ADB:Hye von Glunek, Anton Freiherr
Hye: Anton H., Freiherr von Glunek, österreichischer Rechtsgelehrter und Staatsmann.
H. wurde laut des Taufscheins der Pfarre Gleink in Oberösterreich am 26. Mai 1807 als ehelicher Sohn des Franz Hye, damals Gegenhandler (d. i. Controlor) bei der Religionsfonds-Herrschaft Gleink, in der Ortschaft Neustiftl geboren. Der Vater starb in hohem Alter, nachdem er fast ein halbes Jahrhundert bei der Verwaltung dieser Herrschaft thätig gewesen, als Pfleger derselben; der Sohn entstammte sonach, wenn auch keineswegs dürftigen, so doch immerhin bescheidenen ländlichen Verhältnissen. Die innige Verknüpfung mit Familie und Heimath ist auf Lebensdauer ein hervorstechender Zug in Hye’s Wesen geblieben, obwol die äußere Trennung von beiden sich noch in der Jugend vollzog und der weitere Lebenslauf in ganz andere Bahnen führte. Von dieser pietätvollen Gesinnung geben die verschiedensten Phasen des Lebens laut redendes Zeugniß; fast jeder Urlaub führte H. in die Umgebung seiner Jugend zurück, das Adelsprädicat knüpfte an den Namen von Gleink an und zur [527] Grabstätte wählte sich der achtzigjährige Greis die Familiengruft in der oberösterreichischen Heimath.
Im J. 1817/18 finden wir H. als Zögling im ersten Jahrgange des Studienconvictes des Benedictinerstiftes Kremsmünster. An dieser berühmten Anstalt legte er die Gymnasial- und Philosophiestudien (d. i. das heutige achtclassige Gymnasium), und zwar bis zum Schlusse mit glänzendem Erfolge zurück; er erscheint fast in allen Jahrgängen als der erste Prämifer und das Convictszeugniß vom 30. September 1825 besagt überdies, daß er sich durch diese acht Jahre die vollkommene Zufriedenheit seiner Lehrer erworben habe und aller Empfehlung würdig sei. Mit treuer Dankbarkeit hat H. bis in seine spätesten Tage dieser Bildungsanstalt gedacht; das Stift Kremsmünster und den Wiener Professor Egger, welchem er später, an der Universität, nahe trat, betrachtete er nach seiner eigenen, oft abgegebenen Erklärung als die größten Wohlthäter seines Lebens. Als im J. 1877 das elfhundertjährige Jubiläum des alten Cremisanum gefeiert wurde, da stand H. als siebzigjähriger Greis an der Spitze des Wiener Comités, welches die Huldigung der ehemaligen Schüler organisirte, und er war es, der bei der Feier selbst mit der ihm eigenen unverwüstlichen Lebensfrische und Kraft dem Jubelstifte den Dankeszoll einer ganzen Reihe von Schülergenerationen darzubringen berufen war.
Im October 1825 bezog H. als 18jähriger Jüngling die Universität in Wien, um daselbst die Rechte zu studiren; er sollte aber in dieser Stadt nicht nur die Stätte seiner Bildung, sondern auch seines bleibenden Wirkens finden und hat Wien, mit Ausnahme der Zeit seiner einjährigen Gerichtspraxis, nie mehr dauernd verlassen.
Von 1825–1829 läuft das juridische Quadriennium; das Absolutorium bezeugt hier wieder, wie am Gymnasium, den vorzüglichen Erfolg in allen, auch den außerordentlichen Gegenständen. Sofort nach Absolvirung der Studien trat H. bei dem Magistrate Steyr in die Gerichtspraxis ein; schon am 12. August 1829 wurde er als Actuar in Criminal-Untersuchungsfällen beeidigt. Das Amtszeugniß über diese einjährige Praxis (vom 19. Aug. 1830) lautet nicht nur im allgemeinen in vortheilhaftester Weise, sondern es rühmt auch insbesondere „eine solche hervorleuchtende Fähigkeit in der praktischen Behandlung der Geschäfte, daß“ der Praktikant sich schon „als einen werdenden vollendeten Geschäftsmann beurkundete“. In diese Zeit der Gerichtspraxis fällt auch der Beginn der Ablegung der juridischen Rigorosen, ein halbes Jahr nach Abschluß der Gerichtspraxis, am 18. März 1831, sind die vier strengen Prüfungen mit Auszeichnung abgelegt, am 20. Juni 1831 findet die Promotion statt.
Schon vorher, unmittelbar nach dem Abschluß der Gerichtspraxis (August 1830) war H. in Wien in die Advocatenpraxis eingetreten (bei Dr. Josef Hye, einem entfernten Verwandten) und in dieser Stellung bethätigte er sich durch volle fünf Jahre, d. i. bis zu seiner Ernennung zum Professor am Theresianum. Wie die Zeugnisse des Chefs und die eigenen Aufschreibungen Hye’s zeigen, war diese advocatorische Thätigkeit eine sehr intensive und umfassende; es tritt uns in ihr schon mit voller Deutlichkeit jener niemals rastende, jener auch an der Vielheit und selbst an der Geringfügigkeit der Aufgaben nie ermattende Fleiß entgegen, welcher, stets durch die Wärme des Herzens belebt, H. bis zum Lebensende begleitete. Welche Bedeutung H. selbst der advocatorischen Praxis beilegte, hat er am Abende seines Lebens, nämlich in Erwiderung der Glückwünsche der Advocatenkammer zu seinem sechzigjährigen Doctorjubiläum, in denkwürdiger Weise ausgesprochen. Alles, was er im öffentlichen Leben erreicht, und insbesondere daß er in seinen privaten [528] Angelegenheiten niemals eines Rechtsbeistandes bedurft, das behauptete er der Schulung in der advocatorischen Praxis zu verdanken.
So intensiv aber die Bethätigung Hye’s auf dem Felde der advocatorischen Praxis immerhin war, sie genügte weder seinem Drange nach vielseitiger Wirksamkeit, noch war sie das letzte Ziel seines Lebens. Der Zug zum Universitätslehramte war sichtlich der alle anderen Bestrebungen beherrschende und so gelang es ihm, schon ein Jahr nach seiner Promotion die Supplentur bei der Lehrkanzel des Natur- und österreichischen Criminalrechtes an der Wiener Universität zu erreichen (Decret vom 29. Oct. 1832). Hiermit beginnt jene rühmliche akademische Wirksamkeit, welche H. durch mehr als zwei Jahrzehnte entwickeln sollte.
Auf Vorschlag des Inhabers der Lehrkanzel, Professor Egger, trat er diesem, seinem verehrten Lehrer, zunächst als Supplent (d. i. nach der vormärzlichen Einrichtung in einer Art assistirender Thätigkeit) zur Seite und als der von seinem Professor wärmstens empfohlene Nachfolger führte er schließlich dessen Lehramt ruhmvoll weiter. Die Zeugnisse, in welchen sich Egger über Hye’s Supplentur ausspricht, sind ein rührendes Denkmal eines Verhältnisses von seltener Innigkeit zwischen Lehrer und Schüler und stets wird es zu den größten Verdiensten Egger’s um die Wiener Universität zählen, daß er seinem Schüler H. den Weg zur Professur geebnet hat.
Mit der Erlangung der Universitäts-Supplentur fällt die Erlangung der Befugniß zur Ertheilung des Privatunterrichtes aus allen Obligatfächern des juridisch-politischen Studiums unmittelbar zusammen; wie das von Hye’s Hand herrührende Verzeichniß seiner Privatschüler bezeugt, hat er diese Befugniß bis zum Jahre 1840 fortgesetzt ausgeübt, nur seit 1835 mit Beschränkung auf die Sphäre seines engeren Berufswirkens, nämlich auf die Fächer des Natur- und Criminalrechtes.
Die Supplentur an der Universität scheint H. auch den Weg zur Lehrthätigkeit an dem Theresianum gebahnt zu haben, an welchem damals ein der Universität parallel gehender juridischer Cursus bestand. Seit 1. October 1833 ist er förmlich mit der Verwesung der erledigten Lehrkanzel für Naturrecht, Staats-, Völker- und Criminalrecht betraut und mit 1. Januar 1834 übernimmt er dazu noch die Substituirung des Faches der diplomatischen Staatengeschichte.
Während der Universitäts-Supplentur erlangte H. zudem noch die Stellen des Archivars der juridischen Facultät (6. März 1834) und der Universität (11. November 1834), beides Stellen, die er, weit entfernt, sie als Sinecuren zu behandeln, zu Stätten frei geschaffener, hingebungsvoller Thätigkeit erhob.
Es wäre eine unrichtige Auslegung, wenn man die Anknüpfung dieser Verbindungen mit der Universität nur auf das Streben zur Professur zurückführen wollte; in erster Linie lag hier gewiß jener H. eigenthümliche Drang zur Bethätigung im Corporationsleben zu Grunde, welcher aus seinem mittheilsamen, geselligen Wesen entsprang und ihn sein ganzes Leben hindurch erfüllte. Nur so erklärt sich die rührende Erscheinung, daß H. das Ehrenamt des Universitätsarchivars durch alle Stadien seines Lebens, als längst schon jede andere Verbindung mit der Universität gelöst und Ehre der verschiedensten Art in Hülle und Fülle ihm zu Theil geworden war, fort und fort bis zu seinem Tode bekleidete.
Schon in den Anfängen von Hye’s Berufsleben sehen wir also das Bild einer nimmer rastenden Wirksamkeit, welche in einer einzigen Stellung niemals ihr Genügen findet, sondern stets zugleich nach verschiedenen Richtungen ausgreift, das Bild eines stets lebendigen Strebens, sich auf dem Felde der [529] juristischen Theorie und Praxis zugleich zu bethätigen, und vor allem, die Wirksamkeit im Amte mit einer frei gewählten im Dienste der Humanität und Gemeinnützigkeit zu verknüpfen.
Sofort nach Erlangung der Supplentur begannen nach dem österreichischen Stile des Vormärz natürlich auch die officiellen Concursbewerbungen Hye’s um ein akademisches Lehramt. Die erste Bewerbung galt der Lehrkanzel des Natur- und österr. Criminalrechtes an der Universität in Prag; sie hatte keinen Erfolg, denn die Stelle wurde (erst im Oct. 1835) in außergewöhnlicher Weise durch den bis dahin mit der Lehrkanzel der Statistik betrauten Prager Professor Schnabel (A. D. B. XXXII, 73) besetzt. Die zweite Bewerbung, für das Theresianum in Wien, glückte und führte durch die Allerhöchste Entschließung vom 5. März 1835 zur Professur. Hiermit war allerdings vorläufig die Trennung von der Universität gegeben, allein schon im Studienjahre 1838/39 war die Verbindung wieder angeknüpft, da H. die Aufgabe zu Theil wurde, die durch Egger’s Abgang, bezw. die Enthebung von Egger’s Nachfolger (Jenull) von der Vortragspflicht vacant gewordene Lehrkanzel voll zu suppliren. Durch Jahre geht diese Doppelwirksamkeit fort und daß H. dieser aufreibenden Aufgabe nicht nur gerecht zu werden verstand, sondern daß er sie als allgemein beliebter und gesuchter Lehrer übte, zeigt der von ihm selbst berichtete Umstand, daß der Stundenschluß am Theresianum Jahre hindurch um eine Viertelstunde verrückt wurde, um es ihm möglich zu machen, von der Vorlesung im Theresianum zur Vorlesung auf die Universität zu eilen. Wie zahlreiche Anerkennungsdecrete bezeugen, hat H. überdies sich auch hier weit über seine lehramtlichen Verpflichtungen hinaus bethätigt und die Direction des Theresianums bei der Verwaltung der Anstalt als freiwilliger juristischer Beirath unermüdlich unterstützt. Ein Wandel in diesen Verhältnissen trat erst ein, als H. auf Grund eines Majestätsgesuches mit Allerhöchster Entschließung vom 24. December 1842 die Universitätsprofessur verliehen wurde.
