Gesch. des Tempels, 1899. – Kalb, Kirchen u. Secten d. Gegenwart, 1905.