Im Alter von 35 Jahren hatte H. somit sein heiß ersehntes Ziel erreicht. Es mag dies im Vergleich mit seinen sonstigen raschen Lebenserfolgen vielleicht etwas spät erscheinen, der Erklärungsgrund ist aber wol leicht zu finden. Am 9. November 1835 mit der Tochter seines früheren Chefs Dr. Josef Hye (Marie, verwittweten Wolfgang) vermählt, durch eine Fülle von persönlichen Beziehungen mit dem Wiener Leben verknüpft, hatte H. offenbar seither den Weg außer Acht gelassen, welcher damals fast ausschließlich zur Professur führte, nämlich die Bewerbung um die Lehrkanzeln an den kleinen Universitäten, und alle Bestrebungen auf die unmittelbare Erlangung der Wiener Universitätsprofessur concentrirt. In diesem Lichte betrachtet, versteht man es, daß H. in demselben Jahre (1838) die erfolglose Bewerbung um die Lehrkanzel für Lehen-, Handels- und Wechselrecht an der Wiener Universität nicht scheute, in welchem die criminalistische Lehrkanzel in Innsbruck zur Besetzung kam. In dem directen Aufstieg zur Wiener Professur lag eben an sich ein großer Erfolg, und zur Wiener Professur ist H. früh gelangt; unter seinen greisen Collegen an der Wiener Universität erschien H. fast als ein Jüngling und auf diesen Umstand im Vereine mit dem bezaubernden Wesen seiner ganzen Persönlichkeit ist gewiß nicht zum geringsten Theile der große Einfluß zurückzuführen, welchen er auf die studirende Jugend im Sturme gewann.
Die Jahre von 1843–1848 sind die Periode, in welcher H. im Zenithe seines Wirkens als akademischer Lehrer stand. Der Umfang dieser Thätigkeit ist leicht daraus zu erkennen, daß H. sogar die Parallel-Vorlesungen auf [530] sich nahm, welche infolge des Andrangs der Hörer damals eingeführt wurden; Tausende und Tausende von Hörern sind in jenen Jahren zu seinen Füßen gesessen. Wie mächtig H. mit seiner hinreißenden Beredsamkeit die Hörer zu ergreifen wußte, wie sehr die Wärme seines Herzens und die werkthätige Hülfsbereitschaft in allen Nöthen des studentischen Lebens ihm die Liebe seiner Hörer gewann, dies hat eine bis heute fortlebende Tradition zur notorischen Thatsache gemacht. Als im J. 1877 das juridische Doctorencollegium H. zu seinem 70. Geburtstage beglückwünschte, da fertigte Hye’s berühmtester Schüler, Josef Unger, die Adresse mit den Worten: „Dem begeisterten und begeisternden Lehrer in unauslöschlicher Dankbarkeit“, und als nach weiteren zwei Decennien die Juristenkreise Wiens sich zur Todesfeier Hye’s vereinigten, da faßte der Redner (Dr. Josef Kopp), der vor einem halben Jahrhundert Hye’s Schüler gewesen, die Huldigung für den betrauerten Todten abschließend in die eben citirten Worte des ersten österreichischen Juristen zusammen.
Neben dieser feurigen Lehrthätigkeit und neben dem Eintreten für alle Universitätsfragen (es sei z. B. nebenbei bemerkt, daß H. auch jenem Comité der Studienhofcommission zugezogen wurde, welches 1845 einen völlig neuen Studienplan ausarbeitete) läuft aber ebenso die niemals rastende Wirksamkeit im corporativen Leben fort. Dem juridischen Doctorencollegium gehörte H. schon seit der Promotion als unermüdlich thätiges Mitglied an, und hierzu traten bald noch andere Vereinigungen, wie das Wiener Wittwen- und Waisen-Pensionsinstitut, der Schutzverein für entlassene Sträflinge u. a. m. Ueberall, wo es das unmittelbare Eingreifen im persönlichen Verkehre mit Menschen galt, war sichtlich der eigenste Boden für Hye’s Wirken und das Vorwalten dieser Geistesrichtung scheint uns sogar der Erklärungsgrund für die lange dauernde Zurückhaltung auf einem anderen Gebiete, nämlich jenem des schriftstellerischen Schaffens, zu sein.
Es ist eine auffallende Erscheinung, daß Hye’s litterarische Productivität gerade in jenen Jahren, welche für das schriftstellerische Schaffen sonst die ergiebigsten zu sein pflegen, wenig zur Entfaltung gelangte; aus der Zeit des Vormärz liegt außer einigen, allerdings sehr umfänglichen Recensionen und einem Nekrolog nach Hofrath Benoni (in der Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit) nur eine Abhandlung über die „Methode bei Sammlungen von Nachtragsgesetzen zu schon bestehenden Gesetzbüchern“ und der „Beitrag zur österreichischen Strafrechtsgeschichte“ (auch in der genannten Zeitschrift, 1841 u. 1844) vor. Der Grund für diese Zurückhaltung scheint uns weder in den öffentlichen Zeitverhältnissen noch in der Zersplitterung von Hye’s Arbeitskraft in dem Vielerlei seiner Geschäfte zu liegen. Was zunächst die Censurverhältnisse betrifft, so haben diese in den dreißiger und vierziger Jahren das Erscheinen mancher criminalistischen Schriften von anderer Seite nicht gehindert und außerdem wäre H. gewiß mehr als jeder andere geeignet gewesen, solche Hindernisse zu überwinden. Was aber die Muße und die Geistesconcentration anbelangt, so hat H. es in den fünfziger Jahren verstanden, sich diese Bedingungen des litterarischen Schaffens, trotz der Vereinigung der Professur mit einer umfassenden Thätigkeit im Ministerium, zu erobern, es hätte ihm also die Kraft hierzu in jüngeren Jahren gewiß noch weniger gefehlt. Der entscheidende Punkt scheint uns darin zu liegen, daß H. den Ausgangspunkt für sein litterarisches Wirken in dem praktischen Schaffen fand. In den fünfziger Jahren, als H. im Justizministerium an den großen strafrechtlichen Codificationen schaffend betheiligt war, da schlossen sich an diese legislativen Schöpfungen auch seine großen litterarischen Arbeiten an; sich rein theoretische Probleme zu stellen, lag sichtlich weniger in seiner Art.
[531] Auch den politischen Strömungen des Vormärz scheint H. trotz aller Regsamkeit des Geistes ferner gestanden zu sein. Wol verleitete ihn die jedem momentanen Eindruck zugängliche Lebhaftigkeit seines Wesens, sich bei einer Doctordisputation am 18. December 1846 über die Occupation Krakaus durch Oesterreich in einer so freimüthigen Weise zu äußern, daß sie ihn sogar in Conflict mit den höchsten Stellen brachte; von einem planmäßigen Eingreifen in die politische Bewegung, wie etwa von einer Betheiligung an der censurflüchtigen publicistischen Litteratur jener Tage ist nichts bekannt. Ja noch mehr, als die Vorläufer der Märztage sich schon bemerkbar machten und in Hye’s nächster Umgebung, so im juridisch-politischen Lesevereine, die bekannte Adressenbewegung entstand, da hielt sich H. dem nicht nur gänzlich ferne, sondern das Unternehmen wurde von ihm sogar als ein unstatthaftes entschieden bekämpft. H. gehörte sichtlich zu denjenigen, welche durch den plötzlichen Ausbruch der März-Ereignisse überrascht wurden, und dies macht es psychologisch nur um so erklärlicher, daß die Bewegung, welcher sich H. anfänglich entgegenstellen wollte, ihn, den leicht beweglichen, dem Enthusiasmus stets zugänglichen Mann, alsbald mit sich fortriß.
Am 12. März 1848 war H. von dem Professorencollegium dazu ausersehen, die Studentenversammlung in der Aula durch die Macht seiner Popularität von dem geplanten Schritte einer Adresse an den Kaiser abzuhalten. Er that es, wie alle Zeugnisse besagen, mit der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit, das Schlußergebniß aber war das seiner ursprünglichen Absicht gerade entgegengesetzte. Von der Begeisterung der Jugend überwältigt gab H. schließlich nicht nur selbst seine Zustimmung zu der Studentenpetition (nur die individuelle Fertigung unterblieb infolge seiner Einwirkung), sondern übernahm es sogar (im Verein mit Professor Endlicher), die Petition in der Hofburg zu überreichen. Und als am Morgen des nächsten Tages die von ihm überbrachte Antwort des Kaisers die Aufregung der Studenten nicht beruhigte, da erschöpfte er sich wol noch in den angestrengtesten, erfolglosen Versuchen, die Studenten von dem Zuge zum Landhause abzuhalten; sowie aber dort die ersten Schüsse gefallen waren, da erschien er am Nachmittage wieder in der Aula und übernahm es, jetzt mit dem Rector an der Spitze, die tumultuarischen Wünsche der akademischen Jugend vor den Thron zu bringen, um am späten Abend mit der ersten Errungenschaft der Revolution, nämlich der Bewilligung der Studentenbewaffnung, auf die Universität zurückzukehren.
Diese Haltung Hye’s in der Märzbewegung hat die verschiedenste Beurtheilung erfahren; die Erklärung ist aber unseres Erachtens psychologisch leicht zu finden. Wer H. auch nur in den späten Tagen seines Leben kennen gelernt, wie der Schreiber dieser Zeilen, der mußte sich sofort darüber klar werden, daß diesem Manne mit dem überquellenden Herzen keine Aufgabe unmöglicher sein konnte, als jene, dem Strome der Begeisterung gegenüber unerschütterlich bei dem einmal eingenommenen Standpunkte zu verharren; wer H., den geborenen Sanguiniker, auch nur bei anderen Anlässen beobachten konnte, den konnte es, wenn ihm selbst die Analogien anderer Revolutionen nicht bekannt gewesen wären, gerade bei H. nicht befremden, daß der ursprüngliche Gegner der Strömung im jähen Umschwung der Dinge an der Spitze der Märzbewegung stand.
H. war damals mit einem Schlage der Mann des Tages, er stand auf dem Gipfel der höchsten Popularität. So sehen wir ihn sofort als Commandanten an der Spitze der bewaffneten Studentencorps, er ward in den provisorischen Gemeindeausschuß Wiens und in den verstärkten Ausschuß der n. ö. Stände berufen, und seine Berufung zum Vertrauensmann bei dem deutschen [532] Bundestage scheiterte nur daran, daß er der voraussichtlichen Berufung in das Gremium des Justizministeriums den Vorzug gab. Wie wenig H. aber trotz aller Begeisterungsfähigkeit des Moments bei der Bewegung des Tages in seinem Elemente war, das zeigt uns nicht etwa der Conflict, in welchen er, wie wir sehen werden, zu den späteren Entwicklungen des Mai gelangte, nein, das tritt unseres Erachtens am deutlichsten dadurch zu Tage, daß H. schon am 19. März, als die Studentenbewaffnung mit der Organisirung der akademischen Legion ihren Abschluß fand, das Commando niederlegte, und zwar mit der Aufforderung an die Studenten, zu den Studien zurückzukehren. In die Politik des Tages einzugreifen, die Massen im politischen Kampfe zu führen, dazu war im Wien des Jahres 1848 für Niemanden die Gelegenheit günstiger als für den Commandanten der akademischen Legion; wenn H. der Verlockung dieser Stellung widerstand, so beweist dies wol unwiderleglich, wie weit entfernt seiner im Grunde autoritativen Natur die Mission des politischen Agitators war. Das Eingreifen in die Märzbewegung ist daher, obwol Hye’s Name mit diesem historischen Momente dauernd verknüpft bleibt, in seinem Leben doch nicht mehr als eine Episode; das Jahr 1848 bedeutet in Hye’s Entwicklung wol einen Umschwung, es drängt ihn über das Lehramt hinaus zur Bethätigung im öffentlichen Leben, aber nicht die Sphäre des politischen Volksmanns, sondern jene der vorwaltend bureaukratischen Thätigkeit ist es, in welche im bezeichnenden Verlaufe sein weiterer Lebensgang führt. Ja, selbst die Verknüpfung der Beamtenstellung mit jener des Abgeordneten, welche in Oesterreich nicht nur im J. 1848, sondern auch später, nach 1861, so häufig war, hat bei H. niemals Platz gegriffen.
Daß H. das Mandat für die Frankfurter Nationalversammlung nicht annahm, mit welchem ihn die Wähler des Mühlkreises in Oberösterreich betrauten, findet in der Verknüpfung Hye’s mit den Ereignissen in Wien seine Erklärung; die Wahl zum constituirenden Reichstag in Kremsier, welche in Leoben am 3. März 1849 auf H. fiel, erfolgte zu spät, um noch ausgenützt zu werden; allein auch nach 1861 finden wir bei H. wol manchen schüchternen Versuch, die politische Arena zu betreten, aber niemals eine offene Candidatur im politischen Parteikampfe. Diese auf den ersten Blick überraschende Erscheinung findet nach unserer Auffassung gleichfalls in Hye’s Persönlichkeit ihre volle Erklärung. Es fehlten eben H. nicht nur die Eigenschaften zum Oppositionsmann, sondern vielleicht mehr noch jene zum rücksichtslosen Parteimann; mit der Vielseitigkeit und Beweglichkeit seines geistigen Wesens vertrug sich die Enge des Parteistandpunktes auf die Dauer nicht, und die Unfähigkeit seines Herzens, zu hassen, schloß eine tiefgehende und unerbittliche politische Gegnerschaft aus.
Die bureaukratische Thätigkeit, in welche H. im Jahre 1848 trat, war zunächst nur jene des Vertrauensmannns der Regierung, zumal seines alten Gönners Sommaruga, welcher vom 23. März an das Ministerium des Unterrichtes und vom 22. April an zugleich jenes der Justiz führte. Wir glauben nicht fehlzugehen, wenn wir uns H. bei allen legislativen Arbeiten lebhaft betheiligt denken, welche in den zwei genannten Ministerien oder im Ministerium des Innern während der Flitterwochen der neuen Aera gepflogen wurden; der Bericht, welchen H. über die Wirksamkeit des Ministeriums Sommaruga in späteren Tagen (3. u. 5. Januar 1849) in der Wiener Zeitung erstattete, stimmt mit dieser Auffassung vollkommen überein. So kam ihm auch die Aufgabe zu, das neue Preßgesetz vom 1. April in der Aula zu vertheidigen, und hiermit – das Gesetz wurde bekanntlich zurückgezogen – seine Popularität zum ersten Male der Erschütterung preiszugeben.
[533] Am 2. Mai fand Hye’s förmliche Ernennung zum Generalsecretär des Justizministeriums statt. In dieser für ihn eigens geschaffenen Stellung sollte er dem Minister unmittelbar zur Seite stehen und sichtlich nur mit den großen Aufgaben des Ministeriums betraut sein; er verblieb daher auf sein ausdrückliches Verlangen zugleich in der Professur, und das Ministerialrathsgehalt, welches er bezog, wurde auf die zwei betheiligten Ressorts aufgetheilt. Es war dies eine Combination, welche offenbar Hye’s innersten Wünschen entsprach, und daß dieselbe mit Entlastung des Staatsschatzes durchgeführt worden sei, daß er eine der zwei Stellungen im Grunde unentgeltlich versehen habe, dies war der Standpunkt, welchen er hierbei stets mit Stolz und Zähigkeit verfocht.
Diese Doppelstellung, an der Universität und im Ministerium, hatte aber nothwendig zur Folge, daß H. von der weiteren Entwicklung der Wiener Bewegung nicht unberührt bleiben konnte. Als sich das Ministerium nach den bekannten Mai-Ereignissen, welche zur Entfernung des Kaisers von Wien geführt hatten, zu einem energischen Eingreifen gegen die Bewegungspartei aufraffen wollte, da ward H. der entscheidenden Ministerrathssitzung als Vertrauensmann zugezogen und er, der Führer der akademischen Jugend im März, konnte jetzt nicht umhin, seine Stimme für die Schließung der Universität und die Auflösung der akademischen Legion als Sondercorps zu erheben. Nach den uns vorliegenden Materialien that H. dies mit der ganzen Lebhaftigkeit seines Wesens. Er wollte den Augenblick der politischen Depression nach der Entfernung des Kaisers entschlossen benützen zu einem unvermittelten Act der Autorität, und wenn die Ausführung der damals beschlossenen Maßregeln eine zögernde war, wenn sie, wie wir glauben, wesentlich deßhalb mißlang, so trifft H. daran keine Schuld. Für uns steht H., im Gegensatz zu einer viel verbreiteten Meinung, gerade in seiner Haltung der Maibewegung gegenüber auf der Höhe der politischen Situation; er ist durch die Bekämpfung der über ihren Ursprung weit hinausgewachsenen Bewegung seinen Gesinnungen in keiner Weise untreu geworden und, wie man endlich über die politische Frage urtheilen möge, er hat sich hier als ein Mann von Muth und Unerschrockenheit erwiesen.
Die Mission, welche H. am 26. Mai als Delegirter des Ministeriums (in Gemeinschaft mit Professor Endlicher) vollziehen sollte, ist bekanntlich gescheitert, Wien sah damals die ersten Barrikaden, das Ministerium wich zurück und der Sicherheitsausschuß wurde gebildet. Natürlich mußte nun der Unwille der siegenden Partei sich in erster Linie auf jenen Mann entladen, welcher bei der Ausführung der gescheiterten Action im Vordergrunde gestanden hatte, und H. selbst konnte sich darüber keiner Täuschung hingeben, wohin seine Popularität gerathen war, als er am 26. Mai – es war sein 41. Geburtstag – auf einer Barrikade sein eigenes Bildniß mit entsprechender Inschrift erblickte. Der Sicherheitsausschuß hatte auch alsbald die Verhaftung Hye’s und einiger anderer „Verräther“ an der Volkssache beschlossen, und es ward H. von befreundeter Seite dringend nahegelegt, sich gleich anderen Verfehmten der Verhaftung durch die Flucht zu entziehen. H. schlug den entgegengesetzten Weg ein, er stellte sich dem Sicherheitsausschuß selbst und ward sonach, unter Mitwirkung der Regierung, vor das Strafgericht gestellt, welches nach einem besonderen, für den Fall geschaffenen öffentlichen Verfahren über die von den Vertretern des Sicherheitsausschusses erhobene Anklage richten sollte. H. hat über diesen Proceß in seinen bekannten Vorträgen über das Schwurgericht selbst ausführlich berichtet und stets hob er es mit Stolz als ein leuchtendes Beispiel der Unabhängigkeit der Berufsrichter von den politischen Strömungen hervor, daß die Richter damals, dem Terrorismus [534] des Tages trotzend, einstimmig den Freispruch fällten. Und auch eine weitere Untersuchung, welche über sein Verhalten an dem kritischen Tage (beziehungsweise wegen der Herbeirufung des Militärs) eingeleitet wurde, endete zu seinen Gunsten; die Wiener Zeitung vom 10. Juni veröffentlichte das von dem Sicherheitsausschuß gefertigte Schuldlosigkeitszeugniß.
Diese Kundmachung traf H. nicht mehr in Wien. Der vor kurzem so gefeierte Mann war für den Augenblick nicht nur eine gefallene Größe, sondern seine Anwesenheit in Wien scheint sogar der Regierung ungelegen gewesen zu sein; er sah sich daher veranlaßt, sich für kurze Zeit in seine oberösterreichische Heimath zu begeben. Allein auch nach seiner Rückkehr stellten sich die früheren Amtsverhältnisse nicht mehr ein. Auf Antrag des neuen Justizministers (Bach) wurde vielmehr mit Allerhöchster Entschließung vom 25. August das Generalsecretariat aufgelassen, H. unter Vorbehalt des Ranges und Charakters eines Ministerialrathes und des Rücktrittes zur Professur von dem Posten des Generalsecretärs enthoben und nur seine außerordentliche Verwendung zu legislativen Arbeiten des Justizministeriums gestattet; zudem geschah dies alles zunächst ohne amtliche Verlautbarung (die Wiener Zeitung brachte die Allerhöchste Entschließung erst am 2. Januar 1849), es sollte sichtlich von dem unpopulär Gewordenen nicht viel die Rede sein. H. erhielt u. A. den Auftrag zur Ausarbeitung einer Strafgesetznovelle, bezw. eines vollständigen Strafgesetzentwurfes, er hatte aber sein Bureau im Justizministerium zu räumen und nach Ablauf eines dreiwöchentlichen Urlaubs, welchen er im September als Delegirter der Wiener Universität zum deutschen Professorencongreß in Jena erhalten, wurde ihm sogar gestattet, seine legislativen Arbeiten an einem beliebigen Orte fortzusetzen. Er begab sich, von Jena zurückgekehrt, in sein elterliches Haus nach Garsten in Oberösterreich und war aus diesem Grunde während der October-Ereignisse von Wien entfernt.
Als nach Abschluß der Octobertage an alle von Wien abwesenden Beamten die Aufforderung erging, auf ihre Stellen zurückzukehren und ihre Abwesenheit zu rechtfertigen, fiel sonach H. diese Rechtfertigung nicht schwer; seine Abwesenheit wurde mit Decret des Justizministeriums vom 16. November ausdrücklich als eine legale anerkannt, nur wurde auch ihm mit Rücksicht auf die geänderten Ministerialverhältnisse eine baldige Rückkehr nahegelegt. H. kehrte nunmehr sofort nach Wien zurück und ging, durch die wechselvollen Erlebnisse der letzten Zeit in keiner Weise gedrückt, mit dem Feuereifer seiner Natur an die Aufgaben seiner Doppelstellung. Es fehlte dabei nicht an Schwierigkeiten, im Ministerium eine feste amtliche Stellung zu gewinnen. Zunächst nur bei der Berathung der zahlreichen Gesetzentwürfe verwendet, welche sich in den ersten Monaten der „Neugestaltung Oesterreichs“ drängten, erreichte H. die förmliche Einreihung in den Stand des Justizministeriums erst mit seiner Ernennung zum Bureauvorstande des nach seinem Antrage geschaffenen Reichsgesetzblattes (14. April 1849), und auch da kostete es noch Kämpfe um die bureaukratische Rangstellung innerhalb des Ministeriums. Zu einer einflußreichen Wirksamkeit im Ministerium gelangte H. erst, als Freiherr v. Krauß an die Spitze desselben trat (23. Januar 1851, nach dem Rücktritte R. v. Schmerling’s).
Was die Epoche Krauß betrifft, so sind zwei der größten legislativen Werke des Justizministeriums aus dieser Zeit unbestritten aus Hye’s Feder geflossen, nämlich das Strafgesetzbuch vom 27. Mai 1852 und die Strafproceßordnung vom 29. Juli 1853; hierüber ist daher des Näheren zu sprechen.
Das Strafgesetz konnte nach seiner ganzen Anlage kein schöpferisches Werk sein. Es galt vor allem eine politische Aufgabe zu lösen, nämlich die Rechtseinheit auf dem Gebiete des Strafrechts für das ganze Kaiserthum zu schaffen, [535] und zu einer raschen Durchführung dieser Aufgabe war die Revision des alten österreichischen Strafgesetzbuches von 1803 und die Uebertragung desselben auf Ungarn das geeignetste Mittel.
Anders stand es mit der Strafproceßordnung. Hier hatte die Gesetzgebung nach 1848 mit dem Gesetze vom 17. Januar 1850 sofort eine neue, moderne Ordnung (nach den Grundsätzen des Anklageprincips, der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, der freien Beweiswürdigung und des Schwurgerichts) geschaffen, welche, von anderer Seite (von Würth’s) kommend und von H. nur mitwirkend beeinflußt, in ihrer Geltung auf die nicht-ungarischen Länder beschränkt war. Als nun die Centralisation in den nächsten Jahren weiter griff, da erwies sich die einfache Uebertragung der St. P. O. von 1850 auf die ungarischen Länder schon aus dem Grunde als unthunlich, weil mittlerweile mit der Aufhebung der Märzverfassung von 1849 der Gesetzgebung auch auf dem Gebiete des Strafprocesses neue Bahnen angewiesen worden waren. In den „Grundsätzen für die organischen Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates“ vom 31. December 1851 erschien das Anklageprincip auf die Verhandlungen vor den Collegialgerichten beschränkt, die Mündlichkeit ebenfalls nur hier und auch da nur im Schlußverfahren zugelassen, das Recht der Oeffentlichkeit principiell ausgeschlossen, das Schwurgericht beseitigt; es mußte daher ein wesentlich neues Gesetz geschaffen werden und als das stellt sich die St. P. O. vom 29. Juli 1853 dar. Wenn dieses Gesetz vielfache Angriffe erfahren hat, so galten diese in erster Linie nicht der Gesetzestechnik im Detail, sondern jenen Grundsätzen, welche, wie wir eben gesehen, als bindende Richtschnur vorgezeichnet waren. Daß H. sich der Aufgabe unterzog, auf diesem Grunde zu bauen, kann ihm umsoweniger zum Vorwurfe gemacht werden, als wenigstens der Hauptpunkt dieser Directiven, die Beseitigung des Schwurgerichtes, mit den von ihm stets vertretenen Anschauungen übereinstimmte. Von jedem Standpunkte aus muß endlich die Raschheit anerkannt werden, mit welcher sich der große legislative Schritt vollzog. Die staatliche Anerkennung hat hier auch nicht gefehlt; H. erhielt nach Abschluß der großen strafgesetzlichen Arbeiten das Ritterkreuz des Leopoldordens und ward hierauf (2. Juli 1854) in den Ritterstand erhoben (mit dem an das heimathliche Gleink erinnernden Prädicate Glunek).
Der Name Hye’s bleibt mit diesen legislativen Schöpfungen aber nicht nur durch die Autorschaft, sondern auch noch durch die litterarische Bearbeitung verknüpft. An das Erscheinen des Strafgesetzes von 1852 schloß sich sofort sein großangelegter Commentar desselben an („Das österreichische Strafgesetzbuch“, Wien, Manz 1852–1855), den Strafproceß von 1853 begleitete er durch eine kürzere Darstellung seiner leitenden Grundsätze („Die leitenden Grundsätze der österreichischen Strafproceßordnung“, Wien, Manz, 1854).
Der Commentar des Strafgesetzes ist über den ersten Band nicht hinausgelangt und auch dieser Band reicht, obwol er mit seinem Umfang (von über 900 Seiten) den für das ganze Werk geplanten überschreitet, nur bis zum § 75 des Gesetzbuchs; das Werk ist also nicht nur ein Torso geblieben, sondern es springt auch das Mißverhältniß von Anlage und Ausführung in die Augen. Das Werk ist, wie ein begeisterter Schüler Hye’s von der Lehrkanzel aus einst sagte, kein Commentar, sondern eine strafrechtliche Encyklopädie an der Hand des Gesetzes, und auch dann stört, wie wir beifügen möchten, mitunter die Ueberfülle des Gebotenen und die Breite der Darstellung; an Reichthum des Inhalts, an Vielheit der Anregungen wird das Buch aber kaum zu übertreffen sein. Die Ausarbeitung des Riesenbandes in kürzester Zeit läßt sich nur dadurch erklären, daß sich in ihm das Resultat einer zwanzigjährigen Lehrthätigkeit niedergelegt findet, und das Werk bleibt daher, wenn auch unvollendet, ein [536] classisches Denkmal der vormärzlichen österreichischen Jurisprudenz auf criminalistischem Gebiete. Aus äußeren und aus inneren Gründen ist es sonach begreiflich, daß der Commentar mehr genannt und gefeiert wurde als die einheitlicher gedachten und durchgearbeiteten und daher auch zu Ende geführten Grundsätze der St. P. O.
Bei dem colossalen Umfange des Commentars läge es nahe, hierin den Grund des vorzeitigen Abschlusses zu suchen; bei der Cumulirung der Referententhätigkeit im Ministerium mit vielfachen anderen Aufgaben mußte, so möchte man meinen, die Zeit zu einer so extensiven Schriftstellerthätigkeit fehlen. Im Widerspruch mit dieser Auslegung hat H. selbst als den Grund der Sistirung des Commentars gerade die 1854 erfolgte Beseitigung der Aemtercumulirung bezeichnet; durch die Enthebung von der Professur in diesem Jahre sei ihm die Arbeit an dem Commentar verleidet worden. Und hiermit kommen wir zu der letzten Phase von Hye’s Wirksamkeit als Professor.
Die Stellung Hye’s als Universitätsprofessor hatte infolge der Ereignisse von 1848 eine Beeinträchtigung nicht erfahren. Mit dem Beginn des Studienjahres 1849 vollzog sich in der Professur wol insofern eine Veränderung, als von der Lehrkanzel des Kriminalrechtes das Lehrfach der Rechtsphilosophie abgetrennt und statt der letzteren der zweite Theil des Strafgesetzes (über schwere Polizeiübertretungen) ihr zugewiesen wurde. Diese von dem Professoren-Collegium beantragte Zusammenziehung des gesammten Strafrechtes in einer Hand entsprach aber offenbar nur Hye’s eigenen Wünschen, und wie lebhaft er sofort seine neue Aufgabe ergriff, zeigt der Umstand, daß von ihm schon im nächsten Jahre (1850) das berühmte Werk des bisherigen Vertreters des Polizeistrafrechtes (Kudler) über das „Strafgesetz über schwere Polizeiübertretungen“ in neuer (6.) und zwar mit den Gesetzesnachträgen bis zum 15. März 1850 vermehrter Auflage herausgegeben wurde. Nach wie vor galt Hye’s Stimme in allen Universitätsangelegenheiten in hervorragendem Maße; von Seite des Universitätsconsistoriums wurde er zu der im J. 1850 geplanten (später abgesagten) deutschen Docenten-Versammlung in Heidelberg delegirt, von Seite des Unterrichtsministeriums wurde er bei den wichtigsten Reformberathungen vor der juridischen Studienorganisation von 1850 zugezogen und schließlich bei der Einführung der letzteren mit dem wichtigen Amte des Präses der judiciellen Staats-Prüfungscommission betraut. Nur im Sommersemester 1852/1853 wurde H. auf sein Ansuchen von den Vorlesungen dispensirt, sonst hat er seines akademischen Amtes sichtlich voll und ganz, und zwar mit dem ihm eigenen Interesse auch für die kleinen Functionen des Berufes gewaltet. Als Beweis hierfür sei nur die bezeichnende Thatsache erwähnt, daß er bei der neuen Ordnung der Theilnahme an den Rigorosen von 1852/3 an sich das Recht der Theilnahme an allen Rigorosen und Disputationen wahrte und nur seine Bereitwilligkeit erklärte, mit Rücksicht auf einige Collegen einen Theil seiner Berechtigung auf sich beruhen zu lassen. Wie sehr sich H. endlich innerlich mit dem Collegium verbunden fühlte, zeigen seine 1848 und 1849 veröffentlichten pietätvollen Nekrologe nach den Professoren Winiwarter und Jenull; nur zu dem Nachrufe nach Egger, zu welchem er in erster Linie berufen gewesen wäre, ist er leider – hier scheint die Zeit doch versagt zu haben – nicht gekommen.
Mit dem Ministerialerlasse vom 18. August 1854 wurde aber (auf Grund der Allerhöchsten Entschließungen vom 6. und 16. August 1854) eine allgemeine Maßregel ins Werk gesetzt, welche Hye’s akademischer Wirksamkeit ein jähes Ende bereitete. Durch die bezeichneten Allerhöchsten Entschließungen war angeordnet worden, daß „die Cumulirung einer Professur mit einem nicht [537] systemmäßig damit verbundenen systemisirten Posten in einem anderen Zweige des Staatsdienstes unzulässig sei“, und infolge dessen wurde H. nicht nur von der Professur, sondern auch von dem Präsidium der Staats-Prüfungscommission enthoben. Die Enthebung gab sich selbst, wie gesagt, als Folge einer allgemeinen Maßregel; in den bezüglichen Enthebungsdecreten wird demgemäß der Wirksamkeit Hye’s in diesen Stellungen in der rühmlichsten Weise gedacht. Trotzdem wurde vielfach angenommen, daß die ganze Action nur auf H. gemünzt gewesen sei, und H. selbst war von dieser Ueberzeugung durchdrungen; die in gleicher Situation befindlichen Professoren seien durch eine gleichzeitige Allerhöchste Entschließung von der Anwendung der Norm ad personam befreit worden und bei H. allein habe man die Norm zur Anwendung gebracht. Sicher ist, daß der Unterrichtsminister wenigstens insoweit, als er auch Hye’s Enthebung von dem Präsidium der Prüfungscommission verfügte, über die kaiserliche Entschließung hinausging; überdies reicht auch die Motivirung des Ministerialdecrets, daß das Amt des Präses in den Händen eines Professors liegen solle, kaum aus, um die überstürzte Form der Enthebung zu rechtfertigen (das Decret war vom 29. September datirt, am 1. October sollte schon der Nachfolger fungiren). Es scheint sonach an individuellen Momenten hier in der That nicht gefehlt zu haben, und als die wahrscheinlichste Erklärung erscheint uns die, daß bei der damals angebahnten neuerlichen Reform der juridischen Studien, welche die rechtshistorischen Disciplinen in den Vordergrund stellen sollte, H. als Vertreter der naturrechtlichen Schule der alten österreichischen Jurisprudenz sich in lebhafter Opposition gegen die Absichten des Ministeriums befand. Es mag wol der Widersacher im Professoren-Collegium mehr gegeben haben; bei H. war aber vermöge seiner Doppelstellung die Entfernung vom Lehramte am leichtesten durchzuführen und mit ihm war zugleich ein bedeutsamer, zum Redekampfe stets bereiter Opponent beseitigt. In diesem Zusammenhange betrachtet, läßt sich auch der scharf polemische Charakter der Vorrede zu dem letzten Hefte des Commentars (vom April 1855) unschwer erklären.
H. war das Haupt einer zahlreichen Familie (er besaß, nach dem Tode einer Tochter, noch vier Kinder, theilweise aus der ersten, theilweise aus der nach dem raschen Verluste der ersten Frau am 26. Juli 1843 mit dem jungen Fräulein Eugenie Grünwald geschlossenen zweiten Ehe); er ward daher durch die mit dieser Maßregel verknüpften materiellen Folgen, namentlich durch den Verlust der Collegiengelder gewiß empfindlich getroffen, wie sein Gesuch aus dem Jahre 1856 um Befreiung von der Einkommensteuer für den Collegiengeldbezug von 1851/54 deutlich zeigt. H. hat aber auch später, als die materiellen Wirkungen nicht mehr fühlbar sein konnten, den Schlag, welcher ihn von der heißgeliebten akademischen Wirksamkeit dauernd trennte, niemals verwunden.
Von 1854 an war also Hye’s amtliche Thätigkeit auf das Justizministerium beschränkt, seine Arbeitslust konnte aber an die Schranken des Amtes nicht gebannt werden, sondern blieb über diese Grenzen hinaus nach verschiedenen Richtungen lebendig. Wol gab er, wie wir gesehen, verstimmt die Fortsetzung seines litterarischen Hauptwerkes auf; allein, gleichwie er die zu Neujahr 1854 (im Vereine mit Arnold und Schwarze) übernommene Herausgabe des „Gerichtssaals“ (Erlangen, Enke) fortführte, so schritt er im Jahre 1855 sofort zu einem neuen litterarischen Unternehmen, nämlich zu einer „Sammlung der Justizgesetze“, welche eine Art Fortsetzung der alten, unter Hye’s Redaction mit den zwei Bänden pro 1835–1848 abgeschlossenen amtlichen Justizgesetzsammlung bilden sollte. Diese legistische Sammelthätigkeit stand im Einklang mit, wie [538] wir oben gesehen, von Jugend an gepflegten Neigungen, welche sich überraschender Weise mit einer sonst von der Phantasie beherrschten geistigen Anlage paarten. Sie ist aber auch ein weiterer Beweis dafür, daß H. jeder amtlichen Stellung eine Gelegenheit zu ausgedehnterer Thätigkeit abzugewinnen, daß er jede pflichtmäßige Aufgabe durch das Feuer seiner Persönlichkeit auf ein höheres Niveau zu heben wußte. Wer in den Briefwechsel Hye’s aus jenen Tagen Einsicht nehmen kann, der begegnet überall, sowol innerhalb als außerhalb Oesterreichs, den Zeichen warmer Anerkennung, einer Anerkennung, die dadurch nicht beeinträchtigt wird, daß sich mit ihr, zumal aus Deutschland, die Kundgebungen lebhaften Interesses für die Neugestaltung Oesterreichs im allgemeinen wie seines Studienwesens im besonderen verknüpfen; sichtlich steht H. in dieser Phase seines Lebens auf dem Höhepunkte seines Schaffens, mag er auch später zu noch größeren Ehren emporgestiegen sein.
Trotzdem verzögerte sich das weitere Aufsteigen auf der bureaukratischen Stufenleiter, und zwar sichtlich deshalb, weil die Erinnerungen an das Jahr 1848 H. in den Augen des Absolutismus als eine politisch nicht ganz verläßliche Persönlichkeit erscheinen ließen. Im J. 1857 war infolge der Berufung des Sectiontschefs Freiherrn von Lichtenfels in den ständigen Reichsrath die Leitung der legislativen Section des Justizministeriums in die Hände Hye’s als des rangältesten Ministerialraths dieser Section übergegangen, allein die Ernennung zum Sectionschef wurde 1857 nicht vollzogen und auch 1858 nicht, obwol der neuernannte Justizminister (Graf Nadasdy) ebenso warm wie sein Vorgänger für H. eintrat; erst im J. 1859 (8. Mai) wurde H., nach Ueberwindung der nicht näher bekanntgegebenen Anstände, zum wirklichen Sectionschef ernannt.
Bei der Beurtheilung dessen, was H. 1857–1861 als Leiter der legislativen Section gewirkt, wird die Kritik natürlich jene Schranken nicht übersehen können, welche jeder bureaukratischen Thätigkeit gezogen sind, und es hat dies gerade H. selbst für seine Wirksamkeit energisch verlangt (so namentlich in der Apologie seiner amtlichen Thätigkeit im „Wanderer“ vom 22. December 1860). Immerhin wird man mit der Annahme nicht irregehen, daß H., aus dessen Feder nach einem autoritativen Zeugnisse schon vor 1857 der größere Theil der legislativen Arbeiten des Justizministeriums geflossen, als Chef der legislativen Section von 1857–1861 den entscheidendsten Einfluß auf die ganze Justizgesetzgebung geübt haben muß. Von den Schöpfungen jener Zeit, welche durch den Gang der politischen Entwicklung bestimmt waren, nennen wir vor allem die Einleitung der Judenemancipation im J. 1860; von den Schöpfungen justiztechnischen Belanges wären wol insbesondere das Marken-und Musterschutzgesetz, die Verordnung über die cumulativen Waisenkassen und über das kaufmännische Vergleichsverfahren bei Zahlungseinstellungen hervorzuheben. Namentlich, was das letztere betrifft, bezeugt ein besonderes Dankschreiben des Finanzministers Bruck, daß nur die Thatkraft Hye’s die rasche Zustandebringung der vom Moment erheischten Maßregel bewirkt habe, welche sich, wie Bruck meinte, als wahre Wolthat erweisen werde. Die weitere Entwicklung hat dieses Urtheil zwar nicht ganz bestätigt. Es wäre auch bei Hye’s Naturell von vorneherein leicht denkbar, daß er in dem Bestreben, das unter den Kriegsstürmen des Jahres 1859 aus dem Zusammenbruch der Firma Eskeles für die österreichische Geschäftswelt drohende Unheil abzuwehren, von seinem bei jedem Unglück hilfsbereiten Temperamente hingerissen wurde, in dem legislativen Eingreifen über der Noth der Schuldner die Interessen der Gläubiger zu übersehen. Für den Kern von Hye’s Action bleibt aber der Umstand ein gewichtiges Zeugniß, daß, als im Jahre 1862 das Parlament die [539] Beseitigung des Vergleichsverfahrens in Bausch und Bogen stürmisch verlangte, die Regierung, auf welche er damals keinen Einfluß mehr hatte, sich dem mit Erfolg widersetzte, sodaß die Rückkehr zu dem früheren Zustande nie mehr vollständig erfolgte.
Hiermit haben wir einen neuen Wendepunkt in Hye’s Leben berührt; Hye’s Stellung als Chef der legislativen Section war dem politischen Umschwung im J. 1861 zum Opfer gefallen. Als in dem Ministerium Schmerling Freiherr v. Pratobevera die Leitung des Justizministeriums übernahm, war es einer seiner ersten Schritte, sich mit neuen Männern in der Leitung der Sectionen zu umgeben, und da bei Hye’s Arbeitsrüstigkeit eine Pensionirung doch unthunlich war, so wurde der Ausweg gefunden, ihn unter Enthebung von der Leitung der legislativen Section ausschließlich mit der Ausarbeitung eines neuen Strafgesetzentwurfes zu beauftragen. In diesem Sinne erfloß die Allerhöchste Entschließung vom 16. Februar 1861 unter Anerkennung der von H. „mit großem Eifer bisher geleisteten Dienste“. Diese Maßregel wäre an sich aus politischen Motiven allein ganz erklärlich. In der neuen liberalen Aera mochte es als unzulässig erscheinen, im Ministerium an leitender Stelle eine Persönlichkeit zu belassen, welche, um das damals beliebte Schlagwort zu wiederholen, ein Werkzeug des Absolutismus gewesen war. Hatte H. früher als revolutionär anrüchig gegolten, so war er jetzt dem correcten Liberalismus verdächtig. Nach den uns zu Gebote stehenden Materialien scheinen aber die politischen Beweggründe nicht allein bestimmend gewesen zu sein; es scheint uns vielmehr zugleich der Umstand berücksichtigungswerth zu sein, daß zu den Männern, welche jetzt die erste Rolle im Ministerium spielen sollten, gerade jene gehörten, mit denen 1848 und 1849 die obenerwähnten Rangs-Rivalitäten bestanden hatten.
Wie dem aber auch sei, und wie schmerzlich H. auch die Maßregel empfand, welche selbst in kleinen äußerlichen Dingen, z. B. in der Bureauanweisung sich als Zurücksetzung geltend machte, niedergedrückt, in seiner Schaffenslust gehemmt wurde H. auch diesmal nicht; in grollende Zurückhaltung ist nämlich H. bei seinem sanguinischen, rasch vergebenden Temperament niemals verfallen, auch dann nicht, wenn sie gewöhnlich veranlagten Naturen leicht begreiflich erschienen wäre.
Was zunächst seine Hauptaufgabe, die Strafgesetzrevision betraf, so war dieselbe schon im Sommer 1863 in zwei Varianten (einem vollständigen Strafgesetz und einem Particulargesetzentwurf) vollendet, so daß von da an bis in das Jahr 1865 die Ministerialberathungen gepflogen werden konnten. Er erreichte es sodann (Dr. Hein war mittlerweile Justizminister geworden), daß er in den Jahren 1864 und 1865 mit dem Vorsitz in der gemischten Ministerialcommission für den bei dem deutschen Bundestage ausgearbeiteten Entwurf eines Autorrechtsgesetzes betraut wurde. Und schließlich benutzte er diese Jahre relativer Freiheit im Amte sofort, um wieder mehr in das öffentliche Leben zu treten. In dem Wiener „Verein zur Uebung gerichtlicher Beredsamkeit“ hielt er damals (1863) seine berühmten „Vorträge über das Geschwornengericht“, welche mit ihrer entschiedenen Verurtheilung dieses Instituts nicht geringes Aufsehen hervorriefen und nach ihrem Erscheinen im Druck (Wien 1864) die Veranlassung zu vielfacher litterarischer Discussion gaben; es genügt, hierbei insbesondere auf Julius Glaser’s Schrift „Zur Juryfrage“ (Wien 1864) zu verweisen. An den deutschen Juristentagen nahm er in jenen Jahren (1862 in Wien, 1863 in Mainz) sogar als Referent lebhaften Antheil. Die schriftstellerische Thätigkeit wurde endlich mit frischer Kraft wieder aufgenommen; wir verweisen nur auf den großen Nekrolog nach Philipp [540] Freiherrn von Krauß, dem Finanzminister des Jahres 1848 (Wien 1861), die „Rhapsodieen über einige der dringendst nöthigen Reformen der österreichischen Justiz-Gesetzgebung und Justiz-Einrichtungen“ in der „Allg. österr. Gerichtszeitung“ (Juni und August 1864) und die Aufsätze über „entehrende Strafen“ in der „Gerichtshalle“ (November 1864). Ja, sogar der Gedanke an eine politische Wirksamkeit wurde, vielleicht infolge der Verleihung des Ehrenbürgerrechtes durch die Heimathgemeinde Gleink im März 1864, auf einen Moment lebendig; der Versuch einer Candidatur in Oberösterreich (um die Jahreswende 1864/65) liegt vor und scheint nur nicht bis zum Heraustreten an die Oeffentlichkeit gereift zu sein.
Im J. 1865 vollzog sich aber auch schon eine neue Wandlung in Hye’s amtlicher Stellung. Im Juli dieses Jahres war an die Stelle des Ministeriums Schmerling das Ministerium Belcredi getreten und der Justizminister desselben (Komers) eröffnete H. wieder einen größeren Wirkungskreis in der Justizverwaltung selbst. Unter Verleihung der Würde eines Geheimen Rathes (30. November 1865) wurde H. zu der (infolge der Lostrennung des Gefängnißwesens von dem Ministerium des Innern) neugeschaffenen Stelle eines General-Gefängnißinspectors berufen und erhielt damit eine Wirksamkeit, welche mit seinen frühesten wissenschaftlichen Interessen und Strebungen zusammenfiel.
Mit Feuereifer ging H. an diese neue Mission; die Reform des österreichischen Gefängnißwesens im Sinne der Milderung des Strafvollzugs und der Hervorkehrung der Besserungstendenz ist von H. schon in dieser Phase seines Wirkens eingeleitet worden. Es vergingen aber nicht zwei Jahre und bei dem raschen Wechsel der Systeme stand H. vor einer noch größeren Aufgabe, er war nämlich Justizminister und Leiter des Ministeriums für Cultus und Unterricht zugleich.
Nach dem Sturze des Sistirungsministeriums hatte bekanntlich Freiherr v. Beust die Zügel der Regierung in die Hand genommen, um den Ausgleich mit Ungarn zu bewerkstelligen und um in den nicht-ungarischen Ländern die sistirte Reichsvertretung wieder lebendig zu machen; er wollte dies durchführen mit der parlamentarischen Unterstützung der Verfassungspartei, aber, ohne derselben vorläufig einen Platz im Ministerium einzuräumen. Bei dieser Lage der Dinge handelte es sich im Sommer 1867 um die Bildung eines Uebergangsministeriums, und da war es sehr begreiflich, daß die Wahl auf H. fiel. Die Ernennung erfolgte mit Allerhöchster Entschließung vom 27. Juni. Während des denkwürdigen zweiten Halbjahres 1867, in welchem sich die tiefgreifende Verfassungsänderung Oesterreichs vollzog, befand sich H. als Träger zweier wichtiger Portefeuilles im Rathe der Krone, sein Name steht unter den Staatsgrundgesetzen vom 21. December 1867.
Die Frage, wie es der Centralist der fünfziger Jahre über sich vermochte, mit der Inaugurirung des Dualismus die Niederlage der großösterreichischen Idee zu besiegeln, tritt bei dem allgemeinen Umschwung der Dinge nach dem Jahre 1866 auch für H. in den Hintergrund. Zudem war H. in das Ministerium erst getreten, als die ungarische Königskrönung schon als vollzogene Thatsache vorlag, und schließlich glauben wir überhaupt nicht, daß in den großen politischen Actionen des Ministeriums Beust H. ein entscheidender Einfluß zukam. Von Wichtigkeit erscheint uns nur, wie H. sich dem politischen Umschwung gegenüber in den Gebieten seiner speciellen Ressorts zurechtfand.
Das politisch bewegtere der zwei Ressorts war jenes des Cultusministeriums, denn der Kampf um die Aufhebung des Concordats beherrschte damals das innere politische Leben Oesterreichs, soweit die nationalen und staatsrechtlichen [541] Probleme einen Spielraum offen ließen. In dieser großen Frage nun hat H., und darauf legen wir besonderes Gewicht, den von liberaler Seite stürmisch verlangten Schritt der einseitigen Aufhebung des Concordats nicht gethan, im Gegentheile, er hat durch die Einleitung von diplomatischen Verhandlungen mit Rom zum Zwecke der Revision des Concordats den viel bestrittenen Vertragscharakter dieses staatskirchenrechtlichen Actes anerkannt. Wol dürfte dieser Vorgang nicht auf H. allein zurückzuführen sein, denn zu einer einseitigen Lösung des Concordates, wie sie 1870 als Antwort auf die Erklärung des Unfehlbarkeitsdogmas durch das vaticanische Concil erfolgte, wäre damals die Zustimmung der Krone wahrscheinlich nicht zu erreichen gewesen. Aber das Eine ist uns doch sicher, daß ein schroffer Kampf gegen die Kirche, was der formelle Rücktritt von dem Concordat damals bedeutet hätte, dem ehemaligen Zögling Kremsmünsters unmöglich gewesen wäre.
Hingegen bot H. willig die Hand, den Zustand der Gesetzgebung wieder herzustellen, wie er vor dem Concordat bestanden, und gegen die Adresse des Episcopats, welche die Eindämmung der Bewegung gegen das Concordat verlangte, nahm er mit dem Ministerium Stellung. Inwiefern Beust’s Erinnerungen hier zutreffen, welche die Redaction des bekannten Allerhöchsten Handschreibens gegen die Bischofsadresse für B. statt für H. in Anspruch nehmen, müssen wir hierbei auf sich beruhen lassen. H. ging aber noch weiter; ein neues interconfessionelles Gesetz wurde von ihm vorbereitet und in einer brennenden Frage des Tages, welche als eine symptomatische die Parteien spaltete, der Zulassung eines communalen Lehrerpädagogiums in Wien, entschied er im Sinne der liberalen Partei, hier wol in erster Linie von dem heißen Streben geleitet, jedes Bildungsunternehmen zu fördern. Praktisch also, das läßt sich nicht leugnen, bahnte H. der kommenden liberalen Aera die Wege.
Daß H. aber auch dort, wo die politischen Fragen nicht ins Spiel kamen, eifrig bemüht war, Reformen auf dem Gebiete des Unterrichtswesens in Gang zu bringen, ist bei seinem Naturell fast selbstverständlich; trotz der Kürze seiner Verwaltung sind diesfalls mehrere bedeutsame Acte zu verzeichnen, z. B. die Einführung des Turnunterrichtes an den Volksschulen und die Erwirkung einer Allerhöchsten Entschließung für den Neubau der Wiener Universität. Als einen kleinen Zug, welcher Hye’s Verhältniß zu der deutschen Wissenschaft beleuchtet, möchten wir auch noch die, offenbar auf seinen Antrag erfolgte, Verleihung des Großkreuzes des Franz-Josefordens an den Nestor der deutschen Strafrechtswissenschaft, Mittermaier, bei dessen 80. Geburtestage (5. Aug. 1867) erwähnen.
Von der Politik weniger berührt war die Verwaltung des Justizministeriums. Ein großes legislatives Werk ins Leben zu führen war H. bei der Kürze seiner Wirksamkeit natürlich auch hier nicht beschieden; immerhin konnte er es aber als einen Triumph seines Lebens betrachten, daß es ihm vergönnt war, eine Reihe von großen Gesetzentwürfen (Strafgesetz, Strafproceß, Civilproceß, Concursordnung) als Regierungsvorlagen vor den Reichsrath zu bringen. Wir zählen auch den Strafgesetzentwurf hierher, obwol er formell noch von Minister Komers, unmittelbar vor seinem Rücktritt, dem Reichsrathe vorgelegt worden war, weil wir ihn nicht nur als Hye’s eigenstes Werk betrachten, sondern weil H. bei der Vorlage gewiß auch die treibende Kraft gewesen ist. Es kann sonach H. mindestens das Verdienst nicht abgesprochen werden, die Reform auf einer Reihe der wichtigsten Gebiete in Fluß gebracht zu haben.
Was das materielle Strafrecht betrifft, so wartete H. überdies, seiner [542] impulsiven Natur glücklich folgend, die Erledigung des großen Werkes im gewöhnlichen parlamentarischen Wege nicht ab, sondern schlug gleichzeitig den Weg der Partialreform ein, welche er mit der Strafgesetznovelle vom 15. November 1867 glücklich in den Hafen der Gesetzeskraft brachte. Mögen diesem Werke der Eile immerhin manche gesetzestechnische Fehler anhaften, Hye’s unbestreitbarer Ruhm bleibt es, seine wissenschaftlichen Ueberzeugungen im Punkte der Relativität der strafrechtlichen Ehrenfolgen und der Humanisirung des Strafvollzugs bei der ersten ihm voll gebotenen Gelegenheit energisch durchgesetzt zu haben; die Beseitigung der Prügel- und Kettenstrafe, die Beseitigung oder wenigstens Beschränkung der Bemaklung nach verbüßter Strafe sind gleich der Aufhebung der halbschlächtigen Freisprechung ab instantia gesetzgeberische Acte, welche der Biograph um so mehr rückhaltlos als Ruhmesthaten registrirt, weil sie aus Hye’s tiefstem Innern quollen.
Der große Strafgesetzentwurf ist nur legistisches Material im strengen Wortsinne geblieben, die späteren Entwürfe sind seinen Spuren wenig gefolgt. Schon aus diesem Grunde müssen wir es uns versagen, auf den Inhalt dieses Operates, welches bei seiner Veröffentlichung die bedeutendsten kritischen Federn in Bewegung gesetzt hat, näher einzugehen; aber Eins glauben wir zur Anerkennung von Hye’s Werk auch hier aussprechen zu dürfen, nämlich, daß dasselbe jenen Bruch mit der Vergangenheit vermieden hat, welcher den Verfassern späterer Entwürfe schwer begreiflicher Weise als ein unbedenklicher erschienen ist.
Schwieriger war Hye’s Stellung bei dem Strafproceßentwurf. Aus der parlamentarischen Initiative heraus war damals neben den Grundrechten und anderen Schutzgesetzen der Verfassung das Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt im Entstehen begriffen und hier hatte das Schwurgericht Aufnahme gefunden; an der Sanctionirung dieses Gesetzes war nicht zu zweifeln. In dieser Sachlage scheint H. eine gebundene Marschroute erblickt zu haben und so kam es dazu, daß H., welcher nach seiner eigenen Erklärung die besten Kräfte seines Lebens der Bekämpfung des Geschworneninstituts gewidmet hatte, jetzt dieses Institut als eine politische Nothwendigkeit recipirte.
Dieser politische Act Hye’s hat, so viel wir wissen, wenig Anfechtung erfahren; im Gegentheile, er mag ihm vielfach als Act patriotischer Selbstverleugnung angerechnet worden sein. Wir geben auch unsererseits gerne zu, daß für H. damals eine jener Zwangslagen vorlag, an denen die österreichische Geschichte des letzten Menschenalters bei den führenden Persönlichkeiten so reich ist, eine Zwangslage, deren Ueberwindung ohne Conflict nicht möglich war; allein, bei aller Würdigung politischer Nothwendigkeiten, können wir doch das Geständniß nicht unterdrücken, daß wir uns mit jener Lösung des Conflictes nur schwer befreunden können, welche der von uns hochverehrte Mann in diesem Falle für die richtige hielt.
H. entschloß sich, der politischen Lage das Opfer seiner juristischen Ueberzeugung zu bringen, er brachte es aber vergebens; er kam nicht in die Lage, sein Gesetzeswerk zu bergen, denn mit der Sanctionirung der Staatsgrundgesetze wurde ein parlamentarisches Ministerium gebildet und in demselben fand er keinen Platz. Diese Entwicklung lag in der Logik der politischen Thatsachen, sie kann Niemanden, der die rücksichtslose Unbarmherzigkeit des politischen Parteiwesens kennt, befremden. H. hat sich zu dieser Erkenntniß nicht erschwungen und es ist dies für uns nur ein neuer Beleg dafür, wie ungeeignet sein, man möchte beinahe sagen, naives, stets den Gemüthserregungen zugängliches Naturell ihn für das politische Parteileben machte. Er empfand es als eine persönliche Kränkung, als einen Act großer Undankbarkeit, daß gerade sein [543] Lieblingsschüler, sein ehemaliger Adjunct an der criminalistischen Lehrkanzel, Herbst, sich dazu verstehen konnte, ihn aus dem Justizministerium zu verdrängen, und die dadurch bewirkte, gegenseitige Verstimmung hat in der ersten Zeit des Bürgerministeriums sogar zu manchen unerfreulichen Mißhelligkeiten zwischen den beiden früher eng verbundenen Männern geführt.
Die Enthebung Hye’s von dem Ministerium erfolgte in der auszeichnendsten Weise, nämlich unter Verleihung des Ordens der Eisernen Krone I. Classe (H. erwarb infolge dessen am 12. August 1869 die Baronie) und mit dem ausdrücklichen Vorbehalt der Wiederverwendung im Staatsdienste. Zu letzterer ist es nicht gekommen, H. ist bis zum Lebensende im Stand der Disponibilität verblieben, obwol sich, auch nach seiner eigenen Meinung, mehrmals, insbesondere bei der Schaffung des Verwaltungsgerichtshofes, die Aussicht auf Reactivirung zu eröffnen schien. Daraus folgte aber für H. keineswegs ein Zustand der Ruhe; Muße war diesem rastlosen Manne fremd und so fand sich für ihn, obwol er das 60. Lebensjahr schon überschritten hatte, bald die Gelegenheit zu einer nach den verschiedensten Richtungen ausgreifenden Thätigkeit.
Zunächst scheint, und zwar nach dem Tode Mühlfeld’s , der Gedanke an eine Abgeordnetencandidatur wieder aufgetaucht zu sein; er wurde in richtiger Erkenntniß der Sachlage fallen gelassen, als Minister Giskra in die Lücke einzutreten beschloß, und der Eintritt in die politische Arena fand erst später in anderer Weise durch die Berufung in das Herrenhaus statt.
Sodann wurde die Wirksamkeit im humanitären Interesse und speciell für das Corporationswesen mit gesteigertem Eifer wieder aufgegriffen und hier hat nun H. durch Decennien eine führende Rolle im Wiener Leben eingenommen. Eine Reihe von Institutionen wurde von ihm neu geschaffen oder neu belebt und überall, wo er an der Spitze stand, setzte er seine volle Kraft mit voller Wärme für die Sache ein. Wir nennen hier in erster Linie den juridisch-politischen Leseverein, das juridische Doctorencollegium, die juristische Gesellschaft, den Schutzverein für entlassene Sträflinge, das Schwarzenbergische Pensionsinstitut, die Studentenconvicte; aber zahllos waren außerdem noch die Veranlassungen, bei welchen er, sobald es irgendwo zu fördern oder zu helfen galt, sei es im allgemeinen, sei es im Einzelinteresse, mit Feuereifer einschritt.
Im auffallenden Gegensatz zu dieser Vielgeschäftigkeit hat H. sich nur von einer Art der Thätigkeit consequent ferne gehalten, nämlich von der Betheiligung an Erwerbsgesellschaften. Jene Versuchungen der Gründerperiode, welchen so viele hervorragende Männer nicht widerstehen konnten, sind bei H. wirkungslos abgeprallt; er ist niemals Verwaltungsrath gewesen. Mit berechtigtem Selbstgefühl konnte er in seinem Testament darauf hinweisen, daß er aus diesem Grunde nur über ein bescheidenes Vermögen verfüge. Diese Erscheinung ist um so höher anzuschlagen, als bei H., besonders infolge seines lebhaft entwickelten Familiensinnes, wirthschaftliche Erwägungen stets eine bedeutende Rolle spielten und die Sorge um das Ersparen sogar eine sehr lebendige war. H. hat eben, zum Unterschiede von manchen anderen im öffentlichen Leben Oesterreichs vielgenannten Persönlichkeiten, den Erwerb durch Arbeit nicht gescheut, aber den mühelosen oder des Staatsmanns unwürdigen Gewinn verschmäht.
In die Kategorie freiwilliger Wirksamkeit gehört auch die Function als Rector Magnificus der Wiener Universität im Jahre 1871/1872. Zum letzten Male fand damals die Rectorswahl nach der alten Universitätsverfassung statt, welche den Doctorencollegien auch hierbei einen bedeutsamen Einfluß einräumte, und da konnte von dieser Seite füglich kein Berufenerer präsentirt werden [544] als H., welcher durch alle Phasen seines Lebens, als Professor, Beamter und Staatsmann, werkthätig für die Interessen der Doctorencollegien und für ihre Stellung innerhalb der Universität eingetreten war. Es bildete dies einen schönen Abschluß von Hye’s akademischem Wirken, wenn auch die politische Demonstration gegen das Ministerium Hohenwart, zu welcher die Rectors-Inauguration – gewiß nicht im Einklang mit Hye’s eigenen Intentionen – benützt wurde, den harmonischen Eindruck stört.
Eine Stätte für dauerndes öffentliches Wirken in großem Stile erschloß sich für H. endlich im J. 1869 mit seiner schon erwähnten Berufung in das Herrenhaus und, dem folgend, durch die Ernennung zum Mitgliede des damals neu geschaffenen Reichsgerichtes; in diesen Stellungen hat H. durch ein Vierteljahrhundert den jüngeren Generationen durch unermüdliche Schaffenslust vorangeleuchtet und die Erinnerung an ihn wird bei den ihn Ueberlebenden wol zumeist mit seiner Wirksamkeit an diesen Stellen verknüpft geblieben sein, von welchen er unzertrennlich schien.
Im Herrenhause schloß er sich von Anfang an der Verfassungspartei an. Natürlich konnte er die oben charakterisirte Eigenthümlichkeit seines, strenger Parteidisciplin abholden Wesens auch hier nicht ganz verleugnen und es mußte ihm zudem in den späteren Zeiten, als seine Partei dauernd zur Oppositionspartei wurde, die scharfe politische Gegnerschaft gegen das Ministerium um so schwerer fallen, als an der Spitze desselben ein ehemaliger Schüler (Graf Taaffe) stand, der seinem Lehrer stets die persönliche Anhänglichkeit der Jugendzeit bewahrt hatte. Allein, trotzdem zählte er zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Partei und nicht nur zu den bekanntesten, sondern wegen seines concilianten Wesens auch zu den beliebtesten Mitgliedern des ganzen Hauses; zum größten Stolze seines Lebens gereichte es ihm, daß er durch volle 15 Jahre berufen war, zunächst als Obmann-Stellvertreter, dann als Obmann an der Spitze der juridischen Commission zu stehen, bis er während seiner letzten Krankheit, wenige Wochen vor seinem Tode, freiwillig von dieser Stelle schied.
Im Plenum des Herrenhauses betheiligte sich H. vorzugsweise an den Fragen der Justiz-, dann an jenen der Unterrichts- und Cultusgesetzgebung. Namentlich in den ersten Jahren fungirte er oft als Berichterstatter, so über die Umgestaltung der Hypothekarrechte in Tirol (1869, 1870), über die Gewerbe- und Militärgerichte (1869), das Wasserrecht (1869), die Notariatsordnung, bezw. den relativen Notariatszwang (1871), die polizeiliche Abschaffung und das Schubwesen (1871), die Einzelhaft (1872), die Civilproceßnovelle (1874), das Militär-Pensionsgesetz (1874), die Schulaufsicht in Tirol (1875). Es war ihm daher vielfach möglich, parlamentarisch wirksam zu werden, ohne den Parteimann hervorkehren zu müssen. Aber auch dort, wo dies nicht anders möglich war, wie in den confessionellen Fragen, geht durch seine Reden, so sehr sie auch als Ausläufer des Josephinismus anklingen und von größter Lebhaftigkeit erfüllt sind, ein gewisser milder Zug, dem nichts ferner lag als Kirchenfeindlichkeit. Bei manchen kirchenpolitischen Anlässen, wie z. B. bei der Berathung des Klostergesetzes am 15. und 17. Januar 1876 und bei der Eherechtsdebatte am 20. Januar 1877, vertrat H. sogar die weitestgehenden Postulate der linken Seite des Hauses, aber trotzdem bricht sich das Bemühen, mit den kirchlichen Gewalten zu einem Einvernehmen zu gelangen, bei den verschiedensten Gelegenheiten Bahn. Wir glauben in letzterer Richtung insbesondere auf seinen Bericht über die Rechtsverhältnisse der Altkatholiken (1876) und sein Eingreifen in der Debatte über das Verfahren bei Todeserklärungen (1882) verweisen zu können. So gelang es ihm vielfach, Zustimmung und Anerkennung auch von principiell gegnerischer Seite zu erlangen und die Hingebung [545] und Frische, mit welcher der Siebzig- und Achtzigjährige seine Anschauungen in unverwüstlicher Beweglichkeit vertrat, galten allseits als eine staunenswerthe Erscheinung. Als ein Beispiel in letzterer Richtung sei nur sein Eingreifen zur Aufrechthaltung des Legalisirungszwanges und zur weiteren Ausdehnung des Militär-Relictengesetzes im J. 1890 erwähnt.
Aus dem Herrenhause heraus gelangte H. bei der ersten Präsentation für das Reichsgericht durch die Allerhöchste Entschließung vom 9. Juni 1869 in dieses Tribunal. H. stand damit am Abende seines Lebens vor einer ganz neuen Aufgabe; denn Sache dieses Gerichtshofes war es, die in Oesterreich und auch anderwärts fast unbekannte Rechtsprechung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes ins Leben zu führen. Wenn es dem Reichsgerichte gelungen ist, dieses Problem erfolgreich zu verwirklichen, dann ist dies gewiß insbesondere Hye’s Verdienst, und zwar schon deshalb, weil er nicht nur durch mehr als 25 Jahre ununterbrochen dem Gremium angehörte, sondern auch diese ganze Zeit hindurch, auf Grund neunmaliger Wahl durch das Collegium, die Geschäfte des ersten ständigen Referenten führte. Bei H. kam aber noch das Zweite dazu, daß, wenn bei ihm eine Berufsarbeit ohnehin niemals zum Handwerk herabsinken konnte, hier die Höhe der Aufgabe des Tribunals im Ganzen wie geschaffen war, um seiner eindrucksfähigen Natur jeden Einzelfall als einen bedeutsamen erscheinen zu lassen. So hat H. nach dem Zeugniß von competentester Seite seines r. g. Amtes „mit einer unverwüstlichen Arbeitslust und Arbeitskraft und mit einer Begeisterung für die Sache gewaltet, welche jeden Jüngling beschämen konnte und an welcher die Jahre spurlos vorübergegangen sind“.
Das Urtheil, was das Reichsgericht und mit ihm sein erster ständiger Referent geleistet, hat H. überdies der Nachwelt durch die von ihm herausgegebene „Sammlung der Erkenntnisse des k. k. Reichsgerichtes“ (Wien, Manz, Bd. I–V; Wien, Hölder, Bd. VI–IX) erleichtert. In den Vorreden zu diesen neun Bänden ist Hye’s persönlicher Standpunkt in den principiellen Fragen der r. g. Judicatur, namentlich über das Verhältniß zwischen Reichsgericht und Verwaltungsgerichtshof, umständlich zur Entwicklung gelangt. Prüft man die r. g. Erkenntnisse an der Hand dieses Wegweisers, so tritt der individuelle Einfluß Hye’s auf die r. g. Judicatur, wenn möglich, noch deutlicher hervor als durch die seine Autorschaft verrathende Fassung der Entscheidungsgründe vieler Erkenntnisse selbst. Man kommt dann mit Sicherheit zu folgendem Schlusse. H. mußte nach seinem ganzen Naturell von vorneherein eher ein Freund ausdehnender als einschränkender Interpretation der Befugnisse des Reichsgerichtes sein; er ist daher, von dem Streben nach Entwicklung des Reichsgerichts durchdrungen, litterarisch sowol als parlamentarisch mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit dafür eingetreten, die Einsetzung eines besonderen Verwaltungsgerichtshofes durch eine gesetzgeberische Ausgestaltung des Reichsgerichtes (und obersten Gefällesgerichtes) überflüssig zu machen. Wenn es nun doch zur Errichtung des Verwaltungsgerichtshofes kam und das Reichsgericht trotzdem zu einer Einschränkung seiner Competenz nicht gelangte, dann hat H. an letzterem gewiß hervorragenden Antheil genommen. Jedenfalls konnte H. es als Triumph verzeichnen, daß das Reichsgericht in der vielbestrittenen Anspruchsjudicatur seinen Standpunkt dem Verwaltungsgerichtshofe gegenüber beharrlich festhielt. Daß das Reichsgericht in der Fällung des ihm allein zustehenden condemnatorischen, mit Executionskraft versehenen Urtheils nicht gehemmt sein kann, weil administrativ über den Anspruch entschieden wurde und dem Verwaltungsgerichtshof das Erkenntniß über diese Administrativentscheidung zusteht, [546] dieser die r. g. Judicatur beherrschende Grundsatz fällt sichtlich mit Hye’s Anschauungen zusammen. Dieser Grundsatz war es, welcher in den ersten Zeiten des Reichsgerichtes die Durchsetzung der Beamtenansprüche und später insbesondere jene der Seelsorgeransprüche gegen den Staat möglich gemacht hat; daß hier mit der Vertretung der Rechtsidee zugleich die Verwirklichung von Geboten der Humanität gegeben war, bildete natürlich für Hye’s Seele nur einen neuen Quell der höchsten Befriedigung.
Aber auch in der zweiten Sphäre der r. g. Competenz, in der politischen Judicatur, ist vor allem eine Gruppe von Erkenntnissen zu finden, welche deutlich Hye’s Einfluß verräth; es sind dies die Erkenntnisse in Fragen des nationalen Rechts. Daß das Reichsgericht sich muthig entschloß, dem Grundsatz nationaler Freiheit und Gleichberechtigung, welchen die Verfassung im J. 1867 in sich aufgenommen, wenigstens eine beschränkte praktische Geltung zuzuerkennen, das ist nach der Fassung der Ausschlag gebenden Erkenntnisse in erster Linie gewiß von H. ausgegangen. Es war H. in seiner Auffassung der Dinge eben unbegreiflich, daß der höchste Gerichtshof Oesterreichs in Fragen des öffentlichen Rechtes zu der Judicatur über jene Streitfälle nicht berufen sein sollte, welche mehr als alle anderen dem politischen Kampfe entstammen. Er lebte dabei vielleicht auch der Hoffnung, daß die aus der Judicatur des Reichsgerichtes sich entwickelnden Rechtssätze die Bausteine bilden könnten zu einem dem Kampfe der Parteien entrückten österreichischen Sprachenrechte, und die unerwartete Anfechtung dieser Judicatur von nahestehender Seite hat ihn bei seiner Gefühlswärme daher tief verwundet.
Die rastlose Wirksamkeit Hye’s am Abende seines Lebens, im Dienste der Humanität und des Staates, hatte in erfreulicher Weise auch vielfache äußere Anerkennung zur Folge. Der siebzigste und achtzigste Geburtstag, das fünfzigjährige und sechzigjährige Doctorjubiläum waren Ereignisse, welche aus weiten Kreisen Kundgebungen der Liebe und Werthschätzung weckten und neue Ehren brachten. Im J. 1886 erfolgte die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes durch die Stadt Wien, die Feier des 80. Geburtstages wurde durch die Verleihung der Kanzlerwürde des Ordens der eisernen Krone von Seite des Monarchen erhöht und an den Beginn des 25. Referentenjahres bei dem Reichsgerichte schloß sich die Allerhöchste Verleihung des Großkreuzes des Leopoldordens an. Vielleicht noch mehr als durch alle diese Auszeichnungen fühlte sich aber H. durch das Allerhöchste Handschreiben gehoben, welches im letzten Jahre seines Lebens an ihn als Präsidenten des Denkmalcomités der Befreiung Wiens von der Türkengefahr des Jahres 1683 gerichtet wurde. „Ich beglückwünsche Sie dazu“, so heißt es in dem Allerhöchsten Handschreiben vom 13. September 1894, „daß es Ihnen vergönnt war, am Abende Ihres in verschiedenen Wirkungssphären des öffentlichen Dienstes rastlos thätigen Lebens sich an der Vollendung eines unter Ihrer umsichtigen Leitung und Fürsorge zu Stande gebrachten Werkes zu erfreuen, welches in seiner edlen künstlerischen Gestaltung der Größe der ihm zu Grunde liegenden historischen Erinnerungen sich als vollkommen würdig darstellt. Der erzielte glänzende Erfolg möge Sie für die viele, während einer langen Reihe von Jahren der Durchführung des pietätvollen und patriotischen Unternehmens gewidmete Mühe und Arbeit entschädigen, für welche auch Ich Ihnen Dank und volle Anerkennung ausspreche.“
Dieses Allerhöchste Handschreiben war das letzte Denkzeichen von Hye’s öffentlichem Wirken. Die erstaunliche Arbeitskraft Hye’s, welche sich so lange ungebrochen erhalten, hatte in den letzten Jahren insofern eine Minderung erfahren, als eine Schwächung des Sehvermögens hemmend dazwischentrat. Seit [547] 1890 hatte H. daher begonnen, sich aus dem Vereinsleben zurückzuziehen, und im J. 1894 machte er sich schon mit dem Gedanken vertraut, mit Abschluß des Trienniums das Referat im Reichsgericht aufzugeben; er wollte aber, und dies ist für seine Lebensfreudigkeit bezeichnend, auch dann noch als Mitglied im Reichsgericht verbleiben. Da trat die Krankheit ein, welche schon die Theilnahme an der Octobersession 1894 verhinderte; die Operation, welcher sich der Greis noch muthig unterzog, konnte die Rettung nicht bringen und am 9. December 1894 machte der Tod diesem reichen und, man kann wol sagen, in seltener Weise glücklichen Leben ein Ende.
Die sterbliche Hülle Hye’s ruht, seiner testamentarischen Anordnung entsprechend, in heimathlicher oberösterreichischer Erde in der Familiengruft zu Steinhaus; in Wien, an der Stätte seines langjährigen Wirkens, versammelten sich seine Freunde und Verehrer am 5. Mai 1895 zu einer von dem juridischen Doctorencollegium angeregten Gedächtnißfeier und hier, in den Arkaden der Universität, wurde am 5. November 1899 sein derselben Initiative entstammendes Denkmal enthüllt. So weit übrigens die Werke des Lebens ein Denkmal bauen, ist ein solches für H. zunächst von selbst vorhanden an all jenen zahlreinchen Stätten und in den Herzen all jener Ungezählten, mit welchen ihn sein humanitäres Wirken verknüpfte; es fehlt für ihn aber auch nicht in der großen Ruhmeshalle Oesterreichs. H. war ein echter Sohn Deutsch-Oesterreichs, mit den leuchtenden Vorzügen und mit den Schwächen seines Stammes; an seiner engeren Heimath und an dem großen Staate Oesterreich, der nach seiner Auffassung in erster Linie ein geschichtliches Werk seiner Stammesgenossen war, hing er mit allen Fasern seines Herzens. Und so kann es nur als die schönste Erfüllung seines Lebenszieles gelten, daß sein Name untrennbar verknüpft ist mit der österreichischen Geschichte, soweit sie von dem Vormärz in die Gegenwart hereinreicht; es ist ihm vergönnt gewesen, der Wissenschaft und Lehre des österreichischen Rechtes, der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung des österreichischen Staates die Spuren seines Geistes und seiner idealen Lebensauffassung mit unvertilgbaren Zügen einzuprägen.
- Wurzbach, Biographisches Lexikon IX, 458–461. – Die feierliche Sitzung der kais. Akademie der Wissenschaften am 30. Mai 1895, S. 23 u. ff. – Anton Springer, Geschichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden 1809, II. 184 u. ff. – Reschauer-Smets, Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution. Bd. I, S. 158 u. ff. – (Helfert), Aus Böhmen nach Italien. März 1848, S. 23 u. ff. – Hans Kudlich, Rückblicke und Erinnerungen I. 172 u. ff. – Franz Schuselka, Deutsche Fahrten, II, Während der Revolution, S. 61 u. ff. – Ferdinand Graf von Beust, Aus drei Vierteljahrhunderten II, 101 u. ff. – Dr. Cölestin Wolfsgruber, Cardinal Rauscher, S. 192, 195. – Leopold von Hasner, Denkwürdigkeiten, S. 43, 123, 124. – Leitmaier, Oesterreichische Gefängnißkunde, S. 183 u. ff. – Dr. Julius Glaser, Studien zum Entwurf des österreichischen Strafgesetzes, S. III u. ff. – Dr. S. Mayer, Handbuch des österreichischen Strafproceßrechtes I, 201 u. ff. – Acten des Justizministeriums. – Handschriftlicher Nachlaß